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Vom Verfasser der Briefe eines Verstorbenen
Nun schau der Geist nicht vorwärts nicht zurück,
Die Gegenwart allein – sei unser Glück!
Goethe
Die Altertümer von Sedenga sind unbedeutend. Nur eine Säule des größeren Tempels steht noch vollständig in einem weiten Trümmerhaufen, und alle die herabgefallenen Ornamente des Gebäudes wie die erhaltne Säule selbst sind in schlechtem Stil und verraten ein neueres, wahrscheinlich römisches Bauwerk. Etwas weiter abwärts sieht man die Ruinen eines zweiten Tempels mit den Stummeln zweier Säulen, alles aus gewöhnlichem Kalkstein und von gleich geringer Qualität der Arbeit.
Ganz anders verhält es sich dagegen mit dem vier Stunden von hier jenseits der Hügelkette von Dschebel-Dosch, welche die Provinz Sokkot von der von Mahaß trennt, gelegenen, auch in seiner wildesten Zerstörung noch erstaunungswürdigen großen Tempel von Phtur, ein Werk der Pharaonen, dem gegenüber in einem lieblichen Haine am Flusse unser Lager aufgeschlagen worden war.
Wir schoben die Besichtigung dieser großartigen Ruine bis zum Abend auf und wollten uns eben zu Tische setzen, als einer der Einwohner des nahen Dörfchens, die uns ebenso bereitwillig als die von Dal mit allem zu versorgen suchten, was sie zu liefern imstande waren, eilig herbeigesprungen kam, um uns zu melden, daß sich nur einige hundert Schritte weit vom Ufer entfernt ein Nilpferd im Flusse zeige, das sich schon seit mehreren Wochen in dieser Gegend aufhalte. Im schnellsten Lauf eilten wir hinab und sahen sogleich den ungeheuren Kopf des Untiers wie einen schwarzen Felsen aus dem Wasser schauen, ohne daß es lange Zeit die mindeste Bewegung damit machte. Auf meinen Befehl war unterdes der gedeckte Tisch herbeigeschafft worden, wir etablierten uns hart am Fluß neben den Resten eines antiken Molo der alten Stadt Phtur und setzten uns hier unter einem hohen Baume zum behaglichsten Mahle nieder, hinter uns die Säulenreihen eines Ramseischen Tempelpalastes, vor uns im Fluß das unterhaltende Naturschauspiel eines der seltsamsten Geschöpfe göttlicher Laune. Als willkommene Zugabe zu dieser interessanten Szene bildeten hohe Berge in der Ferne, graziöse Krümmungen des Flusses nach beiden Seiten, dunkle Felsenrisse mit kleinen Wasserfällen dazwischen und gegenüber grüne Ufer nebst einem großen Erdziegelschloß mit Pylonen, das in einem Dattelwalde stand, eine der reizendsten Landschaften, welche unsre Reise bisher dargeboten hatte. Das Nilpferd hielt über eine Stunde auf der gewählten Stelle aus und regulierte uns, bald mehr, bald weniger aus dem Wasser hervortauchend, mit den verschiedensten Evolutionen, bis es sich endlich, auf einer Sandbank angelangt, plötzlich in voller Höhe aufrichtete und uns so wie zum Abschiede seine ganze Riesenmasse bewundern ließ. Doch verschwand es endlich fast ebenso jähling unter den Wellen, als es erschienen war, kam erst in weiter Ferne nur auf wenige Sekunden wieder zum Vorschein und ließ sich nachher, zu seinem Kristallpalast definitiv hinabsteigend, nicht ferner mehr blicken. Zwölf der Dorfleute, meist Jünglinge und Knaben, nur zwei Alte und drei Mädchen, alle nackt bis auf den Schurz, hatten sich dicht neben uns gelagert und erfreuten sich ebenso sehr als wir an dem Hippopotamos. Zuweilen sprangen einige derselben in den Strom, schwammen ihm entgegen und suchten, das impassible Tier zu erzürnen, während die andern vom Ufer her durch Geschrei und Lärmen zu helfen suchten, wie gestern ihre Landsleute bei der Mondfinsternis. Erregte aber das Ungetüm eben ihre Aufmerksamkeit nicht, so richtete sich diese ausschließlich auf uns. Sie sahen erstaunt auf unsre Perspektive, bewunderten mit Entzücken ein mit Perlmutter ausgelegtes Messer des Doktors, gerieten aber wie wahre Südseeinsulaner in eine halbtolle Freude, als ich ihnen einen Spiegel bringen ließ, dessengleichen vorher keiner von ihnen gesehen zu haben schien. Es war auffallend, daß die jungen Männer dabei ungleich mehr Eitelkeit und Behagen am Anblick ihrer eignen Person zeigten als die Mädchen. Fast alle trugen eine Art Rosenkranz von Glasperlen um den Hals oder um den Arm geschlungen, an denen ein Ledertäschchen mit einem darin verwahrten Amulette hing, das ihre Schriftgelehrten, die Faki, für sie schreiben und sich gut dafür bezahlen lassen. Einige der Knaben trugen auch zinnerne Ohrringe und die Mädchen bunte Glasperlen um Hals und Arme. Ich schenkte diesen letzteren falschen Pariser Schmuck und gab auch einigen der Knaben, die uns Wasser geholt oder sonst dienstreiche Hand geleistet hatten, einige Ringe dieser Art, was mit Dank und Vergnügen, aber zugleich mit einer sehr anständigen Ruhe aufgenommen wurde. Um den Zustand ihrer Sitten etwas näher kennenzulernen, gab ich dem einen jungen Manne, der uns begreiflich gemacht, daß das hübscheste der gegenwärtigen Mädchen seine Schwester sei, durch Zeichensprache zu verstehen, er möge sie abends allein zu unseren Zelten schicken, wozu ich die Pantomime des Schlafens machte. Er und das Mädchen lachten, doch nahm er sogleich den Ring, den ich ihm geschenkt, vom Finger, und ich glaubte schon, er wolle ihn mir entrüstet zurückgeben, als er ihn in die Höhe hielt und so geschickt wie ein Taubstummer dazu ausdrückte, daß, wenn ich noch einen dergleichen hergäbe, seine Schwester kommen werde. Sehr tugendhaft in unserem Sinne scheinen also diese Naturkinder eben nicht zu sein, und für einen Missionär hätte dies eine gute Gelegenheit zu einer Predigt abgegeben. Die beiden Alten waren höchst komische Originale. Der eine hatte eine ägyptische, durchstochne Goldmünze (Kari) in ein Papier gewickelt in der Hand und machte trotz allem Abweisen je nach fünf Minuten immer einen neuen Versuch, dieses Goldstück, welches er wahrscheinlich nicht für echt hielt, uns gegen Silberpiaster zu verwechseln; der andere trug zwei Stücke hier gefertigte grobe Leinwand auf dem Kopfe und bemühte sich mit gleich unabweisbarer Beharrlichkeit, sie uns zu verkaufen, alles mit einer solchen Geduld, Sanftmut, Höflichkeit und dem ernstwürdevollsten Benehmen eines Diplomaten, der um Provinzen handelt, daß wir am Ende nicht mehr widerstehen konnten, uns beide Gegenstände aufdringen zu lassen. Einige aus dem Haufen sprachen etwas arabisch, was unsere Konversation sehr erleichterte, und als wir kurz vor Sonnenuntergang schieden, geschah es in bester Freundschaft mit Alt und Jung, welche noch dadurch vermehrt wurde, daß wir Münze und Leinwand, obgleich schon bezahlt, als Geschenke zurückließen. Diese Leinwand galt übrigens, beiläufig gesagt, in lange Streifen geschnitten sonst als Münze im Lande der Barabras und weit bis nach dem Sudan hinab. Jetzt muß, bei Verlust des Kopfes, überall die Münze des Gouvernements nach dem bestimmten Tarif angenommen werden. Ohne diese Strenge würde man die Eingebornen nie dazu gebracht haben. Als ein merkwürdiges Zeichen der sorglosen Indolenz dieser Wilden muß ich noch folgendes anführen. Sie erzählten uns, daß dasselbe Nilpferd, welches wir gesehen, ihnen außerordentlichen Schaden zufüge, denn wenn es die Nacht austräte, um sich zu äsen, so verheere es gewöhnlich drei bis vier Feddan Feldfrüchte auf einmal. Warum macht ihr denn nicht Jagd auf das Tier? frug ich. «Ja, wir haben daran schon gedacht», war die Antwort, «und daher einem Manne in Ouadi-Halfa, der sich mit solcher Jagd abgibt, wissen lassen, daß sich jetzt ein Nilpferd hier aufhalte. Er hat auch geantwortet, daß, sobald er sich eine Harpune verschaffen könne, er kommen werde.» Diese Auskunft ward uns durch einen ägyptischen Soldaten genau verdolmetscht. Seitdem die Leute sich an den Jäger gewendet, ist nun schon ein Monat verflossen, während dem das Nilpferd einige vierzig Feddan verheert haben soll; dennoch hat sich bisher niemand entschließen können, die Jagd selbst zu unternehmen, obgleich es an Waffen und Feuergewehren nicht fehlt, ja sogar ein Posten Negersoldaten, mit allem dergleichen wohl versehen, eine halbe Stunde von hier kampiert, also nichts leichter gewesen wäre, als der Sache mit eignen Kräften längst ein Ende zu machen. Ebenso denkt aus Indolenz auch hier, wie längs des ganzen Flusses, niemand daran, den Reichtum des Nils an Fischen zu benutzen, und seit wir Assuan verließen, ist uns keiner jener schmackhaften Bewohner der Tiefe mehr zu Gesicht gekommen, wir selbst aber haben leider weder Netze noch Angeln mit uns genommen.
Wir wanderten nun in der Abendkühle nach dem Tempel, dessen Säulen aus rötlich gestreiftem, hartem Sandstein zu den leichtesten und elegantesten ägyptischer Baukunst gehören. Es gab deren gegen siebenzig, von denen kaum noch ein Dritteil, und auch von diesen nur zehn, vollständig stehengeblieben sind. Da man die Ringe des Sesostris nebst denen vieler andern der ältesten Pharaonen darauf findet, so darf man nicht zweifeln, daß dieser Bau aus jenen Zeiten herstammt und seine Zerstörung nur entweder einem Erdbeben oder dem Weichen des aus Erdziegel bestehenden Unterbaues zuzuschreiben ist. Das Gebäude mit einem großen Vorhof, in dem noch einige verstümmelte Sphinxe angetroffen werden nebst den Spuren einer prachtvollen Treppe von 57 Fuß Breite, die zum Tempel hinaufführte, scheint aus drei großen Hauptsälen bestanden zu haben, mit Säulen von verschiedener Verzierung und Form. Da nur wenige der zusammengestürzten Materialien zu andern Zwecken weggeführt worden sind, so hat man Mühe, über die enormen Haufen von Ruinen hinwegzuklettern, welche alle Teile des Tempels anfallen. Wir störten hier eine Hyäne auf, die sich aber sogleich wieder unter dem Mauerwerk verkroch, ohne daß wir sie außerhalb desselben fliehen sahen, so daß sie also wahrscheinlich ein festes Malepartus hier hatte, in das sie sich vor uns zurückzog.
Der Tempel ist nach seinen genauen Maßen und andern Partikularitäten von mehreren Reisenden ausführlich beschrieben worden, da er jedoch eine große Menge noch unentzifferter Hieroglyphen und sehr eigentümliche Skulpturen enthält, so ist es sehr zu bedauern, daß bisher noch niemand, mit den Kenntnissen Champollions ausgerüstet, ihn genauer untersuchte, da er gewiß sehr interessante historische Aufschlüsse zu geben vermag. Viele Säulen desselben sind an ihrer Basis mit einer Reihe Figuren umgeben, die Gefangene mit auf den Rücken gebundnen Händen vorstellen, deren halber Körper aber unten jedesmal durch eine Kartusche (was wir Ring nennen, ich aber lieber nach Form und Zweck mit «Wappenschild» bezeichnen möchte) verdeckt ist. Auf diesen Schildern sind nach Waddingtons Angabe die Namen eroberter Städte und Provinzen verzeichnet, und die Figuren selbst, welche durchgängig Bewohner nördlicher Gegenden anzudeuten scheinen, tragen meistens eine Kopfbedeckung, die entweder der persischen Mütze oder auch einige davon vollkommen dem heutigen ägyptischen Tarbusch gleichen. Die Arbeit ist höchst sorgfältig und ganz im einfachen und edeln Stil der besten Zeit. Dasselbe gilt von den Friesen, Kapitälen und andern Ornamenten, die sich oft griechischer Eleganz nähern, so wie überhaupt der ganze Bau bedeutend von der Schwere und dem finstern Ernst anderer ägyptischer Tempel aus dieser Periode abweicht. Auch ist er nicht ganz so kolossal in seinen Formen. Der erste und größte Saal hat bei 88 Fuß Tiefe, 103 Fuß Breite, die Säulen 5 Fuß 7 Zoll Durchmesser und nicht über einige 40 Fuß Höhe. Die zwei andern Säle verringern sich gradatim, und hinter ihnen befand sich, von zwölf Säulen eingefaßt, das Adytum oder Allerheiligste. Da die Abbildung des Jupiter Ammon hier einigemal vorkommt, so ist zu vermuten, daß ihm der Tempel geweiht war. Auch bemerkten wir Skulpturen, die Eulen und Geier und eine davon den Apis darstellten. Die Ruine in ihrem ganzen Umfange am Rande der Wüste an einem Palmenwald und die Erdhütten des Dorfes Solib gelehnt, gehört durch die rosige Färbung des Steins und die malerische Disposition ihrer Trümmermassen gewiß zu den schönsten in Nubien und muß bei jedem Reisenden, welcher dergleichen überhaupt zu schätzen weiß, einen nicht leicht zu verlöschenden Eindruck zurücklassen.
Wegen einer großen östlichen Krümmung des Flusses, die er von Solib aus macht, mußten wir in der folgenden Nacht die Wüste quer hindurch acht deutsche Meilen weit durchschneiden. Der Zufall wollte, daß wir, um einen passenden, vor dem kalten Wind geschützten Fleck zu einigen Stunden Ruhe aufzufinden, einen andern Weg als die Karawane einschlugen. Dies rettete einem Matrosen von der Barke, der die Karawane begleitete, wahrscheinlich das Leben; denn auf seinem Tiere eingeschlafen, hatte er sich unbemerkt von ihr entfernt, und wir fingen ihn auf, als er in größter Angst, um sie wieder aufzusuchen, grade in voller Eile die falsche Richtung nach dem Innern gewählt hatte. Verirrung ist aber hier eine bedenkliche Sache, und es vergeht kaum ein Jahr, wo nicht Gouvernementskuriere oder sonst einzelne Reisende in der Wüste verschwinden, ohne daß man je wieder etwas von ihnen hört. Die Schnelligkeit und Ausdauer, mit der diese Kuriere die größten Touren auf so unbequemen Tieren und bei so großer Hitze zurücklegen, geht fast ins Unglaubliche, und wir fanden deren oft in der nächtlichen, schauerlichen Einsamkeit dieser Wüsten ganz allein neben ihrem Dromedare in den Sand gebettet und den Zügel um den Arm gewickelt ausruhen, um Mensch und Tier einige Stunden des erfrischenden Schlafes genießen zu lassen. Erst nach 9 Uhr, bei schon sehr heißer Sonne, erreichten wir Fakir-Bint, wo der vorige Gouverneur von Dongola als fromme Stiftung eine Moschee mit einem Khan erbaut hat, in dem jeder Reisende unentgeltlich Obdach und gekühltes Wasser erhält. Zu diesem letztern Zweck sind die durchsickernden Krüge, welche in Khene gefertigt werden, ein wahrhaft unschätzbares Hilfsmittel in diesen Ländern, und da man sie nicht immer vorrätig findet, so tut jeder Reisende wohl, sich im voraus mit der größtmöglichsten Quantität derselben zu versehen. Das laueste Wasser, wenn es dem Luftzuge nur einige Stunden ausgesetzt bleibt, wird kühl darin und in der Nacht eiskalt. Nach acht oder vierzehn Tagen aber verstopfen sich die Poren des Kruges, und er tut dann nicht mehr ganz dieselben Dienste; dabei sind diese Geschirre auch so zerbrechlich, daß der geringste Anstoß sie beschädigt oder ganz zerschellt; in der Hand wiegen sie so leicht wie eine Feder. Man hat zwar in mehreren Ländern Gefäße mit ähnlichen Eigenschaften, keine aber, die ich kenne, sind an schneller Wirksamkeit den Krügen von Khene zu vergleichen. Dank ihnen fehlte es uns bis jetzt, wo wir unsere Ruheplätze noch meistens am Nil finden, auch in den heißesten Tagen noch nie an gekältetem Wasser.
Der wohltätige Erbauer des Khans hatte auch Bäume davor pflanzen lassen, die bereits weite Kronen um sich her breiteten, und unter ihrem schattigen Dome nahmen wir unsere einstweilige Wohnung, dicht über dem Fluß, der hier wieder von vielen Felsen durchwirkt erscheint. Bald nach unserer Ankunft besuchte mich der Nazir des Dorfes mit einem kleinen Gefolge. Er war ein Eingeborner und einer der angesehensten Eigentümer der Gegend, von sanftem, einnehmendem Betragen und scharfer Auffassungsgabe, worin sich die Araber überhaupt sehr von Europäern geringen Standes auszeichnen. Ich benutzte die Gelegenheit, bei diesem glaubwürdigen Manne verschiedene Erkundigungen über die wahren Verhältnisse der Untertanen zur Regierung einzuziehen, welche ich später durch wohlunterrichtete und unparteiische Leute immer bestätigt fand. Sie lauten freilich sehr verschieden von den Anklagen mehrerer Reisenden, obgleich hier ein als großer Landbesitzer selbst Beteiligter sprach und neben dem Lobe auch den Tadel nicht verschwieg. Es wird weiter unten mannigfache Gelegenheit geben, auf diesen Gegenstand weitläufiger zurückzukommen.
Die folgende Station ist Haffir, und die Distanz betrug nur fünf deutsche Meilen oder zehn Stunden. Schon nach der ersten Hälfte des Weges trat die Wüste ganz in den Hintergrund, und die allerdings sehr vernachlässigten Ebnen von Dongola begannen, sich allmählich vor uns auszubreiten. Wir fanden auf denselben fast ebensoviel wieder verlassnes als angebautes Land, weil in den letzten Jahren schwere epidemische Krankheiten eine Menge Menschen hingerafft haben. Auch finden hier wirklich häufige Auswanderungen nach dem Darfur statt, wo jetzt ein sehr unternehmender, fremde Kolonien begünstigender Sultan herrscht, dessen weite Länder sich täglich vergrößern und von mehreren Sklavenhändlern, mit denen ich mich unterhielt, als ein Paradies der Fülle und des Wohllebens geschildert werden. Auf den verlassnen Feldern, deren künstliche Bewässerung natürlich gleichfalls aufgehört hat, sind neue weite Mimosendickichte erwachsen, und der Giftbaum blüht hier in den schönsten Exemplaren. Antilopen sind häufig in diesen Gebüschen, auch sahen wir viele Rebhühner von einer größern Gattung als die unsrigen, und oft umflatterten uns kleinere bunte Vögel vom schönsten Gefieder.
Haffir, das über eine Stunde vom Nil entfernt liegt, verriet schon durch bessre Häuser, sorgfältigere Kultur und einen gewissen mehr zivilisierten Anstrich der Einwohner wie durch die Anwesenheit ägyptischer Offiziere mit einem Detachement von dreißig Mann die Nähe der Hauptstadt. Auch hier war der Kascheff ein gebildeter Mann und kein Türke, sondern ein Eingeborner. In Haffir beginnen die weißen Ameisen, die schrecklichen Termiten, welche alle Effekten zerstören, ihre Verheerungen. Namentlich lieben sie Bücher so sehr, daß sie einen ganzen Folianten in einer Nacht fast rein aufzufressen imstande sind, wie ich später ein Beispiel davon beim Doktor Iken in Dongola mit eignen Augen sah. Die Dorfbewohner brachten auch sogleich mehrere Engarebs, eine Art Sofas von antiker Form, herbeigetragen, auf die sie uns einluden, alle unsere Koffer und übrigen Sachen zu legen, da, was an der Erde bliebe, sonst über Nacht der Ameisen Beute werde. Diese Engarebs sind ein ebenso dauerhaftes als bequemes Möbel, und ich habe eins derselben, das mir abwechselnd als Bett, Sofa oder Gartenbank diente, zwei Jahre lang mit mir geführt und zuletzt als Modell auch glücklich noch mit nach Europa zurückgebracht. Es besteht aus einem Rahmen von sehr festem Holze mit vier kurzen, gedrechselten Füßen. Ein Netz überspannt das Ganze, welches aus in Streifen geschnittner frischer Ochsenhaut angefertigt ist und, durch das Trocknen sich eng zusammenziehend, der Lagerstätte ebensoviel Dauerhaftigkeit als Elastizität gibt. Das Engareb widersteht tagelangem Regen wie der glühenden Sonnenhitze gleich gut, und man braucht nur einen Teppich darauf zu legen, um sich den bequemsten, vor Insekten gesicherten Ruhesitz zu verschaffen, der überdies ein so geringes Gewicht hat, daß er auf das leichteste überall hin zu transportieren ist. Man benutzt hier die erwähnten Hautstreifen auch noch zur Verfertigung mehrerer anderer Gegenstände, und sonst dienten sie sogar zu grausamen Exekutionen, indem man den Delinquenten damit fest an einen Baum band und dort der Wirkung der Sonne so lange überließ, bis die allgemach zusammentrocknenden Riemen ihn langsam zerquetscht hatten.
Wir fanden Haffir eben von dem der Provinz Dongola ganz eigentümlichen epidemischen Fieber stark infiziert, das mit Nasenbluten und Erbrechen anfängt und sich immer in spätestens acht Tagen entscheidet, nach welcher Periode der Tod oder schnelle Besserung erfolgt. Vor drei Monaten wütete die Krankheit in Dongola selbst, jetzt scheint sie weiter nördlich fortzuschreiten. Manche halten sie für eine modifizierte Form der Cholera, und in verschiedenen Symptomen scheint sie in der Tat viel Ähnlichkeit mit ihr zu haben, doch ist sie in der Regel weniger schmerzhaft. Doktor Koch, ein großer Anticontagionist, der Pest und Cholera in Alexandrien studierte, besuchte einige der Kranken und hinterließ eine Vorschrift für ihre Behandlung, von der er guten Erfolg erwartete. Zugleich bedauerte er aber sehr, nicht längere Zeit zur Beobachtung einer, wie er als Arzt sie nannte, «so höchst interessanten» Krankheit zu haben.
Die Entfernung von hier nach Dongola beträgt noch vierzehn Stunden. Der Charakter der Gegend blieb derselbe wie gestern. Eingegangne Felder zeigten sich noch immer häufig, waren aber seltner mit Bäumen bewachsen, ja Dongola selbst, ein ziemlich ansehnlicher, aber auch nur von rohen, ungeweißten Erdziegeln oder mit Stroh geknetetem Lehm aufgeführter Ort, erschien von dieser Seite baumlos und nur nach dem Nil zu mit einigen grünen Fluren umgeben.
Die Stadt zerfällt in zwei abgesonderte Teile, wovon der eine mit krenelierten Lehmmauern, einigen Türmen und zum Teil durch einen schwachen Graben befestigt ist, was aber zur Verteidigung gegen die Eingebornen vollkommen hinreicht. Hier residieren alle Beamte des Gouvernements neben den Kasernen der Garnison, die aus einem Bataillon Infanterie (teils ägyptische Invaliden, teils Schwarze) und aus drei- bis vierhundert Pferden unregelmäßiger Kavallerie besteht. Ein großer Waffenplatz befindet sich in der Mitte des Quartiers. Der andere Teil der Stadt, größer und etwas näher am Fluß gelegen, enthält die übrigen Bewohner, ungefähr 6000 Seelen. Man findet daselbst einen recht gut furnierten Bazar und einige wenige neugebaute Häuser der Reichsten aus gebrannten Ziegeln mit regulären Fensterreihen, diese jedoch noch ohne Glas.
Der türkische Gouverneur (Mudir) hatte so wenig Anstalten zu meinem Empfang getroffen und mir ein so schlechtes Haus in der Nähe des Flusses angewiesen, daß ich vorzog, meine Zelte im Felde daneben aufschlagen zu lassen, worauf ich durch meinen Kawaß dem Gouverneur eine sehr harte Botschaft ausrichten ließ. Als er mich darauf am andern Morgen besuchte, empfing ich ihn, ohne aufzustehen, in meinem Zelte, ließ ihm weder Kaffee noch Pfeife reichen, refüsierte das nun folgende Anerbieten seines eigenen Hauses und erklärte, daß ich mit ihm durchaus nichts zu schaffen haben wolle, aber Seiner Hoheit dem Vizekönige die Rüge seines ungeschliffenen Betragens überlassen werde.
Wenn man die Mittel hat, es durchzusetzen, das heißt, wenn die Türken gegründete Ursache zu glauben haben, daß man ihnen gefährlich werden könne, ist es gut, mit ihnen so umzugehen und sich nicht das geringste von ihnen gefallen zu lassen, wie überhaupt ein stolzes und kaltes Benehmen immer weit bessern Erfolg bei ihnen hat als entgegenkommende Familiarität und viele Höflichkeitsdemonstrationen. Der Gouverneur von Dongola und ich wurden nach dieser Szene, von der sein ganzes Gefolge und der ihn begleitende Kommandant der Truppen Zeugen gewesen waren, zuletzt dennoch die besten Freunde; denn nachdem er mich durch viele Entschuldigungen beschwichtigt hatte, ließ er mir es an nichts mehr fehlen und überhäufte mich wirklich mit Artigkeiten sowohl während meines jetzigen Aufenthaltes als bei meiner Rückkehr nach mehreren Monaten, während welcher Zeit er mir zugleich den Gebrauch seiner eignen zwei Nilbarken für den ganzen Verlauf meiner weitern Reise überließ.
Als ich am Abend mein Portefeuille revidierte, fand ich mit nicht geringem Schrecken, daß der vorletzte Band meines Reisejournals darin fehlte. Ein Autor hängt an solchen Dingen wie an Schätzen, obgleich dies nur eine Torheit sein mag. Aus der angestellten Untersuchung ging hervor, daß das Buch in Haffir, welches wir mitten in der Nacht, noch im Dunkeln, verließen, im Zelte übersehen und vergessen worden sein müsse. Ich schickte sogleich einen unsrer arabischen Leute auf dem schnellsten Dromedare darnach ab, der es auch am Morgen darauf glücklich wiederbrachte. Dies war jedoch nur einem günstigen Zufall zu danken, denn schon hatte man unter Anführung des Kascheffs alle Häuser des Dorfes vergebens durchsucht, und mein Araber saß wieder bereits auf seinem Dromedare, um unverrichteter Sache zurückzukehren, als ihm einer der Landleute gegen das Versprechen der Verschwiegenheit und eines Bakschischs verriet, daß das gesuchte Buch sich zwei Stunden von hier bei einem Faki befände, der sehr wirksame Amulette gegen das grassierende Fieber daraus zu schneiden beabsichtige. Zu meiner großen Zufriedenheit hatte diese Illustration meiner unbedeutenden Schriftzüge noch kaum begonnen, als der Araber bei dem Diebe eintraf und mit Hilfe seines Kurbatsch die schnelle Restitution erzwang. Ich erhielt alles bis auf ein einziges herausgeschnittenes Blatt, was leicht zu ergänzen war, intakt wieder. Der Glücksfall ward durch die Leerung einer Bouteille Champagner gefeiert, die mir zwei hier anwesende Europäer mit austrinken halfen, der als Militärarzt angestellte Doktor Iken, früher hannövrischer Offizier, und der Apotheker ..., ehemals französischer Dragonerhauptmann und eine Zeitlang während des Kriegs Kommandant von Pirna im vaterländischen Sachsen! Während dieser Libation sah es um uns, unter den Mimosen und Sykomoren, die um mein Zelt standen, bei 36 Grad Hitze wie im Paradiese aus. Mehrere Hunde, die einen Knochen zu erhaschen suchten, in der grünen Gerste gelagerte Pferde und Kamele, fette Kühe, Schafe und Ziegen der nahen Meierei, eine junge Giraffe und zwei kleine Gazellen, die mir der Gouverneur geschenkt und auf welcher ersteren ich bereits nicht besonders gelungene Reitversuche angestellt hatte, tummelten sich in friedlicher Eintracht um uns her, während rote, grüne und blaue Vögel von den Ästen zwitscherten und im Zelte selbst verschiedne niedliche Eidechsen mit stahlblauen Schwänzen sowie einige zwanzig kolossale Spinnen mit mehr als zollangen Beinen an den Wänden hinauf- und herabließen und uns zuweilen mit ihrem Besuch selbst auf dem Tische beehrten. Die plagenden Insekten Ägyptens dagegen: Wanzen, Flöhe, Läuse und selbst Moskitos waren zur Seltenheit geworden und wurden später gar nicht mehr angetroffen. Es muß hier zu heiß für sie sein. Dafür quälen einen aber kleine Ameisen, die sich in Kleider und Betten einnisten, und auch vor den Termiten hat man die Effekten fortwährend in acht zu nehmen.
Alle Lebensmittel schienen uns in Dongola von besondrer Güte zu sein, besonders das Schlachtfleisch, und die Preise blieben noch immer sehr gering. Auch bereitet man hier eine Art Bier aus Durra, Bilbil genannt, was bis Khartum hinauf üblich ist und leichtem Nachbier gleicht, das etwas sauer zu werden anfängt. In der Hitze ist es nicht unangenehm und kühlend, muß aber wenigstens alle zwei Tage frisch gemacht werden. In Gärung übergehend, verändert es seinen Geschmack und wird zu einem sehr berauschenden, der Gesundheit nachteiligen Getränk. Frisch bereitet, empfindet jedoch niemand unter uns üble Folgen davon.
Am 24. besuchte ich den Gouverneur in seinem Lehmpalast, wo er außer seinen Weibern auch eine große Anzahl junger abessinischer und Negerknaben unterhält, deren weibische und kokette Manieren einem Europäer nicht wenig sonderbar vorkommen. Die Sklaven sind übrigens hier nicht wohlfeiler als in Kahira, und Doktor Koch mußte einen jungen Burschen von fünfzehn Jahren mit 2000 Piastern (500 Franken) bezahlen. Nachher besahen wir in Begleitung des Mudirs die Indigofabriken, welche Mehemed Ali angelegt hat und welche jetzt drei Qualitäten Indigo liefern, wovon die erste dem indischen gleichkommt. Die Oka davon kostet der Regierung 24 Piaster und wird für 80 Piaster verkauft. Man fertigt im ganzen jährlich an 50 000 Oka, und kein Europäer ist mehr in den Fabriken angestellt. Der Gouverneur besitzt einige sehr wohl unterhaltene Gärten mit schönen Weinplantagen und vielen andern zum Teil aus Kordofan herstammenden Fruchtbäumen. In einem derselben befand sich ein sehr elegant verzierter Saki – denn man trifft überall in der Nähe von Dongola in mäßiger Tiefe Nilwasser an –, der von dem schönsten Rindvieh in Bewegung gesetzt wurde, das ich in meinem Leben gesehen habe. Die hiesigen Ochsen sind wahre Prachtexemplare, kolossal mit gradem Kreuz, von herrlichem Gliederbau und zeichnen sich vor andern ihres Geschlechts noch durch ein sehr hohes Wiederoß und eine sonderbare Verlängerung der Haut am Halse aus, die anderthalb Fuß tief wie ein Gewand herabhängt und ihnen ein majestätisches Ansehn gibt. In einem mehr als gewöhnlich reinlich gehaltnen Stalle daneben, dessen Hof mit Bäumen geziert war, unter denen mit Teppichen belegte Engarebs zur Ruhe einluden, sahen wir einige Dromedare der edelsten Rasse und vier Giraffen von verschiedner Größe. Die Giraffen sind in der angrenzenden Wüste so häufig bei Dongola, daß man eine derselben für 50-60 spanische Taler kaufen kann. Es gehört aber eine besondere Erlaubnis der Regierung dazu, um sie zu exportieren. Der Gouverneur passiert für sehr reich, und man vertraute mir unter dem Siegel des Geheimnisses, daß dies daher käme, weil er in der Umgegend eine Diamantengrube entdeckt habe. Nach sicherern Nachrichten jedoch, die ich einzuziehen Gelegenheit fand, besteht diese Diamantengrube wohl mehr in einer lukrativen Behandlung der Appalte, welche leider nur zu vielen der hiesigen Machthaber Gelegenheit zu den schamlosesten Betrügereien geben, die sowohl die Einwohner als Mehemed Ali selbst treffen, dem doch oberflächliche oder mißwollende Berichterstatter allein die Schuld davon beimessen wollen. Es sei hier genug, nur eines dieser Manöver namhaft zu machen, von dem ich die überzeugendsten Beweise erhielt. Alles dem Gouvernement gelieferte Getreide, Reis usw. muß auch wiederum allen, die es verlangen, nach des Vizekönigs Vorschrift, um jeden Mangel zu vermeiden, für einen festgesetzten, allerdings etwas erhöhten, aber nicht unbilligen Preis wieder verkauft werden, wenn sie es zum eignen Bedarf brauchen. Um dies zu umgehen, bediente man sich in Dongola folgenden Mittels. Ein reicher Kaufmann im Ort und ein koptischer Beamter des Gouverneurs, der mit einigen Tausend Piastern Gehalt einen zwanzigmal größern Aufwand macht, hatten angeblich grade in der Zeit, wo ich mich in Dongola befand, bereits alle Vorräte der Regierung zu dem bestimmten Preise aufgekauft. Wer nun noch etwas bedurfte, wurde unter diesem Vorwand abgewiesen und auf die Zeit vertröstet, wo wieder neue Vorräte eingegangen wären. Von der Not gezwungen, die kein Warten zuließ, mußten daher die Leute ihren Bedarf nun zu doppelten und dreifachen Preisen von jenen beiden genannten Herren privatim erkaufen, die den Gewinnst mit dem Mudir teilten. Ebenso üben die Militärbeamten in diesen vom Sitz der Hauptregierung zu entfernten Gegenden teils bei der Rekrutierung, teils bei andern Gelegenheiten eine drückende Tyrannei aus, von der die betreffenden Individuen sich fortwährend durch Geld loszukaufen gezwungen sind. Diese Mißbräuche mögen allerdings zu den partiellen Auswanderungen beitragen, finden aber ihren Grund nur in der beispiellosen Immoralität der vornehmeren Klassen und sind nicht anders abzustellen, wenn auch Mehemed Ali alle Jahre fünfzig Gouverneuren die Köpfe abschlagen ließe – was auch der schlechteste Türke doch mit philosophischer Ruhe nur wie eine unabwendbare Schickung Gottes ansieht – als durch bessere Erziehung einer neuen Generation. Für dieses Ziel arbeitet Mehemed Ali und scheut, wie wir wissen, keine Kosten zu seinem Zweck. Wenn indessen auch hierbei nicht überall die zweckmäßigsten und sichersten Mittel angewendet wurden, so bedenke man, daß Mehemed Ali selbst nur ein Türke von der mangelhaftesten Erziehung ist, der sich nur durch die Größe seines eigenen Genies über die andern so weit erhoben hat, um einzusehen, was sie bedürfen, aber leider bis auf höchst wenige Ausnahmen von selbstsüchtigen und unwissenden Ratgebern umgeben ist, die, weit entfernt seinen liberalen Ideen Folge zu geben, sie überall, wo sie es ungestraft und unbemerkt zu tun vermögen, nur zu hintertreiben suchen.
Abends machte ich einen Spazierritt nach einem außer der Stadt gelegenen Kirchhofe, wo mehrere berühmte Santon-Monumente stehen, welche man in der Form unsrer Heuschober aufgeführt hat. Bei den andern Gräbern tat sich allerlei rohe Phantasie kund. Auf einigen waren Figuren von Tieren und Blumen mit farbigen Kieseln ausgelegt, andere hatten die Gestalt kleiner Häuser, wieder andere die Form von plumpen Gefäßen mit Henkeln usw. Als wir ankamen, ward eben ein erst diesen Morgen Gestorbner begraben. Er lag, indes man die Grube machte, Gesicht und Brust mit einem Tuche umwickelt und die Beine nackt, auf einer einfachen Bahre neben dem Grabe, während eine Menge Menschen beiderlei Geschlechts umherstanden und widrige Klagetöne ausstießen. Die Dongoleser Mädchen passieren für große Schönheiten und sind in der Tat häufig schön gewachsen und von sanften, anmutigen Gesichtszügen. Auch hier zeichneten sich einige der gegenwärtigen durch diese Vorzüge aus, sie waren aber am ganzen Körper so mit Öl und Fett beschmiert und ihre Haare so dick damit festgebacken, daß sie unserem Geschmack unmöglich zusagen konnten.
Nicht für DamenDer folgende Absatz ist in der Buchausgabe auf dem Kopf stehend gedruckt.
Sie haben den Ruf, sehr galant zu sein, jedoch nur für Geld, da ihnen die abscheuliche Operation des Zunähens und Wiederaufschneidens sowie das gänzliche Abschneiden eines andern Teils der Genitalien fast alles natürliche Gefühl benimmt. Es gibt Weiber, welche die erste Operation zehnmal erlitten haben, da es ganz gewöhnlich ist, daß der Ehemann, wenn er auf einige Zeit verreist, durch das Zunähen seiner Ehehälfte sich ihrer Treue zu versichern sucht, diese aber nicht aus Liebe, sondern nur aus Interesse während seiner Abwesenheit sich wieder aufschneiden, und vor seiner Rückkehr abermals zunähen läßt. Alte Weiber, die eigens dazu bestellt sind, verrichten dies kannibalische Geschäft. Auf wie tiefer Stufe hier überhaupt die Sittlichkeit und alle Achtung der Menschenrechte stehen, lehrte mich noch ein anderes Beispiel. Das elende Haus, welches mir der Gouverneur anfänglich angewiesen hatte und das ich nicht annahm, stand deshalb leer, weil der Besitzer durch den Mudir auf zwei Jahre von seinem Amte suspendiert und exiliert worden war. Weshalb aber erlitt er diese gelinde Strafe? – Weil er einen seiner Diener, den er mit seiner Lieblingssklavin «en flagrant délit» überrascht hatte, ohne weiteres im Hofe seines Hauses spießen ließ!
Wir gingen einigemal während meines Aufenthalts in Dongola auf die Jagd, um uns Gazellen- und Rebhühnerbraten zu verschaffen, erlegten auch eines Tages zwei wilde Katzen, deren Fell sehr schön gezeichnet ist. Doktor und Apotheker waren immer von der Partie, welche besonders der letztere, der den sehr eifrig von ihm benutzten Vorteil hatte, seine spirituosen Getränke sich selbst zu verfertigen, mit unerschöpflichen Anekdoten aus seiner früheren militärischen Karriere erheiterte. Eine seiner Hauptgeschichten war, daß er dem Kaiser Napoleon im Biwak vor Ulm, wohin er in der Nacht mit einer wichtigen Depesche gesandt und dort in ein Zelt geführt wurde, in dem alles schlief, unbekannterweise einen derben Stoß von hinten gegeben habe in der Absicht, jemand zu erwecken, der ihn bei dem Kaiser melden könne. Er behauptete, der Kaiser sei sehr zornig geworden, «on le serait à moins», und bloß dieser unglückliche Umstand wäre daran schuld, daß er, ohngeachtet aller seiner Verdienste, nie den Orden der Ehrenlegion habe erhalten können. Eine andere Erzählung, die einen größern Charakter der Wahrheit an sich trug, fand ich ergötzlich. Als Napoleon von Elba zurückkam und ihm Monsieur entgegenging, diente unser Apotheker in einem Kavallerieregiment, das in Lyon garnisoniert war und dort auf dem Markt aufgestellt vergebens von Seiner Königlichen Hoheit haranguiert wurde. Da sich kein «vive le roi!» hören lassen wollte, befahl der Prinz, Geld unter die Soldaten auszuteilen und ließ namentlich einem der ihm nahe haltenden Unteroffiziere von seinem Adjutanten ein Goldstück reichen, welches Geschenk dieser mit den Worten begleitete: «Allons, mon enfant, prenez, vous voyez que les Bourbons sonst plus généreux que votre Bonaparte.» – «Qu'est ce que ça te f... toi, si nous lui faisons crédit» – rief der bärtige Krieger entrüstet aus und ließ, ohne das Goldstück anzunehmen, diesen Worten ein lautes:«Vive l'Empereur!» folgen, das augenblicklich von dem ganzen Regiment nachhallte und Monsieur überzeugte, daß es geraten sei, für diesmal so schnell als möglich nach Paris zurückzukehren. Doktor Iken, ein tatkräftiger Mann von robustem Geist und Körper, der die Absicht hat, sein Glück in Darfur zu versuchen, unterhielt uns von der Doktor Franciaschen Politik des dortigen Sultans, der jeden in sein Land herein-, aber keinen wieder hinausläßt. Zwei Engländer sollen schon seit fünf Jahren bei ihm residieren und sehr gut behandelt werden, alles im Überfluß besitzen, aber bis jetzt kein Mittel zur Flucht haben auffinden können. Doktor Iken will es dennoch darauf wagen, und als geschickter Arzt und unterrichteter Militär glaubt er, Dienste leisten zu können, die ihm dort ein glänzendes Los sichern. Gehe es ihm aber wohler in Darfur als in Hannover, sagte er, so fühle er gar kein Bedürfnis, in sein Vaterland zurückzukehren. Freilich wußte er damals noch nicht, daß König Ernst jetzt daselbst regiere über ein treues Volk, das auch Spaß versteht.
Herr Iken ist als Militärarzt der Nachfolger eines Franzosen, Herrn Germain, in Dongola, der von einer Negerin, die er geheiratet hatte, daselbst vergiftet wurde. Der Apotheker war gegenwärtig, als das Weib ihm die Kaffeetasse selbst ganz unbefangen reichte, die ihm den Tod brachte. Das Gift, aus dem Safte des gefährlichen Strauches präpariert, der hier überall zur Hand ist, war so heftig, daß schon nach wenigen Minuten Erbrechen und Konvulsionen eintraten und das unglückliche Opfer noch in derselben Nacht starb, ohne jedoch bis auf den letzten Augenblick die Besinnung zu verlieren. Er verzieh der Negerin, obgleich diese wenig Reue über das Geschehene bezeigte und die Tat nur ungeschickt zu leugnen versuchte. Indessen fand sie dennoch für gut, da Herr Germain mit großem Edelmut ihre Festnehmung verhinderte, alles von Wert, was sie erlangen konnte, zusammenzuraffen und damit noch vor Anbruch des Tages zu entfliehen. Später kam sie jedoch wieder zurück, ohne weiter beunruhigt zu werden, und lebt noch, von neuem verheiratet, in Dongola. Ein sonderbarer Umstand war es, daß den armen Germain erst wenige Tage vorher ein Skorpion in die Lippe gestochen hatte, was ihm große Schmerzen verursachte, wovon er aber durch ein Spezifikum, das man hier gegen die Bisse dieses Insekts anwendet und das nur aus dem schnellen Genuß von zwanzig Tropfen Ammoniakgeist, in Wasser aufgelöst, besteht, bald wiederhergestellt worden war.
Nach einigen Tagen kam Doktor Veith mit noch einem Mitgliede der österreichischen naturforschenden Expedition fieberkrank, sehr elend und höchst melancholisch gestimmt von Khartum hier an. Da ich beiden Herren gesprächsweise mitteilte, daß ich in ihre Fußstapfen treten wolle, obgleich ich früher nur die Absicht gehabt, bis Dongola zu gehen, auch meine Provisionen nur für diesen Zeitraum reichlich genug eingerichtet hätte, so rieten sie mir einstimmig und dringend von der Weiterreise ab, deren Beschwerden und mannigfache Not sie mit den trübsten Farben schilderten. Ich hatte mich indes schon entschlossen, wenigstens bis Dschebel-Barkal, so weit als Herr Cadalvene, vorzudringen und ließ mich nicht mehr irre machen.