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Unmittelbar aus einem erfrischenden Bade im Wasser des Nils brach ich am 11. Mai gegen Mitternacht mit meiner Karawane auf, nachdem ich einen Teil meiner Effekten und die ganze Schiffsmenagerie, mit einziger Ausnahme des treuen Susannis, der Obhut des gefälligen Kascheffs anvertraut hatte. Auch einen sehr brauchbaren arabischen Diener, den mir der Gouverneur von Doerr mitgegeben hatte, mußte ich zurücklassen, da er fast hoffnungslos an einem bösartigen Fieber darniederlag, an dem er auch, wie ich später erfuhr, einige Wochen darauf starb.
Wir marschierten langsam, fortwährend auf hartem Sandboden, bis wir am Morgen in ein mit vielen halbvertrockneten Mimosen waldartig besetztes Felsental kamen, wo sich ein tiefer und geräumiger Brunnen mit ziemlich gutem Wasser befindet. Er heißt Mseali, und seine Umgebung war zum Ziel unseres ersten Nachtlagers bestimmt. Wir hatten in der vergangenen sternhellen Nacht die Wüste voll schwarzer Granitfelsen und an vielen Stellen Spuren von Vegetation gefunden, was unterirdisches Wasser unter der Oberfläche vermuten ließ. Ich fand auch später so oft Gelegenheit, diese Bemerkung zu machen, daß ich von der Möglichkeit überzeugt bin, mit Hilfe artesischer Brunnen Tausende von Quadratmeilen der Wüsten Äthiopiens und des Sudans in fruchtbares Land umzuwandeln.
Zwei Stunden seitwärts unsrer Straße in östlicher Richtung soll sich in Baden-el-Gasali (dem Tale der Gazellen) ein noch ziemlich wohlerhaltener Tempel aus rötlichem Sandstein befinden, nach der Beschreibung aber nur von geringen Dimensionen sein. Ich würde die Mühe nicht gescheut haben, ihn aufzusuchen, da ihn noch kein europäischer Reisender gesehen, der Führer erklärte aber, des Weges nicht recht kundig zu sein, und besorgte, sich zu verirren, weshalb ich die Sache aufgeben mußte.
Wir schliefen bis um fünf Uhr abends, wo ich aufstand, um die Gegend zu besichtigen. Am Brunnen fand ich mehrere Beduinen, die ihre meistens schwarzen Kamele mit Wasser beluden. Sie waren mit recht eleganten leichten Speeren und schmalen, auf beiden Seiten zugespitzten Schildern aus Hippopotamushaut bewaffnet, die ich ihnen vergebens feil zu machen versuchte. Zwei Mädchen befanden sich bei ihnen, wovon die eine, noch sehr jung, wie uns die Männer sagten, die renommierteste Schönheit ihres Dorfes sei, das nur einige Stunden von hier liegen soll. Sie war in der Tat nicht übel, trotz der breiten Brandnarben in den Backen, schön bemalt und trug als Schmuck zwei schwere Fußschellen von Metall, gleich unsern Baugefangenen, an den Knöcheln. Sie lächelte uns zuerst sehr freundlich an, doch als ich mich ihr nähern wollte, um sie genauer zu betrachten, entsprang sie, von einer plötzlichen Panik ergriffen, in Begleitung ihrer älteren Gefährtin, wie ein Reh durch den Mimosenwald nach den entfernten kahlen Felsbergen. Ich nahm mit meinem Dragoman dieselbe Richtung und erstieg die Höhen, konnte aber der beiden Mädchen nicht mehr ansichtig werden; wogegen mich auf dem Gipfel eine weite Aussicht über hügeliges Land hin überraschte, in dessen Tälern mehrere grüne Oasen verstreut waren. Doch bemerkten wir nirgends Spuren von Wohnungen. Zu Burkhards Zeiten war dieser ganze von den Hassanjeh-Arabern bewohnte Teil der Wüste noch sehr unsicher, seit der neuen Herrschaft hat man nicht das mindeste zu befürchten und mag hier so unbesorgt reisen wie in Ägypten. Als wir zurückkehrten, fanden wir den Sklaven des Doktors heftig an einem Sonnenstich erkrankt. Man mußte ihn mehreremal zur Ader lassen, und obgleich bald danach einige Besserung eintrat, so erlangte der Knabe doch während der ganzen Reise nie ganz seine vorige Gesundheit wieder.
Beim nächsten Marsch ward die Karawane nach alter Weise vorausgeschickt, und wir folgten ihr um zwei Uhr in der Nacht. Die Distanz war ungefähr dieselbe wie gestern, und auch der Charakter der Gegend blieb sich gleich. Doch hatten wir eine Art Abenteuer unterwegs. Es war ziemlich dunkel, und wir mußten uns eng zusammenhalten, um nicht vom Wege abzukommen, als wir, durch ein vertrocknetes Gebüsch reitend, plötzlich mitten unter uns eine ganz unheimliche und wie verzaubert aussehende Gestalt gewahrten. Es war ein uralter Schwarzer mit langem weißen Bart, welcher ganz nackt, aber mit einem großen graden Ritterschwert bewaffnet, das er durch einen Riemen an der Schulter befestigt, nicht an der Seite, sondern über dem Rücken hängend trug. Er ritt auf einem schnellfüßigen Eselzwerge, der nicht über zwei Fuß hoch war, so daß der ansehnlich gewachsene Mann die Knie hoch über den Sattel erheben mußte, um darauf sitzen zu können, ohne mit den Füßen die Erde zu berühren. So trabte er dicht neben meinem hohen Dromedare her, unter dessen Bauch er füglich hätte hindurchschlüpfen können, ohne anzustoßen. Wir betrachteten ihn alle sehr verwundert, während er nicht die geringste Notiz von uns zu nehmen schien. Endlich rief er unserem Führer – der gewöhnlich etwas vorausreitet, um uns die wahrlich nicht leicht aufzufindende Direktion ohne Weg und Steg durch die so wenig Kennzeichen darbietende Wüste anzuzeigen – einige mit der den Negern eigentümlichen Art gellend ausgestoßene Worte zu; doch dieser, welcher noch mehr Scheu als wir vor dem fremdartigen Wesen zu hegen schien, ritt nur um so schneller vorwärts, ohne die Anrede zu beantworten. Der Alte lachte murmelnd in seinen Bart hinein, und ehe wir es uns versahen, war er, wie er gekommen, auch ebenso schnell hinter den Bäumen wieder verschwunden, gleich einem Gespenst der Nacht. Trotz aller unsrer Bemühungen konnten wir von dem Führer keine recht genügende Auskunft über das Vorgefallene erhalten. Doch bin ich überzeugt, daß er irgendeinen Aberglauben mit der Erscheinung dieses Mannes in Verbindung brachte, denn er war sichtlich betroffen und sprach nachher viel von einem übelwollenden Geiste, der im schwarzen Gebirge wohne, den alle Welt unter dem Namen «des Alten vom Berge» kenne, und dessen Erblickung unter den verschiedenen Formen, die er annähme, meist Unheil bedeute. Doch wollte er es niemals gradezu aussprechen, daß, was wir gesehen, dieser Geist gewesen sei. Die Wilden haben also, wie es scheint, auch ihren tropischen Rübezahl.
Wir rasteten abermals in einem mit laublosen Mimosen angefüllten Tale. Diese blätterlosen, völlig abgestorben aussehenden Bäume schienen den Winterschlaf der unsrigen hier nicht während der Kälte, sondern während der größten Hitze abzuhalten, nach der Regenzeit sollen sie alle wieder im hellsten Grün erglänzen. Der größte Teil davon gehört einer besondern Varietät an, die man hier Samra nennt. Die Hitze hatten wir in der Nacht fast ebenso drückend als am Tage gefunden, weil kein Lüftchen mehr wehte, während am Tage, besonders um die Mittagszeit, der Wind in oft unangenehmen Stößen und fortwährend umspringend, fast aus allen Abteilungen der Windrose blies. Nicht sehr ermüdet, belustigten wir uns nachmittags lange mit der Jagd, die jedoch nur auf Turteltauben und Wüstenrebhühner stattfindet. Die großen schwarzen und weißen Geier pflegten ganz ohne Scheu vor unsern Gewehren jedesmal, wenn ein Schuß fiel, eilig herbeizukommen, um die Vögel, welche etwa in einem Baum hängenblieben oder angeschossen sich zu retten suchten, schnell für sich selbst einzufangen. Ja, sie zeigten sogar manchmal Lust, dem Jäger seine Beute streitig zu machen, und es war lächerlich anzusehen, wenn einer der letzteren zu Knüppeln und Steinen seine Zuflucht nehmen mußte, um ihrer loszuwerden. Einige sehr hübsch gefiederte Singvögel belebten außerdem häufig die dürren Gebüsche, und nicht selten hörten wir, bei Tag wie bei Nacht, der Schakale heiseres Gebell, ohne jedoch einen derselben erlegen zu können. Von reißenden Tieren fanden wir keine Spur.
Am folgenden Tage erreichte plötzlich die Hitze einen fast unleidlichen Grad. Das Thermometer zeigte um zwei Uhr nachmittags in meinem Zelte, wo freilich die Reverberation der Sonnenstrahlen die Glut noch intenser macht, am schattigsten Orte desselben 39 Grad Reaumur und auf den Sand in die Sonne gelegt 55 Grad, eine Temperatur, die sich nachher drei Tage lang um dieselbe Zeit mit wenigem Unterschiede wiederholte. Der Wind kam direkt aus Süden und glühte, statt Kühlung zu bringen, wie aus einem Ofen. Nicht nur Metall und Glas, sondern auch Papier, Seide, Leinwand, Holz usw. waren ohne Unterschied als gleich brennend heiß anzufassen. Der einzige kühle Gegenstand, den man finden konnte, war die eigne Haut, weil der Temperaturgrad der Atmosphäre fast höher stand als der des Blutes. Das Fleisch eines Schafes, das um elf Uhr vormittags geschlachtet worden war, mußte schon um sechs Uhr abends als unbrauchbar weggeworfen werden, und zwei lebend mitgenommene Schafe starben über Nacht beim Transport sowie der größte Teil der von Meravi mitgenommenen Hühner, von denen wir später bis Khartum uns leider keine mehr verschaffen konnten. Auch mein Hund war dem Verscheiden nahe und grub sich, kläglich winselnd, einen Fuß tief in die Erde. Fast unbegreiflich ist es, wie trotz dieser Höllenglut die Eingebornen ganz nackt, mit einem bloßen schmalen Gürtel angetan, hier aushalten können, den Kopf ohne allen andern Schutz als ihre langen Haare dem fürchterlichsten Sonnenbrande, die Füße ohne Sandalen dem kochend heißen Sande ausgesetzt.
Der Schauplatz unsres Biwaks war diesmal in der Nähe einiger Hütten, von den Eingebornen, welche starke Viehzucht, aber wenig Ackerbau treiben und sich fast nur von Fleisch und Milch nähren, Marua genannt. Ein großer Teil der Wüste in dieser Region ist mit Binsengras und mehreren Akazien wie Mimosenarten bedeckt, die, wie bereits erwähnt, jetzt abgestorben scheinen, aber mit der Regenzeit grün werden, welche dann außer dieser Vegetation auch noch viele andere Futterkräuter hervorruft, von denen jetzt keine Spur mehr existiert. In diesem Zustande erhält sich die Vegetation vom Juli bis April. Während dieser Zeit ist Überfluß an Nahrung für die Tiere zu finden, der ohne alle Mühe erlangt wird. Dann aber – denn April, Mai und Juni sind hier die heißesten Monate – beginnt schnell das Vertrocknen aller Pflanzen, und in dieser Jahreszeit muß sich das Vieh mit gedörrtem Binsenstroh und trocknen Baumzweigen begnügen, wozu gelegentlich etwas dürre Körner kommen. Doch kann hiervon nur zu wenig gebaut werden, um irgend darauf zu rechnen. Auch war alles Vieh, was uns in dieser Oase zu Gesicht kam, durchgängig spindeldürr und von der elendesten Beschaffenheit. Wir lagerten etwa hundert Schritte vom Dörfchen in einer weiten, rings von Bergzügen umschlossenen Fläche, dicht am Fuß eines isoliert aus ihr emporsteigenden Felsens. Ich bestieg diesen abends um der Aussicht willen und fand, daß seine von Sonnenbrand und Regen schwarz gefärbten Massen aus dem schönsten steinkörnigen Marmor bestanden. Wenn man Stücke davon abschlug, zeigte er sich von blendender Weiße, an manchen Orten auch rot, an andern schwarz geädert. Von dem Gipfel dieses Felsens, der an 100 Fuß Höhe haben mochte, bemerkte man deutlich mehrere weithin durch die Baumgruppen geschlängelte, zum Teil sehr beträchtliche Flußbetten, wo sich in der Regenzeit das Wasser sammelt und dann, in großer Fülle hinströmend, die Wüste hier in eine gartenähnliche Landschaft umwandeln muß.
Kurz nach Sonnenuntergang sprang der Wind nach Norden um und ward in wenigen Minuten zu einem Orkan, der unsere Zelte widerstandslos niederriß, weil bereits alle Stricke durch die Hitze morsch geworden waren. Überhaupt gehen fast alle unsere Effekten nach und nach hier zugrunde, besonders was von Holz ist. Kein Koffer und keine Kiste will mehr zusammenhalten, selbst meine englische Schatulle von der besten Arbeit ist so auseinandergewichen, daß ich mein Geld in einer Serviette transportieren muß.
Am 14. Mai
Dem gestrigen Sturme war bald wieder eine totale Windstille gefolgt und die Nacht ohne Tau und Luftzug von der gewöhnlichen Ofentemperatur. Einer unsrer Dromedare versagte während des Marsches den Dienst, legte sich nieder, und nichts konnte ihn mehr zum Aufstehen bewegen. Es war ein sehr glücklicher Zufall, daß fast in demselben Augenblick zwei Reisende auf guten Kamelen uns entgegenkamen, von denen unser Kawaß sogleich das eine – denn Not kennt kein Gebot – mit Gewalt, wenngleich gegen Bezahlung, requirierte. Ohnedem weiß ich nicht, wie wir fortgekommen wären, da das krank gewordene Tier grade das des Führers und mit allen unsern notwendigsten Sachen bepackt war. Es ward sorglos von den Arabern an dem Fleck, wo es sich niedergelegt, zurückgelassen, in der Überzeugung, daß es schon selbst auf irgendeine Art für sich Sorge zu tragen wisse und auf dem Rückweg auch dort wiederzufinden sein werde.Dies geschah auch wirklich, wie ich bei meiner Rückkehr vernahm. Die Gegenden, welche wir heute beim funkelnden Schein der Sterne durchritten, boten fast nirgends mehr einen öden, vielmehr einen so heiteren und mannigfachen Anblick dar, daß man sie füglich die Wüstenschweiz von Beheda nennen könnte. Beheda ist nämlich der Name des ganzen großen Landstriches, welchen der Nil, gleich einer Halbinsel, zwischen Schendy, Debbeh und Berber umschließt. Viele Züge dunkler, gezackter Berge von 1200 bis 1500 Fuß Höhe, wo sich über und zwischen Granit und Porphyr zuweilen Urkalkstein in zerrissenen Schichten hinzieht, umschlossen fast fortwährend bebuschte Täler, in denen auch jetzt noch mehrere Bäume grünten. Einer dieser Berge, den wir übersteigen mußten, ward sogar oft für unsre Bequemlichkeit fast zu pittoresk – denn die Dromedare sind schlechte Kletterer. Wir folgten hierauf zwei Stunden lang den Windungen einer tiefen Schlucht mit hohen und steilen Wänden auf dem rauhen kiesigen Bette eines ausgetrockneten Flusses, bis uns wieder freundlichere kleine Täler umfingen, deren Boden so glatt wie Wasser geebnet ist und die auch in der Regenzeit große Seen mit anmutigen grünen Inseln bilden sollen. Der Untergrund ist überall steinig oder harter Sand, und unter den Kieseln findet man häufig schöne Onyxe und andere bunte Steine von den verschiedensten Farben. Es fehlt hier nicht an Brunnen, und obgleich ihr Wasser meistens nur lau und so von Sand geschwängert ist, daß es wie Lehmtunke aussieht, so ist es doch gesund und ohne allen unangenehmen Geschmack. Es war uns um so willkommner, da das in vielen rohen Schläuchen mitgenommene Wasser wegen des üblen Geruches in kurzer Zeit beinahe untrinkbar wird, ein böser Umstand, wenn man täglich wenigstens fünf bis sechs Flaschen Wassers braucht, um den kaum je aufhörenden Durst nur einigermaßen löschen zu können.
Es war ein höchst wilder Fleck im grandiosesten Stile, wo wir am Morgen unsere Zelte aufgeschlagen fanden, ein schwarzblauer Felsenkessel ohne die geringste Vegetation. Das aus herrlichem Porphyr und gelblichem Granit bestehende Gestein war in Massen der heterogensten Formen wie durch ein Erdbeben aufgetürmt, und viele dieser riesigen Felsstücke balancierten sich auf eine so unglaubliche Weise übereinander, daß man jeden Augenblick erwartete, eins oder das andere derselben vom Winde herabgeschleudert zu sehen. Welch ein Schatz wäre ein solcher Steinbruch in einer Gegend, wo man besseren Nutzen daraus ziehen könnte! Hier herrschte nur die tiefste Einsamkeit, ein durch nichts unterbrochenes Schweigen, selbst der nahe Brunnen schien nichts Lebendes an sich zu ziehen, bis gegen Abend doch ein Volk Rebhühner herbeikam, unter dem unser mörderisches Blei auch sogleich eine bedeutende Verwüstung anrichtete. Ich kletterte eine Stunde lang auf den Felsen umher, konnte jedoch keine entfernte Aussicht erlangen, da immer wieder höhere Berge und Felsen diejenigen umgaben, welche ich im Schweiße meines Angesichts erstiegen hatte. Der hiesige Brunnen hatte von allen bisher und nachher angetroffnen das klarste und kühlste Wasser. Der Ort ward von unserem Führer Magaga genannt; es befindet sich aber weder ein Dorf noch sonst eine Wohnung weit umher. Ein scharfer Wind, der durch die schmalen Öffnungen der Schlucht sauste, ließ uns etwas weniger von der Hitze leiden als gewöhnlich, entführte aber zum zweitenmal unsere Zelte in demselben Momente, wo sowohl der Doktor als ich, fast nackt auf unseren Betten liegend, mit dem Schreiben unsrer Tagebücher beschäftigt waren, was zwar mehrere kleine Beschädigungen verursachte, aber zugleich eine sehr komische Szene der plötzlichen Aufdeckung und darauf folgenden Verwirrung aller Art veranlaßte. Da man sich hier nichts verschaffen konnte und Vorräte sich nicht mehr halten, so hätten wir heute einen gezwungenen Fasttag feiern müssen, wenn nicht die erwähnten Rebhühner und ein halbes Dutzend Turteltauben, welche der unermüdliche Ackermann uns nach einer Stunde Abwesenheit zurückbrachte, der Not abgeholfen. Die letzteren Vögel ist man sicher, von Alexandrien bis zur südlichsten Grenze des Sudan fast täglich in beliebiger Quantität erlegen zu können, so daß man, mit einem gehörigen Vorrat von Pulver und Blei versehn, auch in der Wüste, wie sie hier beschaffen ist, ohne weitere Lebensmittel nicht zu verhungern braucht. Schwerer ist es, den Gazellen beizukommen, von denen es uns auf dieser Tour bis jetzt noch nicht glückte, einer einzigen habhaft zu werden, obgleich wir eine große Menge derselben sahen. Insekten erblickt man, außer Spinnen und Heuschrecken, in dieser Jahreszeit fast gar nicht, und ich habe, seit ich Kahira verließ, nur zwei Schmetterlinge gesehen, sie aber nicht gejagt, weil mir dies die englischen Kritiker als kindisch verwiesen haben. Doch fanden wir abends den Brunnen von einer prächtigen großen Hornissenart mit breiten schwarzen und goldgelben Ringen reichlich umschwärmt, deren eine ich meiner Insektensammlung einzuverleiben mich unterstand.
Als eine wohltätige Notiz für die Reisenden will ich hier folgendes einschalten. Es ist wesentlich, seine Leute für die Aufschlagung der Zelte an stets zweckmäßigen Orten gut zu dressieren. Diese letzteren müssen zwar immer möglichst im Schatten, aber noch nötiger im Luftzuge aufgestellt werden, wobei die sich gegenüberstehenden Öffnungen des Zeltes schräg gegen den Wind zu richten sind, damit der Luftzug erhalten werde, ohne doch in grader Richtung den Staub hineinzujagen. Bei zu großer Hitze tut man am besten, die Seitenwände ganz wegzunehmen und nur das Dach als Sonnenschirm ausgespannt zu lassen. Die Decke des Zeltes muß stets da, wo die Sonnen eben darauf scheint, mit dicken Strohmatten belegt, und diese, wenn Wasser genug da ist, fleißig begossen werden, ebenso der Boden um das Zelt. Diese Kleinigkeiten, wenn man sie gut beobachtet, werden gewiß einen Unterschied von 8 bis 10 Grad in der innern Temperatur hervorbringen, was auch unter den ungünstigsten Umständen doch einigermaßen soulagiert. Hinsichtlich der Kleidung habe ich bei der häufigen schnellen Abwechslung von Hitze und Kälte helle und weite Halbtuch- oder Kaschmirkleider und außerdem eine feine Flanellweste auf dem bloßen Leibe zu tragen am zweckmäßigsten und einem zu leichten Leinwandanzug sehr vorzuziehen gefunden. Die Hauptsache aber ist, den Kopf drei- und vierfach zu bedecken, um ihn vor der Sonne zu schützen, und bei dem geringsten Frösteln, das man fühlt, muß man sogleich die wollne Burnus oder einen Tuchmantel umtun, welche beide Gegenstände daher immer bei der Hand zu halten sind, denn Verkältung hat hier jedesmal die nachteiligsten Folgen. Hinsichtlich der Diät habe ich nie ein bestimmtes System befolgt, sondern stets gegessen und getrunken, so viel oder so wenig als ich eben hatte und meine Bedürfnissen angemessen fand. Wozu ich Lust verspürte, habe ich mir nie versagt. Fleisch wie reife Früchte, Fettes und Mageres, Süßes und Saures genoß ich unbedenklich untereinander, jedoch nie im Übermaße. Bald trank ich Wein, bald süße oder saure Milch, Bier oder Branntwein (diese stärkeren Getränke aber meist mit Wasser gemischt), den dolgolesischen Bilbil, den ägyptischen Mischmasch aus Aprikosen, Mandelmilch (die, beiläufig gesagt, wenn man sich weder Milch noch Eier mehr verschaffen kann, ein vortreffliches Surrogat dafür beim Kaffee oder Tee abgibt), gewöhnliche Limonade oder «limonade gazeuse», künstliches Sodawasser mit englischen Pulvern bereitet oder Sorbet aus Melonenkernen usw., ganz nach Laune und Tunlichkeit, ohne je Nachteil davon zu verspüren. Nur die Vorsicht gebrauchte ich, faules Wasser vor dem Gebrauche stets abkochen zu lassen und mich vor kaltem Trinken nach einer innern Erhitzung wohl zu hüten; ferner überhaupt nie mehr zu essen und zu trinken, als Hunger oder Durst erforderten, doch auch nicht weniger. Vor nichts aber hat man sich in diesen Klimaten mehr in acht zu nehmen, als vor unnötigem Medizinieren, denn mehr als einen habe ich hier durch die bei uns unbedeutendsten, als Präservativ oder gegen nur leichte Unpäßlichkeit angewandten Mittel seine Gesundheit, ja sein Leben verlieren sehen. Ich selbst war so glücklich, bei der angeführten Lebensweise allen Folgen des Klimas und der «aria cattiva» in den den Europäern nachteiligsten Ländern und oft von Epidemien umgeben, stets ohne Fieber noch andere Krankheiten zu entgehen – denn Migräne und ein kurzes Übelbefinden darf ich dahin nicht rechnen. Die einzige Ausnahme hiervon machte eine gefährliche Dissenterie, die ich mir später während der Regenzeit im Sennar ganz allein durch das unnütze Nehmen einer Dosis «Seydlitz powder» zuzog und unglücklicherweise damals keinen Wein mehr hatte, um dem schädlichen Einflusse der Medizin wieder entgegenzuarbeiten. Denn dem Wein räume ich, wie man schon weiß, in heißen Ländern die größte hygienische Kraft ein, doch immer nur insofern man selbst Neigung zu seinem Genuß fühlt und vielleicht auch früher daran gewöhnt gewesen ist. Mein Hauptprinzip blieb immer: dem Impuls der Natur zu folgen, und die Lehre: in jedem Lande sich nach der Lebensart der Eingebornen zu richten – als höchst perniziös und abgeschmackt zu betrachten, wenn man sie nicht wenigstens, sowohl dem ersten Grundsatze als auch der Rücksicht auf lange Gewohnheit gänzlich unterordnet. So verlangte es wenigstens meine Konstitution, und jeder ihr gleichenden werden meine Ratschläge gewiß wohlbekommen. Ebenso glaube ich auch, daß, wer sich sorgfältig vor Erkältung hütet, möglichst frische und gesunde Nahrung genießt und seine Augen häufig mit frischem Wasser wäscht, gewiß keine Ophtalmie in Ägypten zu befürchten hat, und schreibe die tödlichen Fieber während der Regenzeit im tropischen Klima immer nur Verkältung und deren Wirkung auf den Magen oder dem Genuß giftiger Insekten in faulem Wasser zu. Wie ganz sorglos aber grade die Einwohner dieser Länder, welche man nachahmen soll, gegen beides sind, hatten wir täglich Gelegenheit zu beobachten. Auch werden sie, so gut als die Europäer, fortwährend die Opfer davon.
So wie der Mond über den Felsenspitzen sichtbar ward, setzten wir unsere Reise fort, marschierten vier Stunden lang über eine weite Plaine und benutzten dann die Zeit zwischen Mondesuntergang bis Sonnenaufgang zu einigen Stunden Schlafes.
Wir hatten nach diesem Ruhepunkt erst eine geringe Strecke von neuem in der Morgenkühle zurückgelegt, als wir mit Verwunderung die Kamele unsrer Karawane, die nach unsrer Rechnung schon auf der Station angekommen sein sollten, in der Ferne über einen weiten Raum zerstreut vor uns erblickten.
Bald darauf sahen wir im Sande mehrere einzelne Lagerspuren derselben und daneben Scherben von Glaslaternen und Flaschen, zerbrochenes Porzellan, einzelne Kistenbretter usw., die uns das Übelste prophezeiten, was leider auch bald die vollständigste Bestätigung erhielt.
Kurz vor Mitternacht hatten die Karawanenführer neben einer Viehherde naher Dorfbewohner angehalten, um etwas zu rasten und sich mit Milch zu erfrischen, als die Herde von einem Löwen, den man uns als von ungeheurer Größe schilderte, attackiert wurde. Glücklicherweise zog das Raubtier einen fetten Esel und eine Kuh der Araber – wovon er den ersten mit hinwegnahm und die zweite nur zerriß – unsern Kamelen vor, doch diese rannten nun in rasender Furcht davon, viele warfen ihr Gepäck zur Erde, andere stürzten, und es dauerte mehrere Stunden, ehe man sie sämtlich wieder eingefangen, die zerstreuten Kisten und Säcke sammeln, das Zerbrochne notdürftig zusammenbinden und das einzeln auf dem Boden Liegende von neuem einpacken konnte. Unser Verlust an den nötigsten Dingen wie an vielen andern, die uns der Luxus fast zu gleich nötigen gemacht, war höchst empfindlich, selbst mehrere der Wassersäcke, die wir mit dem Inhalt des letzten Brunnens frisch gefüllt hatten, waren zerplatzt und fast unser ganzer, so sorgsam geschonter Vorrat an Wein, Likören, Öl, Essig usw. hatte nutzlos den Wüstensand getränkt. Der Leser mag in seiner behaglichen Ruhe über eine solche Begebenheit nur lächeln, für uns war es beim Himmel eine tragische Szene, welche hier so unerwartet die Strahlen der tropischen Sonne beleuchteten, während wir aus den nahen Bergen noch das Gebrüll des Ungeheuers zu vernehmen glaubten, das uns diesen bösen Streich gespielt hatte.