Hermann Fürst von Pückler-Muskau
Aus Mehemed Alis Reich
Hermann Fürst von Pückler-Muskau

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Den zweiten Tag widmeten wir ausschließlich den Königsgräbern im Gebirgstale Bab-el-Melech, jenen staunenswürdigen Palästen der Unterwelt, die von allen Werken dieses außerordentlichen Volkes wenn nicht das größte, doch gewiß das eigentümlichste sind.

Schon der Weg dahin hat etwas tief Ergreifendes. In das Innere des Gebirges eindringend, führt er über eine halbe Stunde lang in den Windungen einer hohen Felsenschlucht hin, die sich abwechselnd verengt und erweitert, aber nie die Breite einiger hundert Schritte übersteigt. Alle Vegetation ist hier gänzlich verschwunden, es ist schon die Wüste, aber nur eine aus sich übereinandertürmenden Felsen bestehende, und Millionen böte man vergebens für ein Gräschen in der Größe einer Stecknadel. Dagegen scheinen die unheimlich gestalteten Steinmassen das Pflanzenleben teilweise nachäffen zu wollen, denn bald gleicht eine derselben hier einem aufgeschossenen Pilze, dort einem vom Sturm abgebrochnen Stamme, bald äfft ein durchlöcherter Block versteinertes Blätterwerk nach, oder die krause Oberfläche schwarzer Abhänge erscheint in ihrer dunkleren Farbe gleich dem verworrenen Gestrüpp der Heidekräuter. Alle diese Felsen aber, diese Steine und Sandabhänge zeigen sich fortwährend wie mit einem rötlichen Schein überzogen, als seien sie angestrahlt von den Flammen irgendeines verborgnen Feuers, was die sengende Hitze, welche hier herrscht, noch mehr zu bekräftigen scheint. Über sie wölbt sich ein dunkelblauer, eherner Himmel ohne die Spur eines vorüberziehenden Wölkchens – denn mit dem Leben hat auch jede Bewegung hier aufgehört, selbst am Himmel, nur Farben deuten noch auf Belebtes hin wie in den bunten Wundergräbern selbst, deren unterirdische Pracht sich uns nun bald eröffnen wird. Ein spitzer Berg erhebt sich plötzlich höher als alle übrigen, ihn stützende, wallartige Felsengewände treten in langen, senkrecht abstürzenden Mauern daraus hervor, und unter ihnen werden hie und da einige schmale, zum Teil halb verschüttete Eingangspforten, wie zu Felsenkellern hinabführend, sichtbar. Wer ahnte, was hier verborgen liegt und daß diese unscheinbaren, ungeschmückten Öffnungen, die man kaum bemerkt und die früher absichtlich dem Auge durch davor aufgetürmten Schutt ganz verborgen worden waren, zu Palästen der Nacht im Schoße der Erde führen, die, obgleich sie nie bestimmt waren, von menschlichen Augen gesehen zu werden, dennoch eine Welt von unsäglicher Arbeit, zauberischer Pracht und höchster Kunst entfalten sollten. Gewiß ist dies das einzige Beispiel, daß Menschenwerke mit kolossalem Kraftaufwand geschaffen wurden, nur um sich allein zu genügen gleich der ewigen Natur selbst, unbekümmert, ob je ein lebendes Wesen ihnen die schuldige Verwunderung zolle. Dem Tode allein, der Nacht und ewigen Verborgenheit blieben sie geweiht.

Doch die folgenden Maulwurfsgeschlechter, voll Unruhe und Habgier, ließen ihnen die gewünschte Ruhe nicht. Alles ward durchwühlt, geschändet, beraubt von einer Nation nach der andern, dann wieder Jahrhunderte vergessen und wieder geöffnet und so fort bis auf unsere Zeiten. Dennoch ist es problematisch, ob alles, was diese weiten Felsenschluchten bergen, aufgefunden worden ist. Strabo zum Beispiel gibt vierzig Königsgräber in diesem Bezirke an, und jetzt sind nur noch siebzehn bekannt, die alle mehr oder weniger gelitten haben. Nur das von Belzoni entdeckte, obgleich schon früher einmal unvollständig geöffnet, war in der Hauptsache ganz intakt geblieben und ist auch jetzt noch von allen eben dieser besonders unschätzbaren Erhaltung wegen das merkwürdigste. Leider haben indes die wenigen, seit Belzonis glücklichem Fund verflossenen Jahre schon so greuliche, wenngleich nur partielle Verwüstungen durch Kunstfreunde mit sich geführt, daß, wenn es so fortgeht, auch dieses Grab bald vor den andern nichts mehr voraus haben wird. Ich tadle dabei nicht einmal so sehr das Genommene – denn die Versuchung ist stark, und kein Eigentümer war mehr vorhanden –, sondern nur die unverantwortliche Barbarei, mit der man zum Beispiel ganze Pfeiler und Gemälde zerschlug, um einen einzigen gemalten Kopf davon abzulösen; eine ganze Wand mit der kunstreichsten Hieroglyphenschrift unleserlich machte und ihren herrlichen Effekt verdarb, um sich ein paar auffallende Figuren davon herauszureißen; mit den schönsten Bildern und Zierden bedeckte Vorsprünge in den Gemächern zertrümmerte, um zu sehen, ob nicht etwas dahinter verborgen sei; ja mutwillig die größten Kunstwerke der Bildnerei abschabte und abblätterte, um die Natur des aufgetragnen Stucks und der Farben zu untersuchen; oder gar die bewunderungswürdigsten Gruppen, die reizendsten Gestalten wählte, um quer durch sie hindurch einen vermaledeiten Namen einzumeißeln, der mit schamloser Brutalität sich hier selbst an den Pranger stellt.

Es gehört wahrlich stoische Philosophie dazu, wenn man dergleichen in jedem Raum wiederholt antrifft, sich dadurch den Genuß an den zauberischen Wunderwerken, die man vor sich sieht, nicht zur Hälfte verleiden zu lassen.

Zu einigen dieser Totenpaläste muß man tiefe und steile Treppen mühsam hinabsteigen, zu andern sich über Schutt und Steine fast hinabkollern lassen, einige senken sich aber nur allmählich und bieten sogleich (manche selbst noch im Schein des Tageslichts, das durch den jetzt weit geöffneten Eingang in Fülle eindringt) eine Reihe von Sälen und prachtvoll eingefaßten hohen Türen dar, die, sich fast unabsehbar in grader Linie ausdehnend, bei ihrem ersten Anblick ganz den Festlokalen, den sogenannten großen Appartements in den Hotels und Schlössern unsrer Fürsten gleichen. Viele andere Gemächer und Galerien befinden sich außerdem noch an beiden Seiten, aber erst am Ende des Ganzen, gewöhnlich in dem größten und am reichsten geschmückten der Säle steht des Königs riesiger Granitsarkophag als Schale des inneren, reicheren, in dem der Körper lag. Mehrere von diesen wurden weggeschleppt; die gebliebnen sind alle zerbrochen und ihres Inhalts beraubt worden. Es ist gewiß, daß die meisten dieser glänzenden Wohnungen der Toten, wenn man sie in Europa ans Tageslicht bringen könnte, jedem neuernannten konstitutionellen Minister oder eben in der Hauptstadt angelangten Ambassadeur höchst erwünscht als Hotels erscheinen würden. Denn hier ist nichts von jenen niedrigen und engen Fuchsgängen der Pyramiden, die man nur gebückt oder auf dem Bauche kriechend passieren muß, noch jenen elenden schwarzen Steinlöchern derselben, zu ehrerbietig von uns Zimmer genannt. Alles atmet hier Größe, Bequemlichkeit und Schmuck. Während aber in unsern Prunksälen meistens nur nichtssagende seidne oder gar papierne Tapeten die Wände decken und hie und da in goldigem Rahmen einige mittelmäßige Gemälde und Kupferstiche daran aufgehangen sind, bilden hier Wände, Decken, Säulen und Pfeiler eine fortlaufende Kette unzähliger Bilder und Skulpturen höchsten Kunstwertes von der mannigfachsten Art, von den verschiedensten Größen, Farben und Kompositionen, und alle diese Bilder, die das Auge und die Phantasie so lebhaft ergötzen – sind zugleich eine Sprache, ein wörtlicher oder bildlicher Ausdruck der vielseitigsten, ja vielleicht der erhabensten Ideen, die ebenso innig unser Gemüt wie unsern Verstand ansprechen würden, wenn wir sie alle zu entziffern verständen.

Doch fehlt es auch nicht ganz an bloßen Formzierden, wie wir sie gewohnt sind, und bewunderungswürdig ist auch bei diesen Mustern die Originalität, der feine, geläuterte Geschmack und vor allem die kunstreiche Zusammenstellung der Farben, worin die Ägypter allen andern Nationen überlegen gewesen zu sein scheinen. Die dadurch hervorgebrachten Effekte eröffnen dem Farbensinn ein ganz neues Feld, und ich sehe die Zeit schon im Geiste, wo nicht nur Künstler und Dekorationsmaler, sondern auch die «commis voyageurs» unsrer Fabrikherren, in deren Fach dergleichen schlägt, nach Theben kommen werden, um Studien dieser Art hier in den Königsgräbern für Kaliko, Gingan usw. obzuliegen. Dem Direktor einer Indiennefabrik in Kahira gab ich bereits einen solchen Wink, um seine bisher von Elberfelde bezognen Dessins etwas nationaler zu machen – und er ergriff ihn mit so viel Feuer, daß wir vielleicht bald unsern leider immer schlechter werdenden Geschmack auch auf Kattun und Zitz vom modernen und antiken Ägypten zugleich durch gutes Beispiel verbessert sehen werden.

Herr Wilkinson hat die Königsgräber numerieren lassen, was für die Reisenden bequem ist, und ich werde mich bei den kurzen Notizen, die ich über einige derselben zu geben beabsichtige, dergleichen Bezeichnung bedienen.

No. 11, die Ruhestätte Ramses III., Erbauers des gestern beschriebnen großen Tempels zu Medinet-Abú, scheint mir eins der prachtvollsten und in seinen Skulpturen und Malereien kunstvollsten dieser Gräber zu sein, hat aber leider durch einst hier eindringende Wasserströme, deren nun verstopftes Bett man noch deutlich vom Eingange aus verfolgen kann, und die daraus entstandene, fortdauernde Feuchtigkeit unsäglich gelitten. Da es jetzt fast nie hier regnet, kann man sich kaum erklären, wo diese Wässer hergekommen sind. Die Länge der Zimmer-, Galerien- und Säulenreihen in diesem Grabe beträgt 405 Fuß bei einem nur schwachen Fall von 31 Fuß auf diese ganze Distanz. Glücklicherweise sind eine Menge kleiner Seitenzimmer, bei denen das Wasser vorüberfloß, weit besser erhalten, und grade die Schildereien in diesen geben uns den interessantesten Aufschluß über Sitten und Gebräuche der alten Ägypter, über ihre Waffen, Möbel, Utensilien, Instrumente und andere Dinge der verschiedensten Art. In einem dieser Gemächer sehen wir zum Beispiel die Abbildung aller Formen der damals üblichen Nilfahrzeuge, einige mit großen quadrierten Segeln in den jetzigen französischen Nationalfarben und mit den reichsten Zieraten versehen. In einem andern bewundert man die Eleganz ägyptischer Möblierung. Viele der Fauteuils, Bettstellen und Ruhebetten, die letzteren unsern «Chaises longue» ganz ähnlich, möchte man aus einem Londner oder Pariser Modejournal kopiert glauben. Sie stellen sich fast sämtlich als von Holz, selten von Metall und häufig mit vergoldeter Bronze verziert wie mit reichen Zeugen beschlagen dar. Ebenso geschmackvoll erscheinen mehrere Echantillons von Porzellanvasen, Krügen und Wasserbecken, Körben, Teppichen, Decken von Leopardenfellen usw. In dem Zimmer der Waffen bemerkt man viele blaue Klingen, was einen Zweifel an der Behauptung erregen möchte, daß die Ägypter Stahl und Eisen nicht gekannt und ihre Waffen von Bronze gemacht haben sollen. Auch Küche und Keller mit den Funktionen des Kuchen- und Brotbackens werden uns im größten Detail vorgeführt. Man sieht schlachten, kochen und braten, Wein abziehen usw. Mannigfache Produkte des Landes füllen ein anderes Zimmer, wie Musikinstrumente ein anstoßendes, wo zwei blinde Sänger sich auf Harfen akkompagnieren, die von den noch jetzt bei uns üblichen nur wenig verschieden sind; Ackerbau und Gartenkunst werden in einem folgenden Gemache detailliert. In jedem dieser Zimmer war ein in den Boden eingelassenes Grab, und Herr Wilkinson stellt die artige Hypothese auf, daß hier immer derjenige respektive Diener vom Haushalte des Königs begraben lag, dessen Beschäftigungen im Leben den erwähnten Darstellungen analog gewesen waren. Selbst der äußere Granitsarkophag des Königs fehlt in seiner ganz durch die Feuchtigkeit zerstörten Grabhalle. Er ward von Herrn Salt entführt. Übrigens bleibt es noch sehr problematisch, ob die Könige wirklich jemals in diesen ostensiblen Särgen gelegen haben. Vielleicht dienten diese nur dazu, um desto sicherer über ein so heiliges Depot irrezuführen, und es könnte daher wohl sein, daß alle diese weitläufigen Grabmonumente noch sorgsam verborgne, geheime Räume enthielten, die so künstlich und auf so solide Weise dem Auge entrückt sind, daß nur der Zufall vielleicht einmal zu einer Entdeckung eines derselben führen mag. Das früher bereits erwähnte, von Belzoni aufgefundene Grab No. 17 gibt darüber schon einige bedeutende Winke.

Dies wegen seiner fast unglaublichen Frische ohne Zweifel belohnendste von allen ist nicht so bequem zu erreichen als das vorhergehende. Man muß, was bei der hier herrschenden dumpfen Hitze immer beschwerlich wird, eine fast perpendikuläre, noch immer ganz mit Schutt angefüllte Treppe von 24 Stufen hinabklettern, die Belzoni vermauert und durch davor aufgekastetes Steingerölle versteckt fand. Hierauf kommt man in einen Gang, der 19 Fuß lang und 9 Fuß breit ist; dann geht abermals eine Treppe von ungefähr gleicher Tiefe als die vorige hinab, hinter der man durch einen 30 Fuß langen Korridor und zwei sich folgende Tore in eine Halle von 14 zu 12 Fuß gelangt. Hier zeigte sich Belzoni, als er soweit gekommen, nur ein tiefer Brunnen, der das Ende des Ganzen zu sein schien. Alle Wände desselben waren mit zusammenhängenden, auf das sorgfältigste ausgeführten Bildern bedeckt, was gewiß an dieser Stelle keinen ferneren Eingang vermuten lassen konnte. Doch Belzoni, der von der Natur eigens zu einer Bestimmung dieser Art geschaffen zu sein schien und materiell wie Champollion geistig von allen Reisenden bei weitem die größten Resultate in Ägypten erreicht hat, ließ sich so leicht nicht abschrecken. Eine Spalte in der Mauer und ein hohler Klang gaben ihm die Richtung, in der er sich mit Anwendung eines alten Palmstammes als Mauerbrecher durch die Götterbilder (hier mit Recht zerstörend) einen Weg bahnte, und man kann sich die freudige Überraschung des Beharrlichen denken, als ihm durch die gewaltsam gemachte Bresche sogleich die unberührte Farbenpracht eines Zimmers von 26 Fuß Durchmesser beim Schein der Fackeln entgegenglänzte. Vier massive Pfeiler tragen dies köstlich verzierte Gemach, dem ein andres von gleicher Größe unmittelbar folgt. Wenn das erste durch seine vollendete Pracht entzückt, so gewährt das andere noch ein höheres Interesse für uns, eben weil es unvollendet geblieben ist und uns dadurch in die von den ägyptischen Künstlern angewandte Technik einweiht, zugleich aber den höchsten Begriff von ihrer Gewandtheit, Korrektheit und Sicherheit im Zeichnen gibt. Es scheint fast, daß in dieser ägyptischen Kastenwelt wenigstens häufig so verfahren wurde, daß auf der geglätteten Wand der Bildhauer zuerst mit Rötel in flüchtigen Skizzen die Sujets angab, worauf der Zeichner in scharfen schwarzen Umrissen, deren kühne Festigkeit wahrhaft in Erstaunen setzt, alle Figuren tracierte, welche wahrscheinlich hierauf erst vom Bildhauer in Basreliefs umgewandelt und zuletzt vom Maler koloriert wurden.

Man steigt jetzt abermals eine Treppe hinab mit erhöhten Korridors zu beiden Seiten und erreicht nach der Besichtigung mehrerer Zimmer von verschiednen Größen – alle so voll der vortrefflichsten Skulpturen und Malereien, daß man in wochenlangem Studium sie nicht erschöpfen würde, und die, wo Menschen sie nicht beschädigten, von der Zeit ganz unberührt geblieben sind – die große Halle von 30 Fuß ins Gevierte, welche sechs Pfeiler tragen. Aus dieser tritt man in einen gewölbten Saal, 30 Fuß lang und 19 Fuß tief, in dessen Mitte in einem Gehäuse von Granit der berühmte Sarkophag aus orientalischem Alabaster stand, dessen Inneres aber leer war. Unmittelbar an diesen schließt sich, von Mauerwerk früher künstlich verdeckt, eine Treppe, die in einen absteigenden Gang führt, welcher dermalen noch 150 Fuß tief in das Herz des Felsens niedersteigt, wo er eingestürzt ist. Wohl möglich, daß dieser mit Theben kommunizierte und seine Wiederherstellung zu überraschenden Resultaten fuhren könnte. Doch nur Mehemed Ali wäre fähig, eine solche Untersuchung auszuführen, wozu er schwerlich zu bewegen sein möchte. Dergleichen bleibt einer spätern Kulturstufe Ägyptens vorbehalten, die dann, trotz der Räubereien und Zerstörungen so vieler Jahrhunderte, sich noch ein reiches Feld ganz neuer Entdeckungen in der Erde Eingeweiden öffnen wird.

Bis zu der Stelle, wo der eben erwähnte eingestürzte Gang sich vorfindet, ist dieses Grab 180 Fuß tief, und seine horizontale Länge beträgt 320. Es barg nach Champollion oder birgt noch an unbekannter Stelle den König Osirei, des großen Ramses Vater, wie die langen Hieroglyphenreihen im ersten Korridor und die Ringe des Königs am Eingang aussagen.Der Alabastersarg, den Champollion aus diesem Grabe entführte, war leer.

Eins der auffallendsten Bilder in der ersten Halle sind die porträtierten Darstellungen verschiedner Nationen, unter denen trotz Wilkinsons Widerspruch die Juden durchaus nicht zu verkennen sind, obgleich es wohl möglich ist, daß sie zugleich als Repräsentanten einer größern Abteilung der Erdbewohner hier gelten sollen, denn auch die Araber sind nur Juden zu Pferde. Die Kunst zu charakterisieren besaßen überhaupt die Ägypter in hohem Grade, und ein humoristischer Hang zur Karikatur wird nicht weniger in ihren Kompositionen sichtbar. So fand ich eine Hinrichtung, wo der Scharfrichter, über sein Opfer gebeugt, ganz die Stellung und den sentimentalen Ausdruck eines Vaters hatte, der seine Kinder segnet, während er sie in die andere Welt zu befördern im Begriff ist. Ein anderer seiner Kollegen hieb dagegen so furchtbar mit seinem breiten Schwerte zu, daß drei schon vorher expedierte Verbrecher noch ruhig auf den Knien lagen, ohne daß irgendwo eine Spur ihrer Köpfe am Boden sichtbar ward, als seien diese zu weit weggeflogen, um sie auf demselben Bilde noch mit darstellen zu können. Die Mysterien der Zeugung sind ebenfalls seltsam behandelt, worunter ein Franzose grobe, zynische Anmerkungen geschrieben hatte. Einige Bilder scheinen fast auf Menschenopfer hinzudeuten, und andere beziehen sich auf uns jetzt ganz unverständliche Mysterien. Viele der größeren Gruppen, meist opfernde Könige und thronende Götter darstellend, sind von so hoher Vortrefflichkeit, daß sie den berühmtesten Künstlern aus den besten Zeiten der Kunst Ehre machen würden, und besonders mußte ich über die Mannigfaltigkeit im Ausdruck der Physiognomien erstaunen, welche die Schöpfer dieser Werke bei einer immer fast gleichen Stellung des Kopfes im Profil dennoch dem Antlitz ihrer Figuren zu geben gewußt hatten, ein wahrhaft Raphaelischer Reichtum der Gestaltung. Abgerechnet dem unbestreitbaren hohen Kunstwert dieser Leistungen, ist die in allen Zimmern ganz voneinander abweichende Einteilung und Disposition derselben sowie die sinnige Farbenwahl, auch zugleich als bloßer Schmuck und Dekoration betrachtet, mit einer wunderbaren Sagazität berechnet, wobei selbst die Hieroglyphentexte zugleich als die elegantesten Zierden für die Zimmer dienen. Ich bin überzeugt, daß selbst eine Person, die von reinem Kunstgenuß gar keinen Begriff hätte, dennoch aus diesen Räumen bloß hinsichtlich der lieblichen Ausschmückung und der entzückenden Farbeneffekte den angenehmsten Eindruck mit sich hinwegnehmen würde. Jedes Gemach hat seinen ganz eigentümlichen Charakter. In der großen Halle zum Beispiel ist der Grund gleich mattem Golde, die Bilder weniger bunt; in den Seitenzimmern der Grund weiß mit der variiertesten, doppelt reichen Farbenpracht; in dem Saal des Sarkophages schwarz mit blaß gelbrötlichen Bildern, die nur an sehr wenigen Orten durch das brennendste Bunt in den weitgespreizten Flügeln des königlichen Adlers gehoben werden. Die Fülle der Figuren und fremdartigen Gegenstände aller Art in diesem letzteren Saal, ihre mysteriöse Seltsamkeit und ihr fahler Schein auf dem nächtlichen Grunde machen eine unbeschreibliche Wirkung, die noch schauerlicher gewesen sein muß, als der transparente, vielleicht erleuchtete Alabastersarg in des Saales Mitte stand. Man machte, wie mir mein alter Führer erzählte, diesen Versuch vor der Abführung des Sarkophags nach England, indem man mehrere Fackeln hineinstellte, den Rest des Saales dunkel ließ, aber alle übrigen Zimmer durch Lichter, die an Festons von Stricken befestigt wurden, reich erleuchtet hatte – eine «chambre ardente», wie sie selten wieder zu betrachten sein wird. Welche Pracht mögen aber erst die Zeremonien der Priester Ägyptens in einem solchen Lokale entfaltet haben, zu dem sie vielleicht auf unterirdischem Wege aus Theben hinaufstiegen, um des Königs Leiche die letzte Ehre zu erweisen und bis zur Auferstehung nach vielen Jahrtausenden vor jedem Blicke der Profanen zu bewahren.

Über die Verwüstungen, welche die «Liebhaber» hier verübt, sprach ich bereits; der Himmel oder die unterirdischen Götter mögen diese unschätzbaren Überreste alter Größe in Zukunft besser bewahren und die Stehlenden wenigstens mit mehr Gewissenhaftigkeit und Ökonomie dabei zu Werke gehen! Mit diesem frommen Wunsche schließe ich meine Beschreibung, die, wenn sie dem Leser zu lang vorgekommen ist, ihm wenigstens durch die kürzeste Erwähnung aller noch übrigen Königsgräber vergütet werden soll. Nachdem wir ein halbes Dutzend derselben besucht hatten, wählten wir eins, das in seinen Proportionen zu den großartigsten gehört, obgleich es weniger ausgedehnt ist, zu unsrem Speisesaale aus. Währenddem dies vor sich ging, bereitete mein Dragoman Giovanni eine sonderbare Überraschung; denn als wir nach beendeter Mahlzeit in das Innere vordrangen, das sich nur sehr wenig senkt, erblickten wir schon von weitem den enormen Granitsarg, den einzigen zu Bab-el-Melech, der fast ganz erhalten ist, und mitten darauf eine Inschrift mit ellenlangen Buchstaben in schwarzer Ölfarbe. Es war wirklich mit einigem Entsetzen, daß ich in dieser meinen eigenen Namen auf dem Sarge entzifferte, dem sogar oben in der Schnelligkeit eine Wappenkrone und unten mein mystisches Glaubenszeichen beigefügt worden waren. Wäre ich nur noch ein wenig abergläubischer als ich es schon bin, so hätte mir dies als ein funestes Omen gelten können, so überwand das Lachen der Ärger, doch verlangte ich die Auslöschung der «untoward inscription». Es war aber nur möglich, die Krone zu entfernen, der Name widerstand allen Bemühungen, und es bleibt mir daher nichts übrig, als den alten Herrscher Ramses V., dem das Grab gehört, hiermit feierlichst zu bitten, es mir nicht entgelten lassen zu wollen, wenn mein Name sich so ungebührlich, aber wahrlich ohne meine Schuld, auf seinem königlichen Sarkophage «eingeschwärzt» hat.

Wir beendigten nachmittags bei nicht geringer Hitze die Untersuchung des vollen Dutzends und nahmen darin unsern Rückweg in der Abendkühle, größtenteils zu Fuße quer über die romantischen Felsen hinweg, wo es an senkrechten Abgründen von mehreren hundert Fuß Tiefe und Aussichten bis in die weiteste Ferne nicht fehlte. Hiermit waren Thebens Wunder am linken Nilufer besichtigt. Erst im Dunkel der Nacht nahm uns Erschöpfte und vor Durst fast Verschmachtete die friedliche Barke wieder unter ihrem Zeltdache auf und wiegte uns sanft in der goldglänzenden Mondnacht nach dem rechten Ufer hinüber. Was ich nun noch über die Gräber der Könige zu sagen haben könnte, verspare ich auf den zweiten Besuch bei meiner Rückkunft, um weder auf einmal zu sehr zu ermüden, noch der historischen Behandlung meiner Reise untreu zu werden, welche ich deshalb vorziehe, weil ich eben nicht die Absicht habe, Kompendien zu schreiben, sondern nur die Geschichte des von mir Erlebten zu geben und vom Selbstgesehenen auch dem Leser den möglichst lebendigen Totaleindruck in derselben chronologischen Ordnung zurückzulassen.

 


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