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Diese Eindrücke und die Arbeit an meinen Büchern allein haben mich in den ersten Jahren farbenfrohen südlichen Lebens, mit viel zu viel Menschentreiben um mich her, vor dem Versanden bewahrt. Ich schwamm vergnügt dahin, hart an Klippen vorüber. Mein Mann nahm es wohl wahr, er steuerte sacht. Aber er ließ auch diese Phase meines Lebens sich austoben, die weltliche. Ich darf nichts beschönigen, sie ist stark gewesen. Es kam da viel zusammen um mich, vielleicht auch in mir. Man hat nicht ungestraft eine mehr als weltliche, verschwenderische Großmutter gehabt. Herrisch, wie ich veranlagt war, behagte mir eine führende gesellschaftliche Stellung, nachdem einmal die Scheu überwunden war, die zuerst so starke, merkwürdige Scheu, Menschen an dieser Grenze kennen zu lernen. Wir machten Haus, wie man es in Wien nennt, gaben Feste, gute Diners, was vor allem zog, Munterkeit; geistige Lebhaftigkeit gab unserem Hause lebhafte Töne.
Mein Mann hatte bei dieser Geselligkeit einen patriotischen Hintergedanken; der galt einem wirklichen Zusammenbringen des deutschen und des welschen Elementes. Ich aber wollte mich hinwegtäuschen über die geistige Leere eines solchen Daseins, in dem die intellektuelle Note vollkommen fehlte. Es fehlte Kunst, Wissenschaft, Musik, die unumgängliche Berührung mit kritischen Persönlichkeiten. Ich fühlte mich allen weit überlegen eine Zeitlang, inmitten von Lebenslust und Schmeicheleien, die der jungen Frau galten, der Hausfrau, nicht dem Menschen. Das alles, das gewiß auch zeitweise den Charakter schädigte, habe ich später schwer bezahlt. Denn ich verachtete, halb unbewußt, von einer Höhe herab, auf der ich zu stehen glaubte, diese ganze in ihrer Vielfarbigkeit nicht uninteressante Menschenfülle, die mich umgab, wie ich meinen Verwandten innerlich nicht eine Konzession machte. Es war gewiß verkehrt. Aber es war eben so, und ich bekenne es frei. Ich fügte mich nur Einem: meinem Gatten! Seine Führung aber ging in einer ergreifenden Geduld und Liebe leise Wege.
Viel später erst ward mir Vieles bewußt, als ich schweres Lehrgeld bezahlt, Wege zurück gewandert. Arco war ein heißer Boden. Hinter seiner Langeweile, in der nur eine frivole Koterie sich unterhielt, mit der zu verkehren ich mich immer stark überwinden mußte, braute etwas, das alles eher als Langeweile war: Der immer lauernde Hochverrat einer Grenze eines von einem kurzsichtigen und leichtsinnigen Volk besetzten, aber niemals wirklich gekannten, nie wirklich beherrschten, in Besitz genommenen Landes. Hier fehlte auch die preußische Wehrkraft, die im Elsaß, in den Reichslanden Bestialitäten gewaltsam niederhielt. Hier war alles feige, nur Kompromiß; es durfte sich keiner rühren. Weder der österreichische Beamte, noch der Offizier hatte irgend eine wirkliche Fühlung, irgend eine wirkliche Macht. Alles blieb Schein, diese ganze Herrschaft hier. Die Garnison in Riva war groß; zum größten Teil kam sie gesellschaftlich nicht in Betracht. Der österreichische Kommißoffizier des Durchschnitts denkt gesellschaftlich ganz anders als der Deutsche, denkt ohne Ambitionen, wie er es nennt. Er schätzt meistens nur die engste Geselligkeit seines sogenannten ärarischen Kreises; sein liebster Spielplatz war immer das Caféhaus, nicht der elegante oder vornehme, gewiß nicht der irgendwie geistige Salon. Ihm waren auch nur die ärarischen Damen, von denen so viele aus ganz anderen Schichten stammten, behaglich. Die strengen Heiratsvorschriften wurden bei uns nicht gehandhabt, entweder sie waren nicht da, oder man machte, richtig österreichisch, eine Fülle von Ausnahmen. Das Gefühlsleben solcher Offiziere, wie es sich auch an der Grenze und besonders in der Ungeniertheit Arcos, des Erholungsortes, abspielte, war nicht immer erfreulich; es brachte ein Haus, wo sie notgedrungen verkehrten, oft in Verlegenheit. Wir hatten ein österreichisches Kurhaus, eines jener viel zu vielen und mangelhaften Offizierserholungsheime, in denen alles eher vorgesehen war als wirkliche Fürsorge. Teuer für die überaus bescheidenen Verhältnisse unserer Armee, zu beschränkt an Raum; dabei überfüllt von Herren und Damen, die letzteren die Plätze oft ganz unberechtigt bekamen, bot dieses Weiße Kreuz, dessen nomineller Präsident mein Mann später wurde, nichts, worauf man stolz sein konnte; schlecht heizbare Stuben; keine Verpflegung, keine Bedienung für wirklich Kranke, keine Hilfsmittel; keinen Arzt im Hause, überhaupt kaum eine Überwachung der lebensgierigen Lungenkranken. Wurde es ernst mit einem Hoffnungslosen, dann schob man den noch gerne rasch in das miserable Ortsspital oder mit der Bahn ab, in einer kaltschnäuzigen Herzlosigkeit, die Disziplin hieß. Die wechselnden Kommandanten dieses Hauses, das als ein öder Bau in einem ungepflegten Grundstück lag, hatten fast nie ein selbstloses Interesse für die Bewohner des Heims. Es ging da militärisch zu im verfehlten Sinne. Die Kommandanten waren ausgediente Offiziere, die hier eine Art Versorgungsposten inne hatten. Ich weiß nicht Einen aus vierzehn Jahren zu nennen, der sein Amt wirklich ernst und gewissenhaft genommen hätte. Auch trugen sie durchaus nicht alle dazu bei, das Ansehen unseres Militärs an der Grenze unter den spähenden Augen der Welschen zu heben.
Es kamen unter ihnen Originale vor, die im Privatleben ganz lustig sein mochten; hierher gehörten sie nicht. Da war Einer, noch sehe ich seine lange hagere Gestalt eines Don Quichote vor mir, der führte sich am Empfangstage vor einer großen Gesellschaft damit ein, daß er nicht in den Salon eintrat, sondern herein fiel; er stolperte, weil er sich nach der hübschen Zofe nochmals umsehen mußte, die ihn schön im Vorzimmer so gefesselt. Er teilte mir sofort mit, daß ihm Besuche bei Damen der Gesellschaft etwas Schauderhaftes seien. Auch seine Herren, unsere Offiziere, die seien überhaupt nur auf Kellnerinnen dressiert, sagte er. Und sah sich um nach einem unfeinen Wesen, dem er auf seine Art die Kur machen könne. Ohne Umschweife, gleich mitten hinein in medias res. Bei Diners wußte man bald nicht, neben wen ihn setzen; er erzählte so unsagbare Geschichten, sogar aus seiner eigenen Ehe; die ferne Gattin betitelte er mit Madame und nannte sie ein ausrangiertes Möbel, einen Kasten für Fetzen, die man nimmer braucht, mit zwei Henkeln. Der Ton seiner Schützlinge gegen ihn stellte sich natürlich sofort auf ihn ein.
Und wie spotteten die welsche Bürgerschaft, die Fremden, deren Späheraugen hier die Verhältnisse musterten.
Allerlei sonderbare Autoritätspflanzen wucherten bei uns, schossen unerlaubt ins Kraut. –
Ich erinnere mich eines Sonntags, als wir im Auto ausfuhren, meine schöne Jungfer aus der Heimat hatte Ausgang, und war, geputzt wie ein Schaufensterpüppchen, strahlend abgezogen, – da begegneten wir ihr auf der Straße Riva-Torbole am blauenden Gardasee in einem Einspänner, Hand in Hand mit einem Oberleutnant kroatischen Namens in Uniform, der am letzten Mittwoch bei uns seine feierliche Antrittsvisite gemacht und sich dabei im Vorzimmer fast vollständig versäumt hatte; er konnte von der Jungfer, die ihm den Mantel abnahm, nicht mehr fort.
Mittwochs bei uns zu Gast, Sonntags mit ihr im Wagen; ein in Offizierskreisen doch immerhin nicht ganz mögliches Auffassen der Verhältnisse. Er war zwar sehr verlegen, aber er grüßte herzlich!
Auch meine Rosa grüßte. Wie ihr zu Mut war, weiß ich nicht. Sie hatte meinen weißen Tüllhut auf mit den Rosen, den ich durchaus nicht finden konnte; er stand ihr besser wie mir, das gebe ich zu.
Als dann die oberösterreichische und aus ihrer Bahn gelenkte Rosa auch noch eine Einladung auf den großen Offizierball in Riva erschmuggelte, Schulden machte, um sich ein gänzlich damenhaftes Ballkleid dazu zu kaufen, und in einem Wagen um zehn Gulden mit der Köchin als Gardedame hinfuhr, um dort verschiedene Leutnants, die sie heute nicht gerade brauchen konnten, in eine gräßliche Verlegenheit zu bringen und zahlreiche Herrschaften anzulächeln, denen sie schon oft die Überschuhe angezogen, da explodierte die Bombe.
Ein anderer Kurhausleiter war, sogar für Tiroler Verhältnisse, die bekanntlich besonders im Adel oft wunderlich sind, ein ganz verrücktes Huhn; das heißt ein Truthahn, der jahrelang im Erholungsheim herumkollerte und eine überaus bekannte, bei Vielen nicht unbeliebte Spezies darstellte. Klein und dick, mit einer Brüllstimme, die der Leichenaufwecker genannt wurde, trug er adelsstolz einen guten Namen und hielt sich eine Equipage, obschon er arm war und seine Frau, die ihn ganz kurz hielt, ihn auf ihrer Südtiroler primitiven Besitzung knapp behandelte. Er hatte sie nie geliebt, und, wie er gern erzählte, als er sich verlobte, immer weggeschaut. Aber sie war eine Gräfin, und auf Adel hielt das Männchen. Sie war fromm, und erschien er des Sonntags daheim, dann ergriff es ihn schmerzlich, daß der Kurate die »Bakhendln« bekam, wenn's welche gab, und er die Polenta! Auch seine stacheliche Matratze, nur mit Maisstroh angefüllt, empfand er als unrichtig. Aber es war so, und blieb so; daher er zuhause nicht Wurzel schlug, und diese Stellung in Arco annahm. Aufs gute und viele Essen versessen, konnte er darin etwas leisten. Er berücksichtigte die knappen Börsen der kranken Offiziere nicht, er zwang sie in jenem Hotel den gemeinsamen Mittagstisch zu halten, das ihm paßte, ihn bevorzugte. »Wer halt gar nix zahlen kann, der soll a nit marod sein,« sagte er kaltblütig in einem naiven, aber riesengroßen Egoismus. Ich frage mich, was in jenen entscheidenden Jahren vor dem Kriege ein ernster wirklich repräsentativer und selbstloser österreichischer Offizier aus der Schule Conrad von Hötzendorfs hier geleistet, wie er gewirkt hätte. Wehmut ergreift mich, daß wir gerade an unseren exponierten Stellen uns in unseren Besten nie gezeigt, den wirklichen Eindruck unseren echten Wesens nie gegeben haben! Warum?
Ist das österreichische Eigenart, eine Witzigkeit am unrechten Platz, oder ist es Tragik; eine Tragik, stärker als unsere innerste Natur? Wie viele der wirklich wertvollen, tief angelegten Offiziere habe ich gesehen in ihrer Hilflosigkeit; Naturen, einer Benedekischen Vaterhand bedürftig!, Der Seelengüte meines Mannes, der dieses Militär wie ein Vermächtnis geliebt hat, seinem Verstehen, seinem Willen zu helfen, der stille Opfer brachte, erschloß sich so manches verbitterte Innenleben. Ich gedenke unvergeßlicher Gespräche, Einblicke in die Seele meines Vaterlandes, dessen Stimme der Soldat ist, der volksführende Offizier. Da habe ich gelernt, für Benedeks Buch zu reifen; da sah ich das wirkliche Österreich, da verstummte jede Frivolität eines ungesunden, gesellschaftlichen Treibens.
Daß mich dieses bunte Leben, dessen Zentrum unser Haus wurde, auf die Dauer nicht fesseln konnte, empfand ich, empfanden andere bald. Die führende Koterie stieß mich ab. Der Ton mißfiel mir, innere Anknüpfungen fand ich nicht. Das sah meine Umgebung bald, und sie hat mich nie geliebt. Aber sie dachte wohl, daß mich eine maßlose Eitelkeit ihr versklavte, dieses billige Gefeiertwerden, das, wie der Österreicher es selber zynisch ausdrückt, man jedem zuteil werden läßt, der einen Schinken heraushängt. Diese Eitelkeit nun war es nicht. Es war neben natürlicher Lebensfreude einer glücklichen Lebensepoche im Sonnenschein der Wunsch nach Betätigung irgend einer Art, und der Drang, Menschen zu studieren. Dieses immer wache, unerbittliche Streben, zu erkennen. Ich weitete mir das Buch meiner Bilder.
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Unter der Flut von Personen und Persönlichkeiten, die damals in diesen großen Räumen eines welschen Palazzos an mir vorüberzog, vielfach sympathisch, war Österreich, Ungarn, das Baltentum, Rußland, Polen, England, ein Spürchen Frankreich (nicht viel), waren Italiener. Die Letzteren, mir von meinem Manne immer wieder in ihrer Eigenart ans Herz gelegt, interessierten mich besonders. –
Bei uns verkehrten verschiedene einheimische Familien, die man sonst in keinem deutschen Hause sah. Es ergab sich von selbst. Ich hatte eine italienische, sehr tüchtige und treue Bonne, die später eine gute Volksschullehrerin wurde und mir die beste Seite welschen Frauentums gezeigt hat; ich hatte welsche Dienerschaft zwischen der deutschen eingeführt, mannigfache Beziehungen. Innsbruckerinnen waren hier verheiratet, lebten wie in Festungen in den dunklen, schweigsamen Steinhäusern, deren Fenster wie lichtlose Augen blickten. Junge Mädchen lockte Tanz und Geselligkeit.
Unsere ruhige Freundlichkeit gegen das einheimische Element war erfaßt worden. Man mißtraute uns dafür bald in dem bornierten, rein österreichischen Gesellschaftskreis, der seinen besonderen Stolz darein setzte, nach Aufenthaltsjahrzehnten kein Wort italienisch zu sprechen.
Die Familien zogen immer als Ganzes auf, enggegliedert, und blieben den ganzen Abend aneinander kleben. Vater, Mutter, Töchter, Sohn, womöglich Onkel und Tante; die Ehepaare setzten sich neben einander und betrieben gründlich mit den guten Sachen eine schweigende Ernährung, die Speisenträger immer wieder heranwinkend, wie im Gasthaus. So waren sie eben. Dabei zeremoniell, wachsam, unendlich höflich, ja devot; aber so unvertraut, als man nur konnte. Sie zu gewinnen, diese Sippen, war ganz unmöglich, sie ganz zu ergründen, ebenso. Der Schlüssel zu ihnen lag wohlverwahrt. Dennoch wußte ich allmählich um manche dieser Existenzen, ergründete vor allem eines: die hier übliche, für eine deutsche Natur unerträgliche Hörigkeit, die Knechtschaft der Frau im Ehe- und im ganzen Familienleben, als dessen versklavter, entwürdigter Teil, der niemals frei wurde, den man benachteiligte in allem, Frauen und Töchter in Welschtirol, unvermählte Schwestern, alternde Geschöpfe im Hause, die Ärmsten der Armen! Ich habe da etwas gesehen, das wir nicht kennen: Die Frau, der man unbedingt nicht traut und nicht vertraut. Die stummen, gequälten Augen solcher Frauen, der ewig Schweigenden, sind mir oft gefolgt in den Jahren meines Lebens da unten; fragend, forschend, neiderfüllt, schließlich in einem dumpfen Weiberhaß, den ich begriff; er war triebhaft. Ich durfte leben, leben! Sie aber lebten nicht. An ihrer Gurgel saß die würgende Hand. Ihre eigenen Söhne wurden ihre Spione, ihre Tyrannen. Als Witwen litten sie Not. Ihre reiche Mitgift, ohne die sie keiner nahm, war verschwunden, versunken. Der Kirche hörig in einer ganz bestimmten, vorgeschriebenen Art, wagten sie doch nicht einmal im Beichtstuhl einen vollen Aufschrei ihrer Seele. Der welsche Priester hätte diese zertretene deutsche Frauenwürde als eine unerhörte Selbstüberhebung schwer gerügt, Abbia patienza e soffri. La Donna serve. Habe Geduld, leide. Es dienen die Frauen.
Wen hast du hier gefreit, ärmstes Geschöpf aus deutschem Land? Die Unerbittlichkeit, das untilgbare Mißtrauen der romanischen Rasse gegen die Helle des Nordens: deren Ja ein Ja ist, deren Nein ein Nein. Du hast den Haß gegen die deutsche Frauenart gefreit.
Diese dunklen Bilder habe ich später niedergelegt in Büchern. » Student Leoni« und noch anderes wurde geschrieben, triebhaft Empfundenes.
Was ich in jenen Büchern voraus träumte, es erfüllte sich dann alles. Alles kam, was ich in Visionen schaute.
Wenn ich in jenen Werken vergangener Tage blättere, zittert meine Hand, zittert mein Herz.
So blieb ich im vertieften Menschenschauen, bewahrt vor aller wirklichen Frivolität. Auch diese äußerlich schalen Jahre wurden ein Lernen, eine Etappe mehr auf dem Kreuzwege des Erkennens und des Sich-Bekennens.
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Der österreichische Bezirkshauptmann ist ein nervöses Männchen; ablehnend, ehe man ihm noch etwas anbietet. Er glaubt nie etwas, sieht nie etwas ein, sagt unangenehm: Erzählens mir nur ja nix; und berichtet nach Wien nie etwas. Er geht gern baden, und wenn ein Erzherzog kommt, ist er aufgeregt, weil es bei ihm zuhause so unordentlich zugeht. Sonst ist er gar nichts, er will auch nichts sein. Sein Adlatus, der Kommissär, ist pflichtschuldigst noch viel weniger; höchstens daß der doch in ein paar Häuser dieser Koterie in Arco geht, doch Bridge und Tennis spielt und leise probiert, wie weit man da flirten kann. Der deutsche Bewohner der Gardasee-Ufer wird bei diesen Beamten niemals irgend eine Unterstützung finden; die Regierung regiert sozusagen hintenherum, nur vom Nötigsten Gebrauch machend, »damit ma' seine Ruh hat!«
Der Podesta ist immer umschwebt von einem Verdachte des Irredentismus; und wie ich glaube, immer mit Recht. Er lächelt unendlich süß, man tut ihm sehr schön. Ob er deutsch kann oder nicht, das hat noch keiner ergründet; aber es ist besser man gibt Acht.
Der signore Avvocato, einer der vielen Advokaten, lächelt ebenfalls unausgesetzt, in einer Weise, vor der sich jede Sphinx verstecken kann; verbeugt sich ergeben, sagt »ja« zu Allem, betrachtet sich betreffs Steuerbogen Alles und Jedes; wiegt die Silberlöffel auf der Hand und fragt die Leute, was sie Lohn haben. Er hat eine lichtblaue Kravatte mit einer großen Käfernadel, grüne Socken, ein zartlila mouchoir, rote Haare und einen schwarzen Schnurrbart. Er ist sehr schön und weiß das auch.
Der Bezirksrichter, una persona gratissima, ist fast ein Deutscher, nämlich dieses speziell schattierte, selten Erträgliche, ein Grenzdeutscher; er hat eine seidenrauschende Frau mit Phrasen, in hartem Deutsch sensationell hingeschmissen wie eine Opernarie. Es ist, als stünde sie gerade immer vor dem hohen C, das gleich losbrechen würde. Sie war eifersüchtig auf den Gatten, ihren zweiten, jüngeren, und hatte daher immer eine furchtbare Mutter mit Trientiner Welschentum, mit großen Pastabrillanten, einer zerfetzten Schleppe und einer Mantilla, sowie einem sehr billigen Gebiß, das beängstigend wackelte. Die Höflichkeitsformen dieser eingesessenen Menschheit waren wahrhaft japanisch und chinesisch, gerade daß wir uns nicht die Nase rieben. Einige allerliebste signorinas brachten eine versöhnliche Note in dieses Milieu und veranlaßten das österreichische Militär, das unweigerlich die Katzelmacher einmal nicht mochte, etwas milder zu blicken. Diesen welschen Milieus Mittelpunkt bildete eine Zeitlang Il generale.
Barattieri, der in königliche Ungnade gefallene, große Mann einer kurzen Epoche, hielt sich für den welschen Benedek. Er war in Arco geboren und ging, verbittert, wie er gegen sein Land war, gern in österreichische Kreise. Ob er daneben nicht auch ein bißchen spionierte, darüber gab es keinen Aufschluß. Eine merkwürdige Figur an dieser Grenze war der Gelehrte Sighele, der bei Nago ein malerisches Haus bewohnte, systematisch gegen das ihm verhaßte Österreich hetzte, und von ihm ruhig dagelassen wurde. Monatelang war er in Rom, im gefährlichen Bologna, wo alle politischen Fäden im Freimaurertum zusammenliefen; dann kam er wieder, starrte von seinem hochgelegenen Hause auf die Festungen am Ponale und Gardasee, auf den Monte Brione, in dessen Tiefen die Befestigungen Österreichs sich unermüdlich verstärkten. Sighele haßte und wachte!
Manchmal überkam es mich wohl wie ein tiefes Aufatmen, wenn wir Ende Mai dieses Land verließen um für einige Monate in vertrautere Verhältnisse zurückzukehren, oder um auf Reisen zu gehen. Dann ward man es gewahr, daß es noch geistiges Leben gab; dann tat sich die Welt der Theater auf, der Kunst, der Literatur und der Politik. Dann empfand der Außenstehende den unerbittlich vor sich gehenden inneren Wandel in Deutschland und Österreich.
Dann lauschte man hinein in die Zeit.