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Fremde Typen.

Mizugkhynan.

In dem bunten, manchmal tollen Gesellschaftsbild einer Grenze, eines Kurortes, hebt sich diese Gestalt heute noch deutlich ab von dem Chaos der anderen. Ich sehe den Mann, der diesen Namen trug, in meinem Salon sitzen, den Tanz beobachten, an dem er sich nicht beteiligte; sehe ich auf dem Rade, in sich gekehrt, durch die Gegend fahren oder dahin wandern, ein Buch in der Hand. Er kam viel zu meinem Manne, dem er eine gewisse fremdartige Herzlichkeit bezeugte wie der Schüler einem Professor. Mir erwies er eine Ehrfurcht des Wesens aus anderen Zeiten und Landen, aber nie hatten wir einen Berührungspunkt, über das Gesellschaftliche hinaus mied er die Frauen.

Mizugkhynan war ein indischer Student aus dem Herzen seines Landes, einer edlen Kaste entsprossen; bestimmt, Arzt zu werden. Er studierte einige Jahre in deutschen und österreichischen Städten. Er besaß ausreichende Geldmittel, Empfehlungsbriefe, und war eingeführt. Nach dem Süden kam er seines Katarrhs wegen, der einer Influenza folgte, und blieb einen Winter. Manchmal, an kalten Tagen, wenn der Seewind blies, starrte er schaudernd vor sich hin, und murmelte: »Das ist der Süden.« Es war nur eine allgemeine Feststellung; er neigte zu Feststellungen. Es war oft, als sei er gekommen, um solche im kultivierten Europa zu machen. Die Anderen bemerkten es nicht, mir fiel es immer wieder auf. Fremd bis ins Tiefste stand er uns gegenüber und blieb es, es wäre ihm ganz unmöglich gewesen, mit uns zu lächeln oder zu klagen; sich mit uns zu entrüsten, zu freuen. Er begriff uns in nichts und er mochte uns auch nicht. In der, ich möchte sagen, überfeinerten Elitehaftigkeit seiner Wesenheit störte ihn unsere lautere, freiere Art, die er, ich weiß es, wie eine Schamlosigkeit der Seele empfand.

Mizugkhynan trug sich europäisch, sprach ein sorgsames, streng klingendes Deutsch und Französisch, auch englisch. Er war nach unseren Begriffen häßlich; gelb, mager, klein, mit schmalen Schultern, eingesunkener Brust und jenen leisen, gleitenden, körperlosen Bewegungen vornehmer Tiere in der Knechtschaft. Mein Mann, der sich stundenlang mit ihm unterhielt, erklärte ihn für außerordentlich unterrichtet, für ein Stück jener gelben, sachte schreitenden, beobachtenden Kultur, die diesem Europa, das sich gehen ließ, gefährlich wurde. Wenn die Damen und Dämchen der Koterie sich an diesen Fremden förmlich drängten, ihm schön taten, ihn umwarben, dann war der Ausdruck in seinen Augen, in denen die Schwermut eines uralten Volkstums wie Abenddämmerung nach zu langem Tage lag, etwas ganz Unsagbares, das in mir, die ihn verstohlen zu beobachten pflegte, eine Beschämung für mein Land und mein Geschlecht erweckte. Mit Mizugkhynan zu kokettieren, ihm Avancen zu machen, war hoffnungslos. Eine unendlich abwehrende Höflichkeit umgab ihn, stand zwischen ihm und der Welt. Er erwies Frauen unpersönliche Verehrung, die gar nicht, die durchaus nicht so verehrt sein wollten; die, wie sie es sich lachend zuflüsterten, nur darauf warteten: Qu'il me manque de respect, daß er sich etwas herausnimmt! Er tat das niemals. Einmal sprach er mit meinem Manne über die Frau Europas. Was er sagte, sanft, kühl, unerschütterlich feststellend sagte, gipfelte in vollendeter Form in einer Verurteilung sondergleichen.

Es war merkwürdig, allmählich begannen ihn diese hübschen Frauen des Weltlebens, die nie ohne Seladon sein konnten, zu hassen, und die Herren gegen ihn aufzuhetzen, irgendwie. Es kamen Unannehmlichkeiten, Auseinandersetzungen, bei denen dieser Fremde mit den anderen Ehrbegriffen meines Mannes Beratung erbat. Es ging hart an einem Zusammenstoß vorbei, dessen Einzelheiten gleichgültig bleiben.

Die Kulturen zweier Erdteile zeitigen verschiedene Ergebnisse. Mizugkhynan lebte schließlich am Gardasee fast als Einsiedler und las Nietzsche, den er verehrte. Er lud meinen Mann oft und öfter ein, im Boot mit ihm nach dem wilden Ponale-Fall hinauszurudern, und auf den stillen Wassern erzählte er ihm von den Sitten seines Landes. Was dort die Frau sei, die Gattin, die Mutter, pflegte er zu schildern. Dann stieg in sein ledergelbes Gesicht mit den wie Lack glänzenden Schlitzaugen ein schwach rosiger Glanz. In die harten Linien trat ein Zug von Sehnsucht, der darin mehr ergriff, als abendländischer Schmerz. Hier war noch ein Glaube, ein Hochhalten, ein Aufblick. Als er Abschied nahm, hielt er eine Weile des älteren, ihm wert gewordenen Mannes Hand. Dann beugte er, der sehr hochmütig war, sich sachte ganz tief darüber. Einen Augenblick. Man sah sein Gesicht nicht. Seine Lippen bewegten sich. Mir erwies er, mit leisem Dank für die Gastfreundschaft, nur eine tiefe Ehrenbezeugung. Wir hatten uns nie die Hand gegeben.

Mizugkhynan verschwand. Er tauchte hinab in jene Fernen einer uns gänzlich unerreichbaren Mythenwelt. Aber wenn dann über ihn im Bekanntenkreise die billigen Witze fielen, der Spott der anders Gearteten, die nur sich gelten lassen, die Selbstüberhebung unwidersprochen ihre Feste feierte, dann schwiegen wir Beide. Und jener Blick sah uns wieder an, aus Nebeln, der uralte Blick der lackschwarzen, traurigen Augen. In dem mehr Verstand und Tiefe, mehr Schöpfungsnähe gewesen als in denen, die sich für die Kronenträger dieser Kulturwelt Europa hielten. Ich aber gedachte der Frauen seines Landes, die seine Seele besitzen würden.

*

Die kleine Gräfin aus Japan.

Sie kam mit ihrer ganzen, beträchtlichen Familie; sie war die Gattin eines österreichischen Diplomaten aus der böhmischen Aristokratie. Der junge Mann, der sie gefreit und trotz eigenartiger Häßlichkeit auf ein bewegtes Liebesleben zurücksah, – es hatten sich zwei reizende Wesen wegen seiner umgebracht, – mochte wohl ursprünglich auf seinem japanischen Posten die Absicht gehabt haben, eine sogenannte Stationsehe einzugehen, eine japanische Ehe auf Zeit, wie es vielfach auch bei den Marineoffizieren Brauch war und in den zierlichsten Opern verherrlicht worden ist. Pierre Loti, der phantasiereiche, als Chronist etwas unzuverlässige Franzose, hat diesen japanischen Eheweibchen ein hartes Zeugnis ausgestellt. Er spricht ihnen jede Seele ab und läßt sie in der Stunde des Abschieds von dem Geliebten, Pan, Pan, emsig und genau die einzelnen Geldstücke der Abfindungssumme abklopfen, ob sie auch alle richtig sind. Der österreichische Graf aber sah es jedenfalls anders; er ließ seine kleine, aus guten Kreisen stammende Japanerin katholisch werden. Kinder wimmelten heran, sage acht oder neun Stück, alles winzige Japanerchen vom reinsten Wasser, bildhübsch in ihrer Art und sehr intelligent.

Vom langen hageren Papa mit der Riesennase und den komisch flinken Bewegungen hatten sie wenig. Als es ans Scheiden gehen sollte, war die Japanerin richtig europäisch geheiratet worden und kam mit. In Wien und Prag behandelte man sie mäßig, etwa so wie ein interessantes Tierchen, eine Nippesfigur. Das war sie nicht. Sie war in ihrer Art ein Vollmensch und beherrschte den hochgewachsenen Gatten gänzlich. Meine Tochter hat einen Winter lang mit diesen kleinen Japanern gespielt, die wir entzückend fanden. Es sind später aus ihnen, die den rührend guten Vater zu früh verloren, unruhige, etwas abenteuerliche Menschen geworden, die aus ihrem exklusiven Kreis, den man ihnen übrigens ebenso bestritt wie das Majorat, teilweise herabstiegen zur Boheme; Erfinder, Gelehrte, Theater- und Kinogrößen wurden. Damals waren es reizende Kinder. Die kleine magere, zur Schwindsucht neigende Japanerin, die in Arco einen ganzen Rehbock zunahm, wie der Graf es freudig ausdrückte, war eine große Dame von vollendeten Manieren, ihre klugen Augen folgten den Europäerinnen aufmerksam, mit scharfer Beobachtung. Voll Verständnis für Musik liebte sie diese leidenschaftlich, und war mit ihrem Manne so von pazifistischem Geist der Völkerversöhnung erfüllt, daß ein sehr drolliges Ereignis auf ihre Veranlassung statt fand. Sie gaben ein Konzert zu gleicher Zeit für die russischen und japanischen Soldaten. Es war damals die Zeit des russisch-japanischen Krieges. Diese antike Objektivität löste bei den ziemlich zahlreich vorhandenen Gästen, zum Teil Russen, viel Ärgernis aus. Der gute Graf aber brüllte unentwegt mehr laut als schön: Nach Frankreich zogen zwei Grenadiere.

Er starb bald darauf in seinen besten Jahren; und er war schon begraben, als ein Brief von ihm, der sich verirrte, meinen Mann erreichte. Er war einer der besten Typen vornehmen, guten Österreichertums gewesen. Seinen Hinterbliebenen ging es im starren aristokratischen Böhmen dann nicht gut. Und die kleine Japanerin mag manchmal, von Heimweh ergriffen, sich fortgesehnt haben aus unserer grausamen Kultur in primitiv kindlichere Verhältnisse ihrer Heimat. Ihre Kinder wirbeln im Lebenssturm umher.



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