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Gesellschaftstypen aus den Provinzstädten.

Der Prinzenball.

Das genierte die Leute gar nicht, daß den Ball so hohe Herrschaften gaben. Da kennt ihr sie schlecht, wenn ihr das glaubt. So sind sie nicht. Wenn der erste Respektschrecken einmal überwunden und vorbei ist, gibt es auf solch großen popularitätshaschenden Bällen sehr viele, bei denen dann der dünne Firnis der Benehmlichkeit abbröckelt von Stunde zu Stunde. Wir habens erlebt. Ihre Manieren behält hauptsächlich die Dienerschaft, die dafür bezahlt wird. Sie hält durch. Aber sonst? Na!

Dieser Ball, den ein ganz hoher Herr gab, war erstklassig; man hatte sogar aus den Beständen der Wiener Burg allerhand kommen lassen in die Provinzstadt. Es wurde in zwei großen Sälen getanzt zum Klange zweier Kapellen. Prachtbuffets standen da, für warmes Souper um 12 Uhr war auch gesorgt. Ein prachtvoller Cotillon mit Geschenken – eine Blumenfülle – fein, fein! Die geistigen Anregungen des Cercles sind vorbei. Die Prinzlichkeiten haben alles geäußert, was zu äußern ist, angesichts einer teilweise überdekolletierten, überputzten, atemlos lauschenden Menge mit Orden und Brillanten. Sie haben liebenswürdig gefragt: »Sind Sie auch da? Ich habe geglaubt, daß Sie nicht da sind; aber Sie sind doch da. Sind Sie immer da?«

Es ist passiert, daß eine Hoheit einen etwas tauben General vornehm leise befragt:

»Sind Sie verheiratet?«

»Nein, kgl. Hoheit,« sagt er.

Die Hoheit hat nicht aufgepaßt auf seine Antwort, weil sie eben ihren Consorten beobachten muß, auf den sie schon länger einen Verdacht hat und der mit einer demimondlerisch wirkenden Mondaine am Rande der guten Gesellschaft – speanzelt – wie mans bei uns nennt – flirtet also auf deutsch gesagt. Die Hoheit reißt sich zusammen; sie weiß, daß sie diesem General noch zwei Ansprachen zu gönnen hat: Zwei Fragen oder so was. »Haben Sie Kinder?« fragt sie den Exzellenzherren, der nicht versteht. »Ja wohl! Zu Befehl, Hoheit.« Die nächste Umgebung glotzt ihn entsetzt an. Er merkt es und verbessert schnell: »Zeitweise, kgl. Hoheit, zeitweise natürlich.« Hierauf lächelt die hohe Frau und lispelt noch huldvoll: »Das ist ja charmant! Sie sind ein glücklicher Mensch, liebe Exzellenz!« Dabei denkt sie an ihren Mann mit dem Entschluß: Na wart Du! Der General grinst leer und grimmig. Er hat keine Ahnung. Es ist auch wurscht.

Und dieser Cercle mit seinen Fragen – er geht weiter. –

Hinter einer schweren Seidenportiere hat sich die Blüte der Jeunesse Dorée, der gewöhnliche Löwe der Gesellschaft, verkrochen: der schicke Wontschi, der charmante Kerl, diese Blüte moderner Salonritterschaft. Er ist erst um sechs Uhr Abends aufgestanden, um sieben hat er dejeuniert. Ja. Er gähnt noch wie ein Scheunentor und grüßt keinen Menschen. Er flegelt sich nur so herum, bis man an die Straßburger Gansleberpasteten und an den Champus heran kann. Er langweilt sich furchtbar, wie immer in guter Gesellschaft. Zuerst hat er andauernd in einen wunderbaren Blumentisch mit Teerosen gespuckt im Takt. Dann tritt er, wenn eine Dame aus dem Maman- und Chaperongeschlecht vorbeikommt, ihr fest auf den Schlepp', ohne daß sie ihn wahrnimmt. Er schiebt sacht die Füß' vor, damit Eins drüber stolpert und horcht, was die Leut' über die Leut' reden. Das ist ja immer verheerend, geradezu entsetzlich ist es. Was sie reden aus Nächsten-Liebe! Der Wontschi hat die Hoheiten nicht begrüßt. Zu was denn? Er ist überhaupt zu spät kommen und nur aso hereingewutscht von hintenherum. Das tut er gern. Vorstellen läßt er sich auch nirgends. Das könnt ihm einfallen. Sie sollen warten, diese Mütter, bis sie schwarz werden. Und diese blöden Comtessen. Und der Taschenaltar.

Ihn erwischt so was nicht, ihn schon gwiß nicht. Er hat heut überhaupt eine besondere Gall. Warum?

Er und die jungen Herren der auserwählten Elite haben nämlich bereits bemerkt, daß ihre Hoheiten vorsichtige Leut' sind, umsichtig. Man hat sich auf die goldene Jugend als Tänzer diesmal nicht verlassen – man hat die gesamten Offiziere der Regimenter als Tänzer eingeladen; auch die Bürgerlichen. Denn man hat sie schon erlebt, die Sottisen und Unverschämtheiten der Clique. Man sieht sich also vor. Bürgerliche sind da – ein ganzer Haufen – und tanzen fleißig, und die Mädeln, diese Krautgäns, freuen sich. Na wartets!

Der Wontschi ist gähnend zu einem Entschluß gekommen. Man muß sie also hinaus ekeln, diese Bürgerlichen, schleunigst. Man muß zeigen, daß man den Ton angibt. – Er gibt dem Anhang seine Winke, und dann kräuselt er sich selber sachte heran, an die harmlosen, schwitzenden Leutenanterln und Hauptleute. Denen muß man es herunterräumen, daß ihnen dieser Ball imponiert und sie tun, was sie sollen. Leise hebt er zu hetzen an: Eine Schinderei, dieses Tanzen; nur Tanzbein is ma', ja – und nicht einmal ein Bier is da. Nein, es ist kein Bier da. Der Prinz wills nicht. Kein Bier! Also – kein Bier! Unerhört. Bier muß da sein, wenn ma' die Leut so strapeziert. Sie wissen ja doch, zu was sie da sein. Morgen dann, da kennt sie wieder kein Mensch von der Clique und die Tänzerinnen danken ihnen nicht. Also nur energisch ein Bier immer wieder verlangen. Die vornehme Dienerschaft seufzt, bedauert. »Nichts da, nicht erlaubt!« »So was!« Die Herren vom Commiß versammeln sich in den Gängen, es beginnt ein Raunen. Die Pause vor dem Cotillon sieht sachte viele Uniformen verschwinden. Wie der Cotillon dann anfangen soll, ist kaum ein tanzfähiger Offizier mehr da. Eine faunische Stimme näselt es dem fassungslosen Arrangeur und Hofmarschall ins Ohr, daß die Herren alle drüben um die Ecke sitzen beim Wirt zur Bierpumpe, da ist frisch angezapft. Vielleicht, daß welche wiederkommen? Aber man glaubt es nicht recht. So sind sie eben – ja, so sind sie. Es ist schon besser, man bleibt exclusiv. – Viel besser ist das. Diese Leute aus einer anderen Atmosphäre enttäuschen immer.

Der Vortänzer ist außer sich. Nun müssen alle die adeligen Herren heran, auch die Mummelgreise. Wer nicht mehr stehen kann, wird neben seine Tänzerin an die Wand gelehnt – – Die Hoheiten sind entsetzt, zu tiefst entrüstet. Der Wontschi grinst in sich hinein und spielt eine Riesenrolle, indem er alles nicht tun will und angefleht werden muß.

Er hat dann einen succès! Enorm!

Prinz und Prinzessinnen lächeln unentwegt ein Lächeln auf Eis.

Ohne zu blicken, nehmen sie wahr, wie sehr feine Leute sich Schnupftücheln und Taschen vollstopfen. Zerbrochenes klirrt.

Die Möbel – der Teppich kriegen Flecken. Einige Etliche balgen sich um Bonbons; es ist nicht mehr schön! Wie soll auch ein feines Benehmen eine ganze Nacht vorhalten? Das ist zu viel verlangt.

*

Das Enormitäten fragende Reserl. (Ein eheliches Gespräch.)

»Ob sie alsdann schiach is oder net, ausgführt werden, in die Welt gehen muß sie amal doch, unsre Reserl«, sagt die Edle von Mixnix, geborene Ritter von Zwaaserl, mit Entschlossenheit zu ihrem wuzeldicken, jede Verantwortlichkeit total ablehnenden Gatten, wenn es sich um Gesellschaftliches handelt. Das ist ihr Ressort. Er ist ein Oberst a. D., österreichischer Pensionist von reinstem Kaliber mit allen Ekelhaftigkeiten, Töpferlguckereien, Nörglereien, Neugierden und Kleinkrämereien – aber im Gesellschaftlichen, nein – davor hat er eine Grausbirn. Da fahrt er ab.

Es is genug, daß er seine Weiber – wie er sich ausdrückt – unter diese faden Noken und Gischpeln, in die sogenannte Crème de la Crème einer Provinzstadt einerbracht hat. Es is ein Wunder. Denn ein Edler von und Ritter ist nicht grad regardiert in Österreich. Wann er sein neuches Wappen auch überall droben hat. Und zwei Prädikate am Titel. Es fliegen halt doch nicht alle darauf, aus dera verflucht arroganten Sauce – der Elite mit dem uralten Ahnengerassel und Stammbaum. Mir könnens alle miteinander gstohlen werden und'n Buckl aberrutschen. Dies die private Ansicht des Herrn Oberst. Jetzt eben sitzt er vor seinem Morgenblatt, in dem er die Druckfehler zusammensucht, wie alle Tage. Denn dazu haltet er sich's. Diesen Druckfehler-Nachweis schickt er dann täglich, sage täglich, zusammen mit aufgespießten, frühzeitigen Maikäfern, Wanzen und Erdbeerblüten, wann sie nicht sein sollen, als schweren Vorwurf an die Redaktion, die das natürlich sehr freut. Aufmerksame Leute – solche Leute. Wahrer der Ordnung im Staate. Das Entzücken des Lokalblattes! –

»Meine Schuld ist es nicht, daß die Resl 's net mit der Sauberkeit hat« – sagt er. »So? Vielleicht meine? Ich war doch – wie haben sie's ausgedrückt in der Garnison in Libochowitz und in Leitomischl, wo ich die Rolle gespielt habe? Ich war ein attrayantes Mädchen mit einem Züngerl voll Esprit, das sie gfürcht' haben, sag ich Dir, Jonathan!« Der Gatte betrachtet sie mit dem Ausdruck der Gläubigkeit.

»Ganz gwiß! Und Du hast mich damals auch attrayant gefunden.« – »Ja Jontscherl.«

Der Jontscherl grunzt. Er erinnert sich an die achtzigtausend Kronen, die sie gehabt hat. Sie haben ihm sehr gefallen – diese Kronen. Da sind sie nicht mehr – – – sie hatten so was Hinschmelzendes. Die Kronen sind vergangen – ihre Besitzerin ist auseinandergegangen und dageblieben. – Das ist immer so. –

»Na ja«, sagt der Oberst.

»Was heißt das, na ja? ich bitte?«

»Führ's halt in die Welt, Dei Reserl – Nuscherl – führs halt – tu sie einführen.«

»Das werd ich auch. Du mußt mir noch ein Geld geben. Aus'n Rindfleisch mit Spinat kann ich das net außerschlagen, und Kronen schwitzen kann ich auch net.«

»Da hast als auch ein Geld.« Er stöhnt. »Und jetzt tu einkaufen – ich siachs schon vor mir, was es sein wird. Ein blitzrosa Gwand zu die fuchsernen Haar und die Sommersprosserln. – Und nacher noch was Neckisches in Knallblau mit karrierte Aufschläg. Und recht viel Mascherln. Machts nur ja wenigstens die Röck nicht z'kurz. Krumme Wadeln tut sie auch haben, Dei Tochter. –«

»A geh! – was Du Alles siehst. Raff' lernt man bei die Roß'.«

Die Ritterin lächelt durchaus geschmeichelt:

So ein Kenner! Und mich hat er gnommen,– denkt sie.

Dann im Text weiter, während er drei Druckfehler notiert:

»Wenn ein Mädl auch nicht gerade hübsch ist, so kann es doch und muß es einen gewissen Stil haben. So wie eine jegliche Blume ihren Stil haben tut.« – »Ich mein, die hat'n anderst.«

»Laß mich jetzt reden. Ich bin die Mutter – das ist einmal gwiß.«

»So? Nur das? Bin ich nicht der gwisse Vater, he?«

»Du bist verrückt. Ha! Jetzt komm ich drauf,« schreit die Oberstin. »Von Dir alsdann hat sie's.«

»Ja, was denn?«

»Daß sie so furchtbare Sachen dahinredet – das hat sie von Dir!«

»Die Resl redt furchtbare Sachen?«

»Ja schon – aber es is bei ihr Unschuld, krasse Unglaublichkeiten. Bei Dir ist es das gwiß nicht!«

»Was redt sie denn?« fragt der Oberst interessiert.

»Gott! Ich kann das nicht so wiederholen. Sie fragt gar so viel. Beim Tennis, da halten sich die Herren die Seiten über sie, und es is um sie her alleweil ein Andrang. Sie is gefeiert, die Resl. Ein Gelächter, ein Geschrei. Pikant! Es muß das ihr Typ sein, dieses Fragen. Denn sie hat es gar nicht gelernt. Gar nicht. Ihre Unschuld tut aus ihr das Unmöglichste fragen.«

Der Edle von Mixnix stiert seine Frau gedankenvoll an.

»Mich hat sie noch nie was gfragt, die Resl. Mich net.«

»Na ja Dich – aber, Jontscherl! Warum denn auch Dich? Das is doch net der Müh wert – Dich kanns do nit heiraten, Mannerl!«

Dem Oberst geht eine ganze spätbrennende Stallaterne auf.

»Ah so! So ist das gmeint, so is das; damit sie sich einen derfangt, tut sie's! Das ist ihre Unschuld, wie Du's nennst, man könnt auch sagen: ihr Trick. Was heutigentägs denen Leit alles einfallt! I sags ja! Die Roman, wo gschrieben werden, sein nix dagegen, und die Männer – also die Männer sein viel unverdorbener, wie die jungen Mädeln.« – – – Er pfeift gedankenvoll vor sich hin: Gehts zhaus – gehts zhaus – gehts zhaus, Ihr Lumpen – freßt's des Kaisers Brot umsonst!

»Man muß sie dahin reden lassen,« sagt die Oberstin.

»Dieses Unbewußte is neckisch. Sehr. Wann's einer glaubt – da is scho wieder ein Druckfehler. Sauerei!« Seine Gattin schließt bissig: »Wann der Vater sich als Gelehrter benimmt, muß die Mutter praktisch wirken«, und verläßt ihn. Er blickt ihr sinnend nach, ein Schweinsäugerl zugekniffen. Ma lernt nie aus – bei diese verfluchtigen Weibsbilder – denkt er. Jetzt bin ich doch mehr wie gspannt, ob da einer reinfliegt. Deppen gibts ja.

Er grinst vor sich hin.

*

Die Mariett'

»Ach weißt', ich hab' immer alles erfahren, was ich gern gwußt hätt',« sagt sie und nimmt sich den fünften Indianergrapfen mit Schlagobers, so ganz in der Still', gleichsam hinten herum. »Da war ich ganz klein, da hab' ich schon wie gedruckt gelogen. Ma' kommt leichter durch dermit. Am Schluß ist es den Educations-Trichtem – – –« »Wer ist denn das?« unterbrach ich sie. »Na, halt die Gouvernanten, Lehrerinnen und so, der ganze Pantoufle – auch lieber.«

»Das glaub' ich ja grad nicht!«

»Wohl, wohl, es ist so. Daß wir lügen, wenn's drauf ankommt, wissen's. Alles lügt. Ich bin dem Pater Benedikt, den ich so verehr', weil er so seelenvoll schaut, draufkommen, er hat auch schon gelogen. Aber bei solche wie ihm heißt's nacher, der Zweck muß die Mittel heiligen. So wird es also bei mir nicht ausgedrückt, obschonsten auch immer ein Zweck dabei ist bei mir.« »Du ganz niederträchtiger Fratz,« sage ich gedankenvoll. »Ich hab' so ein Gefühl, unverdorben bist Du überhaupt niemals gewesen.«

»Nein, ich war immer verdorben. Du hast einen guten Blick, – bist Du auch verdorben?« Ich sehe sie entrüstet an, aber das merkt sie gar nicht. Sie ist mir angeheiratet, eine Schwipp-Schwapp-Verwandtschaft, wie man bei uns sagt. Bildhübsch, täubchensanft im Ausdruck, ein Engelsg'frieserl, hinter dem sich die Teuferln, aber nicht die harmloseren, Rendezvous geben. Ich habe nämlich ein ganzes Aquarium von solchen verwandtschaftlichen Charakterköpfen.

Damit das Dasein nicht zu leicht und schön ist. Besagte Mariettl mit dem Ausdruck einer verfolgten Unschuld für Nicht-Menschenkenner sitzt in einem reizenden Negligee, das nirgends schließt, harmlos vor mir, ihre falschen Tugendscheitelchen hat sie abgelegt. Erstens ist es vor mir gleich, und viel Haar oder echte Haar sind überhaupt nicht mehr modern, eher gemein.

Sie ist beschäftigt, ihrem Bullie die Flöhe abzusuchen, – das kann man tun, – es ist schick, sogar pikant. Sie täuscht die fashionable junge Weltdame vor, die nichts zu tun hat als Hundeflöhe suchen, wobei man zugleich flirten kann. Mit mir flirtet sie natürlich nicht. Aber weil ich nichts wiedererzähl bei der Erbtante, sagt sie mir Vieles unaufgefordert. Ich bekomme da Einblicke!

Ich bin dabei sicher, daß es trotzdem noch lange nicht alles ist. Denn das Schlimmste, was Du in Dir hast, kannst Du den Menschen doch nicht sagen. Ja die Mariett! – Sie führt in der Provinzhauptstadt jenes Dasein, das man in Österreich vor dem Zusammenbruch und der äußerlichen Gesellschaftsverwandlung so vielfach hat beobachten können, sie will durchaus mehr vorstellen, als sie ist, sich in Kreisen herumdrücken, denen sie eigentlich nicht angehört, Geld ausgeben, das sie nicht hat, und so fort. Hingegen erhebt sie auf geistige Wirkungen keinen Anspruch. Im Gegenteil, sie pflegt sorgsam etwas Dunkles an sich, das man unklare Unschuld, lasterhafte Naivität nennen könnte. Man redet mit jungen und älteren Herren Teufelszeug, dazu macht man Madonnenaugen.

Das Mariettl hat zuhause nicht gut getan und ist, wie es spannend zu erzählen weiß, mit zwölf Jahren von einer französischen Erzieherin, der das Österreichergemüt wegen ihrer Akzents hingebendes Vertrauen schenkte, durchaus aufgeklärt worden; es scheint, das machte dieser Gouvernante bei dem intelligenten Kinde der halben Boches, (Österreicher), Vergnügen. Damals also war es diesem Wesen aus Metz in Lothringen oder aus der Umgebung von Lausanne schrankenlos anvertraut, die Erwachsenen hatten was anderes zu tun, als sich um den Balg zu kümmern, der immer sehr kockett frisiert und angezogen auftrat. Voilà Mademoiselle mit ihren Auswirkungen! Das Mariettl wirkte. – O Stolz! Pariserisch in irgendeinem Sinne, nicht gerade Faubourg St. Germain. Die wirkliche Korrektheit kennt ja bekanntlich keine Nationalität, sie ist überall auf der Welt die gleiche, unverrückbare.

Aber Marietta bekam ihre spezielle gallische Note, wie Mademoiselle sie pflegte, und die Leute sahen sich auf der Straße schon nach dem Fratzen um, der auf hohen Stöckeln billig schicker Modeschuhe dahertänzelte. Mademoiselle gab ihr Aufschlüsse, lehrte sie kleine weibliche Niederträchtigkeiten, wozu sie Talent besaß, Hintertriebenheiten, süße Manieren äußerer Widerspruchslosigkeit; innerliche, großartige Schlampereien und Skrupellosigkeiten, sowie die Anleitung, die Umgebung zu beschwindeln. Ihr Verhältnis zueinander war herzlich und respektlos, es baute sich auf dem Grundsatz und der Vereinbarung auf: Wenn Du nichts sagst, sag' ich auch nichts. Die Mademoiselle gab sich 23 Jahre, sie wird 33 gewesen sein. Es war das einzig Deutsche an ihr, daß sie nicht gern übertrieb – in gewissen Dingen. Mademoiselle, die, ohne hübsch zu sein, eine prickelnde Linie der Bon Marché-Moden bildete, holte das Mariettl zweimal täglich in der Klosterschule ab, wo sie die guten Nonnen durch ihren Augenaufschlag entzückte. Dann gingen sie flanieren, diese Beiden. Dann waren immer Offiziere hinterher, Studenten, Bummler. Man machte nette, lustige Bekanntschaften, die beim Konditor endeten, wo sich die kleine Mariette fürs Leben einen Magenkatarrh holte, den ihre Angehörigen nie begriffen. Sie saß zwischen Süßigkeiten und fraß sich durch, Schnaps gab es auch, die Mademoiselle lief schnell ein bißchen fort, sie solle warten; sie wartete gerne und vergnügt oft sehr lange. An Wissen reich, kam sie dann heim mit der Französin, die etwas zerzaust und atemlos anzurasen pflegte: Faut rien dire où nous avons été! Das wäre der Kleinen auch gar nicht eingefallen. Und dann erzählte ihr die Mademoiselle die Möglichkeiten eines Lebens, seine Hintergründe. Persiflierte ein bißchen den deutschen Tugendfimmel, das Kleinmädchentum und so weiter.

Die Mariette wurde sehr gescheit. Dann ist ihre Aufklärungsleuchte schließlich doch geflogen. Aber da hatte sie schon alles weg, was sie nicht haben sollte.

Die weitere Erziehung – alles spätere Klostergedrille nutzte nichts. Sie wußte das Leben und mehr. Sie ließ sich nichts merken, machte in Unschuld, war immer voll Hinterhalt, Intrigen, schiefen Wegen, Lügen. Hatte immer Geschichten und sehr bald Romane, in denen sie der offensive Teil war. Dann führte man sie in die Welt, in die erste Gesellschaft einer Provinzstadt, an deren äußersten Rändern die Ihren sich schwankend und ziemlich kriecherisch, nur mit heimlichen Bosheiten gegen die Gottöbersten hielten. Grad', daß man da sein durfte, auf den Bällen zweiter Garnitur – auch einmal eingeladen wurde und herablassend beglückt. Man war zweite Gesellschaft und mimte im Schweiße seines Antlitzes erste. Das macht auch nicht gerade aufrichtig oder gutherzig. Da lernt man süßes Grinsen, Devotion und heimliche Fußtritte.

Nach manchen Erlebnissen, die auch scharf an der äußersten Kante schwebten, hat sie dann geheiratet, auch einen von der Kante. Der sich in einem noblen Regiment großtun mußte, weil er es sich schuldig fand, der nur Eines kannte: den äußeren Schein und noble Freunde. Sie trauten einander Beide nicht und spielten sich doch in die Hände. Sie gaben immer mehr aus, als sie hatten, stopften ein Loch zu, rissen drei auf. Sie verkauften ihre arme Seel' der ersten Gesellschaft, die mit ihr Unrat aufwischte. Dann mußte diese Seel' zum Fleckputzer. Es entwickelte sich ein in gewissen Kreisen durchaus zeitgemäßes Paar und vor allem eine junge Frau, die einen teuren Hund mit Affenliebe hegte; zu Kindern aber reichte es bei ihr nicht. Eine Frau, um die es immer wie eine leichte Kompromittiertheit dämmerte. Bei der es stets nahe an der Explosion war und die andere sehr gern hineinzog in ihre üblen Geschichten, besonders unangenehm saubere Naturen mit geraden Wegen. So war dieses Mariettl, im Jargon der Société, seines Götzen, nicht gerade ganz possible, aber auch nicht impossible; denn diese Société liebt leicht angefaulte Existenzen. Sie machen viel schmutzige Arbeit für sie.

»Ich bin heute bei den Carmelitern draußen gewesen,« sagt sie nachdenklich und macht eine Pause in ihrer Flohernte auf der Bullie. »Ja, bei den Carmelitern.« »Da ghörst Du hin – freilich!«

»Und ob ich hin gehör! Grad ich. Ich hab' doch den Fasching so getobt. Briefe hab' ich gschrieben und g'kriegt und eine Angst g'habt! Und es ist noch nicht aus; jetzt tanz ich in der Fasten noch sechsmal.«

»Was haben denn die Carmeliter dazu g'sagt?« »Gott! Ich wend mich immer an die Dreifaltigkeit selber, weißt Du. Ich hab' halt wieder amal ganz große Kerzen gestiftet.«

»Was hast Du?« »Kerzen hab' ich gestiftet und mir gleich im voraus alles verzeihen lassen, was sein kann, das ich noch anstell'.«

»A so! Tetzelmethode!« Sie sieht mich leer an. »Tetzel? den kenne ich nicht. Wer ist denn das? – Geh, sag wer es is'. Das is sicher was Neues wieder?«

»Nein,« sage ich grimmig, »was Altes!« – »So. – Und praktisch? Wo wohnt er?« Ich wies vage nach oben; dann mich korrigierend in die Tiefen, wo man die ewig brennende Hölle vermutet. Sie glotzte ratlos. »Der wird sicher recht teuer sein, dann is' es nix! 's geht auch so. Ich habe schon meine paar Heiligen, die mich verstehn, die auf mich g'stimmt sind. Die verzeihen immer.« »Auch im voraus?« »Natürlich, das grad'. Daß man's nacher ruhig tun kann, ohne Skrupel, weil es bereits erledigt ist. – Bullie, da hast ja noch einen Floh, Du Sau! ich möcht' wissen, wo Du Dich bloß herumtreibst. Herumtreiben, das tut halt Mensch wie Vieh zu gern!«

Sie gähnt und lächelt ins Leere. Ich sehe sie schweigend an. Die Bullie wirft mir einen bös mißtrauischen Blick zu. Ja so ein Viech – das hat ne Ahnung! – – –

*

Die große Exzellenz.

Sie war die Frau eines russischen Gouverneurs, mit dem sie nicht zusammenleben wollte; sie fand die Ehe langweilig und unappetitlich, was sie Jedem mitteilte, der bei ihr Tee trank. Eine wunderschöne Frau war sie, mit großen Manieren, zungenflink in unzähligen Sprachen, ausgezeichnet von der französischen Akademie der Wissenschaften, Verfasserin eines Buches über den Harem des türkischen Sultans, in dem sie sich als Gast zu Studienzwecken wohl gefühlt hatte, und Mutter von acht Kindern, die sie nicht interessierten. Außerdem besaß sie als Freund einen glänzend gewesenen Salongeneral, für den die Kaiserin Mutter schon wiederholt Schulden gezahlt hatte; der also absolut hoffähig im höchsten Grad war und mit dem sie reiste.

Damit er ihr treu bleiben mußte, wozu er keinerlei Anlagen besaß, zwang sie ihn, an ihre Villa ein Stückchen weitere Villa anzubauen, gewissermaßen zusammmenzuschmelzen; ein Stückchen, das er bezahlen mußte, es gehörte ihm. So war er festgemauert – ein praktischer Gedanke. Alljährlich erschien durch längere Zeit dieses Paar, begleitet von irgend einer der Töchter, die neben dieser Mutter so dahinlief, sehr unbeachtet. Diese vornehmen jungen Russinnen, zumeist in der Schule der Kaiserin erzogen, waren reizvoll.

Die originelle Mutter, die große Exzellenz, aber mußte eine blendende Schönheit gewesen sein; neben ihrer kolossalen Bildung war sie eine vollkommene Barbarin geblieben. Tagsüber im Negligéjäckchen, unfrisiert, sehr schlampig, zählte sie ihre Palmen; badete, wischte etwas Staub, las türkisch, schrieb spanisch, schimpfte russisch mit der ganz alten Gräfin, ihrer Mutter, die hier dauernd lebte, gleichsam als Hausverwalterin, und auch noch fürs Herz und zum Whistspielen einen uralten rotnasigen General Österreichs kultivierte und ihm gute Diners gab. Die Liebe höret nimmer auf. Dieses russische Milieu war trotz allem geistig anregend, sehr amüsant. Aber arm waren diese jungen vornehmen Mädchen, die da unendlich wohlerzogen neben den alten Damen mit ihren feurigen Herzen vegetierten.

Sonja war schlank und blaß, schon fünfundzwanzig, nicht schön aber von vornehmstem Reiz, und mehr als das, ein tiefer Mensch. Die laute Mutter in der bunten Seidenjacke und den Babuschen an bloßen, hübschen Füßchen lastete auf ihr. Vielleicht liebte sie den fernen Vater, dem Alles zu Possen getan wurde. Diese Sonja hatte später ein russisch schweres Los. Eine Heimatlose des Lebens, nirgends erwünscht, vereinsamt im großen Petersburg, gab sich ihr Herz den Ärmsten dieser Stadt der Kontraste; sie wurde eine Besucherin der Viertel, in denen die grasse Armut und Verkommenheit Rache an den Besitzenden brütete. Sie mag die Korruption, den Verfall des Hofes, des monarchischen Rußlands frühe erkannt haben. –

Eine sehr hübsche Schwester, die sie hatte, heiratete gegen des Vaters Willen, von der Mutter unterstützt um ihn zu ärgern, nicht günstig. Ich habe nie eine vollkommnere, so vollendet klare und kalte Herzlosigkeit gesehen wie in diesen Russinnen. Als die uralte Gräfin starb, lag sie nach dem Brauch im offenen Sarge reich geschmückt; der Archimandrit war gekommen und machte einen endlosen russischen Singsang. Wir alle standen herum. Die große Exzellenz hob die Lorgnette an die Augen und fixierte die Leiche. Dann bemerkte sie zu ihrem General: Elle est très bien; sie sieht heute sehr gut aus. Wie auf einem Hofball. Und nach dem Begräbnis saß sie in Zorn und Tränen aufgelöst vor ein paar sehr jugendlichen neuen Toiletten von Worth, die eben gekommen, und fand es taktlos, daß die Mutter gerade da gestorben war. Die Kleider würden so rasch unmodern. Aber der General, ein Mann der raschen Offensive, verstand zu trösten: »Wir fahren in die Riviera, an das Riviera, dort man makt, was man wollen, man zieht an, zieht aus, in alle couleurs, Trauer ist innerlik, es sein auch mehr taktvoll. Denn was gehen andere Leute an Mamans Versterbnis und das Getrauere.

Da sprach die große Exzellenz tiefgerührt: »Generale, Sie sind eine Mann, gar nix su bezahlen.« Und darin hatte sie recht. Die Kaiserin Mutter sogar wußte das, obschon hohe Herrschaften sonst nie etwas wissen.



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