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Vom Verfasser der Briefe eines Verstorbenen
Ein Fichtbaum steht einsam im Norden auf kalter Höh'! Ihn schläfert; mit weißer Decke umhüllen ihn Eis und Schnee. Er träumt von einer Palme, die fern im Morgenland, Einsam und schweigend trauert auf brennender Felswand. Heine |
Geliebter und verehrter deutscher Leser! wolle mir zuvörderst bei diesem günstigen Anlaß vergönnen, dir einen respektvollen Gruß vom Gipfel der höchsten Pyramide zu Dschiseh zuzurufen. Hinter dem unermeßlichen grünen Delta, das jetzt so schön im Abendrot erglänzt, hinter dem blauen Meere, das, in noch weitere Ferne als mein Horizont reicht, an dieses Delta sich anschließt, und hinter allen den andern sonnigen Ländern endlich, welche jenseits jenes Meer bespült, da, wo du im segensreichen, gemäßigten Klima deines Lebens dich erfreust – gedenke mein mit derselben Zuneigung, die ich für dich fühle, und fahre fort in deiner großmütigen Nachsicht für die vielen Mängel deines treuen Korrespondenten, obgleich eine englisch-schottische review dir neulich gravitätisch versichert hat, ich sei nur in englischer Übersetzung einmal des Lesens wert gewesen. Und über die leere Wüste hin, die so öde und schauerlich die fruchtbarsten Fluren einfaßt, grüße ich euch, wackere Kämpen, die unaufgefordert so manche tapfere Lanzen brachen für den fernen Freund, den schon seit langen Jahren der Orient in wehmütig süßen Banden gefangen hält. Doch als guter Christ grüß ich auch die Feinde, euch, der trocknen, ausgebrannten Wüste um mich her so nah verwandte, anonyme und nicht anonyme kritische Wegelagerer, vor allem euch, fromme Seelen von den dürren Ufern der Spree, die ihren Sand so gern dem lieben deutschen Publikum in die Augen streuen möchten und bloß deshalb noch nicht dazu kommen können, weil dies bis jetzt immer so unhöflich war, ihnen den Rücken zuzukehren. Nun aber, nachdem ich dem Vaterlande gerecht geworden bin, schau ich nach Osten und lasse das entzückte Auge ruhen auf dem Vater Nil und Kahiras unzähligen Türmen und Palästen, überragt von des Mokkatamms glanzvoll drohender Burg. Auch dorthin grüß ich – dich Mehemed Ali, den Großen, den Wiederhersteller der Zivilisation Ägyptens, den Schöpfer einer neuen Zukunft für Millionen und den aufgeklärtesten Sohn des Orients.
Und dicht unter meinen Füßen grüß ich den SphinxΑνδρόσφιγξ nämlich; Herodot II, 175. , der, schon seit Jahrtausenden schweigend, dennoch so laut zu uns spricht von vergangener Herrlichkeit und Größe, von Wundern, zu unglaublich für unsere Zeit, und von Rätseln, die noch niemand gänzlich gelöst, obgleich ein inspirierter Franke, den uns der Tod zu früh geraubt, den vorgezogenen Vorhang schon so siegreich zu lüften begann.
Und zu den Sternen aufblickend, die langsam die eintretende Dämmerung zu durchdringen beginnen, grüße ich zuletzt die Nachwelt. Sie wird mehr wissen als wir, wenigstens von der Vergangenheit, wenn auch nicht von der Zukunft, und vielleicht schlägt sie einen ihrer Lehrstühle wieder am Fuß derselben Pyramiden auf, von deren Spitze, nach Napoleons Ausspruch, vierzig Jahrhunderte auf uns niederschauen. Die Welt ist ein Rad, wie Mehemed Ali sagt, und wer seinen Platz so lange darauf behaupten kann wie die Pyramiden, mag wohl nach vollbrachter Umwälzung einmal dieselben Verhältnisse wiederkehren sehen. Und für die materielle Erhaltung dieser seltsamen Monumente ist in der Tat auch in den nächsten Jahrtausenden noch wenig zu fürchten, wenn nicht die englischen Antiquare sie aus Liebe zur Kunst definitiv in die Luft sprengen. Wir haben jetzt eben einen der eifrigsten Amateurs daselbst, der täglich mehrere hundert Beduinen beschäftigt, um die geduldigen Monumente an allen Ecken und Enden anzubohren; selbst der Sphinx wird mit Hilfe eines eisernen Pfahls gespießt, um dahinter zu kommen, ob er aus dem Ganzen oder so hohl im Leibe sei, als manche lebende Statuen es im Kopfe sind. Doch die Instrumente erweisen sich zu schwach, eines bricht nach dem andern, und vorderhand bleibt noch immer der Vorteil in diesem heftigen Kampfe den alten Denkmälern. Sie verlieren zwar einige Steine auf dem Wahlplatz, aber der Feind steht nach wie vor impotent vor ihnen, und ihr geheimster Hort bleibt jungfräulich vor ihm verschlossen.
Doch allen harmlosen Scherz beiseite traue ich wirklich dem galanten und liebenswürdigen Obersten Howard Wyse weit eher als vielen andern zu, daß er durch seine Beharrlichkeit und seinen Scharfsinn endlich wichtige Entdeckungen hier machen werde, und dankbar muß jeder Fremde wenigstens es anerkennen, daß er einen Teil seiner Arbeiter dazu benutzte, die fast verschütteten Gänge in den beiden großen Pyramiden aufzuräumen und mit verhältnismäßiger Bequemlichkeit den Wißbegierigen zugänglicher zu machen. Auch fand er einige unbekannte kleine Kammern auf und hofft sogar nahe daran zu sein, ein großes Gemach unter dem supponierten Königsgrabe zu entdecken. Wir quetschten uns selbst später in das zu diesem Endzweck praktizierte Loch und hatten Mühe genug, unversehrt wieder heraus zu kommen.
Doch es wird jetzt besser sein, meine Relation mit dem Anfang anzufangen.
Seine Hoheit der Vizekönig war schon seit vierzehn Tagen nach Oberägypten abgereist, wo er, wie er die Güte hatte, mir sagen zu lassen, mich erwarten werde, da ich ihm sogleich zu folgen noch nicht vorbereitet war. Länger durfte ich indes nicht zögern und verschob daher die Besichtigung alles dessen, was mir in Kahira noch zu sehen übrig blieb, bis auf meine Rückkehr.
Am 21. Februar verließ ich, begleitet vom Herrn Doktor Koch, Neffe des rühmlich bekannten Münchener Medizinalrats gleichen Namens, und Generalstabsarzt der ägyptischen Flotte, den mir Mehemed Ali als Reiseäskulap mitzugeben die Gewogenheit gehabt hatte, die Hauptstadt. Wir waren beide recht bequem in zwei guten Kangschen etabliert, welche das Gouvernement mir mit seiner gewöhnlichen Munifizenz geliefert. Mein kleines Gefolge bestand außer dem genannten Herrn Doktor mit seinem Diener noch aus einem Kawaß des Vizekönigs, meinem Dragoman Giovanni, meinem Kammerdiener Ackermann, einem griechischen Pagen aus Kandia mit Namen Jannis, einem arabischen, in Kahira einigermaßen französierten Koch, und – um die Langeweile einer so weiten Wasserreise etwas weniger monoton zu machen – einer abessinischen Sklavin, die ich erst wenig Tage vorher für eine ziemlich ansehnliche Summe erkauft hatte. Den Charakter dieses originellen Mädchens zu studieren, an der die Zivilisation noch nichts hatte verderben noch verbessern können, war im Verfolg der Reise eine unerschöpfliche Quelle von Vergnügen für mich, und es tat diesem Studium durchaus keinen Abbruch, daß der Gegenstand desselben zugleich an Schönheit der Formen die treueste Kopie einer Venus von Tizian war, nur in schwarzer Manier. Als ich sie kaufte, und aus Furcht, daß mir ein anderer zuvorkommen möchte, ohne Handel den geforderten Preis sogleich auszahlen ließ, trug sie noch das Kostüm ihres Vaterlandes, das heißt nichts als einen Gürtel aus schmalen Lederriemen mit kleinen Muscheln verziert. Doch hatte der Sklavenhändler ein großes Musselintuch über sie geworfen, das aber vor den Kauflustigen abgenommen wurde und daher der genauesten Beurteilung kein Hindernis in den Weg legte. Wir waren vier oder fünf «junge Leute», wie der ci-devant jeune homme sagt, und staunten alle über das makellose Ebenmaß des Wuchses dieser Wilden, mit dem sie ein chiffoniertes Charaktergesicht verband, wie ich es grade liebe, ohne daß dies übrigens auf große Regelmäßigkeit hätte Anspruch machen können. Aber ihr Körper! Woher in des Himmels Namen haben diese Mädchen, die barfuß gehen und nie Handschuhe tragen, diese zarten, gleich einem Bildhauermodell geformten Hände und Füße; sie, denen nie ein Schnürleib nahekam, den schönsten und festesten Busen; solche Perlenzähne ohne Bürste noch Zahnpulver, und obgleich meistens nackt den brennenden Sonnenstrahlen ausgesetzt, doch eine Haut von Atlas, der keine europäische gleichkommt und deren dunkle Kupferfarbe, gleich einem reinen Spiegel, auch nicht durch das kleinste Fleckchen verunstaltet wird? Man kann darauf nur antworten, daß die Natur Toilettengeheimnisse und Schönheitsmittel besitzen muß, denen die Kunst nie gleichzukommen imstande ist.
Es war gut, daß ich alle diese Vorzüge beim Einkauf sah, denn jetzt hätte ich weniger Gelegenheit dazu gehabt, da Ajïamé (so heißt die abessinische Schöne) bereits durch meine Fürsorge in dezente morgenländische Kleider mit Strümpfen und gelben Pantoffeln gehüllt ist, die mich nur ihr Antlitz und zuweilen ihre wundervolle Hand mit einem Teil des runden Armes erblicken lassen. Übrigens versteht es sich von vornherein, daß ich ein zu gewissenhafter und selbst zu freier Preuße bin, um sie jetzt noch als Sklavin zu behandeln. Mit dem Eintritt in mein Haus war sie eine Freie, obgleich ich fürchte, daß sie noch keinen recht deutlichen Begriff von diesem Zustande hat, denn als ich ihr denselben mit Hilfe eines Dolmetschers in ihrer Sprache ankündigte, küßte sie mir die Hand und, diese dann demütig an ihre Stirn drückend, flüsterte sie leise: Ich sei ihr Herr und habe zu gebieten, was sie sein und was sie tun solle. Übel ist allerdings, daß sie aus Mangel an Raum hinter einem Vorhang, der in der Eile in dem kleinen Schlafzimmer meiner Barke angebracht wurde, residieren muß, aber erstlich ist dem Reinen alles rein, und zweitens ist sie ja frei, ich aber bin ein Ritter, der jener Vorschrift der «chevalerie» immer eingedenk ist, die Voltaire in einem seiner gedruckten Briefe an Mlle. Clairon ausspricht. Der Neugierige suche sie auf.
Vorderhand behält die Dame jedoch die ganze Barke für sich allein, nur von meinem Pagen statt eines hier landesüblichen Eunuchen bewacht, während wir übrigen uns nach Dschiseh begeben, wo mich der vortreffliche Oberst Warin zu einem fröhlichen Abschiedsschmaus eingeladen hat.
Erst am andern Morgen nahm ich von dem freundlichsten der Wirte in seinem selbstgepflanzten Garten Abschied, denn Oberst Warin liebt wie Cincinnatus, mit sorglicher Hand der Erde ihre kostbarsten und unschuldigsten Schätze abzugewinnen, und ist überdies ein ebenso gelehrter Botaniker als Militär. Ich bewunderte daher hier auch eine Menge mir ganz unbekannter Pflanzen als: das junge Exemplar eines riesigen Baumes aus Kordofan, der aus dem Kern in einem Jahre schon mehrere Ellen emporgeschossen war, die sensitive Akazie mit ihren herrlichen Blumen, die karmesinrote Orange von Schubra, einen Strauch, dessen gleich Rosen geformte Blüten früh weiß, Mittags rosa und Abends blau erscheinen, Farben wechselnd wie weiland der Staatsrock des Zauberers Beyreis zu Braunschweig, und viele andere Seltenheiten mehr. Unter diesen Blüten sagte ich auch meinem ebenso gütigen als geistreichen Cicerone, Herrn Lubbert, Lebewohl, was mir gleich naheging. Wahrlich, wenn das Wort «aimable» nicht schon existiert, für Herrn Lubbert müßte es erfunden werden, Die «jeune» und «vieille France» ist in ihm so glücklich vereinigt, wie es nicht häufig angetroffen wird, und obgleich durch und durch Franzose, zeigt er doch nur die gewinnenden Seiten dieser Nation. Die schmeichelhafteste Höflichkeit, ein stets heiterer Sinn, eine unerschöpfliche Unterhaltungsgabe, die Kunst zu erzählen wie zu hören, ein munterer Witz ohne Galle noch zu viel Medisance, verbunden mit dem feinsten Takt und aller Sicherheit der großen Welt, machen Herrn Lubbert zu einem der angenehmsten Gesellschafter, die ich kenne, und ich bedaure von Herzen, kein großer Herr zu sein, um ihn für immer meiner Person attachieren zu können. Herr Lubbert, der hier einen bedeutenden Wirkungskreis hat und neuerlich auch zum Historiographen Ägyptens ernannt wurde, bekleidet in Frankreich den Posten eines «gentilhomme ordinaire de la chambre du roi», dirigierte aber zugleich die königlichen Theater unter dem nominellen Minister, solange Karl der Zehnte regierte – eine Charge, die ihn mit der königlichen Familie wie mit dem ganzen Hof in manche vertrauliche Berührung brachte und ihm einen reichen Schatz der pikantesten Anekdoten hinterlassen hat. Wer beliebig hinter den Kulissen bei Hofe und auf dem Theater stehen kann, sieht viel in mancher Hinsicht, und niemanden unterstützt Gedächtnis und Gewandtheit besser als Herrn Lubbert, um seine Unterhaltung fortwährend neu damit zu würzen. Freilich erscheint der Sprung vom Theaterdirektor zum Historiographen und vortragenden Rat im Ministerio des Innern etwas gewagt, aber da das Theater die Welt abspielt und die Welt selbst auch nur ein größeres Theater ist, so wird er sich als Mann von Kopf wohl auch hier zu helfen wissen sowie als Dirigent der Militärschule zu Thura.
Ehe wir Dschiseh ganz verließen, krochen wir noch in einen heißen Ofen, um Eier künstlich ausbrüten zu sehen (der Leser fürchte keine Beschreibung!), und besahen nach der Hühnerfabrik auch eine andere, wo Salmiak gewonnen wird. Dann tauchten wir in die vom Winde bewegten Wogen unabsehbarer Kleefelder, wiederbelebt durch alle Rosse und Esel der Umgegend, welche sämtlich in dieser Zeit mehrere Monate lang aufs Gras (Bersim) geschickt und dort mit zusammengebundnen Füßen ihrem Schicksal bei ununterbrochnem Fressen überlassen werden, eine der nachteiligsten und törichtesten Sitten des Orients, worüber später ein mehreres. Der Weg kommt einem lang vor, denn die Pyramiden täuschen auf eine merkwürdige Weise über ihre wirkliche Entfernung. Man glaubt sie schon von Kahira aus mit Händen zu greifen und muß doch von Dschiseh aus noch mehrere Stunden reiten, ehe man sie erreicht.
Am Rande der Wüste empfing uns ein halbes Dutzend Beduinen, die sich uns als Führer aufdrängen, und obgleich wir ihnen versicherten, daß wir nur höchstens zwei von ihnen brauchten, war es doch nicht möglich, ihrer wieder loszuwerden. Neugierig suchten meine Augen zuerst den kolossalen Sphinx auf, den man vor einigen Jahren ganz freigemacht hatte, der aber jetzt vom Sande schon wieder bis an den Hals verschüttet ist, so daß man nur den Kopf sieht. Von weitem erkennt man seine Physiognomie noch ganz gut, von nahem aber wird er, verstümmelt wie er ist, nur zu einer unförmlichen Masse, auf der sich jedoch noch ein großer Teil der roten Farbe, mit der das Ganze einst angestrichen war, erhalten hat. Er sieht in seinem jetzigen Zustande einem Pilze ähnlicher als einem Kopfe und stimmte meine zu hoch geschraubte Erwartung etwas herab. Auch muß ich aufrichtig bekennen, daß die Pyramiden selbst keinen viel günstigeren Eindruck auf mich machten und mir von nahem durchaus nicht mehr so imposant als in der Weite erschienen, oft das Los der Großen auf der Erde! Wenn man sie besteigt, ändert sich dies jedoch wieder, aber nicht in dem Maße, wie ich es voraussetzte, und wenn ein Vergleich die Sache anschaulicher machen kann, so muß ich sagen, daß das Straßburger Münster zum Beispiel an seinem Fuß wie auf seiner Spitze mein Gefühl weit mächtiger ergriff.
Für heute war es zu allen weiteren Untersuchungen bereits zu spät. Nachdem wir uns daher in dem natürlichen souterrain einer Höhle, die den Resten einer andern längst zerstörten kleineren Pyramide zum Fundamente dient, eine Wohnung eingerichtet und rundherum zugleich unsre Zelte aufgeschlagen hatten – dicht neben der Sandschlucht, an deren Eingang sich mitten in der Wüste noch vier Palmen und drei Sykomore einsam erhalten haben –, begnügten wir uns für diesen Abend, den Gesamteindruck des Ganzen in uns aufzunehmen, so mager dieser auch war. Nur in einige 50-60 Fuß tiefe Mumienbrunnen schaute ich noch flüchtig hinab, betrachtete die darin gefundnen, mit Mühe heraufgeschroteten und jetzt in Stücken oben umherliegenden Sarkophage aus grauem Granit, mit vielen Hieroglyphen bedeckt, besuchte später den Oberst Wyse, der, in den wohnlichsten Katakomben schon «comfort» eingeführt und eine förmliche kleine Kolonie, zierlich von Rohrbarrieren umzäunt, errichtet hatte, und sank dann beim Sternenlicht dem guten Gott Morpheus ermattet in die Arme, voll Erwartung der Dinge, die der morgende Tag bringen sollte.
Die Konsuln von Österreich und Frankreich nebst den Herren Linant und Cavilia hatten uns begleiten wollen, aber alle uns «faux bond» gemacht. Ein Kurier rief Herrn Lesseps nach Alexandrien, der Tod der Madame Champion hielt Herrn Laurin in Kahira zurück; Herr Linant mußte nach seinem «barrage», und Herrn Hauptmann Cavillia mußte wahrscheinlich sein «spiritus familiaris» erschienen sein, denn er war ohne irgend jemandes Wissen plötzlich abgereist. Der einzige Begleiter, welcher uns nun noch blieb, war dafür von der originellsten Natur, ein achtzigjähriger Greis, halb blind, aber noch rüstiger im Ertragen von Fatigen als mancher Jüngling und so bekannt im Reiche der Pyramiden und Katakomben, als habe er sein ganzes Leben im Dunkel dieser mysteriösen Wohnungen zugebracht. Der seltsame, einem ägyptischen Nußknacker vollkommen gleichende Alte schläft nie anders, auch in seiner eignen Wohnung zu Kahira nicht, als im Freien, das Wetter sei, welches es wolle, ein Regime, dem er wahrscheinlich den jämmerlichen Zustand seiner roten und geschwollenen Augen verdankt. Seine Kleidung ist ganz arabisch, das heißt, er geht halb nackt, ein großes Hemde mit Ärmeln und Pantoffeln nebst einem Mantel darüber im Notfalle, das ist alles. Er hat sich einen Sarg machen lassen, auf dem er alle Monat einmal, als ganz eigentümliches «memento mori» – sein Mittagsmahl einnimmt. Das übrige Irdische betreffend ist er nominell «Interprête du Consulat de France», das heißt ohne wirkliche Funktion, und handelt daneben, ohne übertrieben vorzuschlagen, mit Antiken aller Art. Sein Name ist Msarra, wie er ihn ausspricht, ob er ein Christ oder Muselmann ist, habe ich wahrlich zu fragen vergessen, jedenfalls ist er ein Philosoph, weil er die Leiden dieser Welt mit großer Geduld erträgt und den Tod nicht fürchtet; am bekanntesten in der Welt ist er aber dadurch geworden, daß er meinen verehrungswürdigen Freund, den Herrn General Minutoli begleitete, als dieser die große Pyramide von Sakkara öffnete, ein Kapitel, auf welches ihn zu bringen übrigens etwas gefährlich ist, weil, einmal begonnen, er nie wieder davon aufhört.
Msarra bestand darauf, daß wir zuerst einen von ihm entdeckten Schacht, in dessen Tiefe noch ein Sarkophag aus rosafarbnem Granit ruht, den der neue Besitzer gern mit einem weit kleineren Gewicht in Metall vertauschen möchte, besuchen sollten, und ich tat ihm seinen Willen zur Hälfte, das heißt, ich sah, kroch und renkte meine Glieder aus, aber ich kaufte nicht.
Dann ließ ich den guten Alten am Fuß der kleinsten Pyramide zurück, um diese zu besteigen. Sie ist von allen aus den größten Blöcken errichtet, prangt noch zum Teil mit Marmor- und Granitverkleidung und scheint überhaupt die prächtigste, wenn auch die kleinste der ganzen Gruppe gewesen zu sein. Es ist die, von welcher Herodot das bekannte Märchen der sich prostituierenden Königstochter erzählt, und sie setzt in der Tat ihrer Besteigung bis zum Gipfel ebensowenig Hindernisse entgegen, als die königliche Jungfrau einst den Liebkosungen ihrer Anbeter. Das innerste Heiligtum aber verwahrt sie bis jetzt besser als ihre Gründerin, und obgleich Oberst Wyse bereits in einer schmalen Öffnung mit unsäglicher Arbeit 59 Fuß tief von der Nordseite in sie eingedrungen ist, will alles dies doch noch nicht zu dem erwünschten Resultate führen. Einige frühere Versuche, von andern Seiten den Eingang zu finden, sind ebenfalls gescheitert; vor einiger Zeit aber erbot sich ein Araber gegen Msarra, für 1000 Piaster den wahren Eingang zu verraten, der ihm, wie er behauptete, durch alte Überlieferung bekannt sei. Man zögerte zu lange mit der Annahme des Vorschlags, und als man zugreifen wollte, war der Beduine unterdes gestorben. Was mich betrifft, so glaube ich nach dem, was ich selbst beobachtet, daß man sich auf diesem Wege vergebne Mühe macht, und die wahren hohen Personen, zu deren Ehren diese Grabmonumente errichtet wurden, gar nicht innerhalb derselben, sondern immer unter ihnen zu suchen sind.Man hat in der Tat seitdem einen Sarkophag ohne Hieroglyphen in der Tiefe unter der Pyramide gefunden. Er war aber leer und beschädigt, also schon längst das Heiligtum durch Schätze Suchende entweiht. Dasselbe gilt von der größten Pyramide wie von der kleinsten, und ist die erstere wirklich entweder das Grab des Pharao Suphis nach Champollion oder des Cheops nach Herodot, so sind die darin aufgefundenen kleinen unverzierten Stuben, in denen die beiden großen Sarkophage stehen, gewiß keine Königsgräber, sondern nur die untergeordneter Nebenpersonen oder Priester, und der alte respektive König ruht noch ungestört da, wo Herodot es angibt, nämlich in des Felsens Kern, auf dem der gigantische Steintumulus nachher errichtet wurde; denn nichts anders als Tumuli von Stein sind am Ende diese rohen Anfänge der Kunst, ohne alle Bildwerke, ohne Hieroglyphenschrift, obgleich sie zur Zeit Herodots schon wieder mit dem Schmuck seitdem fortgeschrittner Kunst, mit Tempeln, Sphinxen, Kolossen, Höfen und prächtigen Auffahrten umgeben worden waren, welche letztere alle Hieroglyphen trugen, während man mit heiliger Ehrfurcht die Urmonumente in ihrer ursprünglichen Einfachheit ließ.Die soeben von Oberst Wyse angeblich entdeckten Hieroglyphen im Innern der großen Pyramide sind nicht in den Stein gegraben, sondern nur wie mit einem in Farbe getauchten Finger verkehrt und vielleicht sehr neuerlich auf die Wand gepinselt. Ja es wäre sogar nicht unmöglich, daß mehrere von den verhältnismäßig gegen die ungeheuren Steinmassen so ganz unbedeutenden niedrigen und schmalen Gängen und Gemächern, in denen man oft kaum kniend und liegend Raum finden kann, erst später zu gewissen Zwecken der Priester ausgebrochen und in die Pyramiden hineingebaut worden wären, wie man Schachte in Felsen treibt und wie wir selbst jetzt Ähnliches, nur weniger systematisch und mit geringeren Hilfsmitteln, an diesem kolossalen Monumente von neuem durch die Engländer unternehmen sahen.
Die Aussicht vom Gipfel der kleinen Pyramide steht der von der größten freilich sehr nach, aber die Disposition der mannigfachen Höfe, Auffahrten wie die Lage der vielen zerstörten Gebäude in der Nähe, übersieht man von hier am besten. Von fünf kleineren Pyramiden, die unmittelbar vor der kleinen in einer Reihe standen, sind noch drei ziemlich wohlerhalten. Die eine derselben erhebt sich in breiten Stufenabsätzen, während bei allen andern die Steinlagen zwar hinlänglich eine über der andern zurückreichen, um hinaufklettern zu können, aber gegen die ganze Masse zu niedrig und schmal und viel zu zerbröckelt sind, um für das Auge den Effekt einer Abstufung zu gewähren; daher auch in der Nähe die Pyramiden fast nur wie roh aufgetürmte, konische Steinhaufen aussehen, an denen kaum ein regelmäßiges Mauerwerk bemerkbar wird. Dies ist dem Grandiosen, das ihr Totaleindruck haben sollte, äußerst hinderlich. Als sie noch mit glatten Quadern überdeckt und mit glänzendem Stuck überzogen waren (wie sich ein kleiner Teil der Spitze der zweiten Pyramide bis jetzt noch erhalten hat) und auf diese Weise ungeheure ebne Flächen auf jeder Seite darboten, auch daneben stehende niedere Gebäude zugleich den Maßstab ihrer riesigen Höhe besser versinnlichten, muß ihr Anblick freilich unendlich imposanter gewesen sein. Jetzt, ich wiederhole es, täuscht er selbst eine mäßige Erwartung. Noch mehr als das Äußere der Pyramiden desappointiert aber im Innern die Kleinlichkeit der labyrinthischen, nur für Schlangen und Schakale gemachten Gänge sowie die unansehnlichen, oft durch ihre Niedrigkeit ganz abgeschmackt erscheinenden, unbrauchbaren, kahlen Gemächer der beiden großen Pyramiden.
Sobald wir von der sogenannten kleinen – denn auch sie bleibt an sich immer eine enorme Masse – niedergestiegen waren, begaben wir uns in die Eingeweide der größten. Der rohe, aber kühn und kolossal konstruierte, dem Druidenbau ähnliche Eingang ist das einzige, was hier den Effekt des Großartigen auf mich machte, denn, wie gesagt, Gänge, in denen man sich kaum umdrehen, selten anders als wie ein Fiedelbogen gekrümmt, oder gar auf dem Bauche kriechend, vordringen kann und die endlich nach aller Mühe einem Heiligtume zuführen, das nur aus ein paar elenden, dunklen Zimmern von den Dimensionen einer Bedientenstube besteht, deren Wände mit düstern, einst polierten, jetzt matten Granitplatten ohne eine Spur von Schrift, Verzierung oder Bilderwerk belegt sind – scheinen mir ebensowenig wie die beiden einfachen steinernen Kastensärge, die man hier sieht, ein Gegenstand der Bewunderung zu sein, am wenigsten für den, der die erhabene Kunst der Ägypter und ihre wahrhaften Wunder in Theben gesehen hat. Mir waren diese freilich damals noch unbekannt, doch war auch schon ohne den Vergleich der erste Eindruck bei mir nicht anders, als ich ihn schildere, und da ich kein gelehrter Archäologe bin, der hier auf Entdeckungen ausgeht, so bemühe ich mich nur, dem Leser ein wahres und beschauliches Bild des Ganzes, dem individuellen Eindruck, den es auf mich gemacht, gemäß, wiederzugeben – was die Gelehrten in der Regel vermissen lassen.
Ich durchkroch mit meiner gewöhnlichen Beharrlichkeit alles, was geöffnet ist, und nachher auch auf Leitern in die teils neuerlich, teils in schon vergessener Zeit (wie zum Beispiel Davisons sogenanntes Zimmer) entdeckten Löcher. Alles dies ist sehr fatigant und erhitzend, aber nichts davon im mindesten gefährlich, als höchstens etwa das Hinabsteigen in den 280 Fuß tiefen Brunnen, mit bloßen Einschnitten in der Mauer, der vom «soit-disant»-Saale der Königin (die vielleicht nur eine Hofdame oder Priestermätresse war) nach dem tiefsten sich fortwährend senkenden Gange niederführt, welcher letztere in einem natürlichen Felsengewölbe, nahe der Mitte der Pyramide und schon in ihrem Fundamente endet. Aus dieser Höhle geht auf der entgegengesetzten Seite ein anderer horizontaler schmaler Gang noch weiter dem Mittelpunkte zu und hört dann plötzlich auf. Hier ist vielleicht der Schlüssel zum tieferen noch Unbekannten. Dort herum, glaube ich, sollte man rastlos nachforschen, denn hier in der Tiefe muß der König liegen, wenn er überhaupt vorhanden ist, hier im Herzen des Felsens, einst von einem hineingeleiteten Kanal des Nils umflossen, wie es uns der Vater der Geschichte erzählt, freilich ohne ihn selbst gesehen zu haben und nur das zweifelhafte Priesterwort als Bürgschaft gebend.
Die Luftlöcher, welche in dem «Saal des Königs» getauften Zimmer in der Mauer befindlich sind, hat man über hundert Fuß verfolgt, wie man uns versicherte, und der Oberst Wyse glaubt auch ihren Ausgang oben aufgefunden zu haben, doch alles ist und bleibt höchst unbedeutend.
Erst nach mehreren Stunden hatten wir uns aus der Grabeshöhle wieder hervorgearbeitet und begrüßten das rosige Licht und sanken todmüde auf die Riesensteine am Eingang hin und aßen Orangen und tranken Kaffee und fühlten uns durch dieses Intermezzo bald wieder so wunderbar gestärkt, daß ich, den Reigen kühn eröffnend, auch von außen heute noch zum Ziele gelangte, nämlich den 500 Fuß hohen Gipfel der Pyramide kurz vor Sonnenuntergang erstieg. In fünfzehn Minuten waren wir ganz gemächlich oben, entzückt durch eine der herrlichsten, wenigstens gewiß eigentümlichsten Aussicht auf der Erde, obgleich sie nur in wenig große Massen zerfällt. Die rosenrot gefärbte Wüste mit mehr als vierzehn Pyramiden, nämlich denen von Dschiseh selbst, dann von Abusir, Sakkara und Daschfur, meistens in der eben günstigsten Entfernung gesehen, ist nicht der wenigst anziehende Gegenstand dieser erhabnen Dreieinigkeit von Weltstadt, Grünland und Sandmeer. Wir bemerkten übrigens, daß seit vier Jahren, wo Herr Doktor Koch zum erstenmal hier war, nach seiner Angabe, wie es damals gewesen, seitdem ein großes Stück der Wüste nach den Pyramiden zu kultiviert worden sein muß, was man auch an der Farbe des Bodens deutlich unterscheiden konnte, da das neue Ackerland unter dem Grün noch sandig und heil aussah, während das alte nur tiefschwarze Erde zeigte. So wird die moderne Kultur bald wieder frische Fluren und Gärten bis dicht an die alten Denkmäler ziehen, wie es ohne Zweifel in der Zeit ihrer Blüte ebenfalls stattfand, denn obgleich die alten Ägypter die Nekropolis immer gern am Saume der Wüste in schöner Symbolik anlegten, so glaube ich doch nicht, daß sie sie je absichtlich mitten im Sande aufführten. Die Wüste hat natürlich jene ihr zunächst liegenden Monumente beim Untergang der Zivilisation auch zuerst umschlungen, wie gleichfalls die Gräber der Kalifen bei Kahira jetzt in der Wüste stehen, obgleich wir es von diesen genau wissen, daß sie bei ihrer Gründung auf allen Seiten von reichen Gärten und Orangenhainen umgeben waren. Einer so sinnigen und weit vorgerückten Nation, als die Ägypter waren, darf man nichts so Absurdes beimessen, als es gewesen sein würde, ihre erhabensten Monumente, die Gräber, bei allen ihren Städten so fern mitten in der Wüste aufzubauen, als sie zum Teil jetzt erscheinen. Jene Denkmäler wurden vielmehr, als echte Bilder des Todes, gerade an das Ende des grünen Lebens gestellt, und nur jenseits begann die geheimnisvolle, unabsehbare unbekannte Öde.
Meine Gefährten fanden das Hinabsteigen weit beschwerlicher und schwindelerregender als das Heraufklimmen. Ich war entgegengesetzter Meinung, und wie ich früher der letzte oben anlangte, war ich unten weit voraus der erste, denn über drei Fuß hohe Stufen sich hinanzuschwingen ist mühsam, sie aber in taktmäßiger Cadence herabzuspringen wird ein wahres Gaudium, das alte Leute, wie ich bin, anmutig an ihre Knabenzeit erinnert. Die ganze Partie ist überhaupt eine solche Kleinigkeit für alle, die sich ihrer Beine zu bedienen wissen, daß ein guter Felsenkletterer mit Leichtigkeit wetten könnte, die große Pyramide dreimal in einem Tage zu besteigen, und man muß furchtsamer sein als ein altes Weib, um etwas Gefährliches dabei aufzufinden.
Etwas anders aber verhält es sich mit der zweiten Pyramide, die wir am andern Morgen bis dicht an die glatte Spitze erkletterten. Diese ist, wenige Fuß ausgenommen, ebenso hoch als die, welche par excellence die große genannt wird, aber von weit geringerem Umfang in ihrer Basis, folglich weit steiler und ihre Stufen auch weit mehr geschwunden und beschädigt als bei der großen. Man konnte, oben angelangt, gleich an dem fast gänzlichen Mangel moderner Namensinschriften bemerken, daß hier die Besucher sehr selten sein müssen. Demohngeachtet sind einige selbst über den glatten Teil hinweg bis zur äußersten Spitze gekommen. Dies ist aber nur durch zusammengebundene Leitern und mit vielen Vorbereitungen tunlich. Man sagt, ein französischer Soldat habe, als Napoleon die Pyramide besichtigte, mit bloßer Hilfe seiner Glieder die äußerste Höhe erreicht. Dies muß Mazuriers Vater gewesen sein, sonst habe ich Mühe, es zu glauben. Wie dem nun sein mag, ich selbst stieg so hoch als es gewöhnlichen Dilettanten, ohne besondere Hilfsmittel der Kunst anzuwenden, gelingen kann, und grub dort auf eine der geglätteten Platten den Titel, Vor- und Zunamen meiner guten Julie ein, wie Herr von Chateaubriand auch den seinigen par procuration auf die große Pyramide setzen ließ. Wem aber unter unsren Freunden bekannt ist, welche dezidierte Abneigung gegen alle «Lokomotive», vollends die Ersteigung einer Höhe, ja sogar einer einfachen Treppe, die genannte liebenswürdige Dame von jeher gehabt hat – da sie nur die Bewegungen des Sitzens, Liegens und Spazierenfahrens gewohnt ist –, der wird sich allerdings nicht wenig wundern, sie hier als determinierte Bergsteigerin an einem Orte verzeichnet zu finden, wo nur Adler und Geier zu ruhen pflegen. So habe ich den geheimnisvollen Monumenten noch ein kleines Privaträtsel mehr aufgedrückt.
Das Innere dieser zweiten Pyramide ward von Belzoni geöffnet. Die Gänge sind hier ein wenig bequemer, der Zimmer mehr und einige auch etwas größer als in der Schwesterpyramide, doch ebenso kahl und zierdelos, ebenso unbegreiflich der Zweck dieses mühsamen Fuchsbaues.
Ein in den lebendigen Felsen eingehauener Hof umgibt dies Denkmal, und man sieht an den schon zum Herausbrechen vorbereiteten Steinen der Bodenfläche, daß man noch tiefer gehen wollte. Auf den glatt abgearbeiteten äußern Felswänden dieses Hofes bemerkt man einige Hieroglyphen aus älterer späterer Zeit und auch einen Ring des großen Ramses. Mehrere Gebäudereste neben dem ausgehöhlten Platze zeigen zyklopische Mauern ganz in der Art der großen Wand am Pnyx zu Athen und ganz verschieden von der Bauart der Pyramiden selbst; in den Trümmern der Auffahrt aber, die zu dieser Pyramide führt, befinden sich von allen hier angewandten Blöcken die größten, welche nur denen von Theben weichen.
Das klare Wetter lockte mich am Abend noch einmal auf die Spitze der großen Pyramide, gleichsam zum Abschied, und ich konnte mich bei diesem zweiten Besuch des Glaubens kaum erwehren, daß auf ihrer abgekappten Spitze einst ein Koloß gestanden haben müsse, wie auf den ähnlichen Denkmälern im See Moeris, obgleich Herodot nichts davon erwähnt.
Als ich im Begriff war, am Morgen darauf zu Pferde zu steigen, um meine Reise fortzusetzen, ließ mir Oberst Wyse sagen, daß er in diesem Augenblick einen neuen Eingang in die zweite Pyramide entdeckt habe, denn der Unermüdliche operiert auf alle drei zugleich, Ich fand die Sache richtig; da dieser niedrige Eingang aber nur auf einen schon bekannten innern Gang stößt, so ist wenig damit gewonnen, und ich wünsche von Herzen dem braven Obersten für seinen Fleiß, seine Ausdauer und sein Geld bald ein glänzenderes Resultat.
Herr Cavillia, der vor einiger Zeit dicht neben den Pyramiden einen seltsamen Bau aneinanderstoßender Gemächer und Gänge aufdeckte, dessen Plan und Zweck zu verstehen bis jetzt noch nicht gelang, versicherte mir in Kahira, «in Entfernung einiger Stunden in der Wüste Fundamente von Pyramiden aufgefunden zu haben, deren Granitblöcke größtenteils schon wieder in Staub aufgelöst wären, woraus er schließe, daß, wenn die noch stehenden Pyramiden aus Sandstein 4 oder 5000 Jahre alt seien, jene aus schon wieder pulverisiertem Granit, wenigstens vor zehnmal so langer Zeit erbaut worden sein müßten!» Seine kleine Defektion verhinderte mich, diesen denkwürdigen «Granitstaub» mit eigenen Augen zu sehen.
Als ich durch die Einförmigkeit der Wüste meinen Weg fortsetzte, zürnte ich fast auf mich selbst, von mehr als einem gotischen Bau des Mittelalters lebhafter angeregt worden zu sein als von diesen berühmten Weltwundern, so wie mir auch in früheren Jahren das Pantheon zu Rom weit großartiger vorkam als die zwanzigmal größere Peterskirche – aber ich hatte nicht unrecht. Der Triumph der Kunst muß höher stehen als der der bloßen Masse. Demohngeachtet kann man, wenn man die kältere Reflektion zu Hilfe nimmt, nicht umhin, auch über diese Massen allein schon zu staunen, womit eines Königs Laune der Ewigkeit zu trotzen versuchte. Die drei Pyramiden von Dschiseh enthalten 4 693 000 Kubikmeter, woraus erhellt, daß man mit den Steinen dieser Monumente eine 9 Fuß hohe und 1 Fuß dicke Mauer von circa 1400 Stunden Länge bauen könne, also zum Beispiel von Alexandrien aus durch Afrika hindurch bis an die Küste von Guinea!
Unter den sechs Beduinen, die während der hier verlebten Tage unsere treuen Schatten geblieben waren, befand sich einer der schönsten Menschen, die ich je gesehen, das vollendete Bild eines Herkules, der, als er im Dampfbade des Königssaales sein leichtes Gewand abwarf und nun im Schein der Fackel nackt dastand, jeden Künstler als Modell in Ekstase versetzt haben würde. Ich liebe die Schönheit in jeder Form und suchte ihn daher für meinen Dienst zu engagieren, was indes, da er Frau, Kinder und ein beträchtliches Eigentum hatte, sehr schwer hielt; doch entschloß er sich endlich dazu für eine hohe Bezahlung, die er für den ersten Monat gleich voraus verlangte. Der Charakter der Beduinen ist aber nicht zum Dienen geschaffen. Der riesenstarke Kerl, der für sechs Andere aß, konnte nie zu der geringsten regulären Arbeit nach dem Maßstab eines Kindes vermocht werden, und da ich ihn doch nicht als bloßen Statisten behalten wollte, so ließ ich ihm eine Woche darauf in einer Anwandlung von Ärger über seine Faulheit ankündigen, daß er entweder gleich den andern Dienern arbeiten oder auf der Stelle die Barke verlassen solle. Da er indes wenig Miene machte, der Warnung Folge zu leisten, befahl ich ihm definitiv zu gehen, was er aber zu meinem Erstaunen ebenfalls verweigerte, so daß ich dem Kawaß auftragen mußte, ihn, wenn er sich binnen fünf Minuten noch hier befände, gewaltsam aus der Barke hinauswerfen zu lassen, wozu freilich ein Dutzend Menschen nötig gewesen wären. Ein türkischer Beamter und Diener Seiner Hoheit ist aber so sehr das Schrecken aller Araber, daß der Riese Ali sich nun sogleich fügte. Natürlich sah ich meinen vorausbezahlten Monatslohn als verloren an, war aber nicht wenig überrascht, am andern Morgen von meinem Dragoman zu hören, daß der Beduine ihm gewissenhaft drei Viertel des erhaltenen Geldes wiedergegeben und nur den Lohn für die abgediente Woche mit sich genommen habe. Mir schien dieser Zug des Aufzeichnens wert, obgleich er von der europäischen dienenden Klasse, vom Geheimrat bis zum Schuhputzer herab, schwerlich sehr bewundert werden wird.
Nach einigen Stunden, die uns fortwährend über ganz mit abgeglätteten Meerkieseln bedeckte Sandhügel führten – Steine, die oft jenen glichen, welche die leichtgläubigen Alten für die petrifizierten Bohnen und Linsen der Arbeiter an den Pyramiden hielten –, erreichten wir die Pyramidenruinen von Abusir, bedeutend kleiner als die von Dschiseh und von geringem Interesse. Anderthalb Stunden weiter befinden sich die von Sakkara, deren mittelste, größte und in breiten Absätzen aufsteigende, wie schon bemerkt, der General Minutoli eröffnete. Hier war also Msarra, der bisher auf seinem Esel zwischen Schlaf und Wachen fortgezuckelt war, in sein Element gekommen wie der Fisch ins Wasser, ich aber schweige und bitte meine Leser, den interessanten Artikel dort nachzulesen, wo er am lehrreichsten und unterhaltendsten abgefaßt ist, in des Generals eigener vortrefflicher Beschreibung. Ohnfern dieser Pyramide liegen einige weit schönere Sarkophage als die sind, welche wir bei Dschiseh gefunden, und nahe dabei befinden sich unerschöpfliche Ibiskatakomben, auch Menschengräber mit Mumienplebs in Menge. Man scharrte für ein Geringes vor unsern Augen einige ganz intakte dieser ordinären Mumien aus. Die buntbemalten Gesichter auf den groben Köpfen, obgleich keine Kunstwerke, schienen mir doch voll Ausdruck, besonders eine weibliche Physiognomie von äußerst schelmischem Ausdruck. Wir öffneten zwei, die offenbar nur gemeine Leute bargen, und fanden auch nichts darin, als vom angewandten Mastix versengte Linnen und zu wahrem Holz gewordene Knochen.
Die noch weiter entfernten Pyramiden von Daschfur begnügten wir uns aus der Ferne zu betrachten und wandten uns nun dem Nile wieder zu, nach dem schönen Tale und weitläufigen Palmenwalde des alten Memphis. Wenn man in diesen Wald eintritt, hat die ganze Szene eine auffallende Ähnlichkeit mit unsern düstern nordischen Kiefernhainen. Die Bäume mit ihren langen kahlen Stämmen und kleinen Kronen zeigen fast dieselbe Form und Farbe, der Boden ist gleichmäßig dürrer Sand mit wenig Gräschen hie und da, und um das Porträt zu vervollständigen sieht man daneben weite, halb ausgetrocknete flache Teichbecken voll Moor ganz wie die Marken und die Lausitz sie so vielfach aufzuweisen haben. Es würde daher auch ebenso traurig als bei uns sein, wenn nicht gleich daneben der gesegnetste Auboden, mit dem frischesten Grün bedeckt, hundertfache Frucht trüge, und ohnfern davon in seiner stolzen Pracht der breite Nil flösse. Überdies füllen antike Ruinen an mehreren Stellen den Wald, und in einer Versenkung liegt nahe der Straße der schöne, vom Kopf bis zum Gürtel ganz, im übrigen nur teilweise erhaltene Koloß des großen Ramses (Sesostris), wahrscheinlich der sonst im Dromos des Tempels Vulkans stehende und außer Ypsambul die einzige Statue dieses Heroen Ägyptens, deren Antlitz unbeschädigt ist. Herr Cavilia fand diesen Koloß zuerst auf, und schenkte ihn dem englischen Vizekonsul in Alexandrien, denn jeder Fremde, der früher hier etwas Antikes auffand, hielt sich für berechtigt, es als sein Eigentum zu betrachten, fast wie einige Küstenbewohner das Gut der Schiffbrüchigen. Der Herr Vizekonsul hat, wie ich höre, die Absicht, den Kopf absägen zu lassen und ihn dem vaterländischen Museum zu verkaufen, damit er neben dem Raube Lord Elgins in London aufgestellt werden könne. Wenn dies gegründet ist, so hoffe ich, daß Seine Hoheit der Vizekönig, der Gott Lob! noch nicht wie mancher andere Fürst sich als jedes englischen Beamten Sklave anzusehen braucht, eine solche Barbarei verhindern wird. Es wäre wenigstens eine große Schwäche von seiner Seite, wenn er es nicht täte, er müßte denn innerlich für gegründet halten, was neulich einer der ersten Offiziere der Euphrats-Expedition (übrigens ein Mann von großer Energie und nicht geringem Talent) mit echt englischer Galanterie und Selbstschätzung dem Kommandanten von Adana sagte, als ihm dieser die neu ausgeführten Befestigungswerke dieses Ortes zeigte: «Mon cher, avec un Kurbatsch (Reitpeitsche) et dix milles Anglais, je vous chasserai facilement avec toute l'armée d'Ibrahim d'ici à travers la Syrie et l'Égypte jusqu'au Sennar.» Solche Wahrheit den Leuten ins Gesicht zu sagen, ist doch hart.
Unter den Trümmern, welche sparsam, aber in weiter Ausdehnung im Walde herumliegen, sah ich wenig der Erwähnung wertes, unendlich vieles muß aber noch die Erde unter einer Unzahl hoher Schutthügel hier von alters her decken denn schon zu Strabos Zeit war die Sphinxallee, welche jenseits des Sees, welcher die ganze Stadt umgab, zu dem Tempel des Serapis führte, halb vom Sande der Wüste verschüttet. Mit der Abendröte gelangten wir, über schmale Dämme hinreitend, die durch des Nils Überschwemmungen nötig gemacht wurden und die, fast den Gängen eines englischen Gartens ähnlich, in Schlangenlinien geführt sind, um dem Wasser besseren Widerstand zu leisten, an den Fluß, wo unsere von konträrem Winde zurückgehaltnen Barken wie bestellt in demselben Augenblicke von Kahira ankamen. Froh eilten wir sie zu besteigen; Ajïamé empfing mich auf der meinigen mit einem demütigen Handkuß, dem ich mich vergebens zu entziehen suchte, und mit Freuden ward ich von der exemplarischen Reinlichkeit und netten Ordnung meiner kleinen Wasserwohnung gewahr, daß mir in jeder Hinsicht die Perle der Sklavinnen zuteil geworden sei. Ohne Zeitverlust wogten wir sogleich auf der blauen Flut weiter dem Süden zu und fuhren bald darauf bei Hatfeh, ehemals der Aphrodite geweiht, vorüber, während eine süße afrikanische Nacht, die Venus selbst gesandt zu haben schien, uns mit linden, wollüstigen Lüften umwehte. – Mit Sonnenaufgang passierten wir den Josephkanal (auch Jussuf Sal-Eddins, nicht des Geliebten der Potiphar Werk) und erblickten jetzt in duftiger Ferne die letzte der ägyptischen Pyramiden am Nil, die von Meidun in der Morgensonne Glanz, einer vergoldeten Krone gleich, über der Wüste thronend. Die große Reise war begonnen, die mich weiter, viel weiter führen und tragischer beginnen sollte, als meine Phantasie sich damals auch nur im Traume vorgestellt hätte.