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Ibrahim Pascha war einige Tage nach mir in Kahira angekommen, aber krank an einer Fistel, die ihm zwar von Clot Bey sehr geschickt operiert wurde, ihn jedoch verhinderte, sein Bett zu verlassen und Besuche anzunehmen. Sobald er etwas besser war und sich auf dem Sofa eines Gartenpavillons den Tag über aufhalten konnte, gestattete er mir, ihm ohne Zeremonie dort einen vertraulichen Besuch zu machen. Man ist fast nicht weniger darauf gespannt, den Helden von Konieh als seinen großen Vater selbst zu sehen, und auch Ibrahim fand ich anders, als ich mir ihn nach den Beschreibungen mehrerer vorgestellt. Indessen kommt jeder darin überein, daß er sich durch den vielen Umgang mit Europäern ungemein gegen sonst und zum großen Vorteil seines einst zu wilden Charakters geändert habe.
Er erschien noch etwas hinfällig von seiner eben überstandenen langwierigen Krankheit, dennoch verriet alles an ihm den sorglosen, wenig Bedürfnisse kennenden einfachen Krieger. Er hat ein schönes charakteristisches Auge, etwas angenehm Heiteres in seinem Wesen und nichts Rohes mehr im Äußern; doch besitzt er durchaus nichts von der Feinheit und dem königlichen Anstand seines Vaters, noch dessen ausgesuchte, gewinnende Höflichkeit. Man sagt, er liebe die Europäer nicht, bewundere aber unter diesen die Engländer am meisten wegen ihrer allerdings in vieler Hinsicht ausgezeichneten, soliden Eigenschaften, die seinem eignen, sehr praktischen Sinn mehr als bloß angenehme Formen zusagen. Seine Taten betreffend, schien er mir vollkommen die einem berühmten Krieger wie er ganz angemessene Mittelstraße zwischen gerechtem Selbstgefühl ohne alle Eitelkeit und einer männlichen Bescheidenheit hinsichtlich seiner Taten zu halten. Als ich ihm sagte, daß von den neusten Kriegsbegebenheiten jetzt keine mehr Gegenstand zur Unterhaltung in Europa geliefert hätte als seine letzte Kampagne in Syrien – gegen die Heuschrecken, erzählte er mit vieler Laune den Verlauf derselben, die er in eignet Person damit begann, seinen Tarbusch mit den gefährlichen Tieren zu füllen und den Inhalt ins Meer zu werfen. Die ganze Armee folgte, mit Säcken bewaffnet, dem gegebnen Beispiel, und auf dem ergriffnen Distrikt mehrere Tage lang biwakierend, ward der Zweck vollständig erreicht. In der Tat ist die Rettung einer ganzen Provinz, welche auf Jahre verheert worden wäre, diesem originellen Entschluß Ibrahims ganz allein zu danken. Die Masse der vertilgten Heuschrecken betrug mehrere Schiffsladungen.
Man sieht, Ibrahim weiß seine Soldaten im Frieden wie im Kriege zu benutzen und hat seit kurzem angeordnet, sie, ohngeachtet vielen anfänglichen Widerspruchs der türkischen Offiziere, auch zu Straßen-, Kanal- und andern Bauten zu verwenden. Ich erwähnte schon, wie leidenschaftlich Ibrahim dem Ackerbau und allen Bodenkulturen ergeben ist und rastlos darin überall fortschreitet, wo er eigne Besitzungen hat. Aber auch andere unterstützt er oft sehr großmütig dabei, obgleich er im ganzen weit genauer als sein Vater ist und ganz und gar das, was man bei uns einen guten Wirt zu nennen pflegt. Oft hörte ich ihm in Europa wie in Ägypten vorwerfen, daß er dem Trunke übermäßig ergeben sei. Ist dies wirklich früher zum Teil begründet gewesen, so hat er sich auch hierin geändert, denn ich weiß mit Bestimmtheit aus den zuverlässigsten Quellen, daß er zwar guten Wein liebt, aber in keinem größeren Maße, als es zum Beispiel fast bei jedem wohlhabenden Engländer der Fall ist, und daß er Champagner zu seinem Lieblingsnektar erwählte, hat er ja sogar mit den Damen gemein. Jetzt war er nun gar auf Nilwasser allein reduziert, was ich sehr bedauerte, da er vortreffliche europäische Diners geben soll und einen der ausgezeichnetsten Pariser Künstler zu diesem Behuf in seinen Dienst genommen hat. Ich selbst aber habe mich um seinen Keller etwas verdient gemacht, indem ich Herrn Bonfort, seinem Faktotum, auf dessen Bitte aus meinem kleinen Adressenschatz die besten Nachweisungen für Rhein- und Ungarwein, Champagner und Bordeaux mitgeteilt habe, eine Handlung, die nicht ganz frei von Egoismus war, da ich nächstes Jahr in Syrien selbst davon zu profitieren hoffe.
Ibrahim war sehr begierig, über die Organisation der preußischen Landwehr unterrichtet zu werden, die man im Auslande immer so ganz fälschlich im Licht einer Nationalgarde betrachtet, während doch die Landwehr unsre wahre Armee ausmacht, für welche die Linie sozusagen nur als Schule dient, denn dort befinden sich die permanenten Lehrer und zugleich die immer wechselnden Rekruten, bis endlich die ganze Nation, durch diese heilsame Schule gegangen, jeder Zoll ein Soldat wird. Meine vielleicht sehr mangelhaft gegebnen Erklärungen schienen ihm dennoch ganz gut einzuleuchten und das System auch zu gefallen, obgleich er wohl einsah, daß es für orientalische Regierungsformen nicht passe und die Nachahmung selbst in mehreren europäischen Staaten ein gewagtes Unternehmen sein möchte. Er wunderte sich etwas, daß trotz dieser Einrichtung dennoch die Kosten der Armee bei uns beinahe die Hälfte der ganzen Staats-Revenuen erreichten, als ich ihm aber sagte, daß wir dadurch in den Stand gesetzt würden, im Fall eines Krieges in wenigen Wochen mit 3-400 000 Mann ins Feld zu rücken und eine stehende Armee von diesem Belange mehr kosten würde, als das ganze Land aufzubringen imstande sei, so fand er das Resultat nicht zu teuer erkauft, denn, wie es scheint, gehört Ibrahim nicht zu denen, die auf einen ewigen Frieden rechnen.
Seine Beschreibung der Belagerung von Acre war voll Feuer und Interesse, besonders aber frappierte mich eine seiner desfallsigen Äußerungen. Obgleich sechs oder sieben seiner türkischen Generale und Oberoffiziere gegenwärtig waren, ergoß er sich ausschließlich im Lobe des arabischen Soldaten und sagte: «Tapferer und mit mehr Ausdauer sich schlagen können keine Truppen in der Welt, obgleich viele geschickter und kriegserfahrener als die meinigen sein mögen, und wenn in der Armee ein Beispiel von Unentschlossenheit oder Feigheit vorfiel, so war es immer nur von seiten der türkischen Offiziere, ich kenne kein solches Beispiel von einem Araber.» Diese Worte sind merkwürdig, denn sie bekunden, was ich schon früher hörte, daß Ibrahim sich ganz auf die Seite jener Politik wendet, welche Mehemed Alis Reich und Dynastie als eine arabische, als eine Erneuerung des alten Kalifats und keineswegs als einen Zweig türkischer Herrschaft angesehen wissen will und nur dadurch von ihr Dauer und Größe erwartet. Meine individuelle Ansicht ist ganz die nämliche, denn die Araber scheinen ein mit ewiger Jugend begabtes Volk, immer ebenso fähig zu dem höchsten Aufschwung, als nachher wieder auf Jahrtausende in den Naturzustand zurückzukehren, während die Türken mit vollem Recht eine abgestorbne Nation genannt werden können, deren Rolle in der Weltgeschichte ausgespielt ist. In diesem Sinne hat auch Ibrahim angefangen, Araber in der Armee zu Subalternoffizieren zu avancieren, doch wagte er bis jetzt noch nicht weiterzugehen, ohne Zweifel aber würde es im Fall eines neuen Krieges sogleich geschehen. Ich sehe diese Tendenz Ibrahims als ein sehr glückliches Zeichen für die künftige Prosperität seiner Dynastie an, die sich meiner festesten Überzeugung nach nicht genug mit dem arabischen Volke identifizieren kann, um ihrer Macht eine unerschütterlich solide Basis zu geben. Die türkischen Mamlucken, aus verschiednen Ländern herstammend, werden indessen, schon aus Gewalt der Gewohnheit und auch als die durch ihr eignes Interesse am sichersten gefesselten Diener des Herrschers, noch lange unentbehrlich sein, doch ist es genug, wenn den Eingebornen nur die Konkurrenz eröffnet wird.
Nach einer Stunde des belebtesten Gesprächs empfahl ich mich dem präsumtiven Erben des Reichs, der mich in der besten Laune auf europäisch begrüßte, indem er die flache Hand an seinen Tarbusch legte. Demohngeachtet hatte es im Anfang der Audienz einen Moment gegeben, der unsrer Unterhaltung ein schnelles und weniger angenehmes Ende drohte.
Man brachte nämlich, sobald ich mich neben dem Prinzen auf die Ottomane gesetzt hatte, den Kaffee und ihm eine Pfeife, mir aber nicht. Im Feuer des Gesprächs hatte ich es anfänglich nicht bemerkt, wie es mir aber plötzlich auffiel, nahm ich auch sogleich meine Partie. Das Gefühl der Beleidigung in meiner Miene so deutlich als möglich ausdrückend, verstummte ich und erwiderte kein Wort mehr auf die mir gestellten Fragen. Die ungeheuchelte Befremdung Ibrahims bewies mir, daß er selbst nicht, sondern nur seine Diener schuld an der mir widerfahrenen Vernachlässigung waren, demohngeachtet blieb ich stumm und war im Begriff, aufzustehen und ohne Abschied den Kiosk zu verlassen, als er, bemerkend, woran es fehle, laut nach einer Pfeife für mich rief. Von diesem Moment fuhr ich, als sei nichts geschehen, gleich Schillers Armenier, in meiner Konversation grade da fort, wo ich sie vorher unterbrochen hatte. Man lege mir dies nicht für Arroganz oder lächerliche Eitelkeit aus. Ich für meine Person prätendiere wenig, aber was Mehemed Ali mir gewährt hatte, durfte ich von jedem seiner Untertanen als ein Recht verlangen, wenn es auch der Thronerbe war. Übrigens gibt es keine Nation, bei der mehr als bei den Türken Goethes Worte eintreffen, die er dem sehr weltklugen Mephistopheles in den Mund legt:
«Mein Freund, das wird sich alles geben;
Sobald du dir vertraust, weißt du zu leben.»
Für was man sich gibt und selbst hält, das wird man auch leicht in andrer Augen, am meisten aber in denen der Türken.
Es war 11 Uhr früh, als ich Ibrahim verließ, und ich hatte daher Zeit genug übrig, während des Tagesrestes mehrere Fabriken und die polytechnische Schule zu besuchen. Diese, deren Namen als Nachahmung der Pariser Anstalt nicht glücklich gewählt ist, weil er zu anmaßend klingt und, was an sich zweckmäßig und lobenswert ist, doch als Kopie eines solchen Originals einen leichten Anstrich des Lächerlichen erhält, wird von einem jungen Manne dirigiert, der in England erzogen worden ist und Sprache wie Wesen der Insulaner in solchem Grade sich zueigen gemacht hat, daß ich ihn anfänglich für einen Engländer hielt. Diese große Leichtigkeit, fremde Bildung anzunehmen, fremde Sprachen zu erlernen und in bisher ihnen ganz unbekannten Wissenschaften schnelle Fortschritte zu machen, ist in der Tat eine charakteristische Eigenschaft der Ägypter, nur sind sie zu warnen, sich nicht zu früh als ausgelernt zu betrachten. Der ehemalige schöne Palast des unglücklichen Ismail Pascha ist der polytechnischen Schule eingeräumt worden, und auch hier gilt für die äußere Einrichtung und Instandhaltung des Ganzen, was bei allen Etablissements dieser Art in Ägypten so ruhmvoll beobachtet wird. Hinsichtlich der Studien sehe ich mich weder als kompetenten Richter an, um darüber zu urteilen, noch hatte ich hinlängliche Gelegenheit dazu, ich sah indes vortreffliche Zeichnungen, besonders im Fach der Mechanik; weniger befriedigte mich, was in das Departement der Kunst einschlägt.
Unter den Fabriken sind einige wahrhaft kolossal zu nennen, und nichts ist bei ihrer Anlage gespart worden. Kaum sah ich in England schönere Eisengießereien, und eine der Indiennefabriken glich für sich allein einer kleinen Stadt, mit der wohltätigsten Rücksicht auf die Bequemlichkeit und Gesundheit der Arbeiter, worum man sich in England so wenig bekümmert. Alle neusten Erfindungen sieht man hier in Anwendung gebracht, als: das Färben durch Dampf, Anfertigung der Stahlmuster in der Fabrik selbst usw. Die Vortrefflichkeit der Modelle in Messing und Holz, welche in dieser Fabrik, der ein Italiener vorsteht, durch Eingeborne ohne alle fremde Hilfe ausgeführt werden, setzten mich in Erstaunen, noch mehr aber die Unverschämtheit, mit der früher Europäer den Vizekönig mit dergleichen betrogen haben, so daß viele Modelle, die jetzt für einige spanische Taler geliefert werden, früher mit so viel hunderten bezahlt werden mußten. Als eins der ergötzlichsten Beispiele dieser Art zeigte mir der Direktor drei in Maroquin prächtig gebundne Foliobände, die nichts weiter enthielten als eine Menge darin aufgeklebter Zeuchproben vielartiger Muster, die man sich in Europa mit leichter Mühe für gar nichts als ein gutes Wort oder wenigstens mit der geringsten Geldausgabe verschaffen kann. Demohngeachtet hatte sich ein Handlungshaus nicht entblödet, dem Vizekönig für diese «échantillons» als etwas höchst Kostbares und eine schwer zu erlangende Sammlung 24 000 Franken! anzurechnen. Ist es ein Wunder, wenn nach solchen Erfahrungen christlich-europäischer Ehrlichkeit Mehemed Ali einigen Widerwillen gegen den Verkehr mit Europäern gefaßt hat? Daß er sich aber auch hier im Anfang durch nichts abschrecken, ja sich hundertmal ruhig betrügen ließ, nur um schneller zum Zwecke zu kommen, da ihm die gewonnene Zeit viel kostbarer als das verlorne Geld schien, war groß und zugleich das einzige Mittel, einen Reformplan wie den seinigen noch während seines Lebens zu realisieren.
In den Tuchfabriken werden grobe Tücher dauerhafter und wohlfeiler produziert und echter gefärbt als in den unsrigen, die feineren hingegen stehen den unsern noch sehr nach, entsprechen auch weniger dem Zweck dieser Fabriken und werden daher nur in kleiner Quantität gefertigt, um zu zeigen, daß auch dies, wenn verlangt, möglich sei. Die Papiermühle liefert eine einzige gute Sorte starkes, geglättetes Papier, worauf die Türken alles schreiben und das folglich für ihren Landesbedarf hinlänglich ist. In den zahlreichen Baumwollspinnereien sind nirgends mehr Europäer angestellt, und selbst die ingeniösesten dazu erforderlichen Maschinen werden hier teils ausgebessert, teils ganz neu angefertigt, ein fast unglaublicher Fortschritt in einem verhältnismäßig so kurzen Zeitraum.
Da ich kein Kaufmann bin, so sei dies vorläufig genug über die Fabriken.