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Nichts ist vielleicht belohnender in der ganzen Welt für den Empfänglichen, als die Ruinen der hunderttorigen Thebae zu schauen – und bestimmt nichts langweiliger, als ihre Beschreibung zu lesen, wenn die Touristen, ohne einen bestimmten gelehrten Zweck dabei zu verfolgen, dennoch von allen Details, mit dem Maßstock und dem leitenden Buche in der Hand, die genaueste Rechenschaft geben zu müssen glauben, wie ich mich in mehr als einem Dutzend Reisebeschreibungen bis zum Überdruß überzeugt habe – Werke unermüdlicher Aufzeichner, Abschreiber und Kompilatoren ohne alle eigene Kritik und Gedanken, mit denen wir wirklich zu reichlich über Ägypten versehen sind. Ich selbst werde mich daher so kurz als möglich fassen, immer jedoch dem Leser einige allgemeinere, mehr den Haupteindruck schildernde Bilder dabei anschaulich zu machen suchen. Wer sich wissenschaftlich instruieren will, der lese die wenigen alten und neuen klassischen Autoren über dieses Land nach, die zwar nicht immer einig miteinander sind, aber dem Wißbegierigen doch jeden Unterricht erteilen, welchen der Stand heutiger Entdeckungen überhaupt zu gewähren fähig ist. Das vorliegende Buch erfüllt seinen Zweck, wenn es unterhält und nebenbei dem Dilettanten das möglichst treu wiedergibt, was nur der Augenschein lehren kann. Für gelehrte Forscher ist es nicht geschrieben, und ich hoffe dies nun oft genug wiederholt zu haben, um die Ansprüche festzusetzen, die man vernünftigerweise an mich zu machen hat. Schriebe ich für praktische Engländer oder Franzosen, so wäre jedes Wort darüber ganz überflüssig, aber der deutsche Pedantismus bedarf ihrer.
Es schien mir bei der Besichtigung Thebens sehr wesentlich, daß der Beschauer stufenweise vom Geringeren zum Höheren fortschreite, das Gegenteil würde ihm die Hälfte des Genusses rauben. Ich lade den Leser daher ein, jetzt mit mir am linken Nilufer bei den Hütten des Dorfes Gurneh unter einer Gruppe Palmen ans Land zu steigen. Eine Viertelstunde vor uns im Westen sehen wir über grün besaatete Felder hinweg den steilen Abhang des kahlen libyschen Gebirges, der ägyptischen Aphrodite Hathor geweiht, die an seinem Fuß alle Morgen in Gestalt einer weidenden Kuh hier die Sonne empfing. Braunrote Felsenwände steigen senkrecht in die Höhe, der Grund unter ihnen aber ist weithin durchwühlt und ein Völkchen Troglodyten wohnt jetzt in den alten Gräbern, deren Öffnungen wie schwarze Flecken über dem weißen Sande hingestreut sind – denn es ist Thebens an zwei Stunden sich ausdehnende Nekropolis, die wir hier vor uns haben. Die Toten grüßen uns zuerst aus der unterirdischen Nacht, bevor wir im Licht der ewigen Sonne ihre unsterblichen Werke schauen.
Längs der schweigenden Gräberstadt in südlicher Richtung weiterreisend, zeigt sich uns bald, von den Resten eines koptischen Dorfes und seinen schmutzigen Mauern aus ungebrannten Erdziegeln umgeben, der erste antike Tempel, dem Ammon geweiht, von des großen Ramses Vater begonnen und von seinem Sohne vollendet in der letzten Blütenzeit ägyptischer Kunst. Er ist nur von mittlerer Größe, aber welch ein Unterschied mit der schon dem Verfall gänzlich angehörigen Nachahmungsweise zu Denderah! Und wie irregeführt würde der sein, welcher, nicht weiter gekommen, nach jenem Monument bereits ein Urteil über ägyptische Architektur und Kunst fällen wollte. Es ist ziemlich dasselbe Verhältnis zwischen beiden wie zwischen den gotischen Kirchen, die heute noch kümmerlich bei uns entstehen, und denen, die im Mittelalter aus kräftig lebendigem Samen organisch emporwuchsen. Die schöpferische Kraft in edler Ruhe, die klassische Gediegenheit vom Höchsten bis zum Geringsten bei allem Flug der Phantasie; die keine Schwierigkeit mehr kennende Sicherheit der Technik, deren Vollendung jeden, der Sinn und Liebe für die Kunst besitzt, mit einer wahrhaft wohltuenden Befriedigung erfüllt, sprechen sich in Thebens Kunstwerken so deutlich aus wie im Parthenon, wenngleich in ganz anderer, in jeder Hinsicht kolossalerer Form, auf ganz andrem Boden und unter ganz verschiednen Einflüssen entsprossen. – Denn sehr richtig sagt Prokesch: «Griechische und ägyptische Kunst stehen nicht unter-, noch über-, sondern nebeneinander.» Was in Denderah zu fast widrigen, sich ewig wiederholenden, monotonen Fratzen wird, jener allerdings seltsame, heilige Stil, den beizubehalten eine religiöse Verpflichtung und seine vielfache intellektuelle Bedeutung zwang, wie edel ausgebildet und in seinem Ausdruck vielfach abgestuft und variiert stellt er sich hier dar. Tief eingegraben, mit wunderbarer Präzision gezogne Außenlinien umschließen schützend darin eingesenkte Basreliefs von einer Wahrheit, Fülle und Schönheit, welche in diesem Stil nichts übertreffen kann. Es ist eine Ungerechtigkeit, wenn man behauptet, daß die ägyptische Kunst in Ausbildung der Gestalt hinter der griechischen zurückbleibe. Sie strebt nur in der Regel mehr dem Erhabenen als dem Lieblichen nach. Wahrlich, nie sah ich, nach meinem Gefühl, Götter und Könige in imposanterer Majestät auf ihren Thronen ruhen, nie einen würdigeren Ausdruck der ihnen Opfernden oder gabenbringenden Helden, als an den Meisterwerken Thebens, obgleich sich größtenteils dieselben konventionellen Stellungen nach religiösen Vorschriften bei allen mehr oder weniger wiederholen. So werden zum Beispiel meistens, doch nicht immer, die Figuren nur im Profil dargestellt, nicht perspektivisch behandelt, gewöhnlich nur in schroffer Hälfte sichtbar, die weiblichen zum Beispiel bloß mit einer der beiden hervortretenden Brüste, gleich einer Silhouette.
Von den doppelten Pylonen des genannten Tempels und der Sphinxallee, die zu ihm führte, ist kaum mehr die einstige Stelle zu entdecken, und das Gebäude selbst, welches mit dem Tempel, wie in Ägypten sehr gewöhnlich, auch noch einen königlichen Palast vereinigte, liegt ebenfalls zum größten Teil in Trümmern; dennoch haben sich viele Malereien in brennenden Farben teils unter diesen Schutthaufen, teils an den Toren und im Innern erhalten sowie zehn Säulen des Portikus von schönen Verhältnissen, deren Schäfte Bündel von Wasserpflanzen darstellen, die von einem Abakus gekrönt sind. Ich übergehe meinem Vorsatze getreu die von so vielen beschriebenen weiteren Details und bemerke nur, daß ich unter den Bildern im Innern unter Schutt vergraben eins fand, welches mir eine Darstellung uns unbekannter mechanischer Vorrichtungen zum Heben großer Steine zu enthalten schien und daher einer näheren Untersuchung wert sein möchte.
Mehrere weniger bedeutende Reste zur Seite lassend, gelangt man nach einigen tausend Schritten zu den imposanten Ruinen eines weit größeren Tempels, welcher sonst fälschlich mit dem Namen des Memnoniums, auch Grab des Osymandias bezeichnet wurde, durch Champollion aber als der Palast des großen Ramses (der vielleicht auch den Namen Osymandias führte, wenn dieser nicht dem Memnon zukam) erkannt und nach ihm «das Ramsejum» benannt worden ist, noch nicht eine der kolossalsten, aber gewiß in ihrem Ensemble eine der ausgezeichnetsten Schöpfungen jener Wunderzeit. Auf dem Wege dahin entdeckt man schon von fern mit freudigem Staunen, mitten in der Ebene auf schwarzem Moorboden, die beiden, sich gleich Zwillingen ähnlichen, sitzenden Kolosse, von denen besonders der eine – obgleich beide denselben Fürsten darstellen – unter dem Namen der Memnonssäule so berühmt geworden ist. Ich muß sagen, daß diese Riesenbilder ewiger Ruhe, die, seit mehr als drei Jahrtausenden auf ihren Steinthronen fest gezaubert, wie in unbeweglicher Kontemplation alle die wirren Umwälzungen der Welt überdauerten, mir viel mehr imponierten als die kunstlosen Steinhaufen der Pyramiden, welche am Ende doch jeder ähnlich geformte spitze Felsen übertrifft, den die Natur in größeren Dimensionen, als die ihrigen sind, geschaffen hat. In der Ferne gesehen erscheinen die Kolosse auch noch ganz unverstümmelt, nur in ihrer Nähe beklagt man die Wut des wahnsinnigen Kambyses, der, nach Herodot, sie zerstört haben soll.
Ich konnte der Begierde nicht widerstehen, zu ihrer genaueren Besichtigung sogleich von meinem Wege abzulenken, ehe ich noch das mir näher liegende Ramsejum betrat. Der jetzt unbebaute Boden war von der Hitze so tief durchgerissen, daß die Pferde kaum darüber hinschreiten konnten und mehrere Male vor den turmhohen alten Herrschern die Knie unwillkürlich beugten.
Beide Bildsäulen aus hartem Sandstein und von den Arabern Thama und Schama genannt, sind 56 Fuß voneinander entfernt und haben gegen 60 Fuß Höhe. Die südliche ist aus einem Block, die nördliche dagegen, welche Kambyses angeblich in der Mitte durchsägen und den Oberteil niederwerfen ließ, ward durch fünf übereinander gelegte Steinschichten in späterer Zeit restauriert, das Gesicht blieb aber gleich dem des andern Kolosses zerstört oder ward es seitdem von neuem. Der restaurierte Teil entbehrt jenen feinen polierten Stucküberzug, mit dem die Ägypter fast alle ihre Bildwerke aus Sand- und Kalkstein und oft auch die Gebäude überzogen, wie zum Beispiel die enormen Flächen der Pyramiden zu Dschiseh es ebenfalls waren und die Spitze der mittelsten es noch ist. Diese vortreffliche Masse hat eine Dauer wie Stein und erscheint wie poliert auch hier an den Kolossen noch überall da, wo keine Ergänzung oder gewaltsame Abschlagung stattfand. Die Throne, auf denen die Könige sitzen, sind prächtig verziert mit kleineren Statuen an beiden Seiten der Lehne und einer noch kleineren, die zwischen den Füßen eines jeden Kolosses ihren Platz findet. Bilder und Hieroglyphen sind rund umher angebracht, doch alle mehr oder minder beschädigt. Daß der ergänzte nördlich stehende Koloß die sogenannte Memnonssäule ist, welche den famosen Klang bei Sonnenaufgang von sich gegeben haben soll, bescheinigen die griechischen und lateinischen Inschriften aus der Römerzeit auf seinen Füßen und dem Piedestal wie auch das sichtliche Faktum seiner Durchsägung oder Demolierung auf Kambyses Befehl. Ungefähr hundert Schritte hinter ihm liegt eine Steinmasse, die durch vieles Abschlagen jetzt einem großen Felsenstück gleicht und die man wohl für den früher abgesägten Teil der Statue halten könnte, um so mehr als man unmittelbar daneben eine Gruppe zwei kleinerer zusammenhängender Kolosse sieht, die vollkommen der Angabe der Alten entsprechen, daß die Memnonsstatue noch zwei Figuren von geringerer Größe neben sich gehabt, und mit diesen aus einem Stücke gewesen sei, was jetzt nicht mehr der Fall ist. Doch können es auch (und dies ist wahrscheinlicher) die Reste eines andren Kolosses sein, deren es ohne Zweifel mehrere an dieser Stelle gab, wo einst einer der größten Paläste Thebens stand, von dem jedoch kaum die Spur noch übrig ist. Über die Authentizität der Bildsäule des Memnons sind von jeher viele Zweifel erhoben worden. Unter andern erhielt ich noch hier in Ägypten einen Brief von unserm großen Hippologen, Grafen Veltheim, dem kein Gegenstand des Wissens uninteressant ist, worin er sich auf eine Schrift seines Vaters beruft, in welcher gemeinschaftlich mit Norden behauptet wird, daß der eigentliche Memnonskoloß wahrscheinlich der im Ramsejum liegende Torso aus schwarzem Granit sei, weil Plinius und andere ausdrücklich behaupten, die Memnonsstatue sei aus diesem Stein geformt gewesen, und die Inschriften auf dem Piedestal derjenigen Statue, die man jetzt für den Memnon halte, nur deshalb dort eingeschrieben worden, weil man dies auf den Granit nicht so leicht habe bewerkstelligen können. Plinius' und Philostratus' Zeugnisse mögen allerdings zu berücksichtigen sein, wiewohl beiden viele Irrtümer nachzuweisen sind, aber wer sollte sich die Mühe gegeben haben, den umgeworfenen Koloß in seinem zerstörten Zustande in das mehr als tausend Schritte davon entfernte Ramsejum zu transportieren! Überdem trägt jener Torso keine Spur der Durchsägung oder Abschlagung in der Mitte, wie der noch stehende deutlich. Ist die Hypothese des Grafen Veltheim richtig, so muß der echte Memnonskoloß verschwunden sein oder noch vergraben im Sande liegen – die Statue im Ramsejum ist es gewiß nicht. Der Irrtum Nordens und hiernach des Grafen Veltheim entstand hauptsächlich daraus, daß Norden das Ramsejum für das Grab des Osymandias oder Memnonium gehalten hat, wovon Champollion und andere den Ungrund vollständig dargetan. Das wirkliche Memnonium (Amenophion) stand ohne Zweifel hinter den beiden Kolossen, die Hügel hinansteigend, wo auch noch viele Mauerreste aus dem Sande ragend bemerkbar sind. Möglich, ja wahrscheinlich ist es gewiß, daß in diesem, allen Nachrichten und Anzeichen gemäß außerordentlich umfangreichen Tempel noch mehr Statuen des Gründers standen, unter denen das Hauptbild wohl aus Granit als der edleren Steinart gewesen sein mag und sehr denkbar auch aus schwarzem Stein, da Amenophis III. oder Memnon selbst ein äthiopischer Schwarzer gewesen zu sein scheint. Hier aber fragt es sich nur darum, ob diejenige Bildsäule, welche zur Römerzeit die bekannten Klänge bei Sonnenaufgang von sich gab, dieselbe sei, auf der noch heute die Inschriften dies bezeugen, und darüber, glaub' ich, kann kaum ein Zweifel mehr erhoben werden, wenn die Restauration derselben auch erst in späterer Zeit stattgefunden hätte, weil Strabo und Pausanias allerdings und als Augenzeugen angeben, daß der obere Teil des Kolosses bei ihrem Dortsein auf der Erde gelegen habe. Da die Statue auch jetzt noch aus mehreren übereinandergelegten Stücken besteht und keineswegs aus einem Ganzen, wie Graf Veltheim annimmt (wenn sie auch ursprünglich aus einem Blocke angefertigt worden wäre), so liegt in Strabos und Pausanias' Aussage kein Grund gegen die Identität des von ihm an der Erde liegend und von uns wiederum zusammengesetzt und aufgerichtet gesehenen Kolosses. Dem Einwande hinsichtlich der Inschriften aber, nämlich daß man diese nur wegen des weicheren Steines auf den jetzt für die Memnonssäule gehaltenen Koloß geschrieben, könnte man die noch plausiblere Frage entgegensetzen: warum auf dem Nachbarkoloß von demselben weichen Stein keine einzige Inschrift stehe, die den Klang der Memnonssäule bezeuge? – Wer eine noch mehr in alle Details eingehende Beleuchtung dieser Streitfrage wünscht, den verweise ich auf einen Aufsatz des Herrn General Minutoli in der Beilage der allgemeinen preußischen Staatszeitung, Nr. 103, 1844, worin die Ansichten aller dieses Thema berührenden Schriftsteller von einiger Bedeutung fast vollständig zusammengestellt sind und das daraus gezogene Resultat im wesentlichen mit meiner und wohl jetzt der allgemeinen Meinung übereinstimmt.
Die Piedestals, auf denen die beiden Kolosse stehen, sind gänzlich mit angeschwemmtem schwarzem Boden bedeckt, und der Stand größter Wasserhöhe in neuerer Zeit zeigt sich nach genauen Untersuchungen 7 Fuß 8 Zoll über dem Pflaster des Dromos, der sonst offen zu den Kolossen führte, während der sandige Grund unter dem Pflaster beweist, daß in der Zeit, als man die Statuen errichtete, der Nil noch nie bis hierher gedrungen war. Hieraus läßt sich leicht abnehmen, wie beträchtlich seit drei bis vier Jahrtausenden der Grund des Flusses sich erhöht haben muß und wieviel Kunstschätze daher noch unter dem Boden seiner Anschwemmungen während dieser Epoche zu finden sein möchten. Die Kolosse, welche also damals samt ihrem Unterbau auf einem dem Nil unzugänglichen, trockenen Sandboden standen, wechseln jetzt viermal im Jahre die Ansicht ihrer Basis. Entweder schauen sie, wie in dieser Epoche, aus schwarzem Moor hervor oder aus grüner Saat oder aus goldenen Ähren oder endlich aus einer unabsehbaren Wasserfläche, und wohl mag diese letztere ihrer Verwandlungen den schönsten Anblick gewähren.
Viele Trümmer von andern gigantischen Statuen, Säulen usw. nebst hohen Schutthaufen, die sich bis an die westlichen Berge dahinter ausdehnen, lassen, wie gesagt, mit Sicherheit voraussetzen, daß hier ein riesiger Tempel gestanden haben muß, zu dem die beiden Königsstatuen den Eingang bildeten, ohne Zweifel das wahre Memnonium, so wie Amenophis III., dessen Ringe die Kolossen tragen, gewiß der Memnon der Römer ist, aber schwerlich diese aus der Fabelatmosphäre verschollner Zeiten auftauchende Person zugleich, wie einige behaupteten, Sesostris gewesen sein kann, wozu der große Ramses, wie Champollion überzeugend bewiesen, eine bessere Anwartschaft hat.
Ich kehrte nun zu dem Palaste dieses letzteren zurück, der sich ungefähr 1200 Schritte weit in nordwestlicher Richtung von den Kolossen an das Gebirge lehnt. Hier liegt gleich hinter den halb eingestürzten Pylonen der größte und schönste Koloß Ägyptens aus Rosengranit, dessen gewaltsame Zerstörung ohne Hilfe des Pulvers fast ebenso schwierig gewesen sein muß als der Transport dieser ungeheuren Masse von Assuan hierher, die nach Wilkinsons Berechnungen in ihrem unversehrten Zustande an 5000 Zentner wog. Was von diesem staunenswürdigen Werke, welches des großen Königs eigenes Bild darstellte, übrig ist, zeigt eine höchst vollendete Arbeit und noch immer die schönste Politur. Der Kopf bietet aber leider nur noch eine unförmliche Masse dar, wovon nur ein Ohr von drei Fuß Länge intakt geblieben ist. Ebenso wohlerhalten blieb der Ring oder das Wappen des Königs auf dem linken Oberarm. Mehreren andern darum her liegenden Statuen aus Porphyr und Granit fehlen die Köpfe ganz, denn sie sind – leider erst in neueren Zeiten – sorgfältig abgelöst und in die Kabinette der Konsuln gewandert, eine Art der Verheerung, der man seufzend in jeder Gestalt und auf allen Schritten begegnet und die noch empfindlicher als die Barbaren gewütet hat, weil sie methodischer verfuhr und mit Kennerblick nur das Beste ergriff. Viele dieser Herren haben ihre Raubkampagnen in Theben mehrere Monate, ja jahrelang ausgedehnt und sich eigens Wohnhäuser dazu im Schutze der Felsen erbaut, deren noch einige bestehen und auch noch benutzt werden. Doch hat der Vizekönig dem Unwesen seitdem einigermaßen gesteuert, obwohl viel zu spät. Die Befehle sind aber, wenigstens für die kleinen Diebe, so streng, daß mir während meines viertägigen Aufenthalts in Theben auch nicht der geringste Gegenstand zum Verkauf angeboten wurde. Indes erklärt sich dies zum Teil daraus, daß ich mit Schiffen und Gefolge Mehemed Alis reiste und man deshalb den Verrat mehr fürchtete als sonst.
Es ist auffallend, daß der königliche Koloß, wie das noch stehende Piedestal deutlich anzeigt – neben dem der Torso auf dem Rücken liegt –, nicht die Mitte des Hofes einnahm, sondern ganz vereinzelt und ohne Spuren eines Gegenstücks auf der andern Seite, seitwärts des Eingangs, allein stand. Aber die Ägypter zeigen sich überhaupt in ihrer Baukunst durchaus nicht als Sklaven der Symmetrie, und der vorliegende Palast bietet noch mehrere andere bedeutende Abweichungen von derselben dar. Ohne mich in eine umständliche Beschreibung desselben einzulassen, erwähne ich nur, daß man außer dem ersten Hofe noch durch zwei andere Höfe, deren bedeckte Säulengänge nach innen kolossale Karyatiden des Osiris mit den Zügen des Ramses darbieten und durch die Reste zweier Tore von schwarzem Granit in eine große Prachthalle von ursprünglich 48, jetzt nur noch 36 Säulen tritt, welche mit einer Decke von Azur übersät mit schmalen Sternen in Goldfarbe prangt. Auf den mit eingegrabenen und bemalten Bildern dicht bedeckten Säulenschäften befindet sich eine bronzefarbene Figur des Ramses, die Champollion abgegipst hat, von welcher Operation man noch die unangenehme Spur sieht. Die Wahl war vortrefflich, denn das Charakteristische des Gesichts und der Gestalt, wovon in Wahrheit «jeder Zoll ein König», läßt hier eine besonders treue Ähnlichkeit vermuten, weil sie ganz der Idee entspricht, die man sich in der Phantasie von dem jugendlichen Eroberer und dem hochgebildeten, kunstliebenden, in jeder Weise Kolossales unternehmenden und nach Vollführung des vor ihm nie Geschehenen trachtenden Helden, dem Alexander Ägyptens, im voraus machen könnte. Von den übrigen Sälen existieren nur noch zwei, deren einer, nach Champollion, ohne Zweifel die berühmte Bibliothek enthielt, da in dessen Wandbildern die Göttin Saf, die «permanente Präsidentin der Wissenschaften», wie er sie nennt, und Thoth, der Erfinder der Buchstaben und Künste, als Hauptfiguren an den Wänden paradieren. Der Tempelpalast steigt sanft den Berg hinan, weshalb Stufen von Abteilung zu Abteilung führten. Über den Säulen, Sälen und Hallen befand sich ehemals noch ein zweiter Stock, von dem nur noch einige Mauern und Fenster sichtbar sind. Dieser Oberbau diente wahrscheinlich zu Wohngemächern und Schlafzimmern für die königliche Familie, die untern Räume wahrscheinlich nur zu Versammlungen und Festlichkeiten, vielleicht auch teilweise zur Wohnung des Königs selbst.
Am interessantesten in dem großen Ganzen erschienen mir die verschiedenen Darstellungen der Taten und Schlachten des Erbauers, die in gigantischem Maßstabe verschiedne der hohen Wände des Palastes bedeckten und von denen noch vier große Gemälde in mannigfachem Farbenglanze ziemlich wohlerhalten sind. Mit Recht bemerkt Herr Wilkinson, daß man beim Anblick dieser Bilder auf der Stelle an die Iliade erinnert wird und Schilderungen des trojanischen Krieges vor sich zu sehen glaubt, ja er meint sogar, daß Homer vielleicht den Inhalt seiner unsterblichen Gesänge zum Teil aus ihren Kompositionen geschöpft habe.
In der Tat ist ein Leben, eine Mannigfaltigkeit, ein Reichtum der Komposition in diesen Schildereien sichtbar, die der Antike nicht nachstehen und bald die wunderlichen Eigenheiten des ägyptischen Kunststiles vergessen lassen, welcher allerdings gewisse Typen nicht nur für Götter und Menschen in bestimmten und immer wiederkehrenden Stellungen, sondern auch für Tiere, namentlich für die Schlachtrosse, angenommen hat, die zwar eine leichte Abweichung von der Naturwahrheit zeigen, aber nichtsdestoweniger in einer imposanten Weise gedacht sind. Von außerordentlicher Wirkung ist besonders eins dieser Bilder, wo der siegende Ramses, gleich dem schrecklichen Achilleus auf seinem Streitwagen vorgebogen stehend und die weithin mordenden Pfeile entsendend, eine Schar anderer Streitwagen vor sich hin über das Blachfeld jagt, deren Führer bei dem Versuch, eine naheliegende Feste zu erreichen, teils in den Fluß hinabstürzen, teils von anderen verfolgenden Truppen gefangen und grausam niedergemetzelt werden. Andere Bilder stellen Fußvolk im Lager, das Stürmen von Städten, Siegeszüge usw. dar, mit religiösen Prozessionen vereinigt, die sich jedoch, besonders abgeteilt, über den Schlachtbildern befinden. Doch Herrn Rosselinis erschöpfendes Kupferwerk stellt dies alles anschaulicher bildlich dar, so daß ich den Leser besser dorthin verweise, obgleich ich die Bemerkung hinzufügen muß, daß in künstlerischer Vollendung wie in richtiger Kolorierung mir kein Werk bekannt ist, das den ägyptischen Kunstwerken hinlänglich gerecht wird. Ich werde bei Gelegenheit meiner zweiten Anwesenheit in Theben auf diesen Punkt zurückkommen.
Wir begaben uns von hier in südlicher Richtung nach einem Hügel, der abermals mit den schwarzen Resten eines koptischen Dorfes gekrönt ist, aus deren Hüttenmauern zwei Tempel und ein Palast in gelber Farbe hervorragen.
Der erste dieser Tempel, an den die Römer einige Höfe angesetzt haben, und an dem auch während der Herrschaft der äthiopischen Dynastie in Ägypten ihr König Toraka oder Tiraka gebaut zu haben scheint, ist von mittlerer Größe, aber voll reizender Details, doch wird er weit übertroffen durch den ihm folgenden Palasttempel des vierten Ramses, wo man zuerst in die, jeden anderen Baustil weit überbietenden, gigantischen Proportionen ägyptischer Architektur eingeführt wird. Der vordere Pavillon des Königs, von dem ein Dromos zum eigentlichen Tempel führte, gibt nicht nur eine hohe Idee von der Pracht, sondern auch von der recherchiertesten Eleganz und Grazie jener Epoche, und erschien mir als das wahre Ideal der Privatwohnung eines Großen. Hier sind auch die Bildwerke weniger streng im heiligen Stile gehalten, und wir sehen den König in der Mitte seines Harems von seinen Weibern bedient und mit Blumen und Früchten von ihnen beschenkt, während auf der Außenwand das Schreckbild des siegenden Osiris mit der Streitaxt die wie Bündel an den Haaren zusammengehaltenen Feinde in Form des hundertköpfigen Briareus niederwirft. Kolossale Löwenköpfe schauen als Wasserabgüsse aus den Mauern wie bei den gotischen Bauten, und es ist noch manches andere an diesem Gebäude, was an das Gotische erinnert, zum Beispiel die Zinnen der Außenmauern, welche aus nebeneinanderstehenden Schildern gebildet sind und sich prachtvoll ausnehmen. Ein schönes Gemach mit vielen anmutigen Schildereien und verschieden geformten großen Fenstern, die reich geschmückt und von bunten Adlern oder Geiern auf azurnem Grunde überschwebt werden, ist fast noch ganz erhalten. Das Hauptfenster richtet sich auf das 60 Fuß hohe Tor des Tempels, und man sieht von hier durch dessen Höfe hindurch bis zu seinem äußersten Ende. Riesige Pylonen (Pyramidaltürme, die neben dem Haupttore in doppelter Breite desselben emporsteigen) voller Bilder umschließen dies Tor von rotem Granit, aus dem man in den ersten Hof tritt, dessen rechter Korridor von sogenannten osirischen Pfeilerkolossen, der andere von Säulen mit Lotoskapitälen eingefaßt wird.Man nennt sie allgemein so, obgleich wahrscheinlich eine andere Pflanze zu ihrem Muster gedient hat, die jedoch von den Antiquaren noch nicht bestimmt ausgemittelt wurde. Wilkinson, dessen gründliche und tiefe Forschungen jeder Reisende mit dem größten Dank erkennen muß, der aber englische Vorurteile und orthodoxe Kleinigkeitskrämerei nicht abzuschütteln vermag, kann sich über diesen Mangel an Symmetrie, der ihn überall in Ägypten schockiert, nicht zufrieden geben und hat ein eignes Wort erfunden, um die Ägypter der «Symmetrophobia» anzuklagen. Die religiösen Skrupel machen ihm aber noch mehr zu schaffen, und er geht so weit, die ganze Chronologie der ägyptischen Königsdynastien einigermaßen gegen seine Privatansicht offiziell so zu arrangieren, daß sie mit der Zeitrechnung der Bibel nicht allzusehr in Kollision geraten, ja er schaltet sogar eine ganze Abhandlung ein, um eine Behauptung, der die Prophezeiungen Ezechiels zu widersprechen scheinen, mit diesen wieder mühsam in notdürftigen Einklang zu bringen. Wirklich, man muß bedauern, einen ernsten Forscher und Gelehrten durch solche Niaiserien gestört zu sehen. Unsere Zeit, die doch ein wahrhaft Positives im Glauben nicht mehr hat und es sich aus neuem Stoff erst wieder wird gestalten müssen, sollte sich wenigstens des einzigen Gewinnes, der ihr jetzt noch bleibt, nicht begeben – nämlich des wesentlich kritischen Geistes, der sich über veraltete Vorurteile jeder Art insoweit zu erheben weiß, daß er sie zwar als historisch Vergangenes und damals Notwendiges zu ehren versteht, sie aber auch im orthodoxen Glauben wieder aufwärmen zu wollen nur als eine vergebliche und krankhafte Bemühung ansieht.
Was mir noch weniger in Herrn Wilkinsons Buch gefällt, ist seine englische Ungerechtigkeit gegen Champollion; denn obgleich er in einigen Phrasen nicht umhin kann, mit der ganzen gebildeten Welt dessen hohes Verdienst anzuerkennen, so möchte er doch gern insinuieren, daß es eigentlich der Doktor Young und die Engländer seien, welche zur Entzifferung der Hieroglyphenschrift das Eis gebrochen hätten und durch ihre «früheren Entdeckungen» die Winke gegeben, nach welchen Champollion nur weiter geforscht – was ungefähr ebensoviel sagen will, als dem Erfinder des Teekessels einen höheren Ruhm als dem der Dampfmaschine beizulegen. Es ist aber auch eine schon an sich höchst unrichtige Behauptung, da das eigentlich Wesentliche, nämlich die Entdeckung des phonetischen Elements in der Hieroglyphenschrift Champollion ganz allein zu verdanken ist und nur dadurch endlich eine systematische Analyse der letztern möglich ward, die uns in wenigen Jahren besser belehrt hat als die früheren Bemühungen der Gelehrten zu demselben Zweck in vielen Jahrhunderten.Bekanntlich behauptete Young fortwährend, daß die Hieroglyphenschrift nur figurativ und symbolisch sei, selbst der demotische Text der Tafel von Rosette nur aus Zeichen von Ideen bestünde, höchstens, setzt er hinzu, «mit Ausnahme jener wenigen Gruppen, die griechische Namen enthalten.» Später aber gibt Herr Wilkinson sogar nicht undeutlich zu verstehen (S. 55, 56 und 57), daß er sich selbst nicht für viel weniger als einen zweiten Champollion halte (wenn er auch, als façon de parler, sich vor einer solchen Arroganz verwahren will), denn er freut sich bei seinen eignen Forschungen, so häufig dieselben Resultate mit Herrn Champollion aufgefunden zu haben, «obgleich er nie mit diesem in irgendeiner Verbindung gestanden». Das kann doch nur heißen, daß er ihn nie gesehen, noch mit ihm korrespondiert habe, aber nicht, daß ihm Champollions Entdeckungen unbekannt geblieben seien, ohne deren Hilfe wohl hundert gegen eins zu wetten sein möchte, daß Herr Wilkinson trotz seiner erfolgreichen Forschungen auf eigne Hand und trotz der «early discoveries» des Doktor Young über die heilige Schreibart der alten Ägypter noch in eben dem vagen Dunkel herumtappen würde, in welchem vor Champollion ganz Europa befangen war.
Ehre, dem Ehre gebührt! – Doch ich kehre zu unserm Tempel und seinem unsymmetrischen Vorhofe zurück.
Mich also erfreut die Symmetrophobia der alten ägyptischen Baukunst, der sie zum Teil ihre größten Effekte und eine stete Mannigfaltigkeit verdankt. Die Griechen wie die alten Italiener haben auch nicht selten die Symmetrie beiseitegesetzt, aber echte Künstler werden es nie auf ungeschickte, das Auge wirklich beleidigende, die Harmonie aufhebende Art tun, wogegen auch bei genauesten Symmetrie verfehlte Proportionen und geschmacklose Zusammenstellung immer die Stümper verraten, wovon leider das ganze moderne Europa, aber vor allen Ländern England selbst die lächerlichsten Beispiele zu Tausenden aufweist.
Die Wände der Korridors in dem erwähnten Hofe, welche zu zwei Dritteln verschüttet sind, decken Hieroglyphenreihen von einer Tiefe, die zuweilen an 5 Zoll Einsenkung beträgt. Sie sind alle bemalt, wie auch die Basreliefs auf den Pfeilern und Säulen.
Durch ein anderes Pylonenpaar und sein ebenso reich geschmücktes Granittor gelangt man in den zweiten Hof, der glücklicherweise weit weniger verschüttet ist. Niemand, dem irgend einiges Gefühl für das Erhabene beiwohnt, wird ohne Bewunderung durch diese Pforte treten können. Die Größe des freien Raumes, den man vor sich sieht, beträgt zwar nur 123 zu 133 Fuß – denn die Ägypter pflegten die Plätze klein und die Gebäude groß zu machen, während wir gerade das Gegenteil tun –, aber dieser geringe Raum ist mit einem Peristyl ungeheurer Massen umgeben, östlich und westlich aus fünf Säulen, nördlich und südlich aus acht viereckigen Pfeilern mit Karyatiden, die hier unter des Osiris Form Ramses IV. vorstellen. Hinter den nördlichen dieser Kolosse, welche dem Tore gegenüberstehen, befindet sich ein Korridor von noch gigantischeren Säulen mit blauer, goldbesternter Decke, aus welcher gewaltige Adler, ihre schwarzen und gelben Flügel weit ausbreitend, herabschauen. Seine Verhältnisse wird man schon beurteilen können, wenn ich nur anführe, daß die etwas gehauchten Säulen mit schön geformten Kelchknäufen einige Fuß über ihrer Basis 23 Fuß im Umfang haben. Die lebhaften Farben vieler hundert Bilder, welche die Schäfte der Säulen sowie die hohe Schlußwand hinter ihnen bedecken, wo die großen Götter thronen, sind meistens noch wohl erhalten sowie auch die des Architravs, welcher den Hof umschließt, und die bunte, weit ausgeladene Krönung des Ganzen, welche bei allen ägyptischen Tempeln einen so eigentümlichen und grandiosen Effekt hervorbringt. Auf dem Architrav ist die Dedikation des Tempels dargestellt, in deren Hieroglyphenschrift Wilkinson (wohl mit Champollions Hilfe) unter andern las, daß der König das adytum (Heiligtum) außer seinen architektonischen Zierden auch noch mit Silber und Edelsteinen ausgeschmückt hatte. Viele der Festzüge sind höchst prächtig und instruktiv für die Kenntnis alter Gebräuche und Vorstellungen. Eine Krönung kommt unter anderem darin vor, von der symbolisch Vögel rechts und links davonfliegen, um sie nach allen Weltgegenden hin zu verkünden, was heutzutage die Zeitungen freilich noch schneller besorgen. Champollion und Wilkinson beschreiben alles dieses höchst ausführlich, wie auch die großen und herrlichen Skulpturbilder auf den Außenwänden des Tempels, deren Mannigfaltigkeit von Schlachten und Siegen zu Land und zur See, von Armeen, die gleich regelmäßig disziplinierten Truppen abgeteilt marschieren, von Legionen in die Flucht gejagter Feinde, von Gefangenen, denen man die Hände abhaut, während ein dabeistehender Sekretär die Zahl derselben verzeichnet, von Triumphzügen, Siegesopfern usw. monatelang Stoff zu Untersuchungen geben könnten, und – Ramses den Dritten oder Vierten fast als einen ebenso erfolgreichen Eroberer als seinen großen Vorfahren Sesostris darstellen. Unter einem Gemälde, das seine Rückkehr nach Ägypten darstellt, ist ihm folgende Anrede an seine Truppen in den Mund gelegt: «Überlaßt Euch der Freude, sie erhebe sich bis zum Himmel! Die Fremden sind niedergestürzt. Das Schrecken meines Namens ist über sie gekommen und hat ihre Herzen erfüllt. Wie ein Löwe habe ich mich ihnen entgegengestellt, sie verfolgt wie ein Habicht und ihre verbrecherischen Seelen vernichtet. Ich habe ihre Flüsse überschritten und ihre Festungen verbrannt. Ich bin für Ägypten eine Mauer von Erz. Du mein Vater Ammon-Ra hast es mir so befohlen, und ich habe die Barbaren verfolgt, alle Teile der Erde habe ich siegend überschritten, bis die Welt selbst zuletzt sich meinen Schritten entzog. Die Könige der Erde bezwang mein Arm, und mein Fuß zertrat die Nationen.» Man sieht, alte Eroberer sind ebenso religiös wie moderne und vergessen nie das «Tedeum» nach dem – Schlachten.
Einige glauben, daß dieser König bis an das Kaspische Meer und den Oxus vorgedrungen sei, was jedoch schwer zu beweisen sein möchte.
Zwei andere Höfe des kolossalen Palasttempels sind ganz verschüttet und nichts als die rechte Außenmauer derselben voll herrlicher Skulpturen noch sichtbar, durch welche die späteren Christen unbekümmert zwölf Pforten mitten durchgebrochen und, um auch ihre Kunst zu zeigen, verschiedne kleine Kreuze darüber eingemeißelt haben. Der ganze Tempel ist übrigens durchgängig mit den neueren Ruinen des koptischen Fleckens durchwirkt und überdeckt, so daß eine gründliche Wegräumung des Schuttes und Niederreißung jener schändenden Anhängsel diese prachtvollen Gebäude gewiß noch an den meisten Stellen wohlerhalten zeigen und wenigstens den Totaleffekt ihrer einstigen imposanten Schönheit wiederherstellen würden. Von der Plattform, zu der eine enge, aber sanft ansteigende Treppe führt, hat man eine umfassende Aussicht auf den weiten Raum, den das alte Theben auf beiden Seiten des Nils einnahm. In der Nähe rechts nach Süden hin erblickt man zuerst die Spuren hoher Erdaufwürfe gleich den Ufern eines großen künstlichen Sees, vielleicht desselben, über welchen die Toten gefahren wurden. Prokesch hält diese Dämme wohl irrtümlich für Reste einer Umwallung der Stadt, da sich nirgends weiter in dem mehrere Stunden betragenden Umfang derselben, den die vielen Ruinen hinlänglich bekunden, eine Spur von einer solchen Einfassung irgendwo mehr zeigt. An die Dämme schließt sich eine reiche Flur, durch welche der Nil gewunden strömt, aus einem Kranz blauer Berge herkommend, hinter denen noch in so weiter unbekannter Ferne seine geheimnisvollen Quellen sich bergen – vor sich im Osten sieht man in der Ebene die sitzenden Memnonskolosse, welche auch von hier ihren schauerlichen Geistereffekt nicht verleugnen, und jenseits des Flusses steigen hinter ihnen die alles überragenden Riesenruinen von Luxor und Karnak empor, umgeben von Wald, an dessen Saume sich in kühnen Formen das arabische Gebirge lagert. Im Norden endlich ziehen sich die früher beschriebenen Tempelreste von Gurneh und die des Ramsejums mit der öden weißgebleichten Nekropolis längs den libyschen Felsenwänden hin; in der fortgesetzten Landschaft erscheint dann aufs neue der Nil, von grünen Feldern treu begleitet, bis dahin, wo Himmel und Wüste die Erde zu verschlingen scheinen und, ihren blau und weißen Mantel niedersenkend, zwar alles Weitere dem irdischen Bilde entrücken, doch auch hier der Phantasie des Menschen noch keine Grenze zu stecken vermögen.
Wir kehrten, um prosaisch zu frühstücken, in den köstlichen Tempelhof zurück und besahen dann bei Fackelschein noch einige seiner dunklen Nebengemächer, die auch in diesen Räumen, wo das Licht der Sonne ausgeschlossen blieb, mit einer unbegreiflichen Masse eingegrabner oder erhöhter Bilder geschmückt sind und für den düstern, geheimnisvollen Kultus der Priester, so gut wie vielleicht auch für seinen Mißbrauch, gewiß nicht ohne guten Grund in finstere Nacht gehüllt wurden. In einem dieser Zimmer sah ich einen Sphinx mit einem Pferdekopfe, das einzige Beispiel dieser Art, was mir in Ägypten vorgekommen ist.
Man bemerkt es kaum unter solchen gigantischen Proportionen, daß in späterer Zeit die Kopten in diesem Hofe sich auch eine Kirche erbaut haben, obgleich die barbarisch geformten Diminutiv-Säulchen derselben noch rund umher aufrecht stehen. Sie verschwinden so gänzlich vor dem Gigantenbaue neben ihnen, daß sie ihn nicht mehr stören als die Fliege, welche sich auf eines Riesen Nase setzt.
Für diesen Tag blieb uns nur noch die Nekropolis zu sehen übrig. Der erste Gegenstand, der hier die Aufmerksamkeit fesselt, ist ein kleiner, aber sehr zierlicher, buntschimmernder Isistempel, von der schönen Kleopatra, glaub' ich, erbaut und wie ein Boudoir aufgeputzt. In einem seiner dunkeln drei Gemächer wird der Apis auf einer großen Barke gefahren, die eine sehr deutliche Idee von der Konstruktion und Einteilung der Fahrzeuge jener Zeit gibt. Es ist schade, daß eine abscheuliche Erdmauer aus Nilschlamm, in späterer Zeit aufgeführt, dieses elegante Gebäude umschließt. Durch öde Schluchten gelangt man in einer Viertelstunde von hier neben unzähligen Katakomben vorüber zu den Gräbern der Königinnen und andrer Vornehmen, welche eine Menge Gegenstände aus dem gewöhnlichen Leben darstellen, als: Tänze, Konzerte, Jagden der mannigfaltigsten Tiere, Besuche fremder Fürsten, Mahlzeiten, alle Arten von Handwerken, Wasserfahrten, Fischereien und dergleichen mehr. In dieser Hinsicht erscheinen mehrere Gruften angesehener Privatleute oft noch interessanter als die immer mehr heilige Gegenstände enthaltenden, königlichen Gräber, und bei längerem Aufenthalt müssen sie große Aufschlüsse über manches noch Zweifelhafte der ägyptischen Vergangenheit geben. So sind wir geneigt, uns die Lösung der wichtigen Frage zuzuschreiben, ob die alten Ägypter geraucht haben oder nicht, indem wir glauben, in einem Bilde deutlich eine Gesellschaft aus langen Pfeifen Rauchender entdeckt zu haben, auch sahen wir, gegen Herodots Ausspruch, daß die Ägypter kein Schweinefleisch gegessen, ein gebratenes unverkennbares Ferkel auf der Schüssel. In der entferntesten Nische findet man oft zwei oder drei bemalte Statuen, wahrscheinlich Bilder der Begrabenen, in Lebensgröße nebeneinander sitzen, welche vollkommen unseren Wachsfiguren gleichen und auch auf keinen viel höheren Kunstwert Anspruch machen können. Das merkwürdigste an ihnen ist die beispiellose Konservation einiger derselben, die erst gestern aufgestellt worden zu sein scheinen, obgleich sie ihren Platz schon seit dreitausend Jahren hier behaupten.
Noch grandiosere Grabpaläste wie auch die Spuren eines andern großen Tempels bietet das angrenzende Tal von Assasif, in dem zerbrochne Mumiendeckel, Knochen, vertrocknete Körperteile, Binden und Stöcke der feinen mit Harz getränkten ägyptischen Leinwand wie auf einem Schlachtfelde umhergeworfen sind.
Eins der in Assasif befindlichen Gräber, von denen die meisten Priestern angehörten, ist ein wahres Labyrinth und selbst von größerem Umfang als irgendeine der Königsgräber in Bab-el-Melech. Seine Säle, Treppen, Gänge und Zimmer ohne Ende nehmen unter der Erde fast den Raum von zwei Morgen ein, und alle diese in ewige Nacht begrabne Hallen sind bis auf den kleinsten Winkel mit den sorgsamst ausgeführten Skulpturen bedeckt, auch mit vielen Hunderten zierlicher, kleiner Statuen geschmückt, die jedoch leider alle absichtlich zerstört, wie die Wände durch mutwillig angelegtes Feuer schwarz gefärbt wurden. Die Sarkophage selbst sind sämtlich geraubt und die tiefen Brunnen jetzt leer, in welche sie versenkt waren und neben denen zuweilen nur ein fußbreiter Weg nicht ohne Gefahr in der Dunkelheit vorüberführt. Der Besitzer dieses Grabmonumentes von so lugubrer Pracht hieß Petamunap, ein vornehmer Priester, dessen Name auch auf einem der Granittore des kleinen Tempels von Medinet-Abú, wo er als Erbauer dieses Tores genannt ist, angetroffen wird. Beide Werke zeugen von dem Reichtum der Privaten in jener Zeit, welche damals Unternehmungen ausführen konnten, die selbst unsern heutigen Herrschern zu kostbar vorkommen möchten.
Wir beschlossen diesen ersten Tag in Theben mit Besteigung des Felsens hinter dem erwähnten Tempel, von dem nur noch ein Granittor und wenige Gemächer übrig sind, um noch einmal die Gegend im Rosenlicht der hinter uns sinkenden Sonne zu überschauen. Der Ausdruck «Rosenlicht» ist keine Metapher, denn die ägyptische Sonne hüllt wahrhaft an heitern Abenden alle Gegenstände, die fahle Wüste selbst, in ein schimmerndes Rot von so sanftem Glanz und blühender Frische, daß keine Beleuchtung in Europa (als etwa bei Gropius) einen hinlänglichen Begriff davon zu geben imstande ist und kein Maler ein solches Bild treu darzustellen wagen würde, noch könnte.