Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Mehrere Tage widmete ich der genauen Besichtigung des Arsenals und der Flotte. Doch ehe ich dieses reichhaltige Kapitel beginne, muß ich eine Episode einschalten, die meinen liebenswürdigen Führer bei diesen Besuchen betrifft und die ich nur meinem guten Glück verdanke, welches mir in kurzer Zeit die Freundschaft dieses vortrefflichen Mannes in dem Grade verschaffte, daß er mir ein Mémoire anvertraute und mir dessen Publikation gestattete, welches er bisher den dringenden Bitten der angesehensten Männer stets verweigert hatte. Diese Schrift gibt über eine noch dunkle Stelle in der Geschichte Napoleons, nämlich seinen Aufenthalt in Rochefort, einige bestimmtere Aufschlüsse als uns bisher zukamen, und die weder in Lascases' noch Norvins, Capefigues' und anderer Schriften zu finden sind.Dies ist 1837 geschrieben, und was seitdem in dieser Hinsicht publiziert sein mag, mir unbekannt. Man wird unter andern bis zur Evidenz daraus ersehen, daß, wenn Napoleon unter moralischen Martern auf Helena enden mußte, dies keineswegs eine Folge der unbesiegbaren Schwierigkeit seines Entkommens aus Frankreich war, sondern nur seinen Grund einerseits in den Machinationen der kleinen Kamarilla hatte, die ihn in Rochefort umgab und die, mit wenigen Ausnahmen, weit entfernt, sich für den Kaiser opfern zu wollen, nur ihr eignes Interesse und ihre eigne Gefahr ins Auge faßte, andrerseits in der Großmut Napoleons selbst lag, der es verschmähte, die, welche er für seine Getreuen hielt, dem möglichen Lose eines vielleicht ignominiösen Todes auszusetzen, um seine Person zu retten. Endlich mag die romantische Idee, welche er sich seltsamerweise von englischer Magnanimität formiert hatte, allerdings auch noch das ihrige dazu beigetragen haben. Des Kaisers Ruhm hat übrigens dadurch gewiß nichts verloren. Der Schluß seiner großen Laufbahn ist jetzt unendlich tragischer, gewinnt ihm weit sicherer die höchste Teilnahme der Nachwelt bis zu seinem letzten Augenblick, als wenn er in England oder Amerika im prosaischen Leben des Privatmannes sich unbemerkt verloren hätte. Von neuem in der Weltgeschichte handelnd aufzutreten, machte ihm einmal die Gewalt der Dinge unmöglich, und so gab ihm noch zuletzt das Glück, was es ihm geben konnte, eine ihm ganz eigentümliche Katastrophe, und sein Ruhm blieb, trotz der herben Prüfung, unangetastet – genug für den, der nur für die Nachwelt leben wollte.
Ich habe bei dem Folgenden nichts als die Aufgabe einer treuen Übersetzung zu lösen gesucht, da die einfachen, biedern und naiven Worte Bessons durch jeden beigefügten Schmuck nur verlieren könnten, obgleich er allerdings manches hier nur andeutete, was er mündlich mit stärkere Farben ergänzte, was ich ihm aber nachzuschreiben nicht ermächtigt bin. Dem scharfsinnigen Leser wird deshalb nichts entgehen.
Der Kaiser, erzählt Besson, kam in Rochefort am 3. Juli früh morgens an. Ich war damals Schiffsleutnant und dem Generalstab der Marine attachiert. Da ich leicht bemerkte, daß der Kommandant der zwei Fregatten, welche das provisorische Gouvernement zu des Kaisers Disposition gestellt hatte, sehr wenig Lust bezeigte, sich zu kompromittieren, um eine heilige Pflicht zu erfüllen – das heißt, alles und selbst sein Leben zu wagen, um Seine Majestät von ihren Feinden zu retten –, so faßte ich schnell den Plan, an seine Stelle zu treten und dem Kaiser anzubieten, ihn auf einem der Schiffe meines Schwiegervaters, die mir im Anfang des Jahres 1815 adressiert worden waren, nach den Vereinigten Staaten von Amerika zu bringen.Besson hatte eine vermögende Dänin geheiratet. Ich war deshalb genötigt, meiner Frau das ganze Projekt mitzuteilen, und ihre Antwort entsprach vollkommen meiner Erwartung. «Der Kaiser», erwiderte sie ohne Zögern, «ist in einer solchen Lage, daß es für jeden Mann die höchste Ehre ist, ihn durchaus zu befreien. Biete ihm den besten Segler unter den drei Schiffen meines Vaters an und befehlige das Fahrzeug selbst, wenn Seine Majestät es wünscht. Was mich betrifft, so mache dir keine Sorgen, obgleich ich wohl weiß, daß man mich zu beunruhigen jedes Mittel ergreifen wird. Ich bin bereit, lieber alles zu leiden, als dir hinderlich zu sein, eine so große Tat auszuführen.»
Ich begab mich also ohne Verzug zu dem Marschall Bertrand, den ich schon früher zu kennen die Ehre hatte, und teilte ihm meine Ideen mit. An demselben Abend ward ich schon dem Kaiser vorgestellt, der mein Projekt annahm, nachdem er nur einige, wenig bedeutende Modifikationen darin gemacht hatte, worauf ich sogleich einen simulierten Kontrakt über die Ladung mit dem Grafen Lascases abschloß. Keine andere Belohnung für die Armateurs ward von mir verlangt als Erstattung der Kosten der Expedition. Herr von Bonnefoix, Maritim-Präfekt des fünften Arrondissements, gab ebenfalls seine Einwilligung, und ich erhielt von diesem ehrenwerten Chef, dessen Betragen bei dieser ganzen Angelegenheit ebenso edel und großmütig war wie bei allen Handlungen seines Lebens, einen offiziellen Befehl, mich ganz nach dem Willen des Kaisers zu richten, ihn, wenn er es wünsche, nach den Vereinigten Staaten zu bringen und dann nach Frankreich zurückzukehren, um den Rapport über meine Mission abzustatten.
In Folgendem bestand mein schnell präpariertes Projekt.
Die Jacht «Magdalena», unter dänischer Flagge und in Kiel 1812 gebaut, um gegen die englischen Kreuzer im baltischen Meer zu agieren, nahm eine Ladung Branntwein, für Amerika assigniert, ein. Sie wurde mit zwei Expeditionen versehen, die eine für Kiel, die andere für New York. Im Schiffsraum waren zwischen zwei Reihen Branntweinfässern fünf leere Fässer angebracht, die man inwendig matelassiert hatte, um im Fall einer Untersuchung fünf Personen darin verstecken zu können. In der Kajüte befand sich unter dem englischen Kamin eine Falltüre, um mit jenem Emplacement zu kommunizieren, welches mit hinlänglichen Provisionen auf fünf Tage versehen war. Frische Luft ward in die Fässer durch sehr künstlich verdeckte Röhren geführt, die unter den Bettstellen der Kajüte ihren Ausgang hatten. Dieses so eingerichtete Schiff sollte sich nach der Insel Aix begeben und zwischen den kleinen Fahrzeugen Anker werfen, die daselbst einen guten Wind zum Absegeln erwarteten. Dort sollten die nötigen Effekten der Passagiere 24 Stunden vor ihnen selbst eingeschifft werden, und nachdem alles in Ordnung gewesen, würde die Jacht unter Segel gegangen sein, um aus dem Pertuis Breton zu fahren, zwischen dem festen Lande und der Insel Aix hindurchgehend, sich dann nach der Insel Noirmoutier dirigiert haben und von da nach Ouessant, ihrem Ausgangspunkte für das hohe Meer, gesegelt sein.
Indem man dieser Richtung folgte, war es damals beinahe unmöglich, nicht zu reüssieren, denn die Engländer standen noch vor der Gironde und am Eingang des Pertuis d'Antioche, das heißt gerade auf der entgegengesetzten Seite. Auch der Erfolg bestätigte dies, denn die «Magdalena» hat in vollster Sicherheit diesen Weg wirklich eingeschlagen, einen Tag vor der unglückseligen Einschiffung des Kaisers auf dem «Bellerophon», und hat auf der ganzen Tour nicht einem einzigen feindlichen Kreuzer begegnet!
Sobald der Plan nach der angegebenen Weise definitiv angenommen war, erteilte der Marschall Bertrand dem Grafen Lascases Befehl, alles, was zu dessen Ausführung noch nötig sei, zu beschleunigen. Die Herren Roy Bré et Comp. von Rochefort wurden bestimmt, das Fahrzeug zu chargieren und die nötigen Expeditionen zu erteilen. Ich nahm alles übrige über mich, und um desto weniger Verdacht zu erregen, verkleidete ich mich als ein Handelskapitän aus dem Norden (capitaine du Nord). Der Erfolg war komplett, denn der General Becker erfuhr erst, daß ich der französischen Marine angehöre, als der Kaiser sich an den Bord des «Bellerophon» begab, und es war bei diesem Anlaß, daß er mir sagte: «Herr Kapitän, es tut mir leid, daß Sie sich durch Ihren Eifer so schwer kompromittiert haben, Ihr Plan hätte, ich muß es gestehen, ein besseres Schicksal verdient.»
Man wandte eine so große Tätigkeit an, daß ich schon am 6. Juli früh von Rochefort abging, um mich nach Marine zu begeben, wo ich den nötigen Branntwein für die Ladung der «Magdalena» in Empfang nahm. Den 10. fuhr ich nach der Insel Aix, wo ich erfuhr, daß sich der Kaiser an Bord der «Saale» befände, und daß er vom Herrn Philibert, dem Kapitän, welcher diese Fregatte kommandierte, gänzlich verlassen worden sei, indem dieser ihm erklärt: Die Gegenwart eines englischen Schiffes am Eingang des Pertuis d'Antioche lege des Kaisers Abreise ein unüberwindliches Hindernis in den Weg; denn er, der Kapitän, habe den gemessenen Befehl, seine Fregatte und ihre Equipage keiner Gefahr eines ungewissen Kampfes auszusetzen, um des Kaisers Person in Sicherheit zu bringen. Der Herr Schiffskapitän Pomée, Kommandant der Fregatte «Medusa», benahm sich anders. Dieser Brave bot dem Kaiser an, ihn an seinen Bord zu nehmen und ihn zu retten oder mit ihm zu sterben, hinzufügend: daß er zwar in den Grund gebohrt werden könne, aber ihm sein Ehrenwort verpfände, daß er sich nie ergeben werde. Dieses edelmütige Anerbieten hatte kein besseres Schicksal als das meinige, wie man später erfahren wird, und der einzige Grund, der den Kaiser verhinderte, es anzunehmen, war seine Abneigung, diejenigen, welche ihm folgten, einem so ungewissen Schicksal auszusetzen.
Seine Majestät verließ hierauf die Fregatte «Saale» noch um 9 Uhr abends.
Ich ward an demselben Abend zum Kaiser gerufen und mit vieler Güte von Seiner Majestät empfangen. Er befahl mir, auf der Stelle alle seine Effekten und die der Personen seiner Begleitung zu embarkieren. Ich fing um 10 Uhr nachts damit an, und um Mitternacht war alles vollendet. Es blieb nichts übrig einzuschiffen als die Passagiere. Es ist nötig, hier eines Umstandes zu erwähnen, der nahe daran war, mir das Leben zu kosten. Alle Punkte der Insel waren auf das beste bewacht, und namentlich derjenige, welchem gegenüber die «Magdalena» vor Anker lag. Fünfzig Schritte von einem Marineposten hatte ich den Fleck unsrer Einschiffung absichtlich bestimmt, um jedes «quid pro quo» zu vermeiden, und deshalb den Herrn Grafen Bertrand gebeten, den Kommandanten des Postens zu avertieren, keine Achtung auf den Lärm zu geben, den er zwischen 10 und 12 Uhr in dieser Nacht hören könnte. Überzeugt, daß wir hiernach unsere Operation ungestört beginnen könnten, schritt jeder von uns frisch ans Werk, aber kaum hatten wir einen kleinen Teil der Effekten an Bord gebracht, als eine Füsillade auf uns gerichtet ward, die einem meiner Dänen, neben dem ich selbst stand, den Arm zerschmetterte und unsre Barke wie ein Sieb durchlöcherte. Ich sprang sogleich ans Land, auf die Gefahr erschossen zu werden, und eilte nach dem Posten, wo ich die Sachen bald wieder in Ordnung brachte. Niemand daselbst war avertiert worden, die braven Leute aber, welche uns deutsch sprechen hörten, hatten dies für englisch gehalten und uns demzufolge eine volle Ladung zugesandt.
Kurz nach Mitternacht begab ich mich zum Kaiser, um ihm zu melden: daß alles bereit und der Wind günstig sei. Seine Majestät erwiderte: Für diese Nacht sei die Abreise unmöglich, indem er noch den König Joseph erwarte. «Gehen Sie herunter», setzte er hinzu, «und speisen Sie mit Bertrand. Dieser wird Ihnen ein neues Projekt mitteilen, geben Sie Ihre Meinung darüber an ihn ab und kommen Sie dann wieder zu mir zurück.»
Der Kaiser zeigte eine große Ruhe, schien jedoch nachdenkend, und ich bemerke dies nur, um den Publikationen der Epoche zu widersprechen, welche allgemein behaupteten, Napoleon habe in Rochefort fast immer geschlafen und sei durch seine Lage so abgespannt gewesen, daß er sich zu Ergreifung keiner Partie mehr habe entschließen können. Im Gegenteil fand ich ihn nicht im geringsten weder abgespannt noch agitiert. Wie gewöhnlich häufig Tabak nehmend und dabei sehr aufmerksam auf das hörend, was man ihm sagte, schien er mir eher die tragische Verwicklung seiner Lage mit allzuviel Gleichgültigkeit zu betrachten. «Welch ein Unglück, Sire», sagte ich, bevor ich mich entfernte, «daß Eure Majestät nicht heute abreisen können! Die ‹rade des basques› ist frei von Feinden. Die Pertuis Bretons sind offen – wer weiß, ob sie es morgen noch sein werden! »
Diese Worte waren leider prophetisch! Noch am 12. wußten die Engländer nichts von des Kaisers Ankunft in Rochefort, welche ihnen erst durch den Besuch des Herzogs von Savary und Grafen Lascases auf dem «Bellerophon» bekannt ward. Dies wird dadurch unwidersprechlich bewiesen, daß sie sich bis zu diesem Zeitpunkt unverrückt am Eingang der Gironde und des Pertuis d'Antioche hielten, um jeden Fluchtversuch der Fregatten, die auf der Reede der Insel Aix vor Anker lagen, zu hindern. An demselben Abend aber, wo sie des Kaisers Ankunft durch die genannten Herren erfuhren, setzte sich sofort der «Bellerophon» in Bewegung, um in der «rade des basques» Anker zu werfen! Allerdings die rechte Position, die er von Hause aus nehmen mußte, um beide Ausgänge zugleich zu bewachen.
Ich verließ den Kaiser und stieg zum Grafen Bertrand hinab, der mir sagte, daß einige junge Offiziere, an deren Spitze sich ein gewisser Gentil, Schiffsleutnant, befände, gekommen wären, um dem Kaiser anzubieten, ihn an Bord einer Schaluppe (chaloupe pontée) von Rochelle zu embarkieren und ihn damit bis zum Eingang der «rivière de Bordeaux» zu bringen, die Meerenge von Monmousson passierend, wo sich ein amerikanisches Schiff befände, das dem Kaiser die Überfahrt nach Amerika gestatten würde oder dessen man sich im Fall der Weigerung bemächtigen könnte. Es waren in der Tat mehrere amerikanische Schiffe bei Royant, welche der General L'Allemand besuchte und deren Kapitäne Sr. Majestät ihre Dienste angeboten hatten.
Da ich die braven jungen Leute sehr wohl kannte, die dieses Anerbieten machten, und deren Namen der Nachwelt erhalten zu werden verdienen (die Herren Dovet, «enseigne de vaisseau», Ritter der Ehrenlegion, ein junger Mann voll Unternehmungsgeist, der Ehre und dem Kaiser treu ergeben, Condé, Aspirant erster Klasse, in jeder Art würdig, in die Fußstapfen seines braven Vaters, des Kommandanten Condé, zu treten, und Gentil, einer der entschlossensten Offiziere, der den ganzen spanischen Krieg unter den «marins de la garde» mitgemacht hatte), so erwiderte ich dem Marschall: Ich sei überzeugt, daß der Himmel selbst Seiner Majestät einen sichern Rettungsweg anzeige und daß man ihn nur sogleich benutzen müsse, da jeder Umstand sich zum glücklichen Gelingen zu vereinigen schiene. «Was wollen Sie damit sagen?» rief der Marschall verwundert aus.
Ich will mich sogleich näher erklären, erwiderte ich. Die zwei Schaluppen von Rochelle sind vortreffliche Segler, besser ohne Zweifel als die englischen Kreuzer. Man müßte sie abschicken, eine durch die Enge von Monmousson, die andere durch den Pertuis d'Antioche, und auf beiden Personen und Effekten einschiffen, die dem Kaiser angehören, doch so, daß die Schiffsequipagen unter sich selbst nicht wüßten, wer sich am Bord der andern Schaluppe befände. Dann brauche man nur, fuhr ich fort, den Befehlshabern beider leichten Fahrzeuge, jedem separat, die Ordre zu geben, die englischen Kreuzer selbst aufzusuchen, sich von ihnen jagen zu lassen und sie so weit abzuziehen, als es ihnen möglich sei; hier aber müsse man die Nachricht unter der Hand verbreiten, daß sich Napoleon auf einer dieser Schaluppen embarkiert habe, so daß das Personal einer jeden Schaluppe selbst der Meinung bleibe, der Kaiser sei auf der andern. Sobald dieser Plan genehmigt und gehörig verbreitet sei, könne man die Schaluppen am folgenden Abend absegeln lassen, und der Kaiser würde am Morgen darauf mit mir folgen, wo er dann zwei Chancen mehr hätte, seine Rettung glücklich zu bewerkstelligen. Es ist um so nötiger, setzte ich ausdrücklich hinzu, von allen diesen günstigen Umständen auf das schleunigste zu profitieren, da es höchst wahrscheinlich ist, daß der Feind, der sich jetzt noch am Eingang des Pertuis d'Antioche unter Segel hält, des Kaisers Gegenwart ignorieren muß, denn wüßte er sie, so würde er gewiß nicht ermangeln, eine Position in der «rade des basques»zu nehmen, von der er beide Pertuis' zu bewachen imstande ist.
Der Marschall schien meine Meinung zu teilen, und da er den Kaiser sogleich davon benachrichtigen wollte, nahm er mich mit zu ihm hinauf.
Wir fanden Napoleon mit dem Ellbogen auf ein schönes Nécessaire von Vermeil gestützt, ein Geschenk von seiner Gemahlin Marie Louise, und ein Meuble, welches Seine Majestät gewünscht hatte, bis auf den letzten Augenblick bei sich zu behalten, welches daher auch fast allein von allen noch nicht embarkiert worden war. Der Kaiser erhob den Kopf und sagte mit dem Ausdruck sehr guter Laune: «Eh bien, Bertrand, que vous a dit le capitaine Besson?» Nachdem ihm alles, was ich gesagt, wiederholt worden war, bezeigte er seine volle Zufriedenheit mit meinem Vorschlag und befahl sogleich, mehrere Effekten seiner Suite und eine Anzahl Provisionen an Bord der genannten Schaluppen bringen zu lassen, die Sage zu verbreiten, daß er selbst auf einer derselben sich einschiffen wolle, und sie dann beide kurz vor seiner eignen Abreise abzusenden; dann fuhr er fort: «Je suis à présent decidé à partir avec vous Capitaine dans la nuit du 13. au 14.»
Ich sah mit tiefem Schmerz ein, daß dieser neue Aufschub alles unnütz machen werde, und wagte auch diesem Gedanken Worte zu geben, jedoch ohne Erfolg.
Den 11. und 12. beschäftigte man sich mit den Schaluppen, und am 13. früh gingen sie unter Segel mit allen Instruktionen, die verabredet waren, welches ungehindert stattfand, obgleich der «Bellerophon» auf die unterdes erhaltene Visite des Herzogs von Savary und des Grafen Lascases schon am 12. abends seine neue Position in der «rade des basques» genommen hatte.
Am 13. kam Herr Marchand mit Tagesanbruch zu mir an Bord, um mir einen ledernen Gürtel, mit Gold angefüllt, für des Kaisers Rechnung anzuvertrauen, und brachte mir zugleich den Befehl, mich sogleich selbst zu Seiner Majestät zu verfügen. Es schien, daß das wenige Gold, das der Kaiser mit sich nahm, geteilt worden war und daß Herr Marchand jedem, der sich mit Seiner Majestät einschiffen sollte, einen Teil davon aufzubewahren gegeben hatte.
Um sieben Uhr begab ich mich zum Kaiser, den ich vollständig angezogen in seinem Zimmer auf- und abgehen fand. «Ah vous voilà!» rief er bei meinem Eintritt, «les chaloupes sont parties, à ce soir donc... le sort en est jeté.» Er frug mich hierauf, ob ich sicher sei, diese ganze Küste genau zu kennen, indem er mit dem Finger auf die Karte von Poitou mit der Insel Aix usw. zeigte, welche auf dem Tische lag. Als ich antworten wollte, trat Herr Marchand ein und sagte dem Kaiser etwas ins Ohr, worauf ich schnell verabschiedet wurde. Im Herausgehen begegnete ich einer Person, die ich vorher nie hier gesehen, und erfuhr später, daß es der König Joseph gewesen sei.
Der ganze Tag ging mit möglichster Vervollständigung aller Vorbereitungen zur Reise hin, und bei Einbruch der Nacht sagte man mir, daß die Herren, welche der Kaiser von neuem nach dem «Bellerophon» geschickt, zurückgekommen seien. Es ist keinem Zweifel unterworfen, daß erst an diesem Tage gewisse Personen von Napoleons Gefolge ihn definitiv bewogen hatten, aus Besorgnis, mit ihm an Bord meiner Jacht gefangengenommen zu werden, sich mit dem Kapitän Maitland in ernstliche Unterhandlungen einzulassen, und daß dessen Antwort eben eingetroffen war, doch hatte ich damals noch keine Ahnung davon.
Im Gegenteil, als Seine Majestät mich, kurz nachdem es dunkelte, wieder rufen ließ, fühlte ich die größte Freude, endlich dem Ziel meiner Wünsche nahe zu sein.
Als ich eintrat, fand ich den General Savary, den Grafen Lascases, den Grafen Montholon und einen mir unbekannten Fremden gegenwärtig. «Kapitän», sagte der Kaiser zu mir, «Sie werden sich sogleich an Ihren Bord verfügen und meine sämtlichen Effekten wieder ausschiffen lassen. Ich danke Ihnen aufrichtig für alles, was Sie für mich haben tun wollen. Wenn es sich darum handelte, ein unterdrücktes Volk zu befreien, wie es meine Absicht war, als ich die Insel Elba verließ, so würde ich keinen Augenblick anstehen, mich Ihnen anzuvertrauen, aber da hier nur einzig und allein von meiner Person die Rede ist, so will ich die, welche mir treu geblieben sind und die mein Schicksal teilen, nicht Gefahren aussetzen, die zum mindesten unnütz sind. Ich bin entschlossen, nach England zu gehen, und ich begebe mich morgen auf den ‹Bellerophon›.»
Ein Blitz, der aus heiterer Luft mich niedergeschmettert hätte, würde keine schrecklichere Wirkung auf mich haben machen können als diese letzten Worte. Ich fühlte, daß alles Blut aus meinen Wangen wich, Tränen stürzten aus meinen Augen, und ich blieb einige Augenblicke unfähig, eine Silbe zu erwidern. Gleich einem aufgeschlagenen Evangelium lag es vor mir, wie furchtbar sich der Kaiser in seinen chevaleresken Ideen über die Magnanimität des englischen Gouvernements irre, und tausend Gedanken der traurigsten Art stürmten auf mich ein. War ich nicht selbst während fünf langer Jahre zu verschiedenen Malen das Opfer dieses Gouvernements gewesen, dessen Treue von jeher nur mit der punischen verglichen werden konnte!Kapitän Besson war zweimal Gefangener auf den schrecklichen englischen Pontons, sein Entkommen von dort romanhaft und seine zurückgebliebene Erbitterung wohl verzeihlich. Es ist daher nicht zum Verwundern, daß ich voraussah, was nachher geschah. «Nach England, Sire», rief ich endlich mit erstickter Stimme, «nach England! Dann sind Sie verloren! Der Tower von London wird Ihre Wohnung sein, und Sie mögen sich glücklich schätzen, wenn es Ihnen nicht noch schlimmer ergeht. Wie, Euer Majestät wollen sich, Hände und Füße gebunden, diesem verräterischen Kabinett übergeben, das frohlocken wird, den vernichten zu können, der es so tief ins Herz zu treffen wußte und seiner ganzen Existenz den Untergang drohte – Sie, der Einzige, den es zu fürchten hat, wollen sich ihm freiwillig und ohne alle Not übergeben? Sire...» Gott weiß, was ich in meiner Verzweiflung noch hinzugesetzt haben würde, als der General Savary, der sich in einer Ecke des Salons befand, mit seiner sonoren Stimme einfallend, mir auf barsche Weise Schweigen auferlegte. «Kapitän», rief er,«Sie erlauben sich zu viel! Vergessen Sie nicht ganz, in wessen Gegenwart Sie sich befinden!»
«Oh, laissez le parler!» sagte der Kaiser mit einem wehmütigen Blick, der mich bis ins Innerste erschütterte. Doch sah ich bald, als ich nur einigermaßen meine Fassung wiedererlangt, wie unnütz hier alles Weitere sei.
«Verzeihung, Sire», fuhr ich fort, «wenn ich zu viel gesagt; ich selbst aber bin durch Ihre Entscheidung wie vom Donner gerührt und vermag nur noch um Euer Majestät Nachsicht zu bitten. Was Sie aber betrifft, Herr Herzog», fügte ich, mich zu diesem wendend, hinzu, «so ersuche ich Sie, wenigstens den Posten zu befehlen, diese Nacht nicht wieder auf mich zu feuern, denn es wäre zu grausam für mich, hier durch eine französische Kugel beim gezwungenen Ausladen von Effekten getroffen zu werden, die ich in Amerika debarkieren zu können gern mein Leben zehnmal geopfert haben würde.»
«Gehen Sie, Kapitän», sagte der Kaiser sanft, «und beruhigen Sie sich. Wenn Ihr Geschäft getan ist, kommen Sie wieder.»
Ich tat, wie mir befohlen, obgleich in der trostlosesten Gemütsstimmung, und um 9 Uhr abends am 14. Juli war alles beendet, worauf ich auch sogleich zur Meldung beim Kaiser wieder zurückkehrte. Ich fand ihn allein mit Herrn Marchand, den man wohl die personifizierte Treue nennen könnte, dessen Gefälligkeit für mich sich nie verleugnete und ohne dessen Hilfe der Kaiser für mich vielleicht ganz unzugänglich geblieben sein würde. Denn das Reich der Intrige hatte schon ebenso festen Fuß auf der Insel Aix gefaßt als früher in den Tuilerien. Ich will nur ein Beispiel davon anführen. Die Personen, welche bestimmt waren, sich mit dem Kaiser auf der «Magdalena» einzuschiffen, waren der Marschall Bertrand, der Graf Lascases und der General Montholon. Die zwei letzteren waren nur sehr unbedeutend bei dem Gouvernement des Königs kompromittiert und hatten daher nichts zu fürchten, während der General L'Allemand bereits zum Tode verurteilt war. Demungeachtet konnte es dieser verdienstvolle General nie dahin bringen, seine Reklamation dem Kaiser vor Augen zu legen. Durch alle möglichen Mittel immer daran verhindert, bat er mich endlich zu gestatten, daß er sich als Matrose verkleidet unter meine Equipage mischen und so sein Leben retten dürfe.
Sobald der Kaiser mich eintreten sah, ging er auf mich zu und sagte: «Kapitän, ich danke Ihnen von neuem; sobald Sie sich hier frei gemacht haben werden, kommen Sie zu mir nach England. Ich werde ohne Zweifel auch dort noch» – setzte er lächelnd hinzu – «eine Person Ihres Charakters nötig haben können.» –
«Ach, Sire», erwiderte ich betrübt, «warum darf ich auch nicht die mindeste Hoffnung hegen, daß je ein Tag kommen wird, wo ich einem so schmeichelhaften Befehl Folge zu leisten berufen werden mag!»
Ich wollte, meiner Empfindungen nicht mächtig, mich eilig entfernen, als der Kaiser mir zu bleiben winkte und Herrn Marchand hinausschickte, um den Marschall Bertrand zu holen; dann nahm er von einigen Waffen zu seinem Privatgebrauch, die in einem Winkel der Stube standen, eine kostbare Doppelflinte auf, die er lange auf der Jagd geführt, und indem er mir sie darreichte, sagte er mit sehr bewegter Stimme: «Je n'ai plus rien dans ce moment à vous offrir, mon ami, que cette arme. Veuillez l'accepter comme un souvenir de moi.»
Dieses mir so unschätzbare Geschenk und die unbeschreibliche Anmut, mit der es gemacht wurde, bewogen mich, allein mit dem Kaiser mich sehend, fast unwillkürlich zu einem letzten Versuch. Ich warf mich ihm zu Füßen und beschwor ihn unter Tränen bei allem, was mir die kummervollste Überzeugung eingab, sich nicht den Engländern zu überliefern, da jetzt noch nichts verloren sei und ich mich anheischig mache, in zwei Stunden Zeit alle seine Effekten von neuem wieder an Bord zu schaffen, worauf er augenblicklich selbst folgen könne. Es bedürfte nur seines Entschlusses, seines Befehls. – Ach! Alles war umsonst! – «Wohlan, Sire!» rief ich aufstehend... doch der unterdessen eingetretene Marschall unterbrach mich: «Kapitän, lassen Sie von Ihrem unnützen Bestreben ab», rief er unwillig, «Ihr Eifer ist lobenswert, Ihr Benehmen ist edel, aber Seine Majestät kann jetzt nicht mehr zurück!»
Es mochte wohl so sein, und ich verschluckte, was mir noch auf der Zunge schwebte. «Es bleibt also nichts übrig, als mich bei Euer Majestät zu beurlauben», sagte ich, «und – abzureisen mit derselben Jacht, Sire, die für Euer Majestät bestimmt war. Ich werde genau der Route folgen, die Sie approbiert hatten, und die Zeit wird, fürchte ich, Euer Majestät nur zu bald belehren, welche von beiden Partien zu ergreifen die sicherste war.»
Den Tod im Herzen zog ich mich jetzt zurück und begab mich an meinen Bord. Es war zehn Uhr abends. Ich ließ auf der Stelle die Anker lichten und segelte mit einer frischen Ostbrise ab, ohne durch irgend etwas beunruhigt zu werden. Beim Anbruch des Tages befand ich mich am Eingang der Pertuis Bretons unter die Caboteurs gemischt.
Es ist nötig zu bemerken, daß der Kaiser sich erst um fünf Uhr früh auf dem «Epervier» einschiffte und um neun Uhr früh am 15. auf dem «Bellerophon» ankam.
Ich hatte also längst vorher schon meinen Weg mit den Caboteurs unbemerkt fortgesetzt, und erst nachdem ich mich den Sables d'Olonnes gegenüber befand, nahm ich selbst Abschied von meinem Kapitän, ihm den Befehl gebend, sich auf Ouessant und Kiel durch den englischen Kanal zu dirigieren, wo er auch zwanzig Tage darauf glücklich ankam, ohne, wie bereits am Eingang erwähnt wurde, von einem einzigen englischen Kreuzer visitiert oder sonst beunruhigt worden zu sein. Hierauf kehrte ich für meine Person mit einem der Caboteurs nach Rochefort zurück, wo ich mich zum Marinepräfekten begab, um dessen Befehle einzuholen. Dieser sagte mir, daß er auf Verlangen des Kaisers bis zum letzten Augenblick zwei Kisten mit Vaisselle bei sich zurückbehalten habe, um sie Madame Besson zu übermachen, im Fall der Kaiser mit mir gegangen wäre. Da dieser jedoch nun einen andern Entschluß gefaßt, so habe er es für passend gehalten, diese Kisten nebst noch einigen andern, die ihm Seine Majestät anvertraut, auf den «Bellerophon» zu senden. In der Tat sind es diese nämlichen Silberkisten, deren Verkauf dazu diente, in Helena des Kaisers dringendste Bedürfnisse zu befriedigen, ich selbst aber war sehr entfernt davon gewesen, nur zu ahnen, daß Seine Majestät die Fürsorge so weit getrieben haben würde, sich sogar mit dem Schicksal meiner Frau zu beschäftigen, im Fall mein Projekt zur Ausführung gekommen wäre.
Meine erste Entrevue mit Madame Besson gehörte zu den traurigsten! Wir brauchten lange Zeit, ehe wir gegenseitig Worte finden konnten für unsern tiefen Schmerz. Der unglückselige Entschluß des Kaisers vernichtete ihn selbst auf immer, aber auch mein Schicksal war unvermeidlich niedergezeichnet. Ich mußte das Opfer meiner freiwilligen Handlung werden, und ich ward es. Verabschiedet als unwürdig, dem neuen Gouvernement zu dienen, sah ich mich gezwungen, mein Vaterland zu verlassen, während ich meine durch die Agitationen der letzten Tage erkrankte Frau in Rochefort allein zurückließ, wo sie lange allen Arten von Vexationen ausgesetzt blieb. Nichts ward ihr erspart und sie so nach und nach von den Verfolgungen der Polizei bis nach Bordeaux getrieben, wo sie endlich Gelegenheit fand, sich nach Kiel einzuschiffen. Hier sahen wir uns im Dezember 1816 zum erstenmal wieder. Seit dieser Zeit irrte ich in der Fremde umher, ohne zu wagen, mich Frankreich wieder zu nahen, ausgenommen im Jahre 1826, wo mich Seine Hoheit der Vizekönig von Ägypten nach Marseille sandte, um die Kriegsschiffe zu armieren, die der General Livron daselbst für Seine Hoheit bauen ließ. Seit dieser Epoche datiert meine Dienstzeit in Ägypten, Dienste, welche Mehemed Ali mir mit Großherzigkeit belohnt hat, und glücklich werde ich mich schätzen, wenn meine Tätigkeit, mein guter Wille und meine innige Zuneigung für den außerordentlichen Mann, zu dem die Vorsicht mich geführt, dazu beitragen können, mich seiner Wohltaten immer mehr und mehr würdig zu machen.
Man wird diese einfache Darstellung kaum aus der Hand legen können, ohne für die Hauptfiguren derselben, den großen Kaiser und den braven Besson, die regste Teilnahme zu fühlen, obgleich man sich auch nicht verbergen kann, daß der gealterte, seit Jahren gejagte, harassierte, erschöpfte Held nicht mehr die Frische des Entschlusses besaß, die den General Bonaparte so hoch erhoben hatte. Damals war er auch noch von keiner Hofluft berauscht worden, die nach oben allmählich selbst den besten Kopf schwächt, nach unten aber nur die Herzen anfrißt.
Gott hat es indes, wie immer, auch hier am besten zu machen gewußt, und Besson mag sich vollständig trösten. Dem Kaiser wäre allerdings, wenn ihn sein Retter nach Amerika gebracht, der persönliche Leidenskelch einiger Jahre erspart worden, aber sein Ruhm, ich wiederhole es, hätte durch ein solches obskures Ende im Privatstande nur tödlich leiden können. Besser war es, als der Gefangene Europas auf St. Helena zu sterben. Napoleons Verehrer mögen sich daher vielmehr freuen, daß es so gekommen ist, wie es kam, und nur die Engländer mögen darüber klagen, daß des kühnen Besson Plan gescheitert ist, denn sein Gelingen hätte ihnen eine der schmachvollsten Seiten ihrer Geschichte erspart.Als ich acht Monate, nachdem ich dieses geschrieben, von einer beschwerlichen und gefahrvollen Reise in Afrikas Wüsten zurückkam, fand ich den in voller Lebenskraft verlassenen Besson schon im Grabe. Nur sein Manuskript ist mir als Beleg für das hier mitgeteilte Bruchstück aus seinem noch in vieler andern Hinsicht höchst merkwürdigen Lebenslaufe zurückgeblieben.