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Nachdem meine Reisegesellschaft durch einen neuen hier gekauften oder vielmehr losgekauften Sklaven und einen lebendigen Strauß vermehrt worden war, wandte ich am 15. Mai mein Segel vorläufig wieder dem Norden zu. Ein heftiger konträrer Wind zwang uns, den größten Teil der Fahrt bis Abu Haraß zu kreuzen, was uns den Vorteil, nun mit dem Strome zu schwimmen, wenig genießen ließ, aber das Gute hatte, mir endlich eine glückliche Krokodiljagd zu verschaffen. Die Sonne war schon ihrem Untergange nahe und Abu Haraß im Angesicht, als einer der Matrosen mir meldete, daß vier Krokodile nicht fünfzig Schritte von uns entfernt auf einer Sandinsel lägen. Ich eilte schleunigst aufs Verdeck und sah mit Verwunderung, daß keins dieser bisher so scheuen Tiere sich bei unsrer Annäherung regte, sondern alle wie erstarrt bewegungslos mit offnem Rachen liegenblieben. Sogleich ergriff ich die geladne Muskete eines der uns begleitenden Soldaten und feuerte auf das nächste, welches ungefähr 12 Fuß in der Länge maß, traf es auch unter dem Panzer, aber doch nicht hinlänglich, um es zu töten. Es fuhr erschrocken auf und sprang mit der blitzschnellen Behendigkeit einer Eidechse ins Wasser, das es mit seinem Blute rötete, ohne daß die andern sich weder durch dies Schauspiel noch den Knall des Schusses stören ließen. Der Kawaß fehlte das zweite, und da die Kugel unmittelbar vor dem Tiere in den Boden fuhr, daß der Sand aufsprühte, so schob es sich, jedoch nur langsam und anscheinend mit Schwerfälligkeit ins Wasser, wohin ihm leider das bei weitem größte der vier, das dicht neben ihm lag, folgte. Jetzt reichte mir Ackermann mein Gewehr, das ich ohne Zeitverlust auf das letzte und kleinste abdrückte und es glücklich erlegte, da die Kugel grade in seinen aufgesperrten Rachen fuhr und so mehrere edle Teile nacheinander verletzte. Das noch junge Krokodil blieb, fast ohne zu zucken, wie schon tot ausgestreckt liegen. Als wir aber eilig aufs Land sprangen und uns alle darüber herwarfen, um uns seiner ohne Zeitverlust zu bemächtigen, raffte es sich noch einmal auf und kroch ziemlich schnell dem Flusse zu, erhielt aber auf dem kurzen Wege von den Negern so viel furchtbare Keulenschläge auf Hals und Kopf, daß es mit Blut überströmt bald regungslos und nun allem Anschein nach auch wirklich tot von neuem liegen blieb. Es war aber noch keineswegs so weit mit ihm gekommen, denn nach wenig Sekunden gab es mit großer Gewalt einen perfiden Schlag mit seinem Schweif, der mich selbst beinah getroffen hätte und einen der Matrosen so heftig in den Sand warf, daß seine Pfeife mehrere Ellen hoch gen Himmel flog. Wirklich, die Lebenszähigkeit bei diesen Tieren geht fast ins Unglaubliche. Als diesem von uns erlegten schon die Haut größtenteils abgezogen war, sowie alle Eingeweide ausgenommen, und man sich eben damit beschäftigte, zum Behuf des Ausstopfens die Knochen aus den Beinen zu lösen, gab es noch einen letzten galvanischen Schweifschlag, der im Augenblick den darum formierten dichten Menschenkreis wie Spreu auseinanderfegte, obgleich sich die Erschrockenen schnell wieder lachend und jubelnd darum herreihten. Denn sie freuten sich auf die leckere Mahlzeit, und in der Tat ward während der Nacht der ganze Vorrat von dem stark nach Moschus duftenden Fleische mit großem Genuß von den afrikanischen Gourmands verzehrt.
Der folgende Absatz ist in der Buchausgabe auf dem Kopf stehend gedruckt. Das unglückliche Opfer unsrer Jagdlust war ein Weibchen, und bevor man ihm den Bauch aufschnitt, hatte man uns dessen Geschlechtsteile gezeigt, die in Größe wie in Form auffallend den menschlichen gleichen. Man versichert, daß, wenn diese Tiere sich begattet haben, das Weibchen mehrere Stunden lang wie ohnmächtig auf dem Rücken liegen bleibt, in welchem Zustande man es dann sehr leicht und ganz gefahrlos töten kann. Ja, es soll sogar nichts Seltnes sein, daß Neger diese Lethargie benutzen, um vorher noch die vices des Krokodils an dem stilliegenden Weibchen zu vertreten, ehe sie ihm das Leben nehmen.
Als ich in Abu Haraß debarkierte, kam mir der Bruder des noch immer abwesenden Kascheffs mit wahren Hiobsposten entgegen. Jetzt erst erfuhr ich die volle Wahrheit über Mandera. Statt 12-16 Stunden Entfernung, wie man zuerst versichert, fand es sich nun, daß es vier bis fünf Tagesmärsche weit sei, ohne auf dieser Strecke einem einzigen Brunnen zu begegnen. Dies mache, sagte der Efendi, 150 Kamele allein für den Transport des Wassers nötig, weil sie sich fortwährend truppweise ablösen müßten, um immer frisches Wasser aus dem Nil herbeizuholen. Mit weniger könne ich nicht auskommen, da die Araberstämme in dieser Gegend sich fast alle im Zustande offener Insurrektion befänden, so daß ich mindestens einer Eskorte von hundert Mann bedürfe, um ihnen gewachsen zu sein. Endlich aber sei der arabische Schech, welcher allein jene Gegenden kenne und noch einige Autorität daselbst besäße, wo kein Türke sich gefahrlos blicken lassen dürfe, jetzt abwesend. Man habe zwar bereits nach ihm gesandt, aber es sei nicht wahrscheinlich, daß er vor 10 bis 12 Tagen zurückkommen könne. Indessen, setzte er hinzu, stehe bis dahin Haus, Hof und Gut seines Bruders zu meiner freiesten Disposition, und wenn ich an der Jagd Vergnügen fände, so seien fünf gute Pferde mit so viel Arabern, als ich bedürfe, stets bereit. Strauße, Leoparden, Wölfe, wilde Katzen und Gazellen würde ich in Überfluß finden. Unter solchen Auspizien erschien mir der unnütze Aufenthalt weniger peinlich, und nachdem ich, um den Eifer nicht erkalten zu lassen, bestimmt erklärt, daß ich, die Schwierigkeiten möchten sein, welche sie wollten, diesen Landstrich nicht verlassen würde, ohne mir genaue Kunde über die Ruinen von Mandera verschafft zu haben, nahm ich die gemachte Anerbietung vom nächsten Morgen an mit Dank an und begab mich dann zu Bett, um das Weitere in meiner Barke zu beschlafen.
Leider aber gab mir hier ein böser Dämon den Gedanken ein, als Präservativ gegen die üblen Einflüsse der Witterung eine Dosis englisches Salz zu mir zu nehmen, und ich erwähne dieses geringfügigen Umstandes absichtlich, um die Gefahr zu zeigen, welche in diesem Klima unnützes Medizinieren mit sich bringt. Es hat nicht viel gefehlt, daß dieses in Europa so leichte und unschädliche Erfrischungsmittel meiner irdischen Laufbahn hier ein Ende machte. Denn von diesem Tage an befiel mich eine hartnäckige Dissenterie, verbunden mit einer so fortwährend zunehmenden Schwäche und Widerwillen gegen alle Nahrung, daß mein physisches Vermögen nicht mehr dem Willen zu folgen imstande war. Fünf Tage lang, während denen Regen und Sonnenschein mit stets schwüler Hitze ohne Unterlaß abwechselten und meine nur durch gebrechliche Holzläden geschützte Stube, bei den heftigen Windstößen, oft mit Wasser oder Staub angefüllt wurde, konnte ich bei heftigen Kolikschmerzen das Haus nicht und selten nur das Bett verlassen.
Am 21sten Mai, wo die Witterung schön war, zwang ich mich gewaltsam zu einer Jagd. Wir zogen mit großem Train auf Panther aus, trafen aber nur auf einige Strauße, denen wir in der buschigen Gegend nicht beikommen konnten, und auch auf viele Hasen, welche die Araber mit kurzen, einer Krücke ähnlichen Stöcken, die sie mit unglaublicher Sicherheit schleudern, sehr geschickt erlegten. Dann verfolgten wir lange im vollen Lauf der Pferde zwei Exemplare der schönen Reiherart mit dem hohen Federbusch auf dem Kopfe, hier Ab-Seng genannt, von denen ich einen mit der Pistole tötete. Endlich schoß mein Kammerdiener noch eine wilde Katze von glänzend gelber Farbe mit schwarzen Flecken, deren Fell glücklich das Vaterland erreicht hat. Wir durchritten während dieser Jagd sehr romantische Waldpartien mit mehreren unter ihrem Schatten zerstreuten Dörfern und passierten zwei oder dreimal das gänzlich wasserleere Bett des Rahad, dessen Ufer aber überall gleich hoch und jähling abgerissen erschienen. Gern hätte ich die Exkursion noch weiter ausgedehnt, da ich mich aber oft der Ohnmacht nahe fühlte, sehr häufig absteigen mußte und zuletzt mich kaum auf dem Pferde mehr zu erhalten vermochte, mußte ich notgedrungen schon nach Mittag zurückkehren. Hier war unterdessen, viel früher als wir erwartet, der Schech von Ouad-el-Kerim angelangt, doch lautete die von ihm gegebne Auskunft noch übler als die des Efendi. Er behauptete, daß er mit weniger als 200 Mann Eskorte und 400 Kamelen für diese sowohl als den Wassertransport die Leitung der Expedition nach Mandera nicht unternehmen könne. Auch brauche er noch eine Woche zu den nötigen Vorbereitungen. Alle meine Gegenvorstellungen blieben vergebens.
Auch der Kascheff war zurückgekommen, und am folgenden Tage ward mit ihm, seinem Bruder, dem Schech und andern unter den Arabern angesehnen Leuten ein großer Diwan über die Angelegenheit abgehalten, wo die Muselmänner einstimmig zu dem Resultat kamen, daß es untunlich sei und selbst bei Korschud Pascha nicht verantwortet werden könne, aufs Geratewohl mit einem solchen Troß, als der Schech verlange, auszuziehen, nur um in einer Gegend ohne Wasser, deren Bewohner feindlich gesinnt seien, Ruinen aufzusuchen, deren Existenz noch nicht einmal sicher sei. Bestünde ich jedoch auf meinem Willen, so müßten sie deshalb nach Khartum berichten, da jedenfalls die Kosten einer solchen Unternehmung zu bedeutend werden würden, um sich ohne besondere Autorisation dieser Verantwortung aussetzen zu können.
Dies wünschte ich natürlich zu vermeiden und bat also nur noch, genauere Erkundigungen einzuziehen und dann weiter zu überlegen, ob die Sache sich nicht auf eine weniger kostspielige Weise ins Werk setzen lasse. Währenddem wolle ich die Zwischenzeit, da ich mich nach dem Jagdtage etwas besser fühlte, zu einer kurzen und weniger umständlichen Exkursion nach dem Dender benutzen. Dies hatte keine Schwierigkeit, und mit einer sehr geringen Begleitung machte ich mich noch vor Sonnenaufgang auf den Weg. Ich war indes so matt und abgespannt und so leidend, daß ich nur wenig von dieser Tour sagen kann, die uns auf ziemlich guten Wegen und durch mehrere kleine Dörfer fast immer durch dornige Wälder, aber ohne große Bäume in zwei Tagen bis zum Dender führte, nachdem wir unterwegs in einer backofenheißen, übelriechenden Kammer nur ein sehr elendes Nachtlager gefunden hatten. Zum Abendessen bereitete man uns Perlhühner, die wir auch häufig im Walde sahen. Ich fand den Fluß in seinem äußern Ansehen dem Rahad sehr ähnlich, mit gleich hohen Ufern, wenig breiter, höchstens 200 Fuß, aber so tief mit einem stark strömenden und weit klareren Wasser als der blaue Fluß angefüllt, daß es beim Durchreiten meinem Pferde bis über den Bauch ging. Doch sagte man uns, daß er bald nicht mehr passierbar sein würde. Die Richtung seines Laufes aus Südosten ist in dieser Gegend eine Zeitlang mit dem blauen Fluß fast parallel, während der Rahad sich ziemlich mit einem rechten Winkel in jenen ergießt. Seine Ufer waren zum Teil dicht mit Weiden besetzt und an mehreren Orten sorgfältig kultiviert. Zum erstenmal seit langer Zeit sah ich hier einen Einwohner mit Fischen beschäftigt, und auf die ihm von mir gegebne Bestellung brachte er uns auch abends einen großen Fisch vom vortrefflichsten Geschmack.
Ich hatte eine üble Nacht und war daher sehr froh, am Morgen zu erfahren, daß uns der Schech von Elkueh eine Barke verschafft hatte, auf der ich meine Rückkehr mit weniger Beschwerde antreten konnte. Der Fluß wand sich durch ungemein malerische Waldpartien, einigemal mit niedrigen porösen Kalkfelsen vermischt, doch ward ich keines Boababs mehr ansichtig. Dagegen zählten wir in der Nähe von Ouad-Medina, was man in Europa kaum glauben mögen wird, wofür ich aber alle meine Begleiter zu Zeugen aufrufen kann, zu ein und derselben Zeit auf beiden Seiten des Flusses siebenundzwanzig Krokodile, die jedoch, als wir ihnen näher kamen, weniger gut aushielten als ihre Kameraden auf der beschriebnen Jagd, so daß die während der Flucht auf sie gerichteten Schüsse keinen Erfolg hatten. In Ouad-Medina erfuhr ich, daß Doktor Koch, immer noch gleich krank, sich nach Abu Haraß habe transportieren lassen, um dort einer bessern Luft zu genießen, und daß der italienische Apotheker ihn dorthin begleitet habe. Zugleich benachrichtigte man mich, daß in Musselinieh, einem großen Ort acht Stunden von hier westlich nach dem weißen Flusse zu gelegen, morgen ein bedeutender Suk (Markt) statthabe, wo man immer einen großen Zufluß von Menschen finde. Diese gute Gelegenheit, erstens das Innere des Landes noch etwas näher kennenzulernen, zweitens die Einwohner bei einer festlichen Gelegenheit beobachten und zugleich vielleicht dort allerhand interessante Einkäufe machen zu können, wollte ich nicht versäumen und verließ daher von neuem die Barke, um auf Kamelen und Eseln landeinwärts zu ziehen. Um fünf Uhr abends erreichte ich das Dorf Fedassa, wo ein heftiger Kolikanfall mich zwang, eine Stunde in der Hütte des Schechs in wahrer Agonie zu verweilen. Es war überdem nur ein trauriges Lager auf einem halb zerbrochnen Engareb mit ein paar zerrissnen Bernus überdeckt und einem Kissen, dessen ursprüngliche Farbe vor Schmutz nicht mehr zu erkennen war. Neben mir an der rohen Lehmwand, auf der allerlei Insekten umherkrochen, stand ein nie gereinigter hölzerner Krug mit Wasser, dessen lehmiger Inhalt trübem Weißbier glich, eine Kürbisschale hing daneben, und fast alle Minuten erschien ein oder der andre nackte Neger, um daraus seinen Durst zu löschen, denn die Hitze war im höchsten Grade drückend, während schon der Donner nahender Gewitter über unsern Häuptern rollte. Mit Mühe raffte ich mich, nachdem man unterdessen die Tiere gewechselt, zur Fortsetzung der Reise auf, zu der die Aussicht ebensowenig erfreulich als der Anblick meiner Umgebung war. Es scheint, daß hier die Gewitter in der Regenzeit immer in Gesellschaft ziehen, denn auch heute wie schon öfters standen drei bis vier derselben zugleich am Himmel und drohten mit dem unwillkommensten Bade. Doch waren wir so glücklich, noch vor Einbruch der Nacht und ehe sich die Hauptwolken entluden, in Musselinieh einzutreffen. Wir hatten drei Stunden lang von Fedassa an eine schöne kultivierte Ebne des vortrefflichsten Bodens durchritten und mehrere ansehnliche Dörfer darauf verteilt gesehen. Da die Häuser derselben alle nur in Form spitzer, auf der Erde anfliegender Dächer aus geflochtenem Rohr aufgeführt waren, so glichen sie großen Zeltlagern und machten mit den sie umgebenden Büschen und Bäumen einen höchst gefälligen Effekt. Jede dieser Hütten ist mit einem runden oder viereckigen Hofe umgeben, den ein hier so leicht zu erlangender Zaun aus stachligen Zweigen schützt, und auf den alten Bäumen horsteten wie gewöhnlich Hunderte der storchartigen weißen und schwarzen Ibisse. Einige Paare derselben hatten sich sogar auf den Dachspitzen der Hütten, so niedrig diese sind, zutraulich ihre Nester gebaut. Raben waren desgleichen sehr häufig und ganz den unsrigen gleich; doch bemerkte ich einige unter ihnen mit weißen Ringen um den Hals, die ich früher noch nicht angetroffen hatte.
Musselinieh, wo außer der jetzigen Hauptmesse zweimal die Woche, Dienstag und Sonnabend, ein beträchtlicher Markt stattfindet, ist bedeutend größer als Ouad-Medina, auch reinlicher und eleganter gebaut. Es hat eine Moschee und zwischen den Zelthäusern noch viele kleine Lehmpaläste der Reicheren in Form altägyptischer Pylonen mit Terrassendächern. Das größte Haus dieser Art bewohnt der Schech Ibrahim, ein Hadschi und ein hier sehr angesehener Mann, bei dem ich mein Quartier aufschlug. Es war dies zwar kaum so wohnlich als eine Scheune bei uns, hier aber gut genug, und die Bewirtung wäre noch weniger zu verachten gewesen, wenn der Zustand meiner Gesundheit mir nur erlaubt hätte, daran teilzunehmen, denn der Hadschi setzte uns unter andern türkischen Delikatessen sogar «preserved Ginger» aus Indien von allerbester Qualität vor. Wie gern hätte ich alles dies gegen ein Glas klares Wasser mit etwas Wein vertauscht! Aber hier kennt man die ägyptischen Bardaken (Filtrierkrüge) nicht mehr und nichts als die laue Lehmtunke, aus dem blauen Fluß weit hergeholt, oder ein noch schlechteres, brackig schmeckendes Brunnenwasser aus dem Dorfe war zu haben. Die ganze Nacht warf ich mich bei der Illumination der Blitze und dem Rauschen des Regens auf meinem harten Lager umher, ohne vor Schmerzen schlafen zu können. Ich zündete also meine Papierlaterne, die einzige, die mir noch übrig geblieben ist, an, weil der durch die offnen Fenster pfeifende Wind kein Licht auf andere Weise brennen ließ, und las in der Stereotypausgabe von Voltaires Werken, die mir Herr Boreani geborgt hatte, zum zehntenmal den Candide, eine Lektüre, die hier im wüsten Afrika allerdings etwas Seltsames hatte, aber hinsichtlich der Panglosschen Philosophie ganz gut zu meiner Lage paßte.
Am andern Morgen besuchte ich den Suk, der auf einer weiten mit Buden bedeckten Ebne am Ende des Dorfes abgehalten wurde. Es ging, trotz der Menge von Menschen und des daraus entstehenden Gedränges, weit anständiger und ruhiger daselbst zu, als auf einem europäischen Jahrmarkte. Auch ward ich, obgleich ein Gegenstand der allgemeinen Neugierde, doch von niemand belästigt. Ich kaufte eine Menge Landeskuriositäten zu äußerst billigen Preisen als: Sandalen, Amuletts, Waffen, Weiberschmuck, herrlich gearbeitete Matten aus Stroh und buntem Leder, sehr zierlich geflochtene Schüsseln, Körbe und Glocken aus gleichem Material, welche letzteren auf die Schüsseln gestellt werden, um die Speisen vor den zahllosen Fliegen zu bewahren, Goldkörner, Muschelgeld und dergleichen mehr. Weniger krank hätte ich vielleicht mehr Beobachtungen angestellt, so dankte ich dem Himmel, als ich wieder zu Hause war, um noch einige Stunden vor meiner Abreise auszuruhen. Währenddem besuchte mich der Schech, um mir einige Zeugnisse seiner Gastfreundschaft zu zeigen, die ihm von älteren Reisenden ausgestellt worden waren, und endigte mit der Bitte, ihm ein gleiches zu hinterlassen, die einzige Vergütung seiner Bewirtung, die er annehmen wollte. Dieser Mann ward von den Arabern wie ein Heiliger verehrt. Einmal kamen, während er in seinem Zimmer laut Gebete ablas, vier derselben und knieten sogleich, den Saum seines Kleides küssend, vor ihm nieder. Er las ruhig fort und sagte ihnen nur mehreremale dazwischen: «Essennetum!» (Steht auf!), aber vergebens. Sie blieben eine halbe Stunde auf ihren Knien, bis er zu lesen aufhörte.
Zur Rückkehr wählte ich einen direkteren Weg zu Lande nach Abu Haraß, der eine geraume Zeit lang durch die anmutigste Waldgegend führte. Hier blühte besonders in großer Menge und Üppigkeit der Turtum, ein schöner Strauch, der, obgleich er keine Blätter und nur ein Gewühl von grünen Ranken hat, die einer Masse von Haaren gleichen, doch die fremdartigsten, malerischsten Formen damit bildet und undurchdringlich dicht ist. Seine tief rosenrote kleine Blüte, womit er ganz überdeckt war, muß sehr honigreich sein, denn alle Schmetterlinge des Sudan schienen sich hier Rendezvous gegeben zu haben. Man hätte, mit den gehörigen Utensilien versehen, ohne große Mühe in wenigen Tagen eine vollständige Sammlung afrikanischer Tagfalter zusammenbringen können. Ich sah alle mir bekannten Arten und zwei oder drei, die ich für neu oder wenigstens äußerst selten halte, hatte aber zu wenig Zeit und fühlte mich zu elend, um mich selbst mit ihrer Jagd zu befassen. So sehr wir den Schritt unsrer Tiere beschleunigten, langten wir doch erst mitten in der Nacht in Abu Haraß an, wohin ich auf meiner eignen Barke, die ein schwimmender Neger holte, über den Fluß setzte, und in meinem Bett die Leiden zu bekämpfen suchte, die mir täglich mehr meine Kräfte und alle Reiselust raubten.
Als ich am nächsten Tage den Doktor Koch besuchte, fand ich diesen in noch weit elenderer Verfassung als mich. Er selbst hielt sich für einen Kandidaten des Todes, nahm auf rührende Weise Abschied von mir, gab mir noch einige Aufträge im Fall seines Dahinscheidens und bat mich dann mit Tränen im Auge, ihn nach Khartum zu senden, um dort in Frieden sterben zu können. Es war dies ohne Zweifel das einzige Mittel, ihn womöglich noch zu retten, und ich machte daher sogleich alle Anstalten dazu. Von zehn Negern getragen, ward er mitsamt seinem Bett auf meine Tahabia gebracht, welche, nachdem wir einen letzten Abschied voneinander genommen, sogleich mit einem günstigen Winde abfuhr. Es war ein melancholischer Moment für uns beide, denn auch ich blieb in keiner beneidenswerten Lage zurück, jetzt auch ohne alle ärztliche Hilfe im Notfall und schon längst ohne ausreichende Medikamente. Ich habe aber immer auf meine eigene gute Natur mehr als auf die ärztliche Hilfe gerechnet und konnte mir gewissermaßen zu meinem Troste sagen, daß auch mein jetziges Übelbefinden mehr eine Folge der Medizin als der Einflüsse des Klimas und der Fatigen auf meine Konstitution sei.
Am 25. fand ein neuer Diwan zum Behuf der Expedition nach Mandera statt, und man schien die Schwierigkeiten derselben immer mehr übertreiben zu wollen. Ich erbot mich, mit zwanzig sichern und zuverlässigen Leuten (die mir lieber sind als zweihundert des gewöhnlichen Trosses) trotz meines Unwohlseins die Tour zu unternehmen, ward aber auch hiermit bestimmt abgewiesen, indem der Kascheff erklärte, daß er mich einer solchen Gefahr auszusetzen noch viel weniger auf sich nehmen könne, besonders jetzt, wo die ganze Sache schon so landeskundig geworden sei, daß die räuberischen Horden im Gebirge längst aufs genauste davon unterrichtet sein müßten und daher, eine ansehnliche Beute erwartend, vielleicht mit ihrer ganzen Macht vereint über uns herfallen würden. Er aber müsse mit seinem Kopf für den meinigen stehen, und ich selbst werde ihn solcher Gefahr nicht aussetzen wollen. Etwas andres aber sei es, setzte er hinzu, wenn ich, da es mir doch nur darum zu tun sei, sichere Auskunft über die Ruinen von Mandera zu erhalten, meinen Dragoman dahin senden wolle. Dieser, der jung und rüstig genug sei, alle Fatigen und Entbehrungen zu ertragen und überdem die Sprache der Araber so gut als sie selbst spräche, möge als Beduine verkleidet leicht unbemerkt und ungehindert sich durchschleichen können. Dazu erbiete sich der Schech, ihm drei seiner zuverlässigsten und mit dem Lande bekanntesten Leute mitzugeben und alle mit so ausgezeichneten Dromedaren beritten zu machen, daß im Fall einer Verfolgung sie niemand so leicht einholen könne, da die Araber der Wüste weder Pferde noch Schießgewehr besäßen – und für diesen kleinen Trupp sei auch schon ein Tier mit Wasser beladen zur Not hinlänglich.
Diese Vorstellungen waren allerdings so vernünftig, daß ihnen nicht viel entgegenzusetzen blieb. Überdem aber bewogen mich vorzüglich noch drei Gründe zu ihrer Annahme. Erstens die elende Verfassung meiner eigenen Gesundheit in diesem Augenblick. Zweitens die zu einem solchen Unternehmen sehr geeignete Persönlichkeit meines Dragomans. Dieser junge Mann, der einen guten Teil seiner Zeit den Studien gewidmet hat, besitzt so viel Antiquareneifer, daß es für den Zweck selbst ziemlich dasselbe war, ob er oder ich Mandera besuchte, ja er wird vielleicht, sagte ich mir, ex officio noch genauer beobachten als ich und auch, soweit es ohne andere Instrumente als einen kleinen Taschenkompaß möglich ist, die geographische Lage Manderas und der hauptsächlichsten Ruinen, die er antreffen mag, nach den Richtungen seines Marsches und der zurückgelegten Stundenzahl, wenigstens approximativ ganz gut berechnen können. Drittens endlich bewog mich die Berücksichtigung der ungeheuren Kosten zum Nachgeben, welche auf diese Weise ganz erspart wurden und die dem Gouvernement aufzubürden ich mich nicht berechtigt fühlen konnte.
Ich erteilte also Giovanni meine Benediktion, er selbst machte sein Testament wie vor einigen Tagen der Doktor Koch, und in wenigen Stunden war er in der Wüste – sein kommendes Schicksal ein dunkles Geheimnis, bis es zur Vergangenheit geworden sein wird. Diese Vergangenheit war schon früher bei dem armen Giovanni ziemlich dunkel gewesen. Er ist ein Kind von Chios, wo er in seinem siebenten Jahre Vater, Brüder und Schwestern vor seinen Augen morden sah und selbst als Sklave von einem kandiotischen Türken entführt wurde. In Alexandria kaufte ihn der jetzige österreichische Konsul in Kandia, Herr Stuzzi, damals Dragoman bei dem dasigen österreichischen Konsulate, los, nahm ihn an Kindesstatt an und gab ihm eine gute Erziehung. Noch als Knabe begleitete er Herrn von Prokesch bis Ouadi-Halfa, der ihn auf dieser Reise hauptsächlich zum Vermessen der Altertümer und Kopieren der Hieroglyphen gebrauchte. Dann machte er eine Reise nach Kleinasien und Konstantinopel, studierte einige Jahre in Smyrna, später in Italien, besuchte auf dem Rückwege sein Vaterland Chios wieder, wo er seine Mutter noch lebend fand, die außer ihm und einem jüngern Bruder allein von der Familie dem allgemeinen Blutbade entronnen war, und trat, in Kandia bei seinem Pflegevater wieder angelangt und für den Augenblick dort ohne Beschäftigung, als Dragoman in meine Dienste.
Bis zum ersten Juni blieb ich, fortwährend an heftigen Schmerzen leidend und kaum fähig, mein Bett zu verlassen, in Abu Haraß. Ich war nach und nach so schwach geworden, daß ich kaum gehen konnte, ohne geführt zu werden, und fing an, ernstlichen Bedenklichkeiten über meinen Zustand Raum zu geben. Alle Nahrung ward mir zuwider, und der gewöhnliche Reistrank, den man bei dieser Krankheit verordnet, erregte mir nur Erbrechen und den heftigsten Ekel. Wein oder andere stärkende Medizinen hatte ich schon längst nicht mehr. Da bekam ich eine instinktartige Begierde nach einem Getränk, über das gewiß alle Ärzte bei einer fast schon chronisch gewordnen Dissenterie den Kopf schütteln werden, nämlich nach starkem kalten Punsch, den ich übrigens in gesundem Zustande nicht im geringsten liebe und fast nie genieße. Glücklicherweise hatte ich die Mittel, ihn herzustellen, denn das Land lieferte kleine grüne Zitronen, und ich besaß noch einige Bouteillen Jamaika-Rum, die ich mehr der Leute als meinetwegen mitgenommen hatte. Der sehr häufige Genuß dieses so zubereiteten Getränks, ziemlich stark angemacht, schlug wunderbar an, und obgleich ich noch keineswegs ganz dadurch hergestellt wurde, so verminderte sich doch das Übel und namentlich die Schmerzen zusehends; es ward mir wieder möglich, etwas zu essen, und meine geschwundenen Kräfte kehrten langsam zurück. Ich will niemandem raten, mir nachzuahmen, aber so ist das Faktum.
Während dieser Zeit brachte man mir täglich eine große Menge interessanter Landesprodukte zum Verkauf ins Haus getragen, wahrscheinlich, weil man erfahren, daß ich in Musselinieh viel gekauft und gut bezahlt hatte, denn die Leute sind hier so gewohnt, daß die Türken ihnen das, was ihnen gefällt, mit Gewalt abnehmen oder es ihnen wenigstens nur mit einem Spottgelde vergüten, daß sie außer den öffentlichen Märkten alles sorgfältig versteckt halten und, wer Einkäufe dieser Art zu machen beabsichtigt, daher immer lange an ein und demselben Orte verweilen muß, ehe er das hinlängliche Vertrauen erweckt. Das bewunderungswürdigste Industrieprodukt dieser Gegenden bleiben immer die aus Palmblättern und aus in den brennendsten Farben buntgefärbten Lederriemen geflochtnen Matten, die in geschmackvollen und originellen Dessins, Glanz und ausgezeichneter Arbeit alles übertreffen, was in dieser Art Europa liefert und die dennoch sehr wohlfeil sind. Auch fertigt man sehr artige Schalen, Vasen und Tassen aller Formen aus verschiednen Kürbisarten, welche oft gleich den etruskischen Vasen mit Zeichnungen von Tieren geschmückt werden, deren manche von großer Treue sind. Diese Gefäße haben das Gewicht einer Feder und dennoch große Dauer, können leicht rein gehalten werden und nehmen nicht, wie das Holz, den Geruch der Dinge an, die man hineinfüllt. Es gibt namentlich kein ländlich-eleganteres Gefäß für frische Milch als dieses.
Am zweiten Juni kam Giovanni von seiner Expedition lebendig zurück, zwar stark an der Stirne blessiert, aber nur von seiner eignen Pistole, mit der er einen Signalschuß hatte tun wollen, und die wahrscheinlich überladen, ihm in der Hand zerplatzt war. Er hatte alles gesehen, was ich ihm zu suchen aufgetragen, das Resultat war aber den Forschungen der Philosophen etwas ähnlich, nämlich das Ausgemittelte mehr negativer als positiver Natur. Doch war seine Relation keineswegs ohne Interesse.
In Gely (das er auf dem Rückwege sah, weil Herrn Cailliaud berichtet worden war, daß sich bedeutende Ruinen dort befinden sollten sowie auch Spuren alter Brunnen auf dem Wege dahin) war nicht das mindeste vorhanden, was auf höheres Altertum hinwies, wohl aber ein Haufen pyramidenartig geformter, natürlicher Felsen, zu denen auch Giovanni sogleich von einem Araber als zu vermeintlichen alten Pyramiden hingeführt wurde. Auf Dschebel-Mandera hingegen fand er wirklich antike, noch halb bedeckte Zisternen von bedeutender Ausdehnung teils auf dem Gipfel des Berges, teils am Fuße desselben und dort auch die Steinfundamente mehrerer Mauern aus großen Werkstücken nebst einigen Säulenbasen und andern Bauresten, welche das einstige Dasein einer alten Stadt unzweifelhaft machen. Sie scheint jedoch nie sehr bedeutend gewesen zu sein und ist jetzt vollständig zerstört. Mehrere in diesem Augenblick leerstehende Hütten der Eingebornen in des Berges Nähe waren zum Teil aus Blöcken der Ruinen von Mandera aufgebaut, und in einer derselben fand mein Dragoman den untern Teil einer kolossalen Statue aus rotem Granit mit eingemauert, an einem andern Orte einen schön gearbeiteten Löwenkopf noch mit einem Teil der Vorderfüße aus schwarz und weiß gesprenkeltem Granit. Die Entfernung Manderas von Abu Haraß schätzt er, freilich die Umwege mitgerechnet, die er zu machen gezwungen war, gegen 50 Karawanenstunden. Der Weg führte zuerst ohngefähr 16 Stunden lang in fast nördlicher Richtung bis zum Berge Abaïtor, von wo er sich in einem Haken ganz östlich wandte und in dieser Richtung, ungefähr doppelt so weit als von Abu Haraß nach Abaïtor, bis Mandera verblieb. Bis Abaïtor ritt man fortwährend in dichtem Walde, wie gewöhnlich meist aus Mimosen und Akazien vieler Arten bestehend, dann in offner Plaine bis 5 Stunden vor Mandera, wo das Land wieder mehr bebuscht zu werden anfängt. Den Boden schildert Giovanni durchgehende als vortrefflich, auch wird ein Teil desselben nach der Regenzeit kultiviert. Er begegnete in der Plaine vielen Straußen und Antilopen, von welchen letzteren einige die Größe einer Kuh erreichten. Da ihm von Mandera aus in der Ferne ein sehr hoher, mit zwei schroffen Spitzen sich erhebender Berg, Gur genannt, auffiel, der eine kleine Tagesreise Ost-Süd-Ost von Mandera entfernt ist, so setzte er, auch hier meistens durch Waldgegenden ziehend, seine Reise bis zu diesem Berge fort, traf aber auf keine Altertümer daselbst. Alle drei isolierten Berge, Dschebel-Abaïtor, Dschebel-Gur wie Dschebel-Mandera, bestehen nach Giovannis Aussage teils aus Granit, teils aus rötlichem Kalkstein primitiver Formation, sowie auch Marmor vorkommt, und auf dem Abhang des Gut behauptete er ein spitzes Felsstück in Form eines Obelisken gesehen zu haben, dessen untere Hälfte aus rötlichem Granit und die obere aus weißem Marmor bestehe. Die Geologen mögen entscheiden, ob dies möglich ist. Durch einen Araber erfuhr er, daß sich in einem andern einzeln stehenden Berge mit Namen Liberi fünf kleine Stunden nord-östlich von Mandera eine merkwürdige Höhle befände. Er nahm daher, ohne nach Mandera zurückzukehren, sogleich von Gur seinen Weg dahin, der größtenteils auf Platten zutage kommenden Granits hinführte, eine Gegend, die der bei den Katarakten von Assuan sehr ähnlich sein soll. Die erwähnte Höhle belohnte die Mühe, denn sie erwies sich als ein Speos von 21 Fuß Tiefe und 12 Fuß Breite, in dem sich noch zwei sitzende Statuen im Hintergrund nebst einem vor ihnen stehenden Altar im kleinen abgetrennten Heiligtume erhalten hatten. Auch Spuren von Hieroglyphen und Skulpturen waren an mehreren Orten sichtbar, doch nur höchst undeutlich und überall beschädigt, weil der Felsentempel von den elenden Bewohnern dieser Gegend bald als Viehstall, bald als Zufluchtsort bei den häufigen Plünderungen der räuberischen Beduinen benutzt wird und mehreremal ausgebrannt worden ist. Auf dem Kalkfelsen von Liberi dicht über dem Tempel befand sich ein seltsamer, vierkantig zugehauener kolossaler Stein, in den auf der vordern Seite in regelmäßigen Reihen tiefe, runde, etwas trichterförmige Löcher eingemeißelt waren. Es ist schwer zu erraten, zu welchem Zweck er gedient haben kann. Auf alle seine vielfachen Erkundigungen nach weitern Altertümern in der Nähe erhielt mein Dragoman stets zur Antwort, daß, was er gesehen, alles sei und man von Mehrerem keine Kunde habe. Die Gefahr, von den Arabern überfallen zu werden, scheint man in Abu Haraß, wie es der Orientalen Art ist, sehr übertrieben zu haben, doch sind allerdings die dortigen Stämme fortwährend nicht nur im Streit mit dem Gouvernement, sondern auch unter sich, und Räubereien daher an der Tagesordnung, denen aber einzelne Reisende, die gut beritten und bewaffnet sind, wohl leicht entgehen mögen. Während Giovannis Aufenthalt in Mandera kam ein reitender Eilbote dahin auf seinem Dromedare, um zu melden, daß die Hedendowi-Araber soeben zwei Dörfer, sechs Stunden davon entfernt, verheert und gänzlich ausgeplündert hätten. Dagegen fanden unsere Abenteurer selbst am Berge Liberi ein ganzes Zeltlager einer andern Tribü, mit allen Utensilien, wie sie lagen und standen, plötzlich verlassen, weil die Besitzer, wie sie nachher erfuhren, aus Furcht vor ihnen, die sie nur für den Vortrab eines größern Haufens von Gouvernementstruppen hielten, geflohen waren. Der Wassermangel war durchgängig die schlimmste Beschwerde und um so unbegreiflicher, da doch ohne Zweifel der viele Wald seine Lebenserhaltung in der trocknen Jahreszeit nur unterirdischer Feuchtigkeit verdanken kann. Außer einem einzigen salzigen Brunnen fanden sie kein anderes Wasser als in der Zisterne zu Mandera, welches durch die hineingefallnen oder hineingeworfnen Unreinlichkeiten ganz untrinkbar geworden war. Die ganze Reise schilderte mein Abgesandter als die angreifendste, die er je gemacht, und nur in Mandera und Gely genoß er einige Erholung, da ihn unterwegs seine arabischen Begleiter nie absteigen lassen wollten noch selbst abstiegen. Selbst wenn die Dromedare fraßen, blieb man aus Furcht vor einem jählingen Überfall darauf sitzen. Daß übrigens alle Gegenden, die Giovanni sah, sowie wahrscheinlich der größte Teil der Halbinsel Meroë (in Bestätigung dessen, was ich bereits bei Gelegenheit meiner eignen Exkursionen bemerkte) in alter Zeit kultiviert, folglich auch bewässert, von Handelsstraßen durchzogen, voll blühender Orte und zahlreich bewohnt waren, leidet fast keinen Zweifel. Was jetzt Wüste ist, bedürfte nur Menschen, Industrie und Kapital, um von neuem eine reiche Provinz zu werden.
Was nun die Lage von Mandera betrifft, so glaube ich nach allen durch meinen Dragoman so wie durch die Eingebornen erhaltnen Notizen, daß es um einen halben Grad südlicher und auch östlicher plaziert werden muß, als es auf den Karten von Cailliaud und Rüppel (nach welchen alle übrigen meist kopiert sind)Man vergesse nicht, zu welcher Zeit dies geschrieben wurde, da seitdem, namentlich durch Zimmermanns Karte von Mittelafrika, gewiß ein großer Fortschritt erlangt worden ist. Dehmohngeachtet erben sich auch hier noch bedeutende Irrtümer im Detail fort, wovon der Augenzeuge sich leicht überzeugen kann. Es freut mich, auf dieser ganz neuen Karte zum erstenmal Mandera (ich weiß nicht, nach welcher Autorität) fast ebenso plaziert zu finden, als ich es angebe, doch die Lage von Gely – fälschlich Kely geschrieben – bleibt nach wie vor, nach Cailliaud und andern kopiert, an der unrichtigen Stelle verzeichnet. So wird auch Ahn Haraß selbst auf Zimmermanns Karte noch mit Ahn Ahrak travestiert, und das ansehnliche Ouad-Medina, Hauptort der Provinz, ist ganz weggelassen. angegeben ist, seine wahre Lage also nach der von Giovanni entworfnen und hier beigefügten Skizze 15 Grad nördlicher Breite und 32 Grad 50 Minuten östlicher Länge nach dem Meridian von Paris sein möchte. Gely, das auf Cailliauds Karte einen Grad südlich von Mandera verzeichnet ist, liegt im Gegenteil einen halben Grad nordwestlich davon. Man mußte wegen Mangel an gangbaren Wegen durch die Berge, um von Dschebel-Liberi nach Gely zu gelangen, bis Abaïtor zurückkehren und hatte dann nördlich noch zwei KarawanenTagesreisen bis nach Gely, das Cailliaud zwar nach seinen eingezognen Nachrichten Kely nennt, welches aber jedenfalls ein und derselbe Ort sein muß, da niemand von einem südlicher gelegnen dieses Namens etwas wissen wollte, Gely aber hier sehr bekannt ist.
Die hie und da zerstreuten friedlichen Einwohner, die man antraf, waren höchst elend und fast Wilden gleich. Mit Erstaunen betrachteten sie nicht nur die europäischen Gegenstände, welche mein Dragoman mit sich führte, sondern selbst das in Abu Haraß aus weißem Mehl in Form kleiner Brote gebackne Biskuit, da sie nie etwas anderes als ihre unverdaulichen großen Fladen aus Durra gesehen hatten. Als er diesen Zwieback in dem stinkenden Wasser der Zisterne von Mandera eintunkte, um ihn zu erweichen, sagte er ihnen zum Scherz, sie möchten sich vor der Explosion in acht nehmen, die jetzt erfolgen würde, und alle fuhren mit Schreck zurück, um sich mehr als zwanzig Schritte weit vor dem gefährlichen Gegenstande in Sicherheit zu bringen.
Diese armen Leute schienen dabei sehr gutmütiger Natur, froh, wenn sie das ägyptische Gouvernement am Nil ihr kümmerliches Leben in Ruhe verbringen läßt. Nur die nomadischen Stämme unter ihnen, die wenig oder gar keinen Ackerbau treiben, werden zuweilen dem Reisenden gefährlich, wenn er sich nicht vorsieht. Im ganzen werden, wie gesagt, alle diese Gefahren sehr übertrieben.
Die Regenzeit war nun auf das vollständigste eingetreten und in dem fetten Boden des Delta zwischen dem blauen und dem weißen Nil so schwer mehr fortzukommen, überdem der Zustand meiner Gesundheit noch so wenig erst auf dem Wege der Besserung vorgerückt, daß ich ein früher gefaßtes Projekt: von hier zu Lande nach Mangara am Bahr-el-Abiad (von den Eingebornen Mandschera ausgesprochen und nicht mit Mandera zu verwechseln) zu gehen und von dort auf dem weißen Nil nach Khartum zurückzukehren, ebenfalls aufgeben mußte. Ich ward umso mehr hierzu bewogen, da es sehr ungewiß war, ob ich in Mandschera eine bedeckte Barke zu finden hoffen durfte, von der Unbequemlichkeit der offnen in dieser Jahreszeit aber vom Dender bis Ouad-Medina schon eine hinlängliche Probe gehabt hatte. Einige Beruhigung gewährte mir indes die Betrachtung, daß alle diese Gegenden von Khartum bis zum Fazol hinab nach allen eingezognen Nachrichten wie nach dem, was ich selbst bei meiner Exkursion nach dem Dender davon sah, sich ungemein ähnlich sind, die Einwohner in Sitten und Tracht fast in nichts voneinander abweichen, auch Tiere und Pflanzen überall dieselben bleiben. Altertümer gibt es aber unter Ouad-Medina in der Richtung der beiden Nilflüsse keine mehr, wenigstens soviel bekannt ist. Um solche zu finden, müßte man sich östlich nach dem Roten Meere zu wenden, was in jeder Hinsicht außer dem Bereich der Möglichkeit für mich lag. Übrigens ruht in diesem fruchtbaren und schon jetzt nicht unbevölkerten Delta zwischen dem weißen und blauen Nil noch die reichste aller Goldgruben für Mehemed Ali, wenn er beide Flüsse nur einigermaßen durch Kanäle zu verbinden unternehmen würde. Ich habe ihm lange schriftliche Bericht darüber gemacht, die er zu berücksichtigen versprach, und, wie es scheint, hat er in neuster Zeit auch seine Aufmerksamkeit diesen Ländern mehr als früher gewidmet.
Meine Sammlung nationaler Kuriositäten hatte sich während meines langen Aufenthalts in Abu Haraß so vermehrt, daß bei der Abreise der halbe Schiffsraum damit angefüllt wurde, und außerdem erhielt die Menagerie einen Zuwachs von einem dongolesischen Hengst, den ich bei Gelegenheit einer Djerid-Übung der Kavallerie in Ouad-Medina kaufte; einem Ibispaar, einer seltnen Schildkröte und zwei kleinen Krokodilen, nicht mehr als einen Schuh lang, aber schon ganz das Miniatur-Ebenbild derjenigen, welche dreißigmal größer werden. Auch zeigten sie sich schon in hohem Grade bös, wenn man sie in dem blechernen Waschbecken, das ihnen zur Wohnung angewiesen wurde, im geringsten zu beunruhigen wagte.
An dem Abend vor meiner Einschiffung war ich noch Zeuge einer charakteristischen Szene. Die Kascheffs im obern Sudan haben gewöhnlich eine Art Leibwache, eigentlich als Soldaten organisierte Sklaven und Diener, die sie ohne Beitrag des Gouvernements auf eigne, das heißt auf Allerweltskosten erhalten müssen. Seit einigen Tagen war nun ein Kascheff von der abessinischen Grenze hier zum Besuch, und zwar derselbe, welcher durch eigenmächtigen Sklavenraub auf abessinischem Gebiet, wobei auch ein Priester, und zwar ein Verwandter des mächtigen Major domus Kamfa, mit fortgeführt worden war, die Ursache zu der (andernorts schon erwähnten) Niederlage der Ägypter gegeben hatte. Er mußte jetzt zur Verantwortung schweren Herzens und wahrscheinlich auch schweren Beutels (das sicherste Entschuldigungsmittel im türkischen Reich) sich nach Khartum zum Gouverneur begeben und hielt hier vorher mit seinen Kollegen Rat. Nun fanden seine Leute hier zufällig einen ihm früher entlaufnen Deserteur seiner Leibwache. Man brachte diesen in den Hof des Hauses, wo alle drei Kascheffs (der von Ouad-Medina war auch mit herübergekommen) mit ihrem umherstehenden Gefolge auf Engarebs gravitätisch den Dampf ihrer Pfeifen in die kühle Abendluft bliesen. Selim Kascheff ließ den Gefangnen sogleich mit harten Worten an, was ich, eben aus den Fenstern meiner Stube hinausgehend, mit anhörte. Plötzlich ergriff der schuldige Türke die Pistole eines neben ihm stehenden Kawaß, riß sie ihm aus dem Gürtel und drückte sie mit Blitzesschnelle auf seine eigne Brust ab. Ich sah das Feuer, hörte aber keinen Knall. Das Pistol schien versagt zu haben, wenigstens blieb der Mann unversehrt. Dennoch rührte die Tat seinen Herrn so sehr, daß er ihn wieder zu Gnaden annahm. Abends erfuhr ich aber von meinem eignen Kawaß, daß das Ganze nur eine von den Kameraden des Gefangnen abgeredete Szene und das Pistol gar nicht geladen gewesen war. In der Wertherschen Periode mag mancher Liebhaber seine Schöne auf ähnliche Weise gewonnen haben.