Hermann Fürst von Pückler-Muskau
Aus Mehemed Alis Reich
Hermann Fürst von Pückler-Muskau

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Altertümer

Mein erstes Geschäft nach Beseitigung der gesellschaftlichen Pflichten war natürlich, die wenigen Überreste aus alter Zeit zu besichtigen, die Alexandrien noch aufzuweisen hat. Nur weit sich zwischen dem Meer und dem See Mareotis hinerstreckende Hügelreihen von Schutt, die Jahrtausende gebildet, sind von so vielen vergangenen Herrlichkeiten und einer Stadt mit 600 000 Einwohnern übriggeblieben, welche lange als die zweite der Welt angesehen wurde und es vielleicht wieder einmal werden kann. Doch mag man in diesem Gewirr noch deutlich die Lage jener Hauptstraße erkennen, welche vom kanopäischen Tore bis zur Nekropolis, 30 Stadien lang von Ost nach West, führte. Viele Säulen, die längs derselben noch vor zehn Jahren standen, wurden seitdem niedergerissen und zum Teil beim Bau des Arsenals verwandt. Von der zweiten prachtvollen Straße, die jene erwähnte vom Tor der Sonne nach dem des Mondes durchkreuzte, ist selbst die Spur verschwunden, und nur die sogenannte Pompejussäule, die Nadeln der Kleopatra und die Katakomben verdienen einen Besuch. Sie sind sämtlich so unzähligemal beschrieben worden, daß ich sie mit wenigen Worten abfertigen kann. Ich besah sie auf einem unterhaltenden Spazierritt in Gesellschaft des Herrn Lesseps, des eleganten Konsuls Frankreichs und eines jungen Arztes, Herrn Aubert, der sich während der letzten Pest- und Choleraepochen durch seine Intrepidität und Geschicklichkeit viel Ehre hier erworben hat. Er versicherte uns, daß er den Tod der Pestkranken für einen der angenehmsten halte, denn wenig Schmerz und heitre Phantasien führten den Kranken sanft hinüber in das unbekannte Land. Übrigens verläßt die Pest Alexandrien fast nie ganz, und auch jetzt ereigneten sich stets mehrere Fälle dieser Art, obgleich die eigentliche Epidemie längst aufgehört hat. Glücklicherweise ist die Pest von allen ansteckenden Krankheiten diejenige, deren man sich durch Vorsicht am leichtesten erwehren kann; weit fürchterlicher in jeder Hinsicht erscheint ihre grausame Schwester, die Cholera.

An den Nadeln der Kleopatra (ein hyperpoetischer Name!), worunter man zwei Obelisken aus rosafarbnem Granit versteht, von denen der eine umgeworfen ist und die vereint einst vor dem Tempel Cäsars standen, fiel mir die gewaltige Wirkung der Witterung in einem so günstigen Klima auf, welche an der Ostseite des noch aufrecht stehenden Obelisken die über einen Zoll tief eingemeißelten Hieroglyphen fast ganz zerstört hatte, während die Schrift an der westlichen Seite noch wie neu erscheint. Inmitten der kahlen hohen Schutthaufen, wo sich diese Nadeln befinden, machen sie nur wenig Effekt, obgleich ihre Massen von 80 Fuß Länge aus einem Stück an sich ansehnlich genug sind. Schade, daß ihre Versetzung heutzutage zuviel Schwierigkeiten macht, um sie so leicht zu neuen Zwecken anzuwenden. Herr von Prokesch erzählt, daß der liegende Obelisk dem Könige Englands von Mehemed Ali geschenkt ward, der sich sogar erbot, ihn bis ans Meer auf seine Kosten schaffen zu lassen. Der hergesandte Ingenieur fand aber den weitern Transport zu kostspielig. Leider haben die Franzosen sich von einer gleichen Rücksicht bei dem Obelisken von Theben nicht abschrecken lassen – ich sage leider! denn dort ist eines der erhabensten und noch fast vollständigen Monumente des Altertums, der prachtvolle Tempel zu Luxor, durch die Wegnahme des einen seiner Obelisken vor dem Eingang ganz wesentlich entstellt worden, während die Versetzung der hiesigen beiden Nadeln nach Europa dort noch glänzend angewandt werden und hier nichts verderben könnte. Beide müßte man freilich nehmen, denn ein einzeln stehender Obelisk ist eine Anomalie, die bei den Ägyptern nie vorkam. Sie benutzten die Obelisken nie anders als doppelt zum Schmuck ihrer grandiosen Eingänge.

Die Säule des Pompejus, jetzt dem Diocletian zugeschrieben, gewährt von ihrer Spitze ein interessantes Belvedere auf Wüste, Meer und Stadt, und ihr an 50 Fuß hoher Schaft aus poliertem Granit von ägyptischer Arbeit ist schön, das übrige, von den Römern Hinzugefügte, barbarisch und die kahle nähere Umgebung desolat, überdies rund umher so voll Rattenlöcher, daß das schnelle Reiten wahrhaft gefährlich wird, wovon wir ein Beispiel erlebten.

Die Katakomben nebst den lächerlich so getauften «Bädern der Kleopatra», kleine Felsenkammern, die das Seewasser anfüllt und die vielleicht zum Waschen der Leichen dienten, aber gewiß keine Bäder waren, sind es kaum wert, daß man sich der Unbequemlichkeit ihrer Durchkriechung unterzieht. Sie haben viel Ähnlichkeit mit denen von Milo und wenig Ägyptisches, noch weniger etwas durch Kunstwert Ausgezeichnetes, obgleich zuweilen europäische Kleinstädter auch hier in Ekstase geraten zu müssen glauben. Dem Fellah, welcher uns mit einem Bündel Kienholz vorleuchtete, ging diese Leuchte aus, und wir mußten lange in der Dunkelheit bei erstickender Hitze verweilen, ehe er den Ausweg gefunden hatte, um eine neue Fackel zu holen. So unbedeutend nun auch die noch vorhandenen Altertümer Alexandriens über der Erde sind, so wundert es mich dennoch, daß man nicht häufigere und besonders gründlichere Nachgrabungen unter ihr in diesen unermeßlichen Schutthaufen versucht hat; besonders wenn man bedenkt, daß gerade hier zuerst die Hieroglyphenschrift in die Sprache der Eroberer übersetzt wurde, und vielleicht eine einzige gefundene doppelte Inschrift, gleich dem Steine von Rosetta, bei dem jetzigen Stande der Forschung hinlänglich wäre, die umfassendsten Resultate zu gewähren!Wie wir hören, hat Lepsius diesen großen Fund in Philae getan. Glück auf!


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