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Eine goldne, feurige Sonne leuchtete mir zum ersten Tage des neuen Jahres 1837, eine warme, balsamische Luft wehte über dem wollüstig sich schaukelnden Meere, doch schwarze Wolken rollten einzeln am Himmel und verdeckten von Zeit zu Zeit das wohltätige Gestirn des Tages – ein Bild des irdischen Lebens, wenn dies zu den glücklichsten gehört. In höchster Pracht glänzte der Ida auf Kandia, vom frisch über Nacht gefallenen Schnee in ein flimmerndes Gewand fleckenlosen Weißes gekleidet, gehoben noch vom dunklen, tief ausgezackten Kranz der Berge und Felsen, die sich gleich einer treuen Leibwache um ihn her lagerten. Sanft glitten wir in der bequemen Feluke über den Wasserspiegel hin und näherten uns mit taktmäßigen Ruderschlägen der Brigg des Vizekönigs von Ägypten SemendidschadIch beziehe mich, die Orthographie der arabischen Worte betreffend, auf Semilasso in Afrika. Ich schreibe sie nicht arabisch, sondern nach dem Klange, für Ohren und Augen der Deutschen. , die mich in einer kahlen Bucht der Insel Dia erwartete und jetzt mit dem Donner ihrer Kanonen empfing. Sie hat ein historisches Interesse, diese kleine Brigg, denn auf ihr entfloh Osman Pascha, des Vizekönigs undankbarer Liebling, zum türkischen Sultan nach Konstantinopel.
Ich bestieg sie mit meinem geringen Gefolge und befand mich in wenig Augenblicken als der alleinige Europäer (nur mit Ausnahme eines einzigen meiner Diener, der ein Deutscher ist) unter einigen hundert Kandioten, Arabern, Türken und Negern fremdartigen Anblicks und mir meist unverständlicher Rede. Doch jeder von ihnen beeiferte sich, mir seine Ergebenheit zu bezeigen, außerdem waren des Kapitäns Zimmer, mit allen nötigen Bequemlichkeiten versehen, mir auf Mustapha Paschas Befehl zuvorkommend eingeräumt worden, und alles versprach daher die angenehmste Fahrt über die Libysche See. Doch kannte ich mein Unglück auf dem Meere bereits zu gut, um je solcher Hoffnung mit Zuversicht Raum zu geben.
Gegen Abend fanden wir auch schon ein von den heftigen Südwinden der vorigen Woche aufgewühltes Meer, das, uns wild entgegenströmend, dem durch günstigen Nord getriebnen Schiff die widerlichsten Stöße gab, und in der Nacht steigerte sich der Wind fast zum Sturm. Die zierliche Ordnung, welche ich in meiner Kajüte mühsam hergestellt, fand bald ein klägliches Ende. In wenig Augenblicken waren alle Tische mit Papieren, Büchern, Flaschen, Gläsern unter fürchterlichem Gekrache übereinandergestürzt, und während ich mich an mein Bett anklammerte, um wenigstens meinen eignen Posten zu behaupten, rollte auf dem Verdeck eine Tonne über den Glasdom meiner Schlafkammer hin und sandte diesen in hundert Scherben zerschmettert, gleich spitzen Schloßen, auf mich nieder. An ein Aufräumen dieser chaotischen Massen war bei dem fortwährenden gewaltigen Schwanken der Brigg, über welche die Wellen mehrmals hinwegströmten, gar nicht zu denken. Überdem befanden sich alle meine Leute schon seit mehreren Stunden in einer solchen Agonie der Seekrankheit, daß ich in den zwei Tagen und Nächten, wo dieses Wetter andauerte, keinen davon mehr zu sehen bekam. Hätte sich nicht ein alter Neger aus dem Sennar meiner erbarmt, ich wäre ohne allen Beistand geblieben, denn weder der Kapitän, von dem der Neger mit einiger Verachtung sagte, er sei selbst seekrank, noch sonst jemand von der Schiffsmannschaft ließen sich blicken. Überhaupt schien viel Verwirrung beim Kommando zu herrschen, und alle Evolutionen gingen mit einem Lärm und zugleich einer Langsamkeit vor sich, die man auf europäischen Kriegsschiffen nicht gewohnt ist, so daß, hätte ich nur diese Brigg von Mehemed Alis Flotte kennengelernt, ich mir eine sehr ungünstige Idee von derselben gebildet haben würde. Es war nichts zu tun, als sich mit Geduld zu waffnen, so ruhig als möglich im Bett zu verweilen und es den zerbrochen umhergestreuten Effekten zu überlassen, sich von selbst nach und nach wieder untereinander festzurollen. Fünfzig Stunden brachte ich in dieser Lage mit türkischem Phlegma zu, von der Krankheit selbst nur mäßig heimgesucht, aber fast jeder Bewegung unfähig und nur selten, mit nicht geringer Mühe, das Kunststück versuchend, eine Tasse Fleischbrühe, die mir der Neger, wie ein Seiltänzer sich gebärdend, herbeibrachte, auszutrinken, ohne die Hälfte derselben ins Bett fließen zu lassen, oder ein mageres Stück Hammelfleisch mit den Fingern zu zerpflücken, um der unumgänglichsten Nahrung nicht ganz zu entbehren.
Erst am dritten Tage, während wir beständig mit eingezognen Segeln geschifft, die Nächte aber uns sogar furchtsam «en panne» gelegt und dennoch fünf bis sechs Miglien in der Stunde im Durchschnitt zurückgelegt hatten, besänftigte sich der Sturmgott, das Meer ward bemerklich ruhiger, und mit großer Freude erfuhr ich von einem meiner endlich wiederauferstandenen Diener, daß Abukirs Bai sich schon seitwärts hinter den schwankenden Wellen zeige und Alexandrias Arsenal am Horizonte sichtbar werde. Obgleich noch betäubt und von dem heftigsten Kopfschmerz als gewöhnliche Folge der Seekrankheit geplagt, warf ich schnell meinen Mantel um und kletterte zum Verdeck hinan. Noch immer stiegen die aschgrauen Wogen bis an des Schiffes Rand, noch immer war man das Spiel einer auf- und niedergeschwungenen Schaukel – doch in erträglicherem Maße als bisher, und der Anblick des schon vom Nil gefärbten Meeres, der Anblick Ägyptens – des lang ersehnten – ließ mich bald alles Leid vergessen. Noch einige Stunden – und da lag sie vor mir, des unsterblichen Makedoniers stolze Stadt, – mit allen ihren tausend romantischen Erinnerungen, neu geboren durch einen neuen makedonischen Helden der Geschichte, schon glanzvoll wieder erwachsen zwischen der Wüste und dem Meer, halb europäisch, halb orientalisch aus den Wellen emporsteigend und gleich einer Fata Morgana über flachen Sandufern thronend, welche hinter den räumenden Wellenreihen bald jählings aufzutauchen, bald ebenso schnell wieder zu verschwinden schienen. Ohne sichtbare feste Basis erblickte man, wie in der Luft schwankend, weiße Paläste, krenelierte Wälle, grüne Palmenhaine, des Pompejus hohe Säule und vor ihr einen Wald von Masten aus dem Meere ragend, der von einem Ende des majestätischen Hafens bis zum andern reichte. Ein Fort nimmt jetzt die Stelle des alten berühmten Pharus der Ptolemäer ein, und des Vizekönigs weitläufige Residenz trennt den neuen Hafen von dem alten, welche beide ihre Benennungen vertauscht haben – denn der älteste ist heute wieder der allein gebrauchte geworden, der sogenannte neue ohne Schiffe und versandet.
Das ganze Schauspiel war im hohen Grade aus dem Gewöhnlichen heraustretend, doch je näher wir kamen, je außerordentlicher ward die Szene, vor allem der Anblick der Flotte, dieses kolossalen Werkes von nur acht Jahren in der Hand eines schöpferischen Genius. Wir befanden uns im Anfang des Bairam und zehn Linienschiffe, jedes von mehr als hundert Kanonen, sechs Fregatten über fünfzig und einige zwanzig Korvetten und Briggs, in langen Reihen aufgestellt und mit unzähligen Flaggen der verschiedensten Farben vom Gipfel der Maste bis zum Verdeck herab bedeckt, boten ein Festgepränge von seltner Pracht. Kaum aber hatte der Pilot uns durch den seichten Eingang hindurchgeführt, als von allen Forts und von allen Schiffen ein Feuer begann, das den vollständigsten Begriff einer Seeschlacht gab. In wenigen Sekunden verschwanden die Paläste, die Schiffe, das Meer selbst vor unsern Augen, und nichts als ein wirbelnder Rauch erfüllte die Atmosphäre, nichts blieb sichtbar als die roten Blitze der Feuerschlünde, nichts hörbar als ihr betäubender Donner, rechts und links und vor und hinter uns, als habe ganz Alexandrien sich in einen feuerspeienden Vulkan verwandelt. Der Geist des Mannes, der hier waltet, schien auf den Wassern zu schweben, um sich in aller seiner Macht und Größe kundzutun. Es war ein erhebendes Gefühl, ein herrlicher Empfang an der Grenze des geheimnisvollen Reiches, des Landes alter und neuer Wunder, das endlich vor mir lag, und ich dankte tief ergriffen meinem Stern, der mich nach manchem Sträuben, nach mancher mir in den Weg geworfenen Gefahr zuletzt dennoch glücklich hergeführt.