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Ich hatte mich in den ersten Märztagen des Jahres 1898 in Graz mit dem Freiherrn Dr. Franz Krieg von Hochfelden, Dozent der Mathematik und Erbe des gesamten Benedekischen Nachlasses, verheiratet. Dabei ging es nicht ab ohne lustige und überraschende Episoden. Zuerst hatten wohlmeinende Kreise die Verlobung zu zerstören versucht – aus christlicher Nächstenliebe; das gelang nicht. Aus den anonymen Briefen ließ ich mir ein Album anfertigen. Da stand die Vergangenheit, die man uns Beiden zumutete, farbenreich, ganz erstaunlich. Ich erfuhr Sachen, von denen ich gar nicht gewußt hatte, daß es sie gäbe. Als dieser Streich der guten Gesellschaft mißlang, änderte sie ihre Taktik und wurde strahlend freundlich. Auch dies schlug nicht ein; bei uns Beiden nicht, die schon zu klar des Lebens satyrische Wahrheiten erkannt hatten und eigene Wege gegangen waren. Feindschaft und Neid umgaben den stillen Mann, in dessen reine Hände nicht nur Reichtum, auch ein historisches Vermächtnis gelegt worden war als eine Mahnung. Bis zum Schlusse ihres Lebens suchte man die schon senil gewordene Witwe Benedeks gegen ihn einzunehmen. Der langjährige Hausarzt selbst, von Gier an dem an Kunstschätzen reichen Haus befallen, löste Gemälde von den Wänden, trug Silber und Kostbarkeiten fort als sogenannte Geschenke. Die hochbedachten Vereine und Sammlungen suchten mehr zu erpressen; private, ganz schamlose Begierde drängte sich heran. Außer den großen Wohltätigkeitsstiftungen der Gattin Benedeks, die als Frau eines vermögenslosen, österreichischen Offiziers seltsamer Weise in ihrem Leben zweimal das große Los gewonnen hatte, hinterließ diese der Stadt Graz eine kleine Bildergalerie, die Perlen enthielt. Jahrelang hatte mein Mann mit vollem Kunstverständnis an ihr gearbeitet. Diese Sammlung edler Kunstwerke ist nie geschätzt worden. Einer der bittersten Eindrücke war es mir, als ich in finsteren Tagen nach dem Umsturz durch die häßlich und gemein gewordene Stadt Graz wanderte, hilflos suchend nach Allem, was ich in dieser Stadt so sehr geliebt.
Es traf da mein Auge in einem Trödelladen zwischen allerlei Schund auf eines der Gemälde der Sammlung, das, wahrscheinlich gestohlen oder von unberufener Hand verschleudert, hier zu verkaufen war.
Jeder Mensch, der irgend eine flüchtige Beziehung zu uns fand, wollte unserer Trauung anwohnen. Hunderte verlangten Kirchenkarten zu dieser Geschmacklosigkeit, der Aufbauschung und Ausstellung eines solchen Aktes. Alle bekamen sie auch von einem verbindlich lächelnden Bräutigam diese Karten; und mir begann zu grauen. Ein Spießrutenlaufen stand bevor. Aber dazu kam es nicht. Wir heirateten dann auf Wunsch meines Mannes vier Tage vor dem anberaumten und offiziell angegebenen Termin in der Leonhardkirche, nur in Anwesenheit der Zeugen und meiner Mutter. Da die Villa Benedek bauliche Umarbeiten erforderte, ging ich noch für vierzehn Tage in das Haus meiner Mutter zurück. Am Abend unseres Hochzeitstages aber saßen wir Neuvermählten am sogenannten schönen Tage der Eliteabonnenten im Theater, ganz allein, ohne Blumenstrauß, ohne Gardedame. Das Publikum sah sich mehr uns Beide als »Sodoms Ende« an; es war außerordentlich entrüstet. Am nächsten Tage wimmelte es in der Villa Benedek von Besuchern, aber ich war nicht da. Ein verbindlich lächelnder Hausherr empfing, in Staub und Lärm der Renovationen, seine anteilsvollen Besucher, die die hurtigen Blicke überall umhergehen ließen. Wann ist also die Hochzeit? – Die Hochzeit? lieber Gott, die wird nun wohl gar nicht mehr stattfinden, sprach der Heuchler bedauernd mit einem tiefen Seufzer und den lustigsten Augen der Welt.
Gar nicht stattfinden? – Es war wie ein Aufschrei. Gar nicht stattfinden? Was? wie? Wehmütiges Achselzucken. Es wird nicht gut möglich sein. – Nicht möglich sein? Ha! –
Eine Stunde darauf war es schon in der Stadt verbreitet: Er hat sie sitzen lassen. Die Salburg ist sitzen gelassen worden von ihrem Bräutigam! – Ich habe es ja immer gesagt! Und so fort.
Wir aber gingen zusammen in der Märzsonne im Stadtpark spazieren, saßen im Joanneums-Garten. »Die Treu' ist meine Poesie.« Ludwig Benedeks Spruch stand eingraviert in meinem Trauringe. Treu einem Herzen – treu einem Gedächtnis von Menschengröße, treu Überzeugungen, in diesen Zeichen stehe nun mein Leben.
Noch einmal möchte ich einen Augenblick verweilen bei jenen Lenztagen vor dem Jahrhundertende, den letzten in Graz verbrachten, als Benedeks Haus mich aufnahm, seine Herrin in mir grüßend. Es würde keine dauernde Heimat sein können, das wußte ich. Unser Schicksal war es, von hier fortzugehen.
Ich hatte mich vorzubereiten, nicht auf ein gesellschaftlich glänzendes Frauenleben, nicht auf Rast und Ruh. Auch war mein Einzug in das ernste Haus zugleich ein Abschiednehmen, der Einzug einer jungen Frau schon der erste Schritt, um wieder zu gehen. Es galt, das Weltbild der Nationen in sich aufzunehmen, Jede Enge abzustreifen.
Meines Mannes Gesundheit verbot zudem das feuchte Klima der Stadt Graz. So würden wir immer nur mehr kurz in diesen Räumen weilen wie Gäste. Ein großer Teil von ihnen mußte vermietet werden. Es wohnte da später eine Zeit lang der berühmte Arzt Krafft-Ebing mit seiner Familie, der das erste Nerven-Sanatorium in Graz errichtete. Wo wir uns niederlassen konnten, war gänzlich unbestimmt; eine lange Reise stand bevor, um einen geeigneten Aufenthalt zu finden. Ich hoffte, er würde in Deutschland liegen. Mein Mann schwankte zwischen dem Elsaß, dem seine Familie entstammte, und dem Süden, den er liebte. Der war mir noch ein verschlossenes Buch.
*
So waren denn diese ersten Wochen meiner Ehe wohl die seltsamsten, die eine junge Frau erleben kann. Es hatte sich nicht gelohnt, einen richtigen Haushalt einzurichten, weil gepackt und aufgelöst werden mußte. Nur die paar alten Diener glitten durch die Zimmer, bedienten uns mit jener Geräuschlosigkeit alter vornehmer Herrschaftshäuser. Eine tiefe Stille mit leise raunenden Erinnerungen war überall. Mein Mann verlangte sie für seine Nerven und die Konzentration zu der Loslösungsarbeit, die noch zu leisten war. Er wollte alles, auch die reichen Geschenke an die Stadt aus dem Nachlaß der Witwe Benedeks, für die Öffentlichkeit tadellos geordnet hinterlassen. Ich erkannte bald, daß er ein Gelehrter, ein Mensch tiefen Einsamkeitsbedürfnisses war, das man respektieren mußte. Ich begriff es. Mich selber spann erlösend dieses Schweigen ein, nahm mich gefangen. Trauer und Ernst, ein stetes Rückwärtsschauen, las ich in den Augen dieses Erben Benedeks. Diese Gefühle gingen auf mich über. Sehr düster war hier auch mein erstes Amt. Ich hatte die Schränke der frühverstorbenen ersten Frau zu leeren, all ihre Sachen sollten dem Krankenhause für Bedürftige überwiesen werden.
Ein Schatten senkte sich auf mich bei diesen Pflichten. Das Haus war ernst, in das ich getreten. Seine Schauer wehten mich an.
Dann kam der Tag, da der alte Diener die beiden stahlgepanzerten Kisten aufschloß, mein Brautgeschenk, des Feldherrn persönlicher Nachlaß. – Jahrzehnte österreichischer Geschichte. – Radetzkys und Benedeks Armee in frischen Farben, jene für immer versunkene Armee wurde hier lebendig. Der märchenhafte Aufstieg eines Soldaten, dem in Verona königliche Ehren und Verantwortungen zu Teil geworden.
Stundenlang habe ich gekniet vor diesen Kisten. Schlachtenlärm, Pulverdampf, die Stimmen Toter, das Jauchzen Lebender, der Glanz einer großen Armee waren da, hüllten mich ein. Ich mußte mich erst immer wieder auf die Wirklichkeit zurückbesinnen. Einmal sah ich auf, da stand mein Mann vor mir, sah mich an, mochte schon lange so gestanden haben. Ich konnte nur stammeln: Ich bin's nicht würdig! Es war ein schwerer Ernst in seinem Blick.
Im Mai wollten wir nach Deutschland reisen.