Hermann Fürst von Pückler-Muskau
Aus Mehemed Alis Reich
Hermann Fürst von Pückler-Muskau

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Die Katarakten. Philae

Ajïamé hatte im Harem Bali-Kascheffs mehrere intime Freundschaften geschlossen, und da ich die Fatigen der weitern Reise für sie fürchtete, vertraute ich sie bis zu meiner Rückkehr dem alten Kascheff an und überlieferte sie speziell dem ersten Eunuchen desselben zu bester Obhut und Sorge für ihr Wohlergehen. Der Abschied von dem liebenswürdigen Naturkinde ward mir schwerer, als ich anfänglich geglaubt, und zum wahren Opfer, als ich die Wehmut sah, mit der sie in dem fremden Hause allein zurückblieb, und doch die Festigkeit bewundern mußte, mit der sie dies wohl sehr natürliche Gefühl zu beherrschen vermochte. Aber sie war wirklich in allem eine kleine Heldin und hat mir bis zu ihrem Tode noch manche Proben davon gegeben.

Wir mußten, sobald unsre Abreise von Assuan beschlossen war, um unsre Kangschen durch die Katarakten zu bugsieren, alle Effekten ausladen lassen, und demungeachtet behauptete man allgemein, daß nur die kleine, unter keiner Bedingung aber die größere bei dem jetzigen niedrigen Wasserstande durchzubringen sei. Dies würde uns im Verfolg der Reise großer Unbequemlichkeit ausgesetzt haben, ich bestand also darauf, daß der Versuch auch mit der großen Tahabia gemacht werden solle, worin mich glücklicherweise der gefällige Kascheff unterstützte, dem ich Mehemed Alis Wahlspruch: daß nichts unmöglich sei – ins Gedächtnis rief und der selbst begierig schien, sich zu Überzeugen, ob ein Fahrzeug von dieser Dimension trotz des einstimmigen Widerstrebens aller Rais der Katarakten, die versicherten, daß nie Ähnliches unternommen worden sei, nicht dennoch mit einem ungewöhnlichen Aufwand von Menschenkräften durch alle ihm den Untergang drohende Klippen forciert werden könne. Die fragliche Tahabia gehörte indes dem Gouverneur von Khené, und ihr Rais verweigerte aus diesem Grunde hartnäckig seine Einwilligung. «Wenn sie untergeht», rief der Kascheff heroisch, «so bezahle ich sie, und mein bleibt die Verantwortung.» Hiermit war die Sache entschieden (denn nur für die Fahrzeuge, aber keineswegs für die Mannschaft war Gefahr vorhanden), und die nun von aller Last gänzlich entleerten Schiffe fuhren alsbald, zwar unter einem lugubren Trauergesang der Neger, aber mit einem sehr günstigen Wind ab.

Wir selbst nahmen nach Voraussendung der Karawane, die unser Gepäck trug, den Weg zu Lande durch die berühmten Granitbrüche, welche das Material zu allen jenen Wundern Thebens wie den zahllosen Monumenten andrer ägyptischen Hauptstädte lieferten. Man mag hier an verschiednen Orten die eigentümliche Behandlung des Steins von seiten der ägyptischen Arbeiter studieren und sieht unter mehreren Merkwürdigkeiten dieser Art noch einen fast ganz vollendeten und zum Ablösen fertigen Obelisk an einer Wand des Steinbruches hängen. Es wird wohl immer ein Rätsel für uns bleiben, wie die Alten diese ungeheuren Massen so leicht zu bewegen vermochten und welcher Mittel sie sich, unbekannt mit dem Pulver, zu einer noch weit akkuratern Sprengung der Felsen bedienten, als wir vermögen. Geschah es bloß durch die Anwendung zahlloser Menschenkräfte, wie einige in den Gräbern noch vorhandene Abbildungen glauben lassen möchten, oder kannten sie ein Gesetz der Mechanik, das uns bis jetzt entgangen ist?

Unfern der Steinbrüche erhebt sich auf der höchsten Spitze der Gegend eine verfallne sarazenische Warte, die von ihren Zinnen den Blick über eine seltsame Gegend aufschließt. Denn wahrlich wunderbar sieht es hier aus; als hätten Riesenvölker einer unbekannten Vorwelt sich belustigt, auf der unabsehbaren Sandfläche der glühenden Wüste tausend und aber tausend Haufen schwarzer und roter Granitblöcke in wilder Unregelmäßigkeit einzeln aufeinanderzulasten, um Felsengebilde einer ganz neuen Art und Form künstlich zu schaffen! Alle diese Steinmassen, schwarz und rot gefärbt wie in der Hölle, erscheinen auch wie von vulkanischem Feuer geröstet und geschmolzen und dann durch die Fluten wieder erkaltet höchst abwechselnd und phantastisch in ihrer Gestalt, aber ohne ein Spur von Vegetation noch Leben. Noch imposanter wird das Schauspiel, wenn man sich dem Nil wieder nähert und hier diese schwarzen Steinhaufen in den barocksten Gestalten prismatisch zusammengesetzt bis zur Berghöhe ansteigen und zwischen ihnen sich unzählige Wasserkanäle des Flusses hindurchdrängen sieht, von denen einige wie Pfeile schnell vorbeischießen, andere, durch Klippen aufgehalten, wie Milch schäumen, keiner jedoch irgendwo einen bedeutenden perpendikulären Wassersturz darbietet, sondern alle nur über wenig abschüssige, natürliche Steinwehre von kürzerem oder längerem Fall tosend und kochend dahinbrausen und wie tausend silberhelle Schlangen sich um die dunklen Felsen winden. Dies sind die sogenannten Katarakten. Als wir auf der Höhe des dem Flusse nächsten Felsenkamms anlangten, gewahrten wir schon mitten in dem Wasserlabyrinth die größte unsrer vorausgeschickten Barken, welche eben im gefahrvollen Kampfe mit dem reizendsten und längsten der Strudel begriffen war. Wir kletterten sogleich nach dem Flusse hinab, den interessanten Vorgang in möglichstes Nähe zu betrachten.

Mehr als 300 nackte Schwarze vom Volke der Barabra, größtenteils junge Leute von zwölf bis zwanzig Jahren, alles kräftige, oft bildschöne Gestalten, tummelten sich teils im Wasser selbst, teils auf den hervorstehenden Felsblöcken, teils am gezackten Ufer in verschiedner Beschäftigung umher, von einem alten Manne mit weißem Haupt- und Barthaar, dem obersten Rais der Katarakten, angeführt, dessen athletische Figur, seine fast furchterregenden Züge und die unermeßliche Kraft seiner Lunge dennoch kaum hinreichten, diese wilde Jugend in der gehörigen Disziplin zu erhalten. Noch mehr als die Fellahs zu Amphibien geworden, ist für die Barabra oder Berberiner das Wasser ein Element, in und unter dem sie sich eben so ungeniert als auf der Erde bewegen. Viele unterstützten und leiteten schwimmend die schwere Tahabia, die sie gleich Flußgöttern auf ihren Schultern zu tragen schienen; andere zogen sie zu gleicher Zeit, von Felsen zu Felsen wie die Eichhörnchen springend, an dicken Tauen hin und her, schnell nach dem Bedarf die Richtung verändernd; wieder andere arbeiteten hilfreich, mit langen Stangen die Barke schneller fortstoßend oder sorgsam anhaltend; viele aber halfen auch zu gar nichts, sondern ergötzten sich, statt dessen in den tiefsten Kessel der Flut sich von oben kopfüber hinabzustürzen und sich dann von den brausenden Wellen den Fall unaufhaltsam hinabwirbeln zu lassen, während nur ihr schwarzer Kopf oder ein Fuß oder Arm, gleich einem fortgeschleuderten Steine, im Schaum der Katarakten von Zeit zu Zeit sichtbar ward; die übrigen umringten uns selbst, trugen uns auf ihren Schultern durch unbequeme oder nasse Stellen, holten uns Wasser zum Trinken aus einer der kleinen Charybden vor uns, den gefüllten Becher im Schwimmen hoch über sich haltend, und verteilten sich dann wieder mit Lachen und Scherzen unter der Menge, wenn sie das – zwar etwas zudringlich, aber immer mit gutmütiger Freundlichkeit geforderte – Bakschisch glücklich von uns erhalten hatten. Nur sehr wenige dieser Naturkinder, denen man wahrlich keine Not ansah, hatten sich mit einem schmalen Gürtel beschwert, aber mehrere trugen den berberinischen kleinen Dolch mit einem Lederriemen am linken Oberarme befestigt, ohne daß er sie im geringsten am Schwimmen gehindert hätte. Alle setzten dabei unbekümmert ihren bloßen Kopf den stechenden Sonnenstrahlen aus, und mit Verwunderung bemerkte ich, daß den meisten derselben trotz ihrer herrlichen gesunden Zähne drei bis vier derselben an der rechten oder vordern Seite des Mundes fehlten. Auf Befragen erfuhr ich, daß sie sich selbst so verstümmelt, nur als Vorsorge, um dadurch desto sicherer dem Soldatendienst zu entgehen, obgleich der Vizekönig, der die Barabras zu nötig bei den Katarakten braucht, sie bisher noch nie zum Militärdienst angezogen hat.

Nach einer mühevollen halben Stunde und einigen kritischen Momenten für das zwischen den Klippen treibende Fahrzeug, das auch nicht ganz ohne leichte Beschädigungen blieb, verkündigte endlich ein ohrbetäubendes Jubelgeschrei, daß nun die Hauptschwierigkeit überwunden sei und der Rest der Arbeit verhältnismäßig unbedeutend bleibe. Wir benutzten diesen Moment, um nach abermaliger genügender Bakschischausteilung von neuem unsre Pferde zu besteigen und die Landreise nach Philae fortzusetzen. Die Mittagshitze, vom weißen Sande und den glatten Steinblöcken zurückgestrahlt, war peinigend, aber der anmutige Gedanke, in Äthiopien zu sein,Das alte Äthiopien erstreckte sich bis unter Dongola, und dort begann erst Nubien. Jetzt wird der Anfang Nubiens von Assuan gerechnet und das Land dieses Namens sehr willkürlich von den Geographen den Nil aufwärts ausgedehnt. versüßte jede Beschwerde, und ich dachte mir dabei, wie mancher Gleichgesinnte in der Heimat wohl das zehnfache Ungemach gern erdulden würde, wenn er sich augenblicklich an unsre Stelle versetzen könnte. Aber die lange Weltstrecke, welch, vom 54sten bis zum 24sten Grade dazwischen liegt, so mancherlei Beschwerden, die unbestimmte Zeit mit allem, was sich daran hängen kann, die halten ihn zurück, und er bleibt, alles wohl überlegt, lieber zu Hause. Vielleicht sagt er sich auch, nicht mit Unrecht: Habe ich nicht meine Reisenden, die für mich schwitzen und hungern, leiden und entbehren müssen und dann dennoch verpflichtet sind, mir das Erwähnungswerteste, was sie sahen, das Unterhaltendste, was ihnen begegnete, das Nützlichste, was sie lernten – im erneuten Schweiße ihres Angesichts mitzuteilen und den genausten Bericht darüber abzustatten, ohne daß ich ein andres Opfer dafür zu bringen brauche, als einige Kreuzer nach der ersten besten Leihbibliothek zu senden. Welcher Sultan aber könnte mehr fordern und bereitwilliger bedient sein! So ist es aber in der Tat und auch dies einer der unschätzbaren Vorteile unsrer Zivilisation, die uns wohl noch viel größere Bequemlichkeiten solcher Art vorbereitet – denn an die Stelle des Vaterlandes, für das man sich sonst opferte, scheint jetzt das Publikum getreten zu sein, welches jedoch eine ganz andere Idee repräsentiert, als die alte res publica.

Nach einer Stunde raschen Reitens durch die ziemlich denselben Charakter beibehaltende Wüste wurden wir endlich wieder einiger Palmen und Mimosen mit einzelnen Sykomoren ansichtig, unter deren Zweigen nette Häuser von ungebrannten Erdziegeln verteilt waren, welche ihre Bewohner nicht ohne Geschmack weiß und braun bemalt hatten. Der Deckstein der Türe aus Granit trug dagegen eine hochrote Farbe mit einem darauf geschriebenen Spruch aus dem Koran. Gruppen hübscher Mädchen und Kinder mit großen Ringen in der Nase, Glasperlen um den Hals und eleganten Gürteln um den Leib, von denen ein aus schmalen Riemen geflochtner und mit bunten Muscheln verzierter Schurz herabhängt, saßen schwatzend im Schatten der Bäume, um dort ihre noch bei den Katarakten beschäftigten Männer und Verwandten zu erwarten. Daneben bewässerten zwei große Saki, von mehreren Ochsen rastlos gedreht, eine blendend grüne Durraflur, und längs derselben bildete der Nil einen weiten See, der auf drei Seiten von dunklen Felsen, die das Dorf und seine schmalen Felder mit umschlossen, gegenüber von den endlosen Sandwogen der Wüste begrenzt war. Als wir diese nubische Idylle durchzogen hatten, die nur sanften Empfindungen Raum gab, welchen der tote Sand im Gesichtskreis aber immer etwas Melancholisches beimischt – fanden wir uns bald darauf im Angesicht einer Wand aufgetürmter Granitmassen, längs deren zerrißnen Außenlinien aller Weg aufzuhören schien. Wir glaubten schon bei einem unzugänglichen mystischen Reiche geheimnisvollerer Natur angelangt zu sein, das nur der Schlag einer Zauberrute uns öffnen könne, als sich, kaum bemerkbar, ein schmaler Steinpfad zeigte, der nach der Höhe führte. Der ermattete Esel unsres Führers, l'Inglese genannt (der Führer nämlich, ein Original, auf das ich später zurückkommen werde), glitschte von den glatten Steinblöcken ab und begrub einen Augenblick seinen Reiter unter der Last seines Leibes. Kaum aber hatten wir dem glücklicherweise ganz Unbeschädigten wieder auf die Beine geholfen und einige Schritte weiter gemacht, als ein freudiger Ausruf des Doktors mich aufblicken ließ und ich, erstaunt über die unerwartete Erscheinung, ein neckendes Spiegelbild der Wüste vor mir zu sehen vermeinte. Zwischen den abenteuerlichsten Felsenmassen schwarzen BasaltsEs ist kein wirklicher Basalt, sondern nur schwarzgebrannter Granit; man pflegt ihn aber allgemein hier so zu nennen. ward plötzlich eine grüne, von Palmen überdachte, fast regelmäßig geformte und ganz einem hesperischen Garten ähnliche ovale Insel sichtbar, von hohen Mauerquais aus großen Quadern gestützt und von einem Ende bis zum andern mit einer ununterbrochenen Reihe der prachtvollsten Bauten bedeckt, die mitten in dieser unwirtbaren Wildnis mehr der ätherischen Wohnung irgendeiner Fee als Menschenwerken glichen. Auch war es Philae – gewiß eins der lieblichsten Wunder im fabelhaften Reiche der Pharaonen und, wenngleich nur mit den wenigsten seiner Bauwerke noch aus ihrer Zeit herstammend, doch einer der Glanzpunkte Ägyptens und das schönste Denkmal der kunstliebenden Ptolemäer,

Seine glückliche Erhaltung trägt dazu das ihrige bei, und die stolzen Reihen von mehr als hundert noch aufrecht stehenden Säulen, der äußerlich fast unversehrt gebliebne große Tempel des Osiris, die zwei Paar ganz vollständig konservierten Pylonen, endlich der eigentümliche, dem ägyptischen Stil ganz fremde, transparente römische Tempel im Hintergrunde, dem außer dem Dache kein Stein fehlt, bieten schon aus der Entfernung ein Gemälde seltner Pracht und Zierlichkeit. Wieviel mehr noch überrascht die nähere Besichtigung – wie reich erscheinen diese Massen verschiedenartiger und doch alle miteinander in Verbindung stehender Bauten, wobei auf Symmetrie so wenig Rücksicht genommen ist, daß kaum ein Haupttor in grader Richtung auf das andere stößt, ohne doch irgendwo das Auge dadurch zu beleidigen. Und diese unerschöpfliche Menge jede Wand und jede Säule bedeckender Skulpturen des mannigfachsten und reichhaltigsten Inhalts, der fast unbegreiflich erhaltne Glanz und Reiz der Farben in einigen Sälen, namentlich im Pronaos des großen Tempels, wo ohne die hier teilweise ausgeübte gewaltsame Zerstörung der Christen zwanzig Jahrhunderte kaum eine Spur ihres Daseins zurückgelassen haben würden! Wie, sage ich, überrascht und entzückt dies alles von neuem, selbst wenn man, wie wir, das Höchste ägyptischer Kunst schon früher gesehen. Wenn Großes dem Kleinen verglichen werden darf, so möchte ich sagen: Philae verhalte sich zu Theben wie die Farnesina zum Palast Farnese. Es ist nicht mehr die fast göttliche Erhabenheit, der fast schauerliche Ernst der Tempel von Karnak und Luxor – dafür aber tritt uns eine noch erhöhte Zierlichkeit, mehr Abwechslung, eine behaglichere Lieblichkeit, wenn ich mich so ausdrücken darf, in den vorliegenden Räumen entgegen, die erste Spur des beginnenden Überganges zum verhältnismäßig Modernen. Und grade dieser Stil deucht einem hier, man weiß kaum selbst warum, so ganz an seinem Platze – vielleicht als wohltuender Kontrast mit der fast grauenhaft erscheinenden Naturumgebung schwarzer Felsen und kahler Wüsten, vielleicht auch, weil das Ganze als ein wohltätiger Ruhepunkt dient, welcher der Schwäche unsrer eignen modernen Gefühle schmeichelt, die sich kaum mehr dauernd zu der kolossalen Größe des ägyptischen Altertums ohne eine Anwandlung von Schwindel zu erheben vermag. Wenn ich in Theben geistig anbetete, so genoß ich hier in irdischer Behaglichkeit. Theben ist ein Aufenthalt für Götter, Philae erscheint nur wie der Palast eines epikureischen Einsiedlers.

Gewiß war auch der hiesige Kultus zuletzt, wenigstens als er den größten Teil dieser Gebäude schuf, ein schon erheiterter geworden, obgleich der Mythe nach Osiris auf dieser Insel begraben lag und in ältester Zeit auch nur ein finstrer Glaube in dieser schauerlichen Werkstatt verheerender Naturelemente den Platz für seine Tempel wählen konnte.

Sobald wir unsre Zelte befestigt hatten, welche dicht am hier sehr steilen Ufer des Flusses, Philae gegenüber, aufgeschlagen wurden und unsre Effekten in großen Haufen daneben aufgeschichtet worden waren, ließen wir uns sogleich nach der Insel übersetzen, auf der wir im günstigsten Augenblick, nämlich eine Stunde vor Sonnenuntergang, landeten. Nur ein Maler, und ein genialer Maler, könnt, von diesem verführerischen Orte eine gleiche Empfindungen hervorrufende Anschauung geben. Nachdem wir Gemach auf Gemach durchirrt, den doppelten und dreifachen Portikus durchwandert, wo mehr als zwanzig verschiedne Säulenordnungen miteinander abwechseln, fesselte uns am längsten der schon erwähnte bunte Saal, das Peristil des Haupttempels, welcher vielleicht eine deutlichere Vorstellung als irgendwo von der ehemaligen Pracht ägyptischer Tempel durch die in einem so offnen Raume, wie schon gesagt, fast wunderbare Erhaltung der lebendigsten Kolorierung gibt. Keine der herrlichen Säulen dieser Halle ist der andern gleich, jede schimmert in verschiednem Farbenglanze; jede entfaltet andre überraschende Zierden der Form, alle aber vereinigen sich dennoch als ein Ganzes in vollständigster Harmonie.

Die riesenmäßigen Figuren außerhalb auf den Wänden der Pylonen, deren ganze Höhe sie fast erreichen, sind zwar größtenteils durch den Fanatismus vandalischer Religionsschwärmer mühsam mit dem Eisen ausgemeißelt worden, doch leidet der Totaleffekt nur wenig dadurch, und einige der Götter und Helden prangen noch unversehrt in aller ihrer alten Schönheit. So leicht das Zerstören im Vergleich mit dem Schaffen ist, so scheiterte doch in Ägypten an den Riesenwerken dieser Giganten bis jetzt der persische wie der christliche Wahnsinn, immer wenigstens zur Hälfte, und der Raub des Fanatismus, des Eigennutzes wie der Zahn der Zeit haben Jahrtausende lang nicht damit fertig werden können. In der Pforte, welche durch diese Pylonen führt, ließen die Chefs der französischen Expedition sowie die Gelehrten, welche sie begleiteten, eine lange Inschrift auf die linke, von Hieroglyphen freie Wand eingraben, und ein späterer Reisender dieser Nation hat alle anderen neueren Inschriften daneben vertilgen, die Wand glätten und mit schwarzer Farbe darüber schreiben lassen: «Une page de l'histoire ne doit pas rester barbouillée par des noms insignifiants.» – Wieviel englische Touristen mögen bei dieser diktatorischen Handlung zugrunde gegangen sein! Man hat indes bis jetzt die Anordnung respektiert, zu wünschen bliebe nur übrig, daß die Charaktere der eingemeißelten Namen der französischen Generale und Gelehrten, eben jene «page de l'histoire», von einer geschickteren Hand ausgeführt worden wären, da solche, Gänsepfoten mehr ähnliche Buchstaben, den kunstreichen Hieroglyphen und Bildern der Alten grade gegenüberstehend, einen Begriff von Barbarei hervorrufen, der mit dem hochtrabenden Inhalt der Inschrift zu komisch kontrastiert, um nicht ein unwillkürliches Lächeln zu erregen – um so mehr vielleicht, da jene ephemere Expedition so gar keine Folgen zurückließ.

Wir erstiegen die wohlerhaltne und bequeme Treppe der Pylonen, welche von trichterartigen Fenstern erhellt wird und mit mehreren Priestergemächern kommuniziert, um beim Untergang der Sonne die Aussicht von der obersten Plattform zu genießen, die gewiß zu den originellsten in der Welt gehört. Unter uns breiteten sich, von den Fächern der Palmen umwogt, der Säulenwald und alle die Pforten, Pylonen, Höfe und Mauern Philaes aus, bedeckt mit tausend Götter- und Heroenbildern, von welchen einige, mit dem Fuß fast auf der Erde ruhend, doch mit dem Haupte noch bis zu uns hinaufreichten. Genau ersichtlich war hier der Plan des ganzen Baues wie auf einer Karte, umzogen vom Nil, der nach Ägypten zu einen toten See voll dunkler, abenteuerlicher Granitfelsen bildet. Einer unter diesen, auf welchen in den Stein gehauene Stufen hinanführen, gleicht einem kolossalen Königsthrone. Zur Lehne dient ihm eine mit Hieroglyphen und Bildern geschmückte Tafel, und ein ungeheurer, wie in der Luft schwebender Block formt seinen Baldachin. Von Nubien aus strömt dagegen der mächtige Fluß mit eiligem Laufe im eng zusammengedrängten Bette heran, von wenigen Palmengruppen eingefaßt, zwischen welchen sich links einige verlaßne weiße Moscheen, rechts, auf der grotesk gezackten Steininsel Bithié, die Ruinen eines andern antiken Tempels zeigen, wie denn überhaupt in ältester Zeit hier wahrscheinlich eine ganze Masse davon verteilt waren, daher es auch sehr problematisch bleibt, wo der Gott oder vielmehr nur, wie die Fabel sagt, der wesentlichste Teil desselben begraben wurde. Dicht hinter den schmalen Uferstreifen erheben sich dunkle Felsenmauern in fast gleicher Höhe auf beiden Seiten des Stroms, in deren Spalten oft weiße Sandstürze gleich Wasserfällen niederrieseln. Auf der nordöstlichen Seite endlich erblickt man im Vordergrunde als einzige ländliche Szene in diesem gesteigerten Salvator Rosa ein Stationsgebäude des Gouvernements, von einigen Sykomores nebst den Feldern und Hütten eines Dorfes umgeben, unmittelbar hinter diesem aber schließt sich schon wieder die kahle, unermeßliche Wüste an, in schwankenden Wellenlinien immer weiter und weiter zurückweichend, bis sie sich zuletzt in ihrer geheimnisvollen Unendlichkeit nur noch wie ein undeutlicher Nebel gestaltet. Bei tiefer, lautloser Stille betrachteten wir in Gedanken verloren das traumartige Bild, bis die einbrechende Nacht einen Zug desselben nach dem andern vermischte und das eintönige Rauschen der Katarakten, über den Königsthron herüber ziehend, jetzt erst mit dem immer stärker werdenden Brausen eines sich erhebenden Sturmes an unsre Ohren schlug. Dieser mahnte bald ernstlich an die Rückkehr, und wir eilten daher zur Barke hinabzukommen, ehe der Khamsin, den man befürchtete, völlig ausbreche. Doch schon hatten wir zu lange geweilt. Kaum vom Ufer abgestoßen, ergriff uns einer jener jählingen, hier so häufigen Wirbelwinde, die wegen des ungeheuren Staubes, mit dem sie im Augenblick die ganze Atmosphäre erfüllen, auf dem Lande so lästig und auf dem Wasser nicht ohne Gefahr sind. Wir erfuhren es auf der Stelle, da unsere Barke, deren Segel man nicht schnell genug reffen konnte, bei einem Haare umgeschlagen wäre und dann so gewaltsam mit uns den Strom hinabtrieb, daß wir erst weit unten ein abgerißnes Ufer zu erreichen imstande waren, das uns gegen den rasenden Wind kaum zu ersteigen gelang. Es war schon Nacht, als wir, das Gesicht sorgfältig mit den Händen schützend, um einer Augenentzündung zu entgehen, die bei solchen Gelegenheiten leicht entsteht, in Staubwolken eingehüllt bei unsern Zelten ankamen. Wir fanden sie bereits sämtlich vom Sturm umgerissen und alles darin und daneben in der gräßlichsten Verwirrung. Der herbeieilende Koch erklärte, er könne kein Feuer brennend erhalten und werde uns mehr Sand als Speisen vorsetzen müssen, da trotz der Bedeckung alle Schüsseln damit angefüllt wären. Es war ein unangenehmer Zufall, doch mit Geduld und Arbeit überwindet sich alles, und da später der widerwärtige Khamsin eine halbe Stunde lang etwas nachließ, benützten wir diese Zeit so gut, daß vermöge vieler additioneller Stricke die wieder aufgerichteten Zelte den übrigen Teil der Nacht allen Bemühungen des mit erneuter Wut zurückgekehrten Sturmes glücklich widerstanden. Freilich mußten wir uns in Betten zur Ruh legen, die fingerdick mit Staub angefüllt waren, und selbst den größten Teil des folgenden Tages in erstickender Hitze so verweilen, da das Wetter fortwährend dasselbe blieb; eine kleine Geduldsprobe, die uns einen Vorgeschmack von dem gab, was uns ohne Zweifel später noch öfter und peinlicher begegnen wird.

Erst am Abend des dritten Tages konnten wir abreisen, nachdem wir vorher die Barken hatten reinigen und ins Wasser versenken lassen, um dadurch alles Ungeziefer und namentlich die Ratten zu töten, die so groß wie junge Katzen waren und deren einige dreißig bei dieser Gelegenheit gefangen oder erstickt wurden. Während man dieses Experiment vornahm, machte ich Philae noch einen zweiten Besuch und ließ mich von da auf die gegenüberliegende, etwas größere Insel Bithié übersetzen, wo sich, wie erwähnt, ebenfalls die Reste eines antiken Tempels nebst dem Torso einer kolossalen Granitstatue befinden. Ich werde bei meiner Rückkehr, wo ich mich länger und hoffentlich bei günstigerer Witterung in Philae aufzuhalten gedenke, diese Gegenstände weiter besprechen.


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