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Der nächste Tag war glänzender als die vorhergehenden und doch nicht weniger genußreich für mich. Seine Hoheit hatte mich einladen lassen, den Übungen der Eleven der Kavallerieschule zu Dschiseh, die unter der Leitung des so hoch um Ägypten verdienten Obersten Warin, ehemaligen ersten Adjutanten des Marschalls St. Cyr, steht, beizuwohnen, und Baki Beys Gondel holte mich um sieben Uhr dahin ab. Als ich in Dschiseh ankam, fand ich schon sämtliche Konsuln, einen ansehnlichen Teil der «beau monde» Kahiras und eine große Menge geringerer Zuschauer daselbst versammelt. Oberst Warin führte mich in ein oberes Zimmer seines Hauses, wo ich nebst einigen Fremden auch die liebenswürdige Familie Herrn Bonforts, deren Gesellschaft ich täglich vor allen andern aufsuche, antraf. Herrn Bonforts Schwester, Madame Chianti, wird in den europäischen Zirkeln Kahiras nur die «schöne Witwe» κατ' εξοχήν genannt, und ihre jüngere Schwester rivalisiert mit ihr in blühender Frische. Doch auffallender ist Herrn Bonforts Cousine, Mademoiselle Maritza. Dies ist ein mehr als gewöhnlich reizendes Geschöpf, in deren lieblicher Erscheinung man schon jene uns erst bevorstehende Vereinigung des Orients mit dem Westen verkörpert zu sehen glaubt – denn asiatisch ist die Üppigkeit und das vollkommene Ebenmaß ihrer Gestalt, ihr kohlschwarzes Haar und die brennenden Augen; europäisch der feine Mund, der tief denkende Ausdruck, der fühlende, seelenvolle Blick, der melodische Ton der Stimme und in Heiterkeit wie Schmerz der unverkennbare Stempel eines innigen Gemüts. Es ist aber noch etwas mehr an ihr bemerkbar, das in Worten auszudrücken schwerfällt – ich möchte es eine tragische Glorie nennen, die gewisse Personen wie ein magnetischer, transparenter Schleier sichtlich umhüllt und ihrem Andenken dadurch etwas Unvergeßliches beimischt. Man verstehe mich indessen wohl, ich meine dadurch keineswegs die Vorbedeutung eines tragischen Schicksals, sondern nur die sichere Andeutung einer tragischen innern Kraft. Die Eigenschaft ist selten, und von allen Frauen, die ich je gesehen, war dieser eigentümliche Zauber bei keiner stärker ausgedrückt als bei der nie wieder erreichten, größten aller Schauspielerinnen, Miß Oneil. Es ist daher sehr wahr, daß eben für eine dramatische Laufbahn keine Eigenschaft vorteilhafter, des Erfolges sichrer sein kann, und oft, wenn ich die herrliche Maritza mit der Stimme einer Pasta und aller Anlage, bei guter Schule und geschickter Leitung einst eine gleich große Künstlerin zu werden, singen hörte, ihre tadellose Gestalt und ihr schönes, tief bedeutendes Gesicht betrachtete, konnte ich mich kaum des Bedauerns erwehren, daß durch die alltäglichen, gesellschaftlichen Verhältnisse ein so seltner Verein von Eigenschaften seiner zweckmäßigsten Bestimmung zum Verluste Tausender entzogen werden sollte. Ich dachte an die St. Simonisten und ihre Träume, von denen es zum Teil wirklich schade ist, daß sie noch so ganz unrealisierbar sind.
Doch alle diese Gedanken wurden jetzt durch die Ankunft Mehemed Alis unterbrochen, der mit betäubendem Jubelruf und militärischer Musik empfangen, von Muktar Bey und dem neuen Kriegsminister unterstützt, rasch das steile Ufer hinanstieg, sich dann rüstig auf ein bereitgehaltenes, diesmal reich geschmücktes Pferd schwang und sodann dem Exerzierplatz und der dort für ihn bereiteten Tribüne zueilte. Man erteilte mir die Weisung, ihm dahin zu folgen. Wie immer auf das freundlichste empfangen, lud er mich ein, auf einem Fauteuil rechter Hand des seinigen Platz zu nehmen, um die beginnenden Manövers mit anzusehen. Zur Linken des Vizekönigs saß auf einem Rohrstuhl (denn die Orientalen sind wahre Spanier für die Etikette, obgleich sie sie nicht im geringsten nach unsern Konvenienzen anwenden) Herr Lesseps, sonst war kein Fremder zugelassen worden. Aber der ganze Hof des Vizekönigs stand um uns her, so daß nur nach vorn der Blick frei blieb. Herr Lesseps, dessen Anmut und allgemeiner Beliebtheit ich schon früher erwähnt, wird fast wie ein Sohn von Mehemed Ali betrachtet, da des jungen Konsuls Vater durch alle Zeiten hindurch, gute und böse, sein treuer Freund blieb und, als Mehemed Ali noch in kleinen Verhältnissen seine Laufbahn erst begann, oft sein weiser Ratgeber und nicht selten sein Beschützer war. Dazu hatte aber damals wie jetzt ein europäischer Generalkonsul im Orient durch eine wirklich merkwürdige, freiwillige Unterwerfung der Türken unter europäische Zivilisation und intellektuelles Übergewicht – wie es sich ihnen hauptsächlich im merkantilischen Interesse offenbart – viel mehr Gelegenheit und Macht als ein Ambassadeur an den Höfen Europas. Es ist daher auch etwas Dünkelhaftigkeit, welche man diesen Herren, und vielleicht nicht ganz mit Unrecht, im Orient vorwirft, ihnen, die in Europa so unbedeutend und hier so wichtig sind, nicht allzusehr zu verdenken. Der Fehler liegt nicht in den Konsuln, sondern in der menschlichen Natur, die sich immer nach den Umständen gestaltet. Um so erfreulicher ist es jedoch, wenn man an einem jungen Manne, der mit seiner Konsularwürde ausgezeichnete persönliche Eigenschaften verbindet und dazu die erklärteste Gunst des Landesoberhauptes genießt, dennoch nie eine Spur von Arroganz gewahr wird, sondern immer nur den lebhaftesten Wunsch: jedem zu gefallen, viele zu verbinden und mit feinem Takte das sich Widerstrebende (dessen es so viel hier gibt) zu einigen und zu versöhnen, wo sich nur die Gelegenheit dazu darbietet. Dies ist die Rolle, welche Herr Lesseps hier spielt, und nicht weniger mußte ich der Art seines Benehmens bei dem väterlichen Entgegenkommen des Vizekönigs Gerechtigkeit widerfahren lassen, denn es ist immer ein angenehmes Schauspiel, wenn man das richtige Gleichgewicht zwischen eigner Würde, Pflicht und individueller Dankbarkeit so vollständig erhalten sieht. Auch bin ich fest überzeugt, daß, obgleich Herr Lesseps zu jedem höhern diplomatischen Posten sich eignen würde, doch, solange Mehemed Ali lebt, kein französischer Generalkonsul seinem Vaterlande je so nützlich in Ägypten werden kann, wie er es dort sein kann.
Man hat mir eine Anekdote erzählt, die nicht nur die gewandte Freimütigkeit dieses jungen Mannes auf das treffendste charakterisiert, sondern durch die hochverehrte Person, welche sie betrifft, auch ein allgemeines Interesse hat. Als Herr Lesseps im vorigen Jahre in Paris war, trug ihn der König, der zu scharfsichtig ist, um nicht eine hohe Meinung von Mehemed Ali zu hegen, vertraulich: «Was aber ist eigentlich an Ibrahim?» «Sire», erwiderte Lesseps, «ich wage es nicht, mir ein bestimmtes Urteil über ihn anzumaßen, da ich ihn zu wenig kenne; aber so viel ist gewiß, daß niemand besser als Ibrahim sein Privatvermögen zu verwalten weiß, und die Erfahrung lehrt uns, daß Männer, welche dies gut verstehen, auch als Verwalter der Staaten groß werden.» Ich sehe im Geist das kluge und gewinnende Lächeln, mit dem der König der Franzosen diese Antwort aufgenommen haben muß, die ein ganzes Berliner Examen in der Diplomatie aufwiegt und selbst von einem Russen beneidet werden konnte.Die glänzende Rolle, welche Herr Lesseps seitdem in Spanien gespielt, bestätigt das hier von ihm gesagte. Da ich aber einmal auf Anekdoten gekommen bin, so will ich noch eine von Mehemed Ali selbst hinzufügen, die zu den originellsten gehört und die ungemeine Natürlichkeit, ja ich möchte wohl mit Recht sagen, die antike Unschuldseinfalt des großen Mannes in das hellste Licht stellt. Als er einst mit Herrn Lesseps von den Diensten sprach, die ihm dessen Vater geleistet, ein Thema, dessen er dankbar oft und gern gedenkt, fuhr er lachend fort: «Einmal ward ich in seinem Hause in keine geringe Verlegenheit gesetzt. Ich und einige andere Türken, rohe Gäste, unwissende und zügellose Menschen, wie wir damals alle waren, hatten bei ihm zu Mittag gespeist, als man nach Tisch gewahr ward, daß einige silberne Bestecke fehlten. Nie habe ich mich in solcher Beklemmung gefühlt und emsiger einen Dieb zu entdecken gesucht, denn der Gedanke peinigte mich unaufhörlich: daß mein Freund glauben könnte, ich selbst habe die fehlenden Bestecke gestohlen. Glücklicherweise ward jedoch der wirkliche Entwender kurz nachher aufgefunden, was mir einen großen Stein vom Herzen nahm.» Ich enthalte mich jedes weitern Kommentars zu diesen Worten, bedaure aber die Philisterhaftigkeit desjenigen, der, als aus Mehemed Alis Munde kommend, die edle Naivität derselben nicht fühlt.
Die Manövers fesselten von nun an unsere ganze Aufmerksamkeit, und ich werde sie hinlänglich charakterisieren, wenn ich sage, daß sowohl in betreff des äußern militärischen Anstandes wie der Eleganz der Uniformen (grüne Dolmans mit gelben Schnüren und scharlachrote weite Pantalons) als in der Präzision der verschiedenen Evolutionen, die ausgeführt wurden, diese vier Eskadrons der Kavallerieschule von europäischen Regimentern nicht zu unterscheiden waren, mit der einzigen Ausnahme, daß sie weit schönere, bessere und gewandtere Pferde ritten, was sich besonders bei der Attacke durch die blitzartige Rapidität und den wie versteinerten Halt derselben auf glänzende Weise dartat. Der Vizekönig sagte mir bei dieser Gelegenheit, er besitze jetzt eine Kavalleriebrigade in Syrien, die durchgängig mit Nedschdi beritten wäre, wofür er weder Mühe noch Kosten gescheut, von diesen Regimentern aber nun auch das Doppelte erwarte, was jedes andere zu leisten fähig sei. «Auch ich», rief er mit einem ihm wohl anstehenden Enthusiasmus aus, «war einst ein firmer Kavallerist und nicht der schlechteste Reiter. Jetzt, seit wir das europäische Exerzitium angenommen haben, kommt freilich mehr das Ensemble in Betracht, dennoch bleibt auch heute noch ein gutes und wohldressiertes Pferd das notwendigste Ingredienz zum guten Kavalleristen.» «Euere Hoheit», fiel Herr Lesseps ein, «sind in Wahrheit nur noch ein zu guter Reiter, denn vor kurzem sahen wir Sie auf dem glatten Boden der Zitadelle so wild umhersprengen, daß uns allen bange dabei wurde.» Mehemed Ali strich sich lachend den Bart, erwiderte aber: «Nein, nein, das ist Kinderei, jetzt bin ich alt und überlasse diese Künste Jüngeren, wie Du bist.» Er erzählte nun von den mancherlei «tours de force» der Mamlucken und meinte, man möge sagen, was man wolle, eine solche Kavallerie als die ihrige gäbe es nicht mehr, und es wäre falsch, wenn die Franzosen sich rühmten, daß die ihrige, in gleicher Anzahl und ohne Hilfe der Infanterie, es je mit der der Mamlucken habe aufnehmen können, eine Behauptung, die ich übrigens schon früher von einigen französischen Offizieren aus jener Zeit aufstellen hörte. «So etwas von neuem zu schaffen ist aber nicht möglich», fuhr der Vizekönig fort, «alles hat seine Epoche, und ist diese vorüber, macht sich etwas anderes Raum. Das Tote kann man nicht wieder ins Leben rufen.» Du lieber Gott, dachte ich, wollte doch diese praktische Lehre des Muselmanns mancher unsrer christlichen Machthaber beherzigen!
Wir wurden hier von einem sonderbaren Zufalle unterbrochen. Die Hitze war so drückend, daß einer der Diener aus dem Gefolge Mehemed Alis einen Anfall des bösen Wesens bekam und plötzlich die furchtbarsten Töne, wie sie dergleichen Leidende oft auszustoßen pflegen, dicht hinter uns wahrhaft grauenerregend erschallten. Mehemed Ali schien gar nicht darauf zu achten, obgleich man viele Mühe hatte, den Brüllenden fortzuschaffen, sondern setzte die Unterhaltung so ungestört fort, als habe er nichts gehört. Sobald jedoch alles beseitigt war, bemerkte ich, daß er zweimal sich nach dem Befinden des Kranken erkundigte und Befehle gab, für ihn zu sorgen. Diese mildtätige Berücksichtigung wie die Würde seiner vorhergehenden Ruhe, die unsern europäischen Sitten gar nicht eigen ist, gefielen mir ungemein.
Nach Beendigung des Manövers ritten wir unter klingendem Spiel nach der großen, oben offnen, aber von hohen Mauern eingeschlossenen Manege, wo eine andere geräumigere Tribüne für den Vizekönig bereitet war. Hier standen Diwans, auf denen er sich nach türkischer Art niederließ und mir meinen Platz wieder neben sich anwies, während sich die Militärs und Hofleute wie vorher stehend umherreihten. Bald dieser, bald jener von diesen ergriff dann den Fliegenwedel, um Seiner Hoheit diese hier so lästigen Insekten abzuwehren. Nachdem hierauf Pfeifen und Kaffee gebracht worden waren, machten dem Fürsten auch die andern anwesenden Konsuln ihre Aufwartung. Ehe dieses indes noch stattfand, fiel eine kleine Szene vor, die ich nicht übergehen darf, obgleich sie für meine Eitelkeit eben nicht schmeichelhaft ist. Die große Freundlichkeit des Vizekönigs und eine momentane Distraktion meinerseits verleiteten mich zu einer jener Taktlosigkeiten, die zuweilen auch dem sonst in dieser Hinsicht Vorsichtigen arrivieren können, aber immer eine tadelnswerte Unschicklichkeit bleiben. Ich vergaß nämlich ganz der Umstehenden, die man an einem orientalischen Hofe noch leichter als an einem europäischen für bloße Statisten anzusehen sich gewöhnt, und mich ebensowenig erinnernd, daß man zu Muselmännern nie vom weiblichen Geschlechte sprechen darf, sagte ich unbedacht zum Vizekönig: Beinahe alles gefiele mir in Ägypten, vieles errege meine größte Bewunderung, aber eins habe ich Seiner Hoheit doch auf der Reise hierher sehr verdacht, nämlich daß er den armen Almehs, die einen ganz eigentümlichen Zug ägyptischer Nationalität darstellten, ihr tanzend musikalisches Gewerbe so streng und plötzlich untersagt habe. An dem Erblassen des Interpreten und den erschrocknen Mienen derjenigen unter der Umgebung, die französisch verstanden, ward ich augenblicklich meine «bévue» gewahr und fühlte, wie mir das Blut darüber ins Gesicht stieg; doch half es nun nichts mehr, um so mehr, da Mehemed Ali, dem nichts entgeht, schon gleichfalls etwas Ungewöhnliches bemerkt hatte und Artim Bey, der sich sonst vielleicht irgendeine Modifikation meiner Worte ausgedacht haben würde – obgleich es gefährlich für den Dolmetscher ist, den Sinn einer dem Vizekönig adressierten Phrase zu entstellen –, ausdrücklich fragte, was ich gesagt habe. Mit verlegener Miene stotterte nun Artim Bey die Phrase her, welche ich damals gern mit vielem Gelde zurückgekauft hätte. Doch jetzt reut mich meine Gaucherie nicht mehr, denn ich würde ohne sie nicht Gelegenheit gehabt haben, Mehemed Alis wahrhaft königliches Benehmen in einem Moment bewundern zu können, der, nach den Sitten und Gewohnheiten der Türken zu urteilen, wirklich ein kritischer genannt werden konnte. Ohne eine Miene zu verziehen, wandte er sich, wie immer freundlich lächelnd, zu mir und sagte: «Ich verstehe diese Frage nicht; wer und was sind Almehs? Ich habe noch nie von dergleichen sprechen hören.» Alles blieb stumm. «Ach», rief er plötzlich, wie sich besinnend, aus, «Sie meinen gewiß die öffentlichen MusikantenDie Almehs sind in der Regel immer von männlichen Musikanten begleitet, die auch ohne sie oft allein zur Ergötzung türkischer Gastmähler geholt werden. – ja, das ist eine Sache, die meinen Polizeirat angeht, und wenn der streng gegen diese Leute verfahren ist, werden sie ihm wohl hinreichende Ursache dazu gegeben haben. Doch will ich mich darnach erkundigen, denn ich selbst erinnere mich nicht, daß mir je etwas über diesen Gegenstand vorgetragen worden sei» – und nun ging er höchst unbefangen zu einem andern Thema über mit ebensoviel Schonung als Feinheit, meine eigne Reise hierher, deren ich erwähnt hatte, dazu wählend, indem er sich angelegentlich nach diesem und jenem erkundigte, um das Chokante des Vorhergegangenen desto schneller in Vergessenheit zu bringen. Selten habe ich eine eindringlichere, noch auf mildere Weise gegebene Lektion erhalten. Auch konnte ich später nie bemerken, daß ich durch diesen, wenngleich ungeschickten, doch unwillkürlichen Fehler im geringsten etwas in der Gunst Mehemed Alis verloren, ich fand sogar hinreichenden Grund zu glauben, daß, wenn ich jene Saite nur unter vier Augen, in der einzigen Gegenwart des Dolmetschers, berührt hätte, die Antwort ganz aufrichtig und ohne allen Rückhalt erfolgt sein würde – denn über viele Vorurteile seiner Nation und selbst die andrer Nationen hat Mehemed Ali sich längst erhoben. Ja ich hatte es in seiner großmütigen Seele vielleicht grade dieser kleinen Demütigung zu verdanken, die er mir ansehen mußte, daß er mir gleich darauf eine Ehre erwies, die, wie man mich versichert hat, bei einer so öffentlichen Gelegenheit wie dieser noch keinem Fremden vor mir zuteil ward. Als man ihm ankündigte, daß seine Tafel bereit sei und ich aufstand, um mich mit den Konsuln zu entfernen, frug er mich, ob ich ein europäisches Mahl, wie es für uns bereitet sei, vorziehe, oder wenn ich mich entschließen könne, einmal die türkische Weise zu versuchen, vielleicht mit ihm «tête à tête» speisen wolle? Man kann sich leicht denken, mit welchem Eifer ich diese Gelegenheit ergriff, um dankbar und bezugsweise darauf zu erwidern: daß ich zwar fürchten müsse, in den türkischen Sitten noch zu unwissend zu sein, um nicht vielleicht unwillkürlich mehr als einmal dagegen zu verstoßen, die mir angebotne Ehre jedoch zu groß sei, um nicht auf jede Gefahr hin ihrer teilhaftig werden zu wollen. Kaum hatte ich dies gesagt, als die bisher um uns stehende Menge, mit Ausnahme Artim Beys, verschwand und zwei Diener Seine Hoheit und auch mich mit goldgestickten Servietten von Musselin umhingen und dann kniend ähnliche über unsre Schenkel breiteten, während andre dienstbare Geister uns große silberne Becken mit Rosenwasser zum Waschen vorhielten und wieder andere einen mit reichem Vermeilgeschirr und vielen Speisen besetzten Tisch hereinbrachten. Doch außer einigen fein geschnitzten und mit Perlmutter ausgelegten Holzlöffeln war von Bestecken weiter nichts vorhanden, man mußte statt Messer und Gabel sich auf gut türkisch der Hände bedienen. Es blieb mir nichts übrig, als dem Vizekönig in allem möglichst genau nachzuahmen, und bei der Zierlichkeit, mit der er das schwierige Geschäft abtat, hätte ich nicht geahnt, was ich später erfuhr und selbst zu sehen nachher oft Gelegenheit hatte, daß er seit vielen Jahren schon in seinem Palast immer auf europäische Weise speist und nur bei öffentlichen Veranlassungen die alte türkische Mode beibehält. Übrigens war die Zubereitung der Speisen ganz vortrefflich, und der Vizekönig aß auch selbst davon mit dem Appetite eines Jünglings. In goldnen Schalen ward uns dazu gekühltes Wasser und mir auch exzellenter Bordeauxwein serviert. Der Gerichte waren sehr viele, und seltsam wechselten süße, saure und Fleischspeisen fortwährend miteinander ab, wozu noch eine Menge kalte Hors-d'œuvres, die rund um den Tisch standen, genossen wurden. Ein besonders gesticktes Tuch lag, außer denen, mit welchen man uns früher behangen hatte, neben jedem von uns, um sich die Hände daran zu reinigen. Nach einer halben Stunde kündigte der Pilaf, hier immer die letzte Schüssel, das Ende der türkischen Mahlzeit an, worauf das Dessert folgte, welches Schubra für des Vizekönigs Tafel in so vorzüglicher Auswahl liefert. Jetzt trat ein Geheimsekretär in das Zimmer, um Seiner Hoheit einen eben eingelaufnen Brief des Gouverneurs vom Sudan aus dem Sennar zu überreichen, den er nachher vorlas. Sein Inhalt betraf eine von Mehemed Ali befohlne Expedition in der Richtung der noch immer halb fabelhaften Mondberge, dem Laufe des Bahr-el-Abiad (des weißen Flusses) folgend, und eine andere dem Bahr-el-Azrak (blauen Fluß) entlang nach dem Fazoli, wo man reiche Goldminen vermutet. Um über das letztere genau unterrichtet zu werden, hat sich Mehemed Ali vom österreichischen Gouvernement eine Gesellschaft von zehn Bergbauverständigen und Naturforschern, denen er höchst generöse Bedingungen gewährt, erbeten, die schon auf der Reise nach jenen fernen Gegenden begriffen, aber bei den Schwierigkeiten, welche das hiesige Klima und die ungewohnte Lebensart den Europäern entgegensetzen, noch nicht sehr weit fortgeschritten sind. Er zeigte eine kleine Anwandlung von Ungeduld bei dieser Zögerung und benutzte, als beim Kaffee der Hof und die Konsuln sich wieder eingefunden hatten, die Gelegenheit, Herrn Laurin, den österreichischen Generalkonsul, dringend um seine Mithilfe zur Beschleunigung einer Angelegenheit zu bitten, die ihm sehr am Herzen liege. Ich äußerte, der mazedonische Philipp habe auch aufgefundnen Goldbergwerken einen großen Teil seiner glücklichen Kriegführung zu danken gehabt, wie nicht minder sein Nachfolger, der große Alexander, und ich wünsche von Herzen, daß Seine Hoheit, die so viel von jenen berühmten Landsleuten geerbt, auch hierin ein gleiches Schicksal mit ihnen haben möchten. «Wir müssen sehen, was uns Gott bescheren wird», erwiderte der Vizekönig, «allzuviel rechne ich nicht darauf, doch sind die günstigen Anzeichen nicht zu vernachlässigen.»Der Erfolg hat seitdem der Hoffnung Mehemed Alis. was das Gold betrifft, nur unvollkommen entsprochen. Wir wurden hier durch den Wiederanfang des Karussells unterbrochen, das vor und nach unsrer Mahlzeit in verschiednen Reprisen von den ausgewähltesten Schülern der Anstalt unter Anführung ihres geschickten Stallmeisters, Herrn Bier, eines Deutschen, mit größter Meisterschaft, sowohl was Pferdedressur und Reitergewandtheit als Ringelrennen, Pistolenschießen, Fechtübungen, Voltigieren usw. betraf, ausgeführt wurde. Indem ich dem Vizekönig meine Bewunderung über diese ausgezeichnete Geschicklichkeit und Präzision der Eleven der Schule ausdrückte, frug ich ihn, ob sich auch arabische Fellahs unter denselben befänden. Er antwortete: «O nein, das sind alles Türken», obgleich er sehr wohl wußte, daß das Gegenteil der Fall sei. Er gab diese Antwort offenbar nur, um den umstehenden Türken seines Hofes zu schmeicheln, die gleich ihm selbst mit Verachtung auf die Araber herabsehen, welche, obgleich bei weitem die besten Soldaten Mehemed Alis, erst in neuster Zeit aus bloßer Not bis zu den niedrigsten Offiziersgraden, aber nicht höher, avanciert wurden. Dies ist eine Schwäche Mehemed Alis, die gewissermaßen dem Adelstolz bei uns gleichkommt und ihn vielleicht allein verhindert hat, noch eine weit größere Rolle zu spielen, als ihm jetzt zuteil geworden ist. Hätte er vom Anfang an der Richtung gefolgt, sich für einen Fürsten, einen künftigen Kalifen der Araber anzusehen und diese unermeßlichen Massen, mit gänzlicher Befreiung vom langen türkischen Joch, alle in einem neugebornen Enthusiasmus um seine Person zu vereinigen gewußt, so wäre seine Macht kolossal geworden – statt daß jetzt die Türken, deren kleiner Zahl er die Araber unterwirft, immer noch halb an Konstantinopel hängen und doch eigentlich nur seinem Glücke folgen. Im Unglück möchte die Treue vieler derselben sehr problematisch sein.
Die Anstalt zu Dschiseh ist unter der unermüdlichen Sorgfalt des Oberst Warin zu einer solchen Vollkommenheit gediehen und hat zugleich ein so ganz europäisches Ansehen gewonnen, daß man in ihrem Bereich wirklich ganz vergessen könnte, in Ägypten zu sein, und versucht wird, denen Recht zu geben, die behaupten: daß Erziehung und Dressur allein den Charakter der Völker wie den der Individuen bestimmen. Soviel ist nicht abzustreiten, daß hier rohe Türken und der Sklaverei frisch entrissene Fellahs wenigstens in allem, was man äußerlich an ihnen bemerken kann, zu vollkommnen Franzosen umgeschaffen worden sind, diesen wirklich bis in den kleinsten nationellen und militärischen Manieren gleichend. Dies ist hier sogar noch weit vollständiger der Fall, als selbst bei denjenigen Ägyptern, die in Frankreich erzogen worden sind und ihre ganze Jugendbildung dort erhalten haben. Vom Oberst Warin kann man aber auch sagen, daß er für eine solche Stelle geschaffen sei; schon in Frankreich nannten ihn deshalb seine Kameraden: «le type de l'officier de l'état major», und nachher nur kurzweg «le type». Alles indes, was ich hier sah, zeigte mir zugleich, daß, so streng er die Form verehrt und vielleicht als Hauptsache ansieht, er doch auch keineswegs den Geist darüber vernachlässigt. Viele der von seinen Eleven angefertigten Situations- und Positionspläne, die er mir später zeigte, mit Darstellung teils wirklich stattgefundener, teils fingierten Gefechte, hätten von den geschicktesten Offizieren nicht besser geliefert werden können, und überall fand ich, daß die von dem Obersten befolgte Unterrichtsmethode sich nicht bloß darauf beschränke, aus den Eleven gute Kavalleristen, sondern überhaupt vortreffliche Soldaten zu machen, soweit individuelle Fähigkeiten des Ziels Erreichung hoffen ließen.
Der Vizekönig erkennt dies, und es war eine delikate Attention von seiner Seite, daß er nicht nach der Prüfung, sondern schon den Tag vorher dem Oberst Warin die Würde eines Beys (die außer dem erhöhten Rang auch eine sehr bedeutende Besoldungserhöhung mit sich führt) erteilt und die Insignien in großen Brillanten überschickt hatte, indem er ihm dazu ausdrücklich sagen ließ: Diese Auszeichnung betreffe in keiner Art die Dienste, welche der Vizekönig noch vom Oberst Warin erwarte, sondern sei nur die Belohnung der von ihm bereits geleisteten und ein Zeichen aufrichtigster Anerkennung derselben. Herren, die so graziös zu belohnen wissen, sind bei uns selten geworden, und aus demselben Grunde auch die Freude an ihrem Dienst. Wasil Bey, denn so heißt der Oberst Warin jetzt, hat eine sonderbare Schicksalsaffinität mit dem berühmten Allard, jetzigen Generalissimus im Königreich Lahore. Beide sind aus demselben Ort, von geringen Eltern abstammend; beide ergriffen an demselben Tage das Soldatenhandwerk; beide hatten ihr erstes Duell an demselben Tage; beide wurden an demselben Tage Offiziere und hatten darauf eine lange andauernde Liebesverbindung mit zwei Zwillingsschwestern; beide wurden an demselben Tage zusammen verwundet; beide mußten Frankreich nach Napoleons Sturz verlassen; beide endlich fanden Auszeichnung und Vermögen (wenn auch auf nicht gleich glänzende Weise) im Dienste der beiden größten jetzt lebenden Fürsten des Orients Mehemed Ali und Runjet Sin.Allard ist seitdem gestorben, und ich glaube, Obrist Warin auch, ob abermals beide an demselben Tage, weiß ich nicht.
In der Anstalt befindet sich ein zum Islam bekehrter Franzose, der ein talentvoller Mann ist und gütig die Bestellung eines Bildes annahm, das mir diesen in so vieler Hinsicht denkwürdigen Tag in spätem Zeiten lebendig zurückzurufen bestimmt ist.
Und bis zum Ende lächelte mir heute das Glück. Die am Eingang dieses Aufsatzes flüchtig von mir geschilderten drei Damen fanden bei der Nachhausefahrt am Abend durch ein Versehen der Leute ihre Barke nicht vor, so daß ich ihnen, nebst einigen Herren ihrer Begleitung, die meinige anbieten durfte. Welch ein Gemälde bot jetzt meine mit drei Diwans umgebne Kajüte dar! Auf jedem der Diwans schien eine der den Rechtgläubigen in Mahomeds Paradiese Verheißnen in verführerischer Grazie hingegossen zu ruhen, schwer zu entscheiden, welche die verführerischste Stellung gewählt. Da ergriff, als die Dämmerung hereinbrach, Maritza die Gitarre und sang die in den Pariser Salons einst beliebte, rührende Romanze: la folle – bald die volle silberne Stimme laut wie im wahnsinnigen Entzücken erhebend, bald in tödlichem Schmerz und herzzerreißendem Jammer langsam dahinsterbend. Sie schwieg schon längst, und noch schien keiner von uns zu wagen, auch nur mit dem leisesten Hauch die Totenstille zu unterbrechen. Kurz darauf landeten wir an der Treppe meines Gartens, und als ich der schönen Maritza den Arm gab, um sie hinaufzuführen, konnte ich mich nicht enthalten, ihr tief aufatmend zuzuflüstern: «Ah, de grâce, ne chantez plus ‹la folle›, j'ai trop peur d'en devenir fou.» Mit fünfundzwanzig Jahren hätte sich meine Furcht wahrscheinlich auch realisiert.