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Ein Fallstrick.

Eines Tages besuchte uns der Bischof von Trient, ein Südtiroler, des alten Kaisers Liebling. Er sprach mit Betonung nur italienisch und beobachtete uns aufmerksam. Meinem Manne mißfiel er durchaus. Für mich hätte es einen Reiz besessen, in seinem alten Palast, in den er mich dringend einlud, stille Studien zu machen. Zwischen uns lag etwas in der Luft wie das leise Klirren von Klingen. Es wehte mittelalterlich von diesem welschen Priester herüber, der überzeugt war: Jede Frau ist zu kaufen, jede zu gewinnen. In Arco hatte sich kurz vorher in der italienischen Priesterschaft Peinliches zugetragen und zwar anläßlich des Begräbnisses eines österreichischen Obersten, zu dem das Militär der Garnisonen in der Umgebung ausrückte, Deputationen aus Rovereto, Trient erschienen und alle Offiziere des deutschen Heims offiziell antraten, um dem Bundesgenossen Deutschlands die Ehre zu erweisen. Ebenso waren die Behörden erschienen. Eine ansehnliche Trauerversammlung wartete auf den Archiprete, der das Totenamt zelebrieren sollte. Diese Versammlung wartete unter wachsendem Staunen sehr lange. Der Würdenträger der Chiesa erschien nicht. Es war mehr als peinlich. Als man ihn schließlich suchen ging, stellte sich nach langem vergeblichen Pochen und Trommeln am Pfarrhofe heraus, daß der Erwartete nicht in einem Zustande war, in dem er mit der nötigen Würde und Weihe seines Amtes walten konnte. Er hatte an diesem Tage schon sehr früh zu geistigen Freuden seine Zuflucht genommen und saß schnarchend, eine Flasche im Arm, auf den Treppenstufen des Gartens. Diese Nachricht verbreitete sich sofort. Das welsche Volk lachte und witzelte, es war das gewohnt bei dem Trefflichen, aber was deutsch war, runzelte die Stirne, die Offiziere waren wütend. Es wurde schleunigst nach dem deutschen Kaplan geschickt, dem Takt gegen die Welschen eingeschärft war und der sich soviel als möglich verkroch. Dieser Kaplan wollte nicht kommen, er mußte herangeschleppt werden. Er hielt dann die Kirchenfeier mit zwei Stunden Verspätung, außerordentlich aufgeregt, mit Recht seine Behörde fürchtend, und verschwand so rasch als möglich. Der Tote war kaum begraben, als der inzwischen erwachte Großwürdenträger im Pfarrhof schon seine Rechnung für Verrichtungen schickte; sie war gesund und kräftig. Natürlich schickte der deutsche Priester die seine auch, und es entspann sich ein Krawall, wie er nur da unten in diesen Verhältnissen möglich war. Deutschland schüttelte den Kopf über diesen Mangel an Autorität.

Außer dieser Sache geschah es, daß der Archiprete in glühenden Sommertagen sich weigerte, einen Arbeiter zu begraben, der verunglückt war. Zuerst empfing er niemanden, der mit ihm über das Begräbnis zu reden kam; dann brüllte er die erschienenen Kameraden an, was sie eigentlich dächten in ihrem Größenwahne. Es müßten mehr Tote zusammen kommen; wegen eines elenden Arbeiters brächte ihn bei der Hitze niemand auf den Kirchhof. Hierauf schmiß man ihm verschiedene Fenster ein.

Weitere Unmöglichkeiten ereigneten sich bei der Enthüllung des Segantini-Denkmals, das übrigens unglaublich jämmerlich war; man glaubte einen Ballettänzer, nicht einen großen Künstler vor sich zu sehen. Bei der Aufstellung des unnötigen, an dieser Stelle mehr als taktlosen Erzherzog Albrecht-Denkmals hatte sich alles Welsche im Orte durchaus ferngehalten. Dafür erschienen zur Segantinifeier alle offiziellen Vertreter Österreichs beeifert, und nun begann es, von Unmöglichkeiten zu stauben. Nur welsche Reden – und was für Reden! Reichsitalien die Hauptperson, der österreichische Boden nichts. Anspielungen auf die Unerlösten! Kühne Hoffnungen in schwelgenden Worten, Drohungen! Dann beim formellen Diner der Toast auf den König von Italien, ganz frech und schamlos, provozierend hingeschmettert. Mein Mann kam entrüstet heim. Behördliche Feigheit getraute sich wieder einmal nicht, ein Veto einzulegen.

Nach diesen Vorgängen, die in Italien wie große Siege glossiert wurden, konnte sich Österreich wenigstens klar geworden sein, was es hier bedeutete, wo seine tapferen Soldaten es zu Herrn gemacht, und seine Politiker und Beamten dem Hohn preisgaben. Aber wer hätte ein offenes Wort gewagt und wo?

Wieder las man in deutschen Gesichtern eine starre Verwunderung; hörte das alte typisch österreichische »Ach was! Deswegen sein do' mir die Herren! Lappalien!«

In diese Erlebnisse hinein fiel der Bischofsbesuch mit den Firmungen in allen Ortschaften, mit den politisch gefärbten Predigten, den Untertönen. Ob der Archiprete in seine stille Parochia wohl eine gemessene Verwarnung erhielt oder ob man nur lächelte? Wie einst ein Cesare Borgia gelächelt haben mag, sachte, perfide. Die welsche Machthandhabung bleibt immer diskret.

Noch tagelang verfolgte mich der Blick dieses Kirchenfürsten, der bei der Firmung schon auf mir geruht hatte, als ich die Tochter der Rubabene zur Kirche führte. Der in meinem eigenen Salon, während der hohe Herr fein über Kunst sprach, von den großen Gemälden herab prüfend über mein Gesicht glitt. All das Ungesagte in diesem Gesagten des zeremoniellen verbindlichen Besuches war mir fühlbar und doch nicht klar.

Warum ließ mich mein Mann nicht nach Trient in das historische Palais? Es war nicht lange darnach, daß ich mit italienischen Zeitungen, Zeitschriften, Broschüren überschwemmt wurde, darunter viele ganz rotsoziale von beispielloser Gewalttätigkeit. Plötzlich ließ sich bei uns ein Professor melden, der für einige Zeit auf Erholung aus Italien gekommen war, wie er sagte, und eines meiner Bücher zu übersetzen wünschte. Ich wies ihn an den Verleger. Er blieb sehr lange sitzen, trank Tee, kam wieder, machte sich beliebt. Er war gebildet, schlau und zäh. Er verleitete meinen Mann zu politischen Gesprächen, erzählte aus dem modernsten Italien manches Interessante und Neue. Seine Verbindungen schienen bedeutende zu sein.

Er fing an, Bücher zu bringen. Dann bot er sich an, mir Unterricht im besten Italienisch zu geben. Ich nahm es an. Er unterrichtete gut, aber mit weniger Grammatik als Weltanschauung und mit sehr vielen Abschweifungen. Mehr und mehr ließ dieser Mensch sich gehen. Allmählich stieg aus der geschmeidigen Hülle des Weltmannes ein vollkommener Irredentist empor, der vielleicht ein bezahlter Spion war und mir Angebote machte, mein Talent mit seinen Schrankenlosigkeiten in den Dienst des Nachbarlandes zu stellen, des Feindes. Ja; trotz dieser Larve und Jahrmarktsposse einer Bundesgenossenschaft des unverändert haßerfüllten wartenden Feindes Italien. Ich gedenke dieser offenen Aussprache, die eines Nachmittags plötzlich kam, mit einem Schauder, wie ich ihn selten im Leben empfunden habe. Wir saßen unter den Benedekbildern der großen Schlachten mit Italien, um uns war sein Nachlaß, seine Welt. Um uns war Österreich, das beste, das tragischeste. Und inmitten dieser geheiligten Atmosphäre wagte, in beispielloser Schamlosigkeit und Anmaßung seiner Verräterseele, ein Käuflicher, der dunkelste Wege ging, das schwerste Verbrechen von einem Menschen zu verlangen, dessen ganzes Dasein in Heimatliebe und Heimatschmerz blutete.

Er sprach halblaut, mich fixierend, mit mitleidlosen Augen, bald deutsch, bald welsch, sprach, als sage er etwas Selbstverständliches: Sie haben sich bekannt, ohne Furcht. Sie verachten und hassen Österreich, Ihr Land; es ist das Land Ihrer Seele nicht. Nie wird es Ihr Talent anerkennen, nie werden Sie sich darin entwickeln können. Kommen Sie zu uns! Wir sind großzügig, dankbar; wir werden Sie überhäufen, Sie überfluten mit Sonne, wie Sie sie brauchen. Wir bieten Ihnen ein aufblühendes, ein neues Vaterland, dem die ganze Zukunft gehört. Hier ist Tod! Ich höre welke Blätter rieseln. Bei uns blüht es überall. Sie ahnen ja nicht, was im Werden ist, Österreichs Schicksal liegt besiegelt! Verlassen Sie das sinkende Schiff. Wir bieten Ihnen einen Besitz tief in Italien, alle Mittel, um agitieren, forschen, schreiben zu können. Erzählen Sie uns. Sie wissen viel, und Sie verstehen es so zu sagen, daß es zündet. Wir können Sie brauchen! Wir haben Ihr Buch verstanden!

Wir rufen Sie!

Ich saß da wie vom Blitz getroffen; eisiger Frost, eine glühende Hitze gingen über mich hin, ein Erstarren; so konnte man zu mir sprechen auf dem Boden meines Landes, in meinem Hause! So konnte etwas, das aus reinstem Empfinden mutig getan worden, aufgefaßt, mißbraucht werden. Mir ward, als sei plötzlich ein Spätherbst hereingebrochen, der alle Blüte und Frucht von Bäumen riß, in dem alles warme Leben hinstarb. Als senkten sich Wolken, gelb und lastend unheilvoll tief, ganz tief auf mich nieder.

Traurigkeit weit und breit, kein Ausblick, traurig sogar diese hellen Zimmer. Mir gegenüber die Mephistogestalt mit dem zupackenden Griff, dem schnöden Lächeln. Ich kann es nicht schildern, was mich damals ergriff. Ein würgender Haß, eine Verzweiflung, ein Ekel und ein Entsetzen vor dem, was ich gewollt und was gekommen war. Die ganze Machtlosigkeit der Kreatur ergriff mich; ich mußte mich am Tisch festhalten. Dann riß ich an der Glocke. Der Diener kam. Ich sagte stammelnd: »Begleiten Sie den Herrn, er geht!«

Über das welke Gesicht des Italieners lief ein grünlicher Schatten; seine Lippen zuckten. Wenn er jetzt lächelte, schlug ich ihn nieder.

Er verbeugte sich nur tief, sehr tief. »Ich werde von Ihnen hören, Signora. Sie machen große Fortschritte im Italienischen.«

Langsam, unbekümmert durchschritt er die Räume. Sein Schritt verklang.

Ich habe ihn nie mehr gesehn.

Was sollte ich tun? Auf den Spion, den Verräter aufmerksam machen?

Wohin mich wenden, was erzählen? Und wem?

Ich hatte die bitterste Stunde meines Daseins.

In mir war nur mehr ein Wunsch, fort von der Grenze.



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