Hermann Fürst von Pückler-Muskau
Aus Mehemed Alis Reich
Hermann Fürst von Pückler-Muskau

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Die Pilger nach Mekka. Die Gräber der Kalifen

Am andern Morgen weckten mich die Kanonenschüsse, welche die Abreise der Hadschis der großen Karawane nach Mekka verkündeten.

Mein dem Leser schon aus Alexandria bekannter junger Freund, der französische Konsul Lesseps, ein Pariser Elegant in der Wüste, holte mich auf seinem tunesischen Renner ab, und wir eilten bei Desaix umgeworfenem Monumente und dem prächtigen Throne des Sieges (Bab-el-Nasr) vorüber, einen freien Platz zu gewinnen, bei dem die Prozession vorbeikommen mußte. Einige Regimenter stehen jetzt dort in Zeltlagern, täglich manövrierend, heute aber fanden wir sie, dem heiligen Teppich zu Ehren, mit der irregulären Kavallerie auf beiden Seiten der Straße Spalier bildend. In der Nähe dieser plazierten wir uns auf einer Anhöhe. Schon nahte der Zug. Voran ein Detachement Kavallerie, die Offiziere in ihrer Staatsuniform, in Rot und Gold gekleidet. Dann mehrere einzelne, mit bunten Bändern geschmückte Kamele, auf deren einem ein ganz nackter, sehr schmutziger Heiliger (Santon) saß. Hierauf, gleichfalls von Kavallerie umgeben, erschien eine Art reich gestickter Sänfte mit gleichem Baldachin, alles von grüner Farbe, welche den Teppich enthielt, den der Sultan alljährlich der heiligen Kaaba verehrt. Andere geschmückte Kamele folgten und noch einige Reiterei, der sich die lange Reihe der Hadschis anschloß. Das Gros der Karawane versammelt sich jedoch erst eine Station weiter in der Wüste, wo ein mehrtägiger Halt gemacht wird, bis alles vereinigt und geordnet ist. Eine große Menge Volkes umgab die Prozession mit lautem Geschrei, und viele schossen als Freudenbezeigung ihre Gewehre, zum Teil dicht neben uns, ab. Noch vor wenigen Jahren würden Christen in ihrer europäischen Tracht großer Gefahr ausgesetzt gewesen sein, diesem Schauspiel beizuwohnen; jetzt schien man uns kaum zu bemerken, und nicht einmal eine feindliche Miene drohte uns. Im Gegenteil wich man stets ehrerbietig vor meinem Kawaß zurück, wo er uns Platz zu machen für gut fand, und einige nackte muhamedanische Ringer von athletischem Körperbau baten während der Zeremonie sogar um die Vergünstigung, uns Ungläubigen en passant eine Vorstellung ihrer Künste zu geben, die ich jedoch erbärmlich fand, da sich alles auf bloße Demonstrationen beschränkte und ein wirklicher Wettkampf unter ihnen nie stattfand.

Nachdem der kleine seidne Tempel mit dem heiligen Teppich, der hier die Nacht zubringen sollte, niedergelassen und mit einem dichten Schwarm Kavallerie umzingelt worden war, um jeden profanen Blick abzuhalten, ritten wir eine halbe Stunde weiter, den imposanten, leider nun schon halb verfallenen Grabmälern der Kalifen zu, die dem Architekten fast unerschöpfliche Modelle der mannigfachsten, ebenso geschmackvollen als originellen Zierraten altarabischer Baukunst darbieten und wiederum deutlich zeigten, daß dieser Baustil mit dem gotischen auf das innigste verwandt, ja beide oft sich fast gleich sind. Mitten im Sand der Wüste gelegen und in so tödlich einsamem Kontrast mit dem Gewühl der nahen Hauptstadt, machten diese verhältnismäßig modernen Ruinen, diese Menge von Palästen hingeschiedener Größe in verwitternder Kunst und Pracht, einen viel wehmütigeren Eindruck auf mich als die uns schon so viel weiter entrückten Totenstädte der alten Ägypter. Der erste Dom, in den wir traten, war das Grab des von den arabischen Dichtern hochgefeierten Helden Melek-el-Adhel, der auch Chateaubriand den Stoff zu einer seiner lieblichen Dichtungen lieferte. Die Arabeskenmalerei und zierlichen Schriftzeichen dieses Monuments werden als die vollendetsten ihrer Art in Kahira angesehen. Die Kuppel ist kühn, leicht und luftig, von imposanter Wirkung, noch voll Farbenglanz und Vergoldung, doch da das Ganze an vielen Orten gewaltsam beschädigt wurde, droht ohne schleunige Reparatur, die von den Türken nie zu erwarten ist, diesem schönen Mausoleum der baldige Einsturz. Eins der großartigsten und prachtvollsten Gräber, von dem ein Teil wahrscheinlich zugleich als Palast gedient haben muß, ist das eines Kalifen der ersten Dynastie und seiner Gemahlin, deren Namen mir entfallen sind. Es bildet ein Viereck mit zwei hohen Türmen und zwei Kuppeln, einen ansehnlichen Hof umschließend, in dessen Mitte sich eine Fontäne befindet. Unter den beiden Kuppeln, die sich an den Endpunkten eines weiten Saales erheben, liegt das Herrscherpaar begraben. Mit bunten Marmorarten ausgelegte Wände und bewunderungswürdig gearbeitete, transparente Metall- und Holzgitter schmücken diese Räume. Auch der Saal ist von edlen Verhältnissen, und seine zierliche Steinkanzel würde die schönste unserer Kathedralen würdig schmücken. Alles stand hier offen, jeder Verheerung preisgegeben, ohne Schutz, langsam selbst mit den Körpern vermodernd, die es birgt. Wir bestiegen der Aussicht wegen einen der Türme auf der entgegengesetzten nach der Stadt gewandten Seite, obgleich in den zum Teil außerhalb angebrachten Treppen mehrere Stufen und an vielen Stellen die Geländer fehlten. Kaum waren wir im ersten Stocke angelangt, als uns ein starker Ambrageruch entgegenduftete und gleich darauf, wie eine Erscheinung, ein hübsches Mädchen aus einer niedrigen Seitentür heraustrat, die, auf das Bunteste geschmückt, sich tief verbeugte und demütig einen Bakschis (kleines Geschenk) für sich erbat. Wir waren anfänglich nicht wenig erstaunt über diese so unerwartete Begegnung, doch das Rätsel löste sich bald: Zwei der aus Kahira durch das harte Gesetz Mehemed Alis kürzlich vertriebenen Hetären hatten sich hier einquartiert, um unter dem Schutz verlassener Gräber ihr, diesem Lokal so heterogenes Geschäft verstohlen und ungestört fortsetzen zu können! Die armen Kinder, eine Schwarze und eine Weiße, erregten unser Mitleid zu sehr, um nicht – und diesmal wenigstens in aller Unschuld – eine reiche Ernte zu machen.


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