Hermann Fürst von Pückler-Muskau
Aus Mehemed Alis Reich
Hermann Fürst von Pückler-Muskau

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Ich glaube, daß alle Parteien bei diesem Ausgange der Sache gewonnen haben müßten, selbst der Sultan, der Syrien nicht regieren kann, und wenn er auch heute Ägypten wieder eroberte, es doch immer nur dem Namen nach in seinem Besitz zu erhalten vermögen würde, der also vielleicht weiser gehandelt haben würde, das immer noch kolossale, von der Natur soviel mehr als andere Länder begünstigte Reich, welches ihm geblieben war, durch Zivilisation und allmähliche Reform zu konsolidieren, als davon einmal abgerissene Provinzen wiederzuerlangen zu suchen; der ferner vernünftigerweise es hätte vorziehen sollen, statt eines bei jeder günstigen Gelegenheit wieder drohend dastehenden Feindes, unter der bloßen Firma eines von ihm abhängigen Paschas einen freien muhamedanischen Souverän zum Nachbar zu haben, dessen eignes Interesse ihn von dem Augenblick an, wo er seine Unabhängigkeit erlangt hat, zum natürlichsten Bundesgenossen der Pforte machen muß; der endlich zu berücksichtigen hatte, daß Mehemed Ali für eine solche Konzession jedes mögliche nachhaltige Geldopfer freiwillig zu bringen bereit gewesen sein würde, eine Ressource, welche bei dem Zustande der türkischen Finanzen willkommener gewesen wäre als ungehorsame Provinzen wiederzuerlangen, die mehr kosten als einbringen. Wie oft mag es das spanische Gouvernement schon bereut haben, in ähnlicher Lage mit seinen insurgierten Kolonien zu lange gezögert zu haben. Daß ganz Europas Ruhe und der allgemeine Friede in mehr als einem Bezuge auf lange Zeit durch kein Ereignis mehr hätte gesichert werden können, kann wohl kaum bezweifelt werden. Den größten Vorteil würden allerdings Mehemed Alis eigne Länder nebst einem großen Teile Afrikas daraus gezogen haben, wenn dieser Fürst die ungeheuren Summen, welche ihn sein prekärer Zustand zwang, auf eine Flotte von mehr als fünfzig Schiffen und eine Landarmee von nahe 150 000 Mann inklusive der irregulären Banden zu verwenden, zum höhern Flor der innern Industrie jeder Art und zu einer durchgreifenden Verbesserung der Lage seiner Untertanen zu benutzen imstande gewesen wäre. Kunst und Wissenschaft, die neubegonnene Zivilisation eines ganzen Weltteils, waren gleich lebhaft bei der Sache interessiert – und es blieb praktisch und theoretisch unpassend, so mannigfachen Interessen nur die Illegitimität Mehemed Alis entgegensetzen zu wollen, da dieser Begriff im Orient gar nicht auf dieselbe Weise existiert als bei uns. Und war seine Macht illegitim, zugleich aber doch zu fest begründet, um anders als gewaltsam umgestoßen werden zu können, so wäre es eben der beste Weg für künftige Ruhe und Stabilität des Orients gewesen, sie je eher je lieber zu legitimieren, damit sie nicht ewig ein offenes Pulverfaß darbiete, das der erste vorüberfliegende Funke wieder entzünden kann. Mehemed Ali bedurfte es zur unerschütterlichen Konversation seiner selbst, seiner Familie und des großen Werkes seines tatenreichen Lebens, daß die Unabhängigkeit, welche er de facto errungen, auch de jure anerkannt worden wäre. Und er konnte dieser Hoffnung Raum geben, da man anderwärts ja überall in diesem Sinne gehandelt. Gehörte denn Griechenland dem Sultan nicht ebenso rechtmäßig, als Syrien und Ägypten, und ist König Otto ein Vasall der Pforte? Hatte der Sultan nicht auch auf Algier dieselben legitimen Ansprüche wie auf die ägyptischen Länder, und erkennt Louis Philippe daselbst etwa die Oberherrschaft der Pforte an, welche diese früher über den dortigen Dey ausübte? Oder fehlte es Mehemed Ali etwa an gleich fest begründeter Autorität? Er ist bis auf diesen Augenblick noch ein weit unumschränkterer, ein weit besser respektierter Herrscher in dem Gebiet, was er sich erhalten hat, als es bis jetzt weder König Otto in Griechenland, noch die Franzosen in Algier, noch der Sultan in seinem eignen Reiche sind. Hätte er daher nur den rechten Moment benutzt und sich damals als Sieger nach seinen gewonnenen Schlachten nebst der Sache auch den Namen gegeben und sich mit kühner Hand selbst die Krone aufgesetzt, so würde sie ihm wahrscheinlich weder das Schwert noch die Diplomatie wieder entrissen haben, ja entreißen wollen. Was er aber damals als schnelle Tat versäumte, auf dem Wege der Negotiation zu versuchen, war eine Schwäche und das Gelingen unmöglich, wenn er auch alle Vernunftgründe der Welt auf seiner Seite gehabt hätte. In der Politik wie in der Liebe gibt es Dinge, «qui se font, mais qui se ne disent pas», und wenn die europäischen Mächte sich auch, um die Selbständigkeit der Hellenen zu fördern, in einer Zeit ritterlichen Rausches zur Schlacht von Navarin mitten im Frieden berechtigt geglaubt haben, so war es doch zu bezweifeln, daß sie für die Selbständigkeit des Reichs der Pharaonen eine gleiche Sympathie zeigen würden. Einige Altertümler, Geschichtsforscher und Geographen möchten allein mit Prädilektion dabei zu Werke gegangen sein; diese Art Leute aber kommandieren weder Flotten noch Armeen. Ich fürchte daher, daß, zum Nachteil der Ruhe und des Friedens Europas und Asiens, zum Nachteil der Kunst und der Wissenschaft, für die mit einer neubeginnenden Zivilisation auch eine neue Morgenröte tagte und zum endlichen Ruin Ägyptens selbst sich unsres Schillers Worte an Mehemed Ali bewähren werden: «Was du von der Minute ausgeschlagen, bringt keine Ewigkeit zurück.»

Man mag obiger Stelle freilich die Farbe der Zeit ansehen, in der sie hauptsächlich geschrieben wurde, aber ich frage jeden Unparteiischen noch heute: Was hat die Welt dadurch gewonnen, daß man mit europäischer Übermacht Mehemed Ali erdrückte? Ist die Türkei dadurch selbständiger geworden, oder ist Syrien und Kandia durch so viel vergossnes Blut jetzt glücklicher, zivilisierter, reicher oder besser regiert? Hat der täglich mehr aufblühende englische, französische und deutsche Handel mit Syrien und Ägypten dadurch gewonnen, oder ist er nicht vielmehr größtenteils vernichtet? – Mit einem Wort: Hat irgendeine Macht, ja ich möchte sagen, irgendein Individuum gewonnen? Wieviel aber ist, vielleicht für Jahrhunderte, dadurch verloren, wieviel Samen gefährlichen Aufgangs für die Zukunft ausgestreut worden!

Man lese zur Beleuchtung des hier Gesagten unter vielen andern Zeugnissen der neuesten Zeit beispielsweise den Brief des Herrn von Wildenbrucks, Preußischen Konsuls in Syrien, in den Monatsberichten über die Verhandlungen der Gesellschaft für Erdkunde zu Berlin, welcher so beginnt:

«Vom politischen Zustande denken Sie sich das Schlimmste, und Sie werden der Wahrheit nahe kommen: Alles, auch die Stimmung gegen Christen und Franken schlimmer, feindseliger, unordentlicher, unsicherer, ärmlicher und hoffnungsloser als zur Zeit meines ersten Aufenthaltes. Alles verfällt und löst sich mit einer Schnelligkeit auf, die ich dem sonst so stationären Orient nie zugetraut hätte; nur die Geldbeutel der Paschas und der an Gewissenlosigkeit ihnen gleichen europäischen Kaufleute prosperieren. Nur einen Wohltäter hat dieses unglückliche Land seit Jahrhunderten gekannt, Ibrahim Pascha, und diesen hat man hinausgetrieben! Mit Verwunderung sehe ich, daß nicht ein Mensch, wes Glaubens er sei, etwas anderes zurückwünscht als die Tage der ägyptischen Herrschaft. Die einzige Ausnahme machen jetzt jene von oben her gewaltig angefeuerten und begünstigten fanatischen Muhamedaner, welche sich freuen, einen Raja für 50 Piaster Strafe (1½ Tlr.) erschießen zu können. Dies geschah kurz vor meiner Ankunft trotz der schönen Worte von Gülhaneh, Ibrahim hatte vollständige Sicherheit im Lande gegründet, unglaublich viel für den Landbau geleistet und die Beamten am übermäßigen Stehlen gehindert: Aber das alles ist spurlos verschwunden und bald wird auch das letzte Bollwerk eines besseren und freieren Zustandes, der Libanon, in den allgemeinen Ruin hingezogen werden. Die türkische Regierung (die ich ein für allemal wohl von dem individuell so achtungswerten türkischen Volke zu trennen bitte) hat hier durch Aneinanderhetzen der Drusen und Maroniten großenteils die Kraft dieser Völker, welche seit Jahrhunderten ihre Freiheit bewahrten, gebrochen; jetzt, wo beide mit Schrecken die möglichen und wahrscheinlichen Folgen ihres Zwiespaltes erschauen, wo eine von Europa herkommende Ordnung des Zustandes des Landes immer entfernter scheint, fehlt gegenseitigem Zutrauen zu gemeinschaftlichem Handeln.» Usw.

Mehemed Ali, der alles dies erfährt, mag wohl immer noch sanguinische Hoffnungen für die Zukunft hegen.

Damals, als ich in Ägypten war, konnte ich, nach seinen so oft wiederholten Äußerungen, mich nur überzeugen, daß er ebensosehr eine friedliche Lösung seiner Angelegenheiten durch europäische Unterstützung gewünscht hätte, um alle Kraft seines Genies auf das Wohl seiner eigenen Länder zu wenden, als er auf der andern Seite von der Wahrheit durchdrungen war: daß die Erlangung seiner anerkannten Unabhängigkeit auf jede mögliche Weise jetzt eine Lebensfrage, vielleicht eine Bedingung seiner eignen Existenz, jedenfalls die der Dauer seiner Schöpfung in der Gegenwart wie in der Geschichte für ihn geworden sei. – Seiner anerkannten Unabhängigkeit, sage ich, denn mehr hat er nie erstrebt, und es ist nichts lächerlicher, nichts mehr eine völlige Unbekanntschaft mit türkischer Verfassung, Religion und den dort unumstößlichsten Überzeugungen verratend, als die so häufig auf das Tapet gebrachte Besorgnis: Mehemed Ali habe den Sultan entthronen wollen, um sich an seine Stelle zu setzen. Dies kann Mehemed Ali ebensowenig in der Türkei, als es zum Beispiel dem Fürsten Metternich in der Christenheit trotz all seines Einflusses, möglich sein würde, Papst zu werden. Den Sultan zwingen, ihn zum Großwesir zu machen und so an seiner Stelle das Reich zu regieren, das wäre als Sieger dem Vizekönig möglich gewesen und war vielleicht, wiewohl ich es nicht im geringsten glaube, einer seiner Wünsche. Gewiß ist es wenigstens, daß dessen Erfüllung der Türkei nicht gefrommt haben würde, als Mehemd Alis Untergang.

Daß man ferner Mehemed Alis Bemühungen, sein Land, soweit seine Einsicht reicht, zu zivilisieren, größtenteils von unserm Standpunkte aus nur verspottet hat, finde ich ebenso kurzsichtig als unhistorisch. Mit einem Sprunge kann Ägypten kein zivilisierter Staat nach europäischen Begriffen werden, selbst wenn es morgen unter die Botmäßigkeit der Franzosen oder Engländer käme. Man schlage doch nur David Hume auf, um sich zu überzeugen, daß unter Heinrich dem Achten und selbst noch unter Elisabeth der Zustand fast derselbe war wie heute unter Mehemed Ali, in manchem, zum Beispiel der religiösen Unduldsamkeit, schlimmer. So finden wir das Monopolwesen, über das am meisten geschrien wird, die Bestechlichkeit und Immoralität der Behörden wie die rücksichtslose Willkür des Gebieters (denn die Parlamente hatten damals nicht mehr Einfluß als ein türkischer Divan) ganz dieselben zu jener Zeit in England wie heute in Ägypten. Demohngeachtet haben sich aus diesen so mangelhaften Anfängen die jetzigen Engländer, eine der ersten, aufgeklärtesten und mächtigsten Nationen der Welt, nach und nach entwickelt, welches hinlänglich beweist erstens: daß jede organische Bildung, wenn sie auch immer durch den gegebnen Anstoß großer Individuen ins Leben tritt, dennoch nur klein, ungewiß und mangelhaft beginnen muß, um aus eignen Erfahrungsversuchen nach vielfachem Irrtum später erst das Rechte zu finden. Zweitens: daß es aus diesem Grunde der höchste Grad der Absurdität ist, fortwährend an ägyptische Zustände den heutigen europäischen Maßstab legen und von der dortigen Bildung, Regierung wie Regierte betreffend, dieselben Resultate als von der unsrigen verlangen zu wollen. Man vergleiche lieber Europas Mittelalter mit dem jetzigen Zustand Ägyptens, und dann diesen mit dem, was das Land vor Mehemed Ali unter der Herrschaft der Mamlucken war. Mehemed Alis Wirken, solange es ungehemmt blieb, hat unbestreitbar die wichtigsten Grundbedingungen aller Zivilisation zuerst im heutigen Orient hervorgerufen: Ordnung, Sicherheit und das Erwachen einer höhern Industrie. Hiermit hat er, trotz hundert Fehler und Mängel, die Dankbarkeit der Geschichte verdient. Doch ich kehre zu meiner Audienz zurück.

Der letzte Gegenstand meiner Unterhaltung mit Mehemed Ali an diesem Tage betraf ein zweites Lieblingsthema des Vizekönigs, die Erziehung der Jugend, und er schilderte mit Feuer, was er bis jetzt zu diesem Behufe getan. Wer ihn hierüber gehört und dann mit eignen Augen die wohltätigen Folgen gesehen hat, die ein so kurzer Zeitraum schon hervorgebracht, muß blind sein wollen, um zu verkennen, daß dieser Mann in der Hauptsache oft nur den Schein eines rücksichtslosen Egoismus auf sich lud, um der Wohltäter seines Volkes für Jahrhunderte werden zu können, daß er wenigstens alles, was er unfähigen Händen nahm und nimmt, doch auch mit wohlgesinnter Absicht einer sich heranbildenden Population wiedergibt, die mit jedem Tage, wenn auch langsam, doch sicher einem ganz neue regenerierten Leben entgegenschreitet. Er hat allerding weder einen bedeutenden baren Schatz, noch hält er eine kostspieligen Hofstaat, ja ohngeachtet seiner so reißend angewachsenen Revenuen, die sich jetzt höher gesteigert als die der preußischen Monarchie, ist er oft kaum imstande, die laufenden Ausgaben zu bestreiten, weil er immer Neues schaffend, wenig oder nichts zurücklegtDeshalb sagte auch der Courier de Smyrne: «Mehemed Alis Finanzen seien in dem schlechtesten Zustande, und er habe bereits ein ganzes Jahr seiner Revenuen voraus verzehrt.» Wäre dies wahr, was es nicht ist, so müßte demohngeachtet Mehemed Ali noch verhältnismäßig für den reichsten Fürsten in der Welt gelten, denn welchen zivilisierten Staat in Europa gibt es, der nicht ein, zwanzig, hundert Jahre seiner Revenuen im voraus verausgabt hätte! . Wie gesagt, er gibt, wie er nimmt. In keinem Lande sind verhältnismäßig die Staats- und Militärbeamten nur zur Hälfte so hoch besoldet als hier, so daß die es auch recht gut vertragen können, nicht sehr regelmäßig bezahlt zu werden, was ich jedoch, da es meist absichtlich, aus kleinlichem Interesse geschieht, für eine sehr schlechte und unpolitische Maßregel halte. Außer der Unzahl von angelegten Fabriken, Kanälen und andern großartigen Wasserbauten, Hospitälern, Schulen und Etablissements aller Art, die den Fortschritt der Zivilisation bezwecken, sind in diesem Augenblick von neuem nur in Kahira und seiner Umgebung fünfundneunzig öffentliche Gebäude im Bau begriffen, und elftausend Kinder und junge Leute werden vom Vizekönig in progressiven Anstalten mit bei uns unbekannter Profusion gekleidet, ernährt, unterrichtet und sogar besoldet!

Die Einrichtung dieses, hinsichtlich der Munifizenz in solchem Umfang nirgends seinesgleichen findenden Erziehungswesens ist im kurzen Abriß folgende. In jeder Provinz befinden sich mehrere Primärschulen für den ersten Elementarunterricht, wo die Kinder, wie in allen übrigen Erziehungsanstalten des Vizekönigs, freie Wohnung, Kost, Kleidung und von fünfzehn bis zu dreißig Piaster monatliche Besoldung erhalten. Von hier gehen sie in die großen Vorbereitungsschulen über, deren sich eine in Kahira, die andere in Alexandrien befindet und wo die Besoldung von 30 bis 50 Piaster steigt. Nach vierjährigen Studien treten sie in die höheren Schulen ein, die sogenannte polytechnische in Bulak, die der fremden Sprachen in Kahira, die der Artillerie in Tura, der Kavallerie in Dschiseh, der Infanterie in Damiette, der Marine zu Alexandrien und der Medizin in Abu-Zabel, in welchen allen die Besoldung der Schüler 100-150 Piaster erreicht. Aus diesen Schulen, denen sich auch noch eine eigne Musikschule neuerlich angeschlossen, gingen bereits viele Lehrer und ein großer Teil der jetzigen Staatsbeamten hervor. Außerdem werden fortwährend viele Individuen nach Europa auf des Vizekönigs Kosten zu Bildung jeder Art gesandt. Diejenigen, welche ein Handwerk erlernen und ihre Geschicklichkeit darin hinlänglich bekunden, dotiert der Vizekönig sehr häufig mit einem Kapital bis zu 12 000 Piaster und bezahlt ihre ganze Einrichtung bis auf die Werkstätten und Verkaufsläden hinab, deren man, in der Stadt umhergehend, in allen Straßen immer neue entstehen sieht und sie leicht an der Eleganz und Solidität ihrer Ausführung erkennt. Mit wie gleicher Generosität die Marine versorgt wird und ihre eignen Anstalten jeder Art hat, meldete ich bereits früher, und noch viel einzelnes dieser Art könnte hinzugefügt werden. So führt der Vizekönig jetzt die Vakzine ein, und da das Volk dawider ist, zahl er für jedes Kind, das vakziniert wird, den Eltern einen Piaster. In den Hospitälern, denen der unermüdlich tätige Clot Bey vorsteht, wird, obgleich sie ursprünglich nur für das Militär bestimmt sind, jetzt dennoch auch jeder andere Kranke, der darum bittet, unentgeltlich aufgenommen, und wer nicht Platz findet, wenigstens gratis mit Medikamenten versehen, wiewohl die Abneigung, welche die Eingebornen gegen Hospitäler haben, sie selten davon Gebrauch machen läßt.

«Ich mußte von jeher», sagte der Vizekönig, «die Leute hier zu ihrem Besten zwingen oder sie dafür bezahlen

Beim Abschied reichte mir Mehemed Ali, auf meine Bitte, nach europäische Weise die Hand, was hier allerdings nicht üblich ist, aber von ihm so herzlich aufgenommen wurde, wie es erbeten war, denn er freute sich der sichtlichen Verehrung, die er meiner leicht enthusiasmierten Natur wirklich eingeflößt hatte. Er fügte dann noch verbindlich hinzu, daß, da er bald nach Oberägypten abreise und ich, wie er höre, dieselbe Absicht habe, meine Begleitung ihm angenehm sein würde, ich ihn aber auch, solange er noch hier verweile, an jedem Tage besuchen könne, wo und wie es mir konveniere. Nach dieser gnädigen Äußerung entließ er mich mit einem Ausdruck würdevoller Güte und sich selbst bewußter Größe, der mir ebenso tief als das Andenken seiner gehaltreichen Worte eingeprägt geblieben ist. Obgleich nun, als wir näher bekannt wurden und Mehemed Ali mehr Vertrauen zu mir faßte, meine folgenden Unterredungen mit ihm sehr an Interesse gewinnen mußten, so behielt doch dieser erste Eindruck sein Recht und bildete sozusagen den Umriß, aus welchem sich später die vollständigere Gestalt entwickelte.

Es wird vielleicht nicht unwillkommen sein, wenn ich hier im Auszuge die Übersetzung eines mir im Manuskript mitgeteilten offiziellen Rapports Sir John Malcolms Gouverneurs von Bombay, eines der anerkannt ausgezeichnetsten Männer Englands, einschalte, der ebenfalls von einer Audienz bei Mehemed Ali einige Jahre vor der meinigen handelt, ein höchst merkwürdiges Aktenstück in mehr als einer Hinsicht. Sir John Malcolm beginnt also:

«Ich werde nun versuchen wiederzugeben, was zwischen Mehemed Ali und mir bei dieser Gelegenheit stattfand.

‹Sie waren schon in Ägypten›, sagte der Pascha, ‹und von dem, was damals geschah, und den Kommunikationen, die seitdem zwischen uns erhalten wurden, betrachte ich Sie in dem Licht eines alten Freundes. Niemand wird besser beurteilen können, inwiefern ich beharrlich im Verfolg meiner Ihnen bekannten Pläne geblieben bin und in welchem Grade ich sie auszuführen verstanden habe. Ihre genaue Bekanntschaft mit Indien, Arabien und Persien und mit dem Geist dieser Länder macht Sie fähiger als andere zu beurteilen, was in Ägypten geschehen, und zugleich werden Sie demzufolge erwägen können, inwiefern Ägyptens jetziger Zustand es eines politischen Verhältnisses (political connection) zu England würdig macht. Da nun dem Orient Begebenheiten von nicht geringer Bedeutung nahe bevorzustehen scheinen und ich wünsche, Ihnen meine Ansichten darüber mitzuteilen, so werde ich dies mit vollem Vertrauen tun, wie zu einem Freunde, und ich hoffe, daß Sie, obgleich jetzt in keiner offiziellen Eigenschaft hier gegenwärtig, doch die Gelegenheit wahrnehmen werden, das englische Ministerium davon zu unterrichten.›

Ich erwiderte dem Pascha, daß, da er wisse, daß ich in diesem Augenblick kein öffentliches Amt bekleide und er mir dennoch, bloß aus Motiven der Freundschaft, mit der er mich beehre, diese Eröffnungen mache, so wolle ich zwar gern seinen Wunsch erfüllen, doch könnte ich nicht mehr versprechen, als, wenn ich um meine Meinung gefragt würde, ich diese aufrichtig geben wolle, aber nicht dafür stehen könne, ob sie Anklang fände.

‹Ihr Gouvernement›, fuhr Mehemed Ali fort, ‹verrät in allen seinen Unterhandlungen mit mir viel Kühle (coldness), um nicht zu sagen Gleichgültigkeit, während ich alles tue, um ihm zu gefallen. Dies steht in sehr merkbarem Kontrast mit dem Benehmen Frankreichs, das jede, auch die unbedeutendste Gelegenheit ergreift, seinen Wunsch auszudrücken: mich durch die schmeichelhaftesten Attentionen zu gewinnen.›

Diese Verschiedenheit, sagte ich, hätte ihren Grund mehr in der Verfassung unsrer Administration als in einem Mangel an Freundschaft oder Vernachlässigung in bezug auf seine Hoheit. Auch sei unser Charakter ganz dem der Franzosen entgegengesetzt, und wenn wir auch nicht gleich ihnen auf jede gute Gelegenheit paßten, uns ihm angenehm zu machen, so würde er doch bei allen wichtigen Fällen, dies sei ich überzeugt, wahrnehmen, daß wir ebenso aufrichtige und viel nützlichere Freunde für ihn seien als die Franzosen (sic!).

‹Gut, ich will es glauben›, fuhr der Pascha fort, ‹aber wenn ich eine Änderung in dem Mangel an Wärme von seiten Englands für mich wünsche, so geschieht dies noch aus andern Gründen als meiner persönlichen Gratifikation zuliebe. Ich wünsche auch in den Augen der Welt durch eine Nation begünstigt zu sein, von der ich wohl weiß, daß ich ganz abhängig bin in allem, was die Prosperität meines Landes und den Erfolg meiner gegenwärtigen und künftigen Pläne betrifft. Aber ich glaube auch, daß diese mit dem wahren Interesse Englands ganz übereinstimmen. Doch ehe ich fortfahre, Ihnen mein Herz aufzuschließen, muß ich einen Augenblick auf das zurückgehen, was kürzlich geschehen ist.›

Er detaillierte mir hierauf die Mission des Oberstleutnants Craddock, die Negotiation Herrn Barkers, um ihn zu bewegen, sich zur Eroberung von Algier an die Franzosen anzuschließen, seine Weigerung, die Zufriedenheit des englischen Ministeriums mit der freien und offnen Auseinandersetzung seiner Handlungsweise und die Motive, die ihn leiteten.

‹Ich fürchte›, fuhr er fort, ‹daß die Auflösung des türkischen Reichs über kurz oder lang unabwendbar ist. Sie mag einige Zeit aufgehalten werden, aber sie zu verhindern, halte ich für unmöglich. Meine Absicht ist, eine Linie zu bilden (to form a line), hinter welcher die, welche meines Glaubens sind und nicht wünschen, Rußlands Joch zu tragen, sich vereinigen können, was dadurch erreicht werden kann, daß ich meine Autorität über ganz Syrien extendiere und bis an die Grenzen Persiens fortschreite. Dies mag Ihnen ein phantastischer Plan scheinen, aber ich habe die Mittel und kann die noch fehlenden schaffen, die hinlänglich sind, den Erfolg zu sichern. Mein Besitz der heiligen Städte von Mekka und Medina und das Ansehn, dessen ich bereits in Arabien genieße, werden diesen Plan außerordentlich fördern, und ich hoffe, daß man es auch in Konstantinopel aus dem rechten Gesichtspunkte ansehen wird, da in der Tat das Osmanische Reich dadurch nur gestärkt werden kann. Ich verzweifle nicht, dies dem Sultan auf freundschaftlichem Wege begreiflich zu machen, da er doch endlich einsehen muß, daß bei dem jetzigen Stand der Dinge diese elende (wretched) und eifersüchtige Politik, die seit so lange alle Provinzen des türkischen Reichs durch eine ewige Folge von neuen Chefs und neuen Insurrektionen zugrunde richtet, verlassen werden muß!

Alles was ich brauche, alles was ich wünsche, ist, daß England mir seine Freundschaft zusichert, damit mein Gemüt beruhigt sei, damit ich mit Zuversicht wisse, daß, während ich mich von allem Verkehr mit den andern christlichen Staaten zurückhalte – ich keine Hostilität von der Nation zu befürchten habe, deren wahre Interessen, wie ich überzeugt bin, mit den Plänen, die ich bereits ausgeführt, und die ich noch auszuführen gedenke, vollkommen konform sind. England muß wünschen, daß Ägypten feststehe wie jetzt, einmal wegen seiner nächsten Verbindung mit Indien, zweitens daß ein nicht so leicht einzureißender Damm existiere gegen Rußlands Fortschritt in Asien. Der türkische wie der persische Thron sind von dorther erschüttert worden, wirksamere Mittel sind nötig, als einer dieser Herrscher besitzt, um jene Flut der Eroberungen aufzuhalten, und Sie mögen von dem, was Sie gesehen, urteilen, ob ich der Mann dazu bin.›

‹Ich weiß›, setzte er hinzu, ‹daß die Politik Englands dem Prinzip der Nichteinmischung folgt, aber ich verlange weder Geld noch Hilfstruppen noch Verpflichtungen (engagements), ich brauche nur die Versicherung der Freundschaft Englands und dessen aufrichtige Gesinnung – aber diese sind wesentlich (essential), denn ich fühle, daß ich so lange paralysiert bin, bis ich mit vollem Vertrauen auf Ihr Land als ein solches rechnen kann, das das Wachstum meiner Macht gern sieht, weil es überzeugt ist, daß diese Macht mit dem Fortschritt der Reform, der Zivilisation in einem Teil des Erdbodens, der bisher nur der Schauplatz des Vorurteils, der Unwissenheit und der Barbarei war, gleichen Schritt hält.›»

Um nicht zu ermüden, übergehe ich mehrere Seiten der noch lange fortdauernden Konferenz, deren Inhalt weniger schlagend ist und das bereits Aufgestellte nur noch besser zu erläutern sucht.

Zuletzt versicherte Sir John dem Pascha nochmals, daß er dem englischen Ministerio nicht nur genau alles vortragen werde, was er gehört, sondern auch, was er gesehn.

«‹Tun Sie das›, erwiderte Mehemed Ali, ‹und machen Sie frei und wahr Ihren Rapport, wie Sie glauben, daß ich ihn verdiene. Ihr Leben ist im Verkehr mit orientalischen Fürsten und mehr in Asien als in Europa beschäftigt hingegangen. Sie waren Gesandter und Gouverneur, Sie kamen vor zehn Jahren nach Ägypten und sahen alles, wie es war. Ich teilte Ihnen schon damals meine Pläne mit. Sie sind wiedergekommen und nun selbst der beste Richter darüber, ob ich Wort gehalten. Sagen Sie nichts als die Wahrheit und was Sie der gesunden Politik ihres Vaterlandes für angemessen erachten.›»

Ich übergehe gleichfalls alles Schmeichelhafte, was Sir John über Mehemed Ali hinzugefügt, als überflüssig. Mehemed Ali spricht in dieser Unterredung hinlänglich für sich selbst, und jeder Leser mag urteilen, wer als der freimütigere Mann, der großartigere Politiker hier erscheint, der später unterliegende Mehemed Ali oder sein mit Englands Macht schaltender Unterdrücker Lord Palmerston.

Auch ich fand den Vizekönig noch immer in einer vertrauungsvollen Stimmung für England und mit dem heißen Wunsche, es für sich zu gewinnen, obgleich er sich schon zur französischen Seite hinzuneigen begann. Er wird sich manchmal daran erinnert haben, wie ich ihn damals gleichmäßig gewarnt, weder auf Englands Freundschaft zu hoffen, noch auf Frankreichs Treue zu bauen; nur darin gestehe ich, mich vollständig geirrt zu haben, daß ich Österreichs Politik am günstigsten für ihn gestimmt glaubte, weil eine starke Macht in Asien gegründet zu sehen, mir Österreichs Interesse nur angemessen schien, da Österreichs Handel mit Ägypten und Syrien fortwährend stieg und bei diesen Beziehungen kein Privatinteresse gegen Mehemed Ali ins Spiel kam. Die Prinzipien einer chevaleresken Legitimität glaubte ich aber auf den Orient noch weniger anwendbar als auf Griechenland, wo von ihnen nie die Rede war. Mein Refrain war immer, Mehemed Ali zu sagen, unsere erste Rechtsregel in Europa sei: beati possidentes! Er solle siegen und sich in festen Besitz setzen, so würde dieser bald von Freund und Feind anerkannt werden. Dies wäre wahrscheinlich auch geschehn, wenn er nicht zweimal seine Siege nur zur Hälfte benutzt und nachher wie vorher mit europäischen Mächten weniger negoziiert hätte.


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