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Man wird es kaum in Europa glauben, daß mir die nötigen Visitentouren und andere Gesellschaftspflichten die Hälfte meiner Zeit in Kahira so vollständig wie in einer europäischen Hauptstadt raubten. Die mir vom Vizekönig beigegebenen Herren nötigten mich sogar, häufig Diners zu geben, was mich, wenn Baki Bey selbst gegenwärtig war, fast an die Franzosenzeit in Deutschland mahnte, wo so mancher preußische Gutsbesitzer täglich die Ehre hatte, in seinem eigenen Hause und an der von ihm bezahlten Tafel der «Gast» des fremden Marschalls oder Generals zu sein, der einstweilen den Wirt bei ihm spielte.
Mehr als eine interessante Bekanntschaft danke ich indes diesen gesellschaftlichen Verhältnissen. Dahin gehören der österreichische Generalkonsul, Herr Saurin, ein berühmter Kunstkenner und höchst liebenswürdiger Gesellschafter, wie auch der österreichische Konsul, Herr Champion, die mich beide mit Güte überhäuften und meine dankbarste Anerkennung verdienen; der russische Generalkonsul Oberst Duhamel, ein feiner Diplomat, welcher überdies alle kurrenten Sprachen Europas zu sprechen und in keinem Fache der Wissenschaft unbekannt zu sein scheint; der preußische Konsul, Herr Bokti, ein wahres Diktionär für alle Details der neueren ägyptischen Geschichte von Ankunft der Franzosen an bis auf den heutigen Tag; der Kapitän Cavillia, dem keine im Gebiete der Antiquitäten gemachte Entdeckung in Ägypten fremd geblieben ist; der St. Simonist, Herr Lambert, am tiefsten eingeweiht in des leider schon abgereisten «Vaters» Lehre, und unser vortrefflicher Schubert endlich, dem ich so glücklich war, hier in fernen Landen zu begegnen, dieser, ich möchte sagen, imposant bescheidene Mann, vor dessen mildem, evangelischem Geiste man sich in liebender Verehrung beugt – und manche andere, mit denen ich später in noch vielfachere Berührung kam, weshalb ich derselben erst dann gedenken will, die Langweiligen aber wie billig ganz übergehe, und ach, es gab auch deren leider von kolossalem Kaliber, in Kahira wie bei uns.
Indem ich nun meine Leser bitte, mich von hier nach den Gärten von Schubra zu begleiten, muß ich immer von neuem – der leidigen Kritiker wegen – darauf aufmerksam machen, daß ich durchaus kein Buchmacher von Profession bin; und daher eine systematische Zusammenstellung meines Stoffes von mir nimmer zu erwarten steht. Ich erzähle, was ich zu erzählen Lust habe, wie und wo es mir in den Sinn kommt. Wen dies verdrießt, der suche sich eine bessere Unterhaltung, die ihm nicht schwer zu finden sein wird.
Schubra, ein Lustschloß des Vizekönigs, wo er meistenteils residiert, hat mich nicht weniger als so viele andere Schöpfungen Mehemed Alis überrascht, denn bisher sah ich noch nie einen orientalischen Garten, der mehr als eine potenzierte Küchen- und Obstbaumplantage gewesen wäre, mit stets dabei vernachlässigter Eleganz und Reinlichkeit. Hier fand ich eine Anlage, die Georg den Vierten in «Virginia water» zu besitzen entzückt haben würde und die seine englischen Gärtner nicht um das mindeste zierlicher und mit mehr Nettigkeit aufgeputzt zu erhalten vermocht hätten. Diese musterhafte Ordnung und Sorgfalt macht im Orient, dem Lande des Schmutzes und Delabrements, einen doppelt angenehmen Eindruck, wobei freilich auch das wohltuende Gefühl für einen Nordländer mit anzuschlagen ist, sich Ende Januars in freier Luft von einem ununterbrochenen Blumen- und Blütenflor umgeben zu sehen, der allein über zwölf bis fünfzehn Morgen Landes einnimmt. Und welche herrliche Straße, ebenfalls Mehemed Alis Werk, fährt überdies von Kahira zu diesem Garten! Zuerst reitet man eine halbe Stunde in den Anlagen Ibrahims hin, die ich bereits beschrieben habe. Dann gelangt man an eine Feld- und Kleeflur, deren blendendes Grün von den üppigsten unserer Wiesen nicht übertroffen werden kann. Mitten durch sie hindurch führt eine sehr dicht gepflanzte Allee, welche in der Länge einer Stunde keine einzige Lücke hat. Aus immergrünen Sykomoren und einer dunkelblättrigen Akazienart bestehend, welche nur in der heißesten Jahreszeit einige Wochen lang ihr Laub verliert, bildet sie mit ihren ausgedehnten Kronen ein zusammenhängendes und der Sonne von oben ganz undurchdringliches Gewölbe von 30-40 Fuß Höhe, das nur zwischen den Stämmen der Bäume hoch genug geöffnet ist, um einem fortwährenden Wechsel der reizendsten Aussichtsbilder Raum zu geben – denn links in geringer Entfernung fließt der Nil, bald von Inseln unterbrochen, bald über eine Viertelmeile breit mit freiem Wasserspiegel in der Sonne flimmernd. Seine diesseitigen Ufer sind mit Landhäusern der Großen oder mit noch palastähnlicheren Fabrikgebäuden, zwischen Gärten und Feldern liegend, locker eingefaßt, die jenseitigen entfalten vor der sanft wellenförmigen Hügelreihe der Wüste abwechselnd Palmwälder oder mit reicher Vegetation umgebene Dörfer, die wie zierliche Buketts auf dem gelben Sande ausgestreut liegen. Alles erscheint idyllisch, nur im Hintergrunde ragen die ewigen Spitzen der Pyramiden, hoch alles Übrige dominierend, geheimnisvoll aus den Palmen hervor. Rechts der Straße ziehen sich in größerer Nähe die glatten, vom Winde zusammengewehten und häufig ihre Form ändernden Sandberge der andern Seite der Wüste hin, aber mit dem breiten Rande von Oliven- und Obstbaumplantagen, der vor ihnen liegt und in dem viele einzelne freundliche Wohnungen verteilt sind, zeigt die Wüste auch von dieser Seite nur ihren romantischen und keineswegs ihren öden Charakter. Dazu ist die nächste Staffage der Landschaft den ganzen Tag über fortwährend so lebendig und charakteristisch, als man sie sich nur wünschen kann, denn wie in der Stadt wird man auch hier stets von einer bunten Menge von Menschen und Tieren umgaukelt, die jede Eigentümlichkeit des Landes darbieten. Oft, wenn ich mich an dieser nicht abbrechenden Reihe exotischer Bilder ergötzte und dann meinen Blick auf das hohe kühle Laubdach über mir warf, das so viel mehr dem Norden als dem Süden anzugehören schien, kam es mir vor, als sei ich noch in Europa und betrachte nur aus einer Allee des Wiener Praters oder Berliner Tiergartens ein gemaltes Diorama Ägyptens.
So erreicht man fast unvermerkt Schubra und tritt, nachdem man neben einer schönen, aus weißem Stein aufgeführten Fontäne vom Pferde gestiegen, in einen Pavillon von Gitterwerk, das blau blühende Winden wie mit einer dichten Tapete umziehen. Durch einen gleich berankten, langen und schattigen Gang von ähnlicher Treillage kommt man hierauf an einen bemalten Kiosk, vor dem sich ein regelmäßiges Blumenparterre in gefälligen Formen ausdehnt. Statt Buchsbaum umfassen kurz geschnittene Myrten und andere wohlriechende Pflanzen, die sich zu Bordüren eignen, seine verschiedenartig gezeichneten Tulpen-, Geranien- und Rosenbeete, und sinnig verteilte junge Zitronenbäume sind so gezogen und beschnitten, daß sie die graziösesten Arkaden mit herabhängenden Festons bilden, bald neben, bald über den Weg sich mit ihren Blüten und Früchten wölbend, während der Boden der Gänge, mit farbigen Meerkieseln sorgsam wie ein Parkett ausgelegt, ein Mosaik geschmackvoller Arabesken darstellt. Mehrere andere Abteilungen, stets in Charakter und Dekorierung abwechselnd, mit Wasserkünsten, Ruhesitzen, Blumenpyramiden, Rondellen, Vasen und Pavillons reich geschmückt und häufig vergoldet, folgen diesem ersten Garten, nur zuweilen getrennt durch dunkle Zypressenmassen und Haine von höheren Waldbäumen. In einem Orangengarten voll roter Früchte und weißer Blüten war der ganze Grund jetzt wie ein Teppich mit Narzissen und Tazetten bedeckt, deren Wohlgeruch fast betäubend wirkte. Später kommt man zu einem See mit prachtvollen Marmorbädern, zu denen Krokodile das Wasser ausspeien. Jenseits desselben schließt sich eine dunkle, mit einem äußerst zierlichen Bambuszaun eingefaßte Wildnis an, in der viele der seltensten Tiere Raum genug haben, frei umherlaufen zu können. Ich bemerkte unter diesen eine auffallende Antilope aus Darfur, die mit der kleinsten Taille ihres Geschlechts die vollständige äußere Gestalt eines Bisamochsen mit stattlichem Höcker vereinigte. Es ist ein Addax, wie mich ein Naturforscher belehrt, der strepsiceros des Plinius. Auch die schöne Antilope, welche so häufig auf den ägyptischen Monumenten vorkommt, von den Arabern Abou Harb «Vater des Weißen»genannt (der Oryx der Alten), erging sich in diesen Gebüschen. Als eine große Kuriosität aus England ward uns nachher in besonderer Vermachung ein gemeiner nordischer Bär gezeigt, hier so interessant als bei uns die Giraffe.
Der Obergärtner, ein Grieche aus Chios, lud mich ein, nach dem langen Spaziergang in einem der Kiosks auszuruhen, was ich mit Dank annahm. Ich fand das türkische Gartenhaus ganz auf europäische Weise mit vieler Eleganz eingerichtet, unter andern auch mit einem Londner «Patent armchair»versehen, diesem genialen Möbel, dessen Erfinder eine Stelle in Westminster Abey verdiente. Kaum hatte ich mich in wollüstigster Bequemlichkeit darauf hingestreckt, als einige Schwarze hereintraten, bunte Palmblätterkörbe aus dem Sennar voll der köstlichsten Früchte tragend, deren Schubra Winter und Sommer so viel liefert, daß die ganze Hofhaltung Mehemed Alis und seines Harems daraus versorgt werden; und auch wenn der Vizekönig auf Reisen ist, folgen ihm täglich frische Transporte davon nach. Mehemed Ali ist ein großer Freund von Früchten und liebt, wie Friedrich der Große, besonders die Kirschen, welche jedoch hier nicht mehr gedeihen und daher von Kandia bezogen werden müssen. Auch hat das kostbare Dampfschiff der Nile selten eine andere Beschäftigung, als ihm diese und Eis in Menge von dorther zuzuführen.
Diejenigen Früchte, durch welche sich meines Erachtens Schubra am meisten auszeichnet, sind eine eigentümliche Sorte Orangen, deren Fleisch von der schönsten karmesinroten Farbe ist und welche die roten Orangen Maltas und Portugals, obgleich sie vielleicht von ihnen abstammen, doch ebensosehr durch die Schönheit ihrer Farbe, welche selbst durch die Schale hindurchscheint, als durch ihren aromatischen Duft und Geschmack übertreffen.
Einen merkwürdigen Kontrast zu diesen königlichen Gärten bietet das Schloß, das in Europa kaum den Ansprüchen eines bemittelten Landeigentümers genügen würde. Es zeugt von der Einfachheit des Fürsten, der es den größten Teil des Jahres über bewohnt.
Da mir Zeit genug übrigblieb, setzte ich meinen Weg noch eine Stunde weiter fort, um das große, einer kleinen Stadt gleichende Gestüt zu besehen, welches der Vizekönig mit gewohnter Munifizenz in der Mitte einer unabsehbaren Feldflur durch den geschickten Veterinärarzt, Herrn Hammont, anlegen läßt.
Doch dieses Thema ist so reichhaltig, daß ich es für einen eigenen Aufsatz aufsparen muß. Ich begnüge mich mit einer Bemerkung, die sich mir hier von neuem aufdrang. Es schien mir nämlich immer ein auffallender Umstand, daß, obgleich der Vizekönig früher (denn jetzt beginnt er zu seinem Schaden, sich von den halbzivilisierten Türken in seiner Umgebung ein sehr verschiedenes System einreden zu lassen) Fremden aller Nationen willig sein Ohr lieh und sie auf jede Weise aufmunterte, ihm zu dienen – dennoch, mit sehr wenigen Ausnahmen (deren ich später gedenken werde), nur Franzosen sich um ihn und um Ägypten große Verdienste erworben haben. Man kann in dieser Hinsicht mit voller Wahrheit sagen, daß Mehemed Ali, nächst seinem eigenen umfassenden Genie, die Existenz seiner Marine allein den beiden Franzosen Cerisy und Besson verdankt, wie die Organisierung seiner Armee Soliman Pascha (Sève), ohne welchen überdies der Ausgang des Krieges mit der Pforte sehr zweifelhaft geworden sein möchte. Alle Sanitätsanstalten seines Reichs wurden von dem Marseiller Arzt Clot, jetzt Clot Bey mit Generalsrang, gestiftet, der außerdem auch den größten Einfluß auf sämtliche Erziehungsanstalten und die Zivilisierung Ägyptens im allgemeinen während seines langen, erfolgreichen Aufenthalts daselbst gehabt hat. Dieser geniale und wohlmeinende Mann hat nur den Fehler, zu leidenschaftlich zu sein, zu leicht für und wider Partei zu ergreifen und durch diese Leidenschaftlichkeit, wie eine manchmal zu ruhe- und rücksichtslose Tätigkeit, die sich in alles mischen will, seine eigenen Kräfte zu untergraben. Der Oberst Warin, einer der achtungswertesten Charaktere in Ägypten, hat die größten Verdienste um den spezielleren Unterricht der Kavallerie, die jetzt fast ausschließlich mit eingeborenen Offizieren aus seiner Schule besetzt ist. Man weiß aus meiner Beschreibung von Kandia, welchen Dank Mehemed Ali dem segensreichen Wirken eines andern ausgezeichneten Franzosen, des Herrn Caporal, dort schuldig ist und daß, wenn Kandia musterhaft und ohne allen Zweifel besser als irgendeine andere Provinz des ägyptischen Reichs regiert wird, dies hauptsächlich dem Einfluß dieses ausgezeichneten Mannes und dem gesunden Verstande Mustapha Paschas, der so weisem Rat stets folgte, zuzuschreiben ist.
Herr Linant ist gleichfalls dieser Liste der ausgezeichneten Franzosen ersten Ranges im Dienste des Paschas (denn es gibt in geringeren Verhältnissen noch viele, die ihm nützlich sind) beizuzählen. Er hat bereits nicht wenig für die Kanalisation des Landes getan. Wenn es ihm aber gelingt, das gigantische Projekt, mit dem er seit Jahren beschäftigt ist und zu dem er alle Pläne, Zeichnungen und Anschläge selbst gefertigt hat: die Dämmung des Nils am Eingang des Delta – ein Unternehmen, dessen Resultat für die Wohlfahrt und den Reichtum Ägyptens fast unkalkulierbar ist – glücklich zu vollführen, so wird sein Name unter den aus der Fremde gekommenen Wohltätern des Landes einst allen andern vorangesetzt werden müssen.
Das Wiederaufleben der Pferdezucht in Ägypten endlich sowie viele der zweckmäßigsten Einrichtungen für das Gedeihen der Viehzucht im allgemeinen und die Organisierung des Veterinärdienstes zu diesem Zweck bis in die entferntesten Provinzen des Sennar sind gleichfalls das Werk eines Franzosen, des bereits genannten Herrn Hammont, welcher demohngeachtet nahe daran war, mitten in seiner wohltätigen Laufbahn das Opfer der Intrigen eines der unfähigsten Günstlinge des Vizekönigs mit Namen Muktar Bey zu werden, einer jener in Europa erzogenen Türken, die dort nur gelernt haben, unsere Laster den ihrigen beizumischen, und jetzt wie Pilze in der Sonne von Mehemed Alis Gnade aufgeschossen, von Dummheit getrieben und von Arroganz aufgeblasen, den Vizekönig täglich zu überreden suchen, daß er der Fremden nicht mehr bedürfe, da sie jetzt schon alles wüßten, was von jenen ehemals wohl noch zu erlernen gewesen sei. Es ist Mehemed Ali nicht allzu sehr zu verdenken, wenn er sich, vielleicht vom eigenen Selbstgefühl und dem, was er wirklich allein getan, irregeführt, zuweilen einer gleichen Ansicht hinneigt; denn bei allen seinen großen Eigenschaften ist er doch immer wesentlich Türke geblieben und überdies von Europäern, hohen und niedern, so oft und so unverschämt betrogen, so häufig mit größter Undankbarkeit behandelt worden, daß er sie unmöglich lieben kann – aber er darf, für sein eignes Wohl, das Kind nicht mit dem Bade verschütten und muß bedenken, was er selbst gesagt, daß allen Nachteil, den ihm hundert Abenteurer gebracht, oft ein einziger reeller Mann, gleich den eben genannten, tausendfach aufgewogen hat – vor allem aber, daß ihre und ihresgleichen Dienste heute noch ihm ebenso nötig zum Erhalten sind, als sie ihm früher zum Schaffen waren. Ein flüchtiger Blick auf die Lage der erwähnten Koryphäen wird jedoch zeugen, daß diese Wahrheit vom Vizekönig nicht mehr gehörig gewürdigt wird. Cerisy verließ Ägypten im größten Degout der Intrigen, die man ihm rastlos in den Weg legte. Besson starb in Alexandria insolvent, ohne daß seinem Andenken irgendeine Ehre erwiesen wurde, und seine Witwe hat bis jetzt keine Pension erlangen können. Sève ist Pascha. Man benutzt ihn aber nur, wenn die höchste Not dazu zwingt, wie neuerlich in Syrien, und als ein Gegenstand der steten Eifersucht Ibrahim Paschas hat er außer, wie gesagt, im Fall der Not nur wenig Einfluß. Dennoch wäre es grade in Syrien von der höchsten Wichtigkeit für Mehemed Ali, einem Manne wie Soliman Pascha den freisten Wirkungskreis mit unbeschränktem Vertrauen einzuräumen. Wer die dortigen Verhältnisse und namentlich die Geschichte der letzten Insurrektion kennt, die Mehemed Ali gefährlicher als der Krieg mit der Pforte zu werden drohte, weiß, daß, wenn Soliman Pascha in Syrien zu gebieten gehabt hätte, diese Insurrektion nie stattgefunden haben würde, und wieviel andres höchst Bedauernswürdiges, was jetzt noch dort in voller Blüte steht, würde dann ebenso schnell verschwunden sein! Clot Bey befindet sich fast in gleicher Lage. Von unzähligen Personen beneidet und angefeindet, muß er stets rechts und links lavieren und darf keine Gelegenheit versäumen, den penibelsten Dienst in ärztlicher Hinsicht trotz seiner eigenen delabrierten Gesundheit bei seinen Gebietern zu versehen. Demohngeachtet ist, außer einer gelegentlichen Familiarität des Vizekönigs oder Ibrahim Paschas und einer guten Bezahlung, um die sich Clot Bey am wenigsten kümmert, sein Kredit über den rein ärztlichen Wirkungskreis hinaus nur höchst gering. Ich habe schon gesagt, daß Herr Hammont im Begriff war, seinen Abschied zu nehmen, um sich nicht der Brutalität Muktar Beys aussetzen zu müssen, und auch Oberst Warin, dessen Kavallerieschule unter dasselbe abgeschmackte Ministerium Muktar Beys gestellt ist, in dem sich kein einziger Militär befindet! – sieht von ganz Unwissenden seinen wesentlichsten Einrichtungen einen Hemmschuh nach dem andern angelegt, ohngeachtet er die persönliche Gunst des Vizekönigs im vollsten Grade besitzt.Das angezogne Ministerium hat unter dem Titel «Ministerium des öffentlichen Unterrichts» fast alle Branchen der Verwaltung an sich gebracht, so daß Muktar Bey als Chef desselben zugleich dirigiert: alle Zivil- und Militärschulen, öffentliche Anlagen und Bauten, Straßen und Kanalisierung, die Gestüte, ökonomische Etablissements, Medizinal- und Veterinärangelegenheiten, die Fabriken, Kunst und Gewerbe wie die Einrichtung der neuen Museen, die Schafherden und den Transport der Kamele und Ochsen aus dem Sennar. Es wäre ein Glück für den Vizekönig, wenn Muktar Bey nur bei diesem letztern Geschäft verwandt würde. Herrn Linants Schicksal ist nicht günstiger, denn nachdem alle nötigen Vorbereitungen mit bereits höchst bedeutenden Kosten für sein großes Werk vollendet sind, bleibt er seit Jahr und Tag durch Zurückhaltung aller Fonds und fortwährende Weitläufigkeiten paralysiert, ungewiß, ob man nicht das ganze Unternehmen schon aufgegeben hat und ihn nur noch mit banalen Vertröstungen hinhält. Herr Caporal aber, den seine größere Entfernung und die feste Gunst Mustapha Paschas zwar vor nachteiligen Hemmungen seines Wirkens sicherten, hat, trotz seiner eminenten Verdienste, noch nicht einmal den Rang eines Beys erlangen können, der täglich für die elendesten türkischen Subjekte weggeworfen wird.
Alles dieses beweist deutlich, daß Mehemed Ali die ausgezeichneten Fremden in seinem Dienst nicht hinlänglich anerkennt, noch von ihnen den Nutzen zieht, den er leicht daraus ziehen könnte, während seine türkischen Räte einen großen Teil seiner weisen Pläne teils absichtlich, teils aus Inkapazität vernichten. Ich habe als wahrer Freund und Verehrer Mehemed Alis und zu freier Äußerung von ihm aufgefordert, ihm selbst dies nicht verschwiegen und auch einige Proben gesehen, daß es wenigstens nicht ohne momentane Wirkung auf ihn geblieben ist – aber der größte Nachteil für diesen in so vieler Hinsicht außerordentlichen Mann ist der, daß er nicht wie Peter der Große, dem er in so vielem gleicht, auch seine frühere Bildung in zivilisierten Ländern aufsuchen konnte und selbst keine fremde Sprache versteht. So hängt er in dem unvermeidlichen fortwährenden Konflikt mit Europa zu sehr von den Ratgebern seiner eigenen Nation wie von seinen Dolmetschern ab und muß mehr oder weniger in ihrem Sinne handeln, denn auch das hellste Auge kann nur unvollkommen durch eine geschwärzte Brille sehen. Ich kenne nur zwei seiner orientalischen Großen, die Mehemed Alis vollkommen würdig genannt werden können – und dies sind sein Handelsminister Bogos Bey und der jetzige Kriegsminister Menicli Pascha. Zu denen, die einst gewiß eine große Rolle in Ägypten spielen werden und dies verdienen, gehört auch Artim Bey, des Vizekönigs Dragoman, der am vollständigsten europäisch Gebildete unter den Nichteuropäern in Ägypten. Mit der Verwaltung des Innern haben indes alle diese nichts zu tun, und in Syrien, wo der Schuh am meisten drückt, hat niemand Einfluß als Ibrahim Pascha und seine Kreaturen. Wie diese aber beschaffen sind, davon ein andresmal.
Ich fand im Hause des Herrn Hammont zahlreichen Besuch und sah hier zum erstenmal eine Almeh, welche die damals berühmteste der Hauptstadt war, notorisch durch die Gewalt ihrer Reize, die sogar einen Engländer vermocht, ihr seine Hand anzubieten, welche sie ausschlug – die schöne Saffia mit einem Wort, leider schon etwas zu lange berühmt, aber noch immer ihren Ruf verdienend. Sie ist zu reich und zu sehr Dame geworden, um in der allgemeinen Proskription ihrer Gefährtinnen mit einbegriffen zu sein, doch muß auch sie, gleich den vornehmen Pharaospielern in Europa, vor der Polizei auf ihrer Hut sein. Schlank und hoch gewachsen, weiß wie eine Engländerin, von edlem Anstand, mit sanften und einschmeichelnden Manieren zeigte sie sich in der Tat als eine sehr vorteilhafte Repräsentantin ihres Standes. Die Art ihres Tanzes war ganz dieselbe, wie ich sie in Algier und Tunis gesehen, mit Ausnahme eines Waffentanzes, den sie mit ihrer Sklavin, ein fast noch hübscheres Mädchen als sie, selbst aufführte, und wo sie den Säbel trotz einem ehemaligen Mamlucken zu führen wußte, an deren Kostüm auch ihre ungeheuer weiten roten Hosen und ihre goldgestickte hellgrüne Weste erinnerten. Ihre reichen schwarzen Haare, gemischt mit ebensoviel falschen, hingen in unzähligen Tressen bis über die Hüften herab, und ich sage gewiß nicht zuviel, wenn ich versichere, daß über tausend kleine und größere kurrente Goldmünzen hineingeflochten waren, die allerdings hier sehr leichten Gewichts sind. Nachdem sie eine Viertelstunde getanzt, trank sie Kaffee und rauchte mit uns so würdevoll wie ein Pascha, als ihr aber nachher einige Gläser Likör gereicht worden waren, welchen diese Mädchen allgemein zu sehr lieben, verwandelte sich ihre angenommene Ruhe bald in eine bacchantische Wildheit, die mir mehr originell als anziehend vorkam. Doch schienen mehrere Herren der Gesellschaft in dem Augenblick, als ich diese verließ, einer ganz entgegengesetzten Meinung zu sein.
Nach dieser reizenden Houri des Kahiraer Paradieses zeigte mir derselbe Abend in der Allee von Schubra auch den ägyptischen Himmel in seiner ganzen Pracht, und diese Darstellung war höherer Natur. Es ist fast unmöglich, eine Szene, wie sie an diesem Tage hier der Sonnenuntergang bot, zu beschreiben, ohne der Übertreibung beschuldigt zu werden; und doch kann ich mit Wahrheit sagen, daß ich während derselben ganz neue, früher nie gesehene Farbennuancen kennenlernte und von der ätherischen Zartheit dieses Schauspiels vorher gar keinen Begriff hatte. Bei uns spielen abends nur die Wolken am Himmel in mannigfachen und brennenden Farben, hier gab es keine Wolken, aber der ganze Himmel und auch die ganze Erde waren in sanft glühende Tinten von unbeschreiblicher Lieblichkeit gehüllt. Aus der glänzenden Goldfarbe am äußersten Horizont entwickelte sich über dem reinen Äther ein durchsichtiges, wunderbares Meergrün, und helle Rosabanden gingen von diesem in Lila- und Silberstreifen über, die im Osten wieder in lichtes Blau verflossen. So schimmerte in erhabener Milde und Pracht das ganze weite Himmelsgewölbe, während das die Erde deckende Grün, zu höchster Saftfrische gesteigert und wie durch eine Glorie verklärt, häufig, gleich dreifarbig gewebtem Seidenstoff, zu gleicher Zeit in grün und blau und gelb zu schillern schien. Dazu funkelte die perspektivisch sich zusammenziehende Arkade der Allee vor und über uns in einem so magischen Goldlicht, als wären tausend Lampen dahinter verborgen, bis nach und nach der untere Teil des unabsehbaren Doms sich in Dämmerung zu hüllen begann und alle Gegenstände nur noch undeutlich und fahl beleuchtet wie im Kampf des Lichtes mit der Finsternis erkennen ließ. Plötzlich stieg da, wo die Sonne eben niedergesunken war, dunkles Rot aus der Tiefe herauf; der Baumkronen feuriges Grün über mir verlosch im Nu, ein starker Duft wie von Veilchen und Rosen erfüllte die Atmosphäre, und ehe ich noch recht zur besonnenen Zergliederung des Gesehenen gelangen konnte, war schon mit der diesem Klima eigenen Schnelligkeit die orientalische Nacht mit ihren schwärzesten Schleiern niedergesunken und das Vergangene verschwunden, wie zurückgekehrt in des Traumes ungewisses Reich.
Die Stimmung, welche dies in mir hervorrief, war vollkommen passend für die Gesellschaft, welche mich zu Hause erwartete, wo ich heute, außer meinen steten Begleitern, dem Ministerialrat Lubbert und dem Doktor Koch, noch die Herren Lambert und Cavillia zu Tisch gebeten hatte. Beide letztgenannte Herren sind nicht ohne jenen phantastischen Anflug, den ich so liebe, wiewohl sehr verschieden in der Anwendung dieser Geistesrichtung. Der erste ist St. Simonist mit Leib und Seele, aber bei allem Enthusiasmus für seine abenteuerliche Lehre so scharf und klar, daß man ihm hier scherzweise den Beinamen des Jesuiten der St. Simonisten gegeben hat. Von niemand kann man sagen, daß er besser verstehe «de prêcher pour sa paroisse», und er weiß ebensogut das Wahre hervorzuheben, als schwache Seiten durch die gefährliche Waffe einer beißenden Ironie zu unterstützen, welche die Lacher auf seine Seite bringt. Doch ist er weit entfernt, ohne Veranlassung das Thema seines Glaubens nach Art der christlichen Missionare den Leuten bongré, malgré aufzudrängen, und da er voll Verstand und Kenntnisse wie reich an Welterfahrung ist, so gewährt seine Unterhaltung, auch außerhalb der St. Simonistischen Region, immer ein ungemeines Interesse.
Herr Cavillia ist ein Illuminat und von der Wahrheit vieler Dinge überzeugt, die in Europa für Märchen gelten würden, als zum Beispiel die Existenz weißer und schwarzer Magie sowie von den Auserwählten erhaltenen und immer noch wirksamer Geheimnisse aus der Schule ägyptischer Priester, die nach ihm eine weit höhere Ausbildung des tierischen Magnetismus zur Grundlage haben, als wir bis jetzt noch ahnen; ferner die Nähe geistiger Wesen übermenschlicher Natur, mit denen wir unter gewissen Umständen in persönliche Verbindung treten können, usw. Als ich gegen ihn äußerte, daß ich sehr wünschte, einen jener Vorgänge selbst zu schauen, von denen englische und französische Reisebeschreiber sprechen, wo durch einen unbekannten Zauber ein unschuldiges Kind befähigt wird, in der Fläche seiner Hand irgendeine beliebige Person zu sehen und zu beschreiben, über die man Auskunft zu haben wünscht, sei sie auch noch so fern, ja selbst schon längst vergangenen Zeitaltern angehörig, antwortete er, daß nichts leichter sei und Lord Prudhoe wie mehrere andere, die früher ungläubig gewesen, sich bis zur Evidenz von der buchstäblichen Wahrheit der Sache überzeugt hätten; es käme nur darauf an, setzte er sehr kaltblütig hinzu, im Fall ich dieselbe Erfahrung zu machen wünschte, ob ich mich vorher auch dazu verstehen wolle, dem bösen Geiste formell zu huldigen. – Ich frug ihn hier lachend, ob er glaube, daß jene erwähnten Herren dieselbe Bedingung erfüllt hätten. Dies ist keinem Zweifel unterworfen, erwiderte er, denn ohne diese Formalität ist die Sache nur auf dem entgegengesetzten Wege, nämlich durch weiße, heilige Magie möglich. Dazu aber gehört ein langes, schweres Leben der Vorbereitung. Nachdem Herr Cavillia hierauf noch allerlei nicht weniger auffallende mystische Andeutungen gemacht, in die er auf eigene Art das Christentum einmischte, welches er (nicht mit Unrecht) das Wort nannte, das von Ewigkeit sei und auch die Eingeweihten im ägyptischen Priesterturn schon erfüllt habe, gab er nicht undeutlich zu verstehen, daß er selbst zu diesen Eingeweihten der ersten Klasse gehöre, die den Grund aller Dinge erforscht. Im Verfolg der Unterhaltung behauptete er, daß ihm die neueste französische Revolution durch seinen «spiritus familiaris» schon sechs Monate vor ihrem Ausbruch verkündigt worden sei, so wie er es damals auch auf der Stelle mehreren mitgeteilt. Die Art der Offenbarung war nicht wenig eigentümlich, denn der Geist erschien ihm riesengroß, über Alexandrien in den Wolken thronend, und links seiner Nase wuchs eine dreifarbige Fahne, rechts das kolossale Bild Louis Philippes hervor. Es steht auch noch mehr Bedeutendes in der Welt zu erwarten, fuhr Herr Cavillia fort, denn das Phantom erschien mir kürzlich wieder. Welcher Art jedoch diesmal die Offenbarung war, ward uns nicht vertraut.
Kapitän Cavillia war in der letzten Zeit mit einer neuen Untersuchung der Pyramiden beschäftigt, wozu er sich mit dem englischen Generalkonsul, Oberst Campbell, dem englischen Vizekonsul in Alexandrien und dem englischen Obersten Howard Wyse durch Kontrakte assoziiert hatte, und zwar, wie er sich ausdrückte, dergestalt, daß die Engländer das Geld und er den Kopf zu der Unternehmung herzugeben sich verpflichteten. Ein erfolgter Streit zwischen ihm und Oberst Wyse hatte diese Verbindung vor einigen Tagen jedoch wieder aufgelöst und der Oberst die Fortsetzung des Geschäfts allein übernommen und «den Kopf» weggelassen, worüber Herr Cavillia sich, als eine gewaltsame, eigenmächtige Aufhebung des formellen Kontrakts, bitter beklagte. Als ich indes später den Oberst Wyse bei meinem Besuch der Pyramiden dort antraf, führte dieser ebenfalls mehrere plausible Gründe für sein Verfahren an, so daß ein Dritter, ohne genaue Kenntnis der Sache, kein Urteil darüber zu fällen sich erlauben darf. Herr Cavillia war voll sanguinischer Hoffnungen über die Möglichkeit großer Entdeckungen, von denen er bereits, wie er versicherte, die untrüglichsten Andeutungen habe. Er hoffe, der Welt bald ein noch ungekanntes Wunder ägyptischer Architektur im Innern der Pyramiden enthüllen zu können. Obgleich er stets in halben Rätseln sprach, glaubte ich doch so viel zu verstehen, daß, seiner Meinung nach, der ganze obere Teil der großen Pyramide über den gefundenen Grabkammern hohl sei und einen ungeheuren Saal bilde. Als dies die Rede auf die sogenannten Zimmer des Königs und der Königin brachte und ich Herodots Text zitierte, nach welchem der königliche Erbauer der Pyramide gar nicht in derselben, sondern in der Felsenbasis darunter, von einem unterirdischen Kanal des Nils umflossen, begraben liegen soll, unterbrach er mich lebhaft: «Nein», rief er, «dort liegt das gefeite große Krokodil, das die Quintessenz alles Geschehenen und Kommenden in sich faßt», und nun begann er eine höchst seltsame Erzählung, deren Ton er jedoch so geschickt zu handhaben wußte, daß es stets ungewiß blieb, ob er allegorisch oder ironisch oder in vollem Ernste spreche, ob er uns nur scherzend zum Besten habe oder wachend phantasiere. Ich für meinen Teil glaube indes, es war etwas von beiden Elementen darin vorhanden, und Herr Cavillia, gleich allen übrigen Propheten, halb inspiriert und halb besonnen, halb Glaubender und halb Täuschender. Man kann es jedoch auf keine unterhaltendere und anspruchslosere Weise sein als dieser originelle Mann, wenn er dazu aufgelegt ist, ein Fall, der übrigens sehr selten eintritt, da er, immer mit mysteriösen Studien beschäftigt, in der Regel nichts weniger als kommunikativ erscheint.