Hermann Fürst von Pückler-Muskau
Aus Mehemed Alis Reich
Hermann Fürst von Pückler-Muskau

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Großes war in diesen Tagen an uns vorübergegangen, doch Größeres noch stand uns bevor! Vor Luxor und Karnak muß der stolzeste Geist sich beugen. Man glaubt Werke von Halbgöttern zu erblicken, denn die jetzigen Menschen sind ihrer nicht mehr fähig. Wenn bei den übrigen Schöpfungen der Bewohner dieser Erde die Einbildungskraft immer noch höher fliegen will, so kann sie hier kaum der Wirklichkeit mehr folgen. Man fühlt sich in demselben Augenblick zugleich entzückt und gedemütigt von einer Erhabenheit und Größe, deren Möglichkeit man nie geahnet, von einer Vollendung, die, mit dem Ungeheuersten der Massen spielend, zugleich das Edelste und Schönste in Kunst und Idee wie die staunenswerteste Technik in der Ausführung damit zu verbinden gewußt hat. Schon der Palast von Luxor findet seinesgleichen nicht mehr in der übrigen Welt, und doch ist er nur klein noch gegen die Riesenwerke von Karnak! Wie viele Jahrtausende haben vergehen müssen, ehe ein Volk zu diesem Grade der Kultur, der Macht und der Kunst sich aufschwingen konnte, und welchen eigentümlichen Weg muß diese Bildung genommen haben, die schon in vorgeschichtlicher Zeit die Pyramiden baute und anderthalbtausend Jahr vor unsrer Ära die Wunder von Theben erschuf. Und doch sieht man, daß, als sie die höchste Staffel, deren sie fähig war, erstiegen hatte, sie, ob aus Weisheit oder aus einer Notwendigkeit ihrer Natur, anhielt und das Gewonnene, es gleichsam versteinernd, durch einen heiligen Stil, durch eine feste Norm, die nicht nur die Kunst, sondern das ganze Leben umfaßte und von dem keine Abweichung mehr gestattet wurde, durch lange Jahrhunderte noch zu erhalten wußte, dadurch aber vielleicht das einzige Mittel fand, einem nie endenden Streben nach unerreichbarer Vollkommenheit zuvorzukommen, jener ewigen Unzufriedenheit mit dem Bestehenden, die unsere Zeit namentlich so auffallend charakterisiert und ihr bis jetzt mehr Stützen zu rauben als neue zu schaffen scheint. Jede Art menschlicher Ausbildung hat im einzelnen, bei Nationen wie Individuen, wohl ihre Grenze, über die sie nicht hinaus kann. Ist dieser Kulminationspunkt erreicht, so muß sie ihn vielleicht durch irgendeine angewandte positive Macht zu fixieren suchen, und gelingt ihr dieses nicht, sich mit Resignation auf den unvermeidlichen Rückgang aller menschlichen Dinge vorbereiten. Will man noch höher und immer höher gewaltsam steigen, so versinkt man nur desto schneller in jene Barbarei, die nicht die Barbarei der unwissenden Roheit, sondern die des Zuvielwissens und der Erschöpfung ist. Ich halte den Ausspruch für nicht ganz wahr, daß man nur vorwärts schreiten oder rückwärts gehen müsse. Die Geschichte der Völker, ja das eigne innere Leben lehrt uns, daß, wenn auch nicht für immer, doch für eine lange Periode auch ein Stillstand möglich sei; doch allerdings ist er nur da, wo wirklich schon eine höchstmögliche Stufe individueller Ausbildung erreicht wurde, wünschenswert. Freilich findet sich im absoluten Sinne Unvollkommnes, Unerreichtes auch auf der höchsten Stufe irdischen Strebens, und Unvollkommenes wird sich daher auch in der ägyptischen Kunst wie in jeder andern nachweisen lassen, aber wie sie sich in dem möglichen Bereich ihrer Laufbahn vollendet darstellt und wie lang sie sich darin erhalten, bleibt immer ein Gegenstand der höchsten Bewunderung, ein staunenswertes Abbild der imposantesten menschlichen Größe für alle Zeiten.

Um jedoch den rechten Gesichtspunkt zu fassen, aus dem sie zu betrachten sein dürfte und ohne den sie nicht verstanden werden kann, erlaube man mir hier eine der geistreichsten und tiefsten Stellen Champollions anzuführen, deren schlagende Wahrheit an Ort und Stelle sogleich ganz gefühlt wird. Ich darf als bekannt voraussetzen, daß alle Tempel und Königspaläste Ägyptens innerhalb wie außerhalb teils mit Hieroglyphenschrift, die sonst jeder einigermaßen Gebildete zu lesen vermochte, teils mit historischen Darstellungen aus der Geschichte des Landes, teils auch mit Anaglyphen, das heißt symbolischen Bildern, die abstraktere Gegenstände bezeichneten, bedeckt waren. Die letzteren, deren vollständige Lösung unmöglich sein möchte, machten wohl die eigentliche geheimnisvolle Priestersprache aus, welche den Eingeweihten allein verständlich war, dem Laien aber nur Abbildungen der Götter und Heroen, vom Nimbus ehrfurchtsvoller Anbetung umgeben, darstellte. Doch blieben auch diese allegorischen Gemälde wahrscheinlich immer in einem gewissen Zusammenhang mit der Hieroglyphenschrift. Beide hatten sogar eine Anzahl gemeinsamer Charaktere, und die symbolischen Zeichen in der Hieroglyphenschrift gehörten dahin.Für diejenigen, denen dieses Thema ganz unbekannt sein sollte, stehe hier folgende kurze Erläuterung.

«Es gab also», sagt Champollion, «theoretische und materielle Beziehungen, welche die verschiednen Teile des allgemeinen graphischen Systems der Ägypter miteinander verbanden. Dieses so ausgedehnte System, figurativ, symbolisch und phonetisch zugleich, umfaßte, direkt oder indirekt, alle Künste, die sich auf Nachahmung gründen. Das Prinzip dieser Künste war daher in Ägypten keineswegs dasselbe, welches in Griechenland ihre Entwicklung bedingte. Die ägyptische Kunst hatte nicht den speziellen Vorwurf, die schönen Formen der Natur mit möglichstes Treue darzustellen – sie strebte nur nach dem Ausdruck einer ihr eigentümlichen Ordnung von Ideen und sollte nicht das Andenken bloßer Formen, sondern das der Menschen und der Dinge verewigen. Der ungeheure Koloß wie das winzigste Amulett waren die festen Zeichen einer Idee; wie vollendet oder mittelmäßig ihre Ausführung war, der Zweck war in der Hauptsache immer erreicht, da die Vollkommenheit der Form, wenngleich später auf das edelste ausgebildet, doch nur sekundär blieb. In Griechenland war dagegen die Form eben alles, man diente der Kunst nur um der Kunst willen. In Ägypten war sie nur ein mächtiges Mittel, den Gedanken zu verkörpern. Die geringste Zierde ägyptischer Architektur hat ihre eigne Bedeutung und steht in direktem Bezug zu der Idee, die der Gründung des ganzen Gebäudes zum Grunde lag, während die Ausschmückungen griechischer und römischer Tempel zu oft nur dem Auge zu schmeicheln suchen und für den Verstand stumm bleiben. So zeigt sich der Geist beider Völker ganz verschieden. Die Schrift und die nachahmenden Künste trennten sich bei den Griechen bald und für immer, aber in Ägypten schritten die Schrift, die Zeichenkunst, die Malerei und Skulptur stets in gleicher Linie ein und demselben Zwecke zu, und wenn wir den individuellen Zustand einer jeden dieser Kunstäußerungen betrachten und besonders die Bestimmung, welche alle ihre Leistungen gemeinschaftlich hatten, so kann man mit Recht sagen, daß alle sich nur in eine verschmolzen, in die Kunst par excellence – die der Schrift. Die Tempel, wie es schon ihr ägyptischer Name anzeigtGötter- oder Gotteswohnungen. , waren, wenn ich mich so ausdrücken darf, nichts als kolossale und prachtvolle Repräsentativcharaktere für die himmlischen Wohnungen; die Statuen, Bildnisse der Könige und Privaten, die Basreliefs und Malereien, welche die Szenen des öffentlichen wie des Privatlebens zurückriefen, traten ganz in die Klasse der Figurativzeichen; und die Abbildungen der Götter, die Embleme abstrakter Ideen, die allegorischen Zierden und Bilder, die lange Serie der Anaglyphen endlich knüpften sich auf die direkteste Weise an das symbolische Prinzip der Schrift an. Diese innige Verbindung der schönen Künste mit dem graphischen System der Ägypter erklärt uns nun auch ohne Mühe den Grund der naiven Einfachheit, in welcher trotz der höchsten Vollendung auf ihrem eigentümlichen Wege Malerei und Skulptur dennoch bei ihnen verblieben. Die Nachahmung physischer Gegenstände bis zu ihrer deutlichsten Erkennung war schon zum vorgesteckten Ziele hinlänglich; eine größere Idealisierung in der Ausführung konnte der Klarheit des beabsichtigten Ausdrucks nur wenig hinzusetzen, eine willkürliche Veränderung in der Form würde sie sogar verwirrt haben, da Bilder und Skulpturen nur wahre Schriftzeichen waren und sein sollten, fast immer mit einer umfassenden Komposition zusammenhängend, in der sie selbst nur als einzelne Elemente dastanden.»

So weit Champollion. Ohne nun untersuchen zu wollen, ob die Ägypter in einer solchen Kunstansicht recht hatten oder nicht, so ist das Faktum ihrer Existenz nicht zu leugnen, ebensowenig wie die dadurch erlangten Resultate, welche, wie wir sie vor uns sehen, in ihrer Totalität in keinem andern Lande übertroffen worden sind. Ja – die Ägypter waren in Wahrheit eine wesentlich schreibende Nation, wie wir es auch geworden sind, nur mit dem Unterschiede, daß sie mit tausend malerischen Zeichen, welche das ganze Reich der Natur und der Menschheit umfaßten, ihre Geschichte, Gesetze, Philosophie, mit einem Wort: ihr Leben in dauernden Stein gruben und zu diesem Behuf entweder, das Innere der Paläste in Felsen aushöhlend, diese zu Palästen umschufen oder die Felsen selbst ablösten, um sie an andern Orten wieder als Paläste hinzustellen. Und hier ist es, auf diesen Riesendenkmälern vergangner Jahrtausende, daß wir jetzt noch ihre Schriften lesen, deren Charaktere wir zu gleicher Zeit als hohe Kunstgebilde bewundern müssen und als den Ausdruck bedeutungsvoller Ideen noch zu entziffern suchen. Einst aber allen verständlich, welche allgemeine Bildung und Kenntnis, welchen allgemeinen Sinn für das Schöne muß ein solches System unter einem Volke verbreitet haben, das bei keinem seiner Gebäude vorübergehen konnte, ohne darauf sozusagen die Seiten eines aufgeschlagnen Buches der Weisheit, der Wissenschaft und der Geschichte vor sich zu sehen, anziehend gemacht durch alles, was Kunst, Geschmack und Pracht vereinigt darzubieten vermochten.

Wir nun schreiben zwar auch, aber mit Gänsefedern Krähenfüße auf Lumpen; auch wir haben eine Kunst, sie beschränkt sich indes nur auf mehr oder weniger glückliche Nachahmungen der Alten oder unsrer eignen Vergangenheit und wird bald nichts echt Originales mehr aufzuweisen haben als den Daguerreotyp, Bronzebilder aus Papiermaché, galvanische Vergoldung und unnachahmliche Kassenscheine. Die Erfindung der Buchdruckerkunst freilich stellt uns höher. Bücher haben wir wie Sand am Meer. Alle Hieroglyphen der Ägypter schwinden dagegen, quantitativ jedenfalls, zu nichts. Ob unsere Bücher demungeachtet länger dauern werden als die Pyramiden? Es ist wohl möglich, und ich will es keineswegs bestreiten, aber vieler neuer Auflagen in jedem Sinn wird es noch bis dahin bedürfen. Doch ich kehre zu meiner Beschreibung zurück.

Eins der ansehnlichsten modernen Dörfer Ägyptens steht auf und in den Tempelgebäuden von Luxor, dessen Säulen man dort zum Teil bis an die Knäufe, reihenweise vom Sande verschüttet, sieht. Auch der Nil, an dessen Ufern einst der Palast unmittelbar stand, wie die Reste eines massiven Quais noch bezeugen, hat seinen Lauf wie unwillig über die neue Bettelnachbarschaft einige hundert Schritte weiter davon ab genommen.

Als ein Vorspiel gestattete ich mir mit dem Doktor zuerst eine allgemeine Mondscheinpromenade im kolossalsten Teile der Ruinen, unter dem Säulengang des mittleren Hofes beginnend, dessen Säulen, obgleich voll zur Hälfte verschüttet, in dieser Höhe noch an dreißig Fuß im Umfang messen! Es diente uns bei diesem Spaziergang eine schwarze Almeh als Führerin, die, zuweilen ihr Tamburin anschlagend, gedankenlos unter den Trümmern vor uns hertanzte – ein wunderlicher und mich doch gar nicht störender Kontrast. Lange zwischen den Häusern in engen Durchgängen und im Schatten der Paläste umherirrend, bald den rechten Fuß auf die Vorzeit, bald den linken auf die Gegenwart setzend, traten wir endlich unerwartet von innen durch das Pylonentor des Eingangs hinaus und befanden uns plötzlich im hellsten Scheine des Vollmondes grade zwischen den verstümmelten Ramseskolossen und sahen uns rechts zur Seite den schönsten aller Obelisken, dem die Franzosen seinen Gefährten raubten, so schwarz und schlank gen Himmel aufschießen, als sei er ein Pfeil, der sich eben anschicke, von der Erde nach dem Monde zu fliegen. Dieser überraschende Anblick, alle Maße der uns umgebenden Gegenstände noch durch den Dämmerschein nächtlicher Beleuchtung fast verdoppelt, gehörte zu denen, die sich dem Gedächtnisse für immer einprägen.


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