Hermann Fürst von Pückler-Muskau
Aus Mehemed Alis Reich
Hermann Fürst von Pückler-Muskau

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Genötigt, jetzt bei der Karawane zu verbleiben, deren Schneckenschritt weit mehr als das rascheste Reiten ermüdet, erreichten wir erst gegen elf Uhr während der beschwerlichsten Hitze das Felsental von Jackdull. Herr Rüppel, der es, wie schon erwähnt, mit seiner gewöhnlichen Namensverdrehung «Gekdud» nennt, plaziert es auf seiner Karte mehr als einen Tagesmarsch zu weit westlich, was ich in mehreren späteren Karten genau ebenso kopiert finde. So erbt sich auch der Irrtum «wie eine ew'ge Krankheit fort», und es ist Pflicht, ihn zu berichtigen, selbst für den Ungelehrten, der doch an Ort und Stelle durch den Augenschein oft der Gelehrte wird. Herr Rüppel, der, glaube ich, nicht selbst hier war, spricht ferner von einem tiefen See in der Mitte des Tales. Dies müßte in der Regenzeit gewesen sein. Jetzt befand sich nur am Ende desselben eine sehr merkwürdige Grotte, die zu jeder Zeit mit Wasser von beträchtlicher Tiefe angefüllt ist. Wir fanden dies Wasser von lauer Temperatur und seine Oberfläche ganz mit grünem Schlamm bedeckt. Der sich darüber wölbende Teil der Grotte ist prachtvoll und zugleich eine wahre Naturmerkwürdigkeit zu nennen, da die untere Hälfte des Gewölbes bis zur Mitte aus Porphyr und die obere, wie abgeschnitten und genau darüber gefügt, aus Granit besteht. Man sieht, daß in den dunkleren Teilen der Höhle noch andere engere Vertiefungen in das Innere des Felsens führen, die sich weit hinein erstrecken sollen. Dieser Felsen, der einige hundert Fuß hoch ist, bildet auch auf seinem durchlöcherten Gipfel verschiedene natürliche Zisternen, die uns vortreffliches Trinkwasser lieferten, und mehrere Spuren an der Grotte selbst zeigten, daß in der Regenzeit ein ansehnlicher Wasserfall sich in sie ergießen muß, durch das Überschwellen der obern Zisternen veranlaßt, deren Inhalt sich dann am Boden der Grotte in solcher Tiefe sammelt, daß er nie mehr austrocknen kann. Das Tal selbst, rings von Felsen umgeben, ist jetzt ohne Spur eines Wasserbehälters und mit Steinen von verschiedner Größe übersät, zwischen denen viele Bäume stehen, die noch jetzt ihr volles Laub beibehalten hatten, was es für uns zu einem doppelt angenehmen Lagerplatze machte. Außer mehreren ansehnlichen Exemplaren der hier so häufigen Akazien- und Mimosengattungen bemerkte ich auch in großer Anzahl eine ganz verschiedene Art der letzteren, deren zierliche Gestalt, als sei sie von einem altfranzösischen Gärtner zugeschnitten, vollständig die Form eines ausgeschweiften Kelchglases mit dünnem Fuße darstellte. Außerdem fand sich eine schöne Prunusart vor, die unserem wilden Apfelbaume glich und die wir auch schon früher einigemale in der Wüste angetroffen hatten. Nach dem erlittenen Desaster fanden wir es für gut, noch einen Tag länger hier zu verweilen, und erfreuten uns während desselben einer nebligen Witterung, wo die Sonne den größten Teil des Tages über nicht in roter, sondern blaßblauer Farbe und ohne Strahlen zu werfen am Himmel sichtbar blieb. Ein sanfter Ostwind wehte dazu, der die angenehme Kühle von 24 Grad Reaumur herbeiführte. Dies stählte unsre Nerven und gab neue Kräfte zur Ertragung fernerer Strapazen. Gegen Abend langten mehrere Reisende aus Khartum mit ihrem Gefolge sowie eine Kamel- und eine Rindviehherde aus dem Sennar an, um von dem Wasser der Grotte ihren Teil zu nehmen. Einige der Zugochsen dieser Herde waren von der größten Schönheit, besonders zeichnete sich einer derselben, von kohlschwarzer Farbe mit weißer Schweifspitze, aus, der mir das wahre Modell eines göttlichen Apis der Vorzeit verbildlichte. Außerdem kamen auch regelmäßig früh und abends alle Herden der Umgegend zum Tränken nach dem Tale, so daß es unsrem Lager nicht an mannigfacher Belebung fehlte. Ich hatte meine Residenz in einer kleinen Höhle aufgeschlagen, die sich in halber Höhe des Felsenkranzes befand, welcher das Tal umgibt und von wo ich wie aus einer Theaterloge die wechselnden Bilder unsers Biwaks mit einemmal übersehen konnte, ein ganz eignes Schauspiel in der seltsamsten Beleuchtung einer himmelblauen Sonne und phantastisch darüberrollender Nebel. Mir gegenüber vertiefte sich bis in undurchdringliche Nacht die mystische Grotte, an deren grasgrünem Wasserbecken ein großes Feuer empor loderte; unter mir überschaute ich das ganze Steintal mit seinen eleganten Bechermimosen, zwischen denen alle die verschiedenen hier anwesenden Tiere, Pferde, Kamele, Esel, Rindvieh, Ziegen und Schafe umherwandelten oder im Schatten ausgestreckt lagen. Abwechselnd ward ich neben ihnen bald eines nackten Negers oder eines Arabers in seinem weißen Gewande gewahr, die mit Verwunderung die Ameisentätigkeit unserer Europäer betrachten mochten, von denen der eine eben sich bemühte, einen der großen Adler zu schießen, welche auf den hiesigen Felsen horsten und viel scheuer als die Geier sind, der andere sans façon eine der reisenden Kühe aus dem Sennar einfing, um sie zu unsrem Tee zu melken, ein dritter von Kessel zu Kessel schritt, um, den Kochlöffel gleich einem Szepter in der Hand schwingend, seinen wichtigen Funktionen obzuliegen, und der vierte endlich im grün und gelb vegetierenden Pfuhle der Grotte umherschwamm, deren kühlendes obgleich schmutziges Bad er unter dem Schutz ihrer unsichtbaren Nymphen allem übrigen vorzog.

Da wir noch einen Marsch von zwölf deutschen Meilen bis zum nächsten Brunnen zu machen hatten und daher die Distanz lieber mit abwechselnden kurzen Ruhepausen auf einmal zurücklegen wollten, als einen ganzen Tag lang ohne Wasser unterwegs zu lagern (denn der größte Teil unserer Schläuche war durch die traurige Avantüre mit dem Löwen zum ferneren Wasserhalten untauglich geworden), so verließen wir Jackdull am 16ten schon um fünf Uhr nachmittags und ritten dann in einem Strich sechs Meilen weit durch eine endlose Ebene, die nur hie und da wenige vertrocknete Bäume und Binsen aufwies. Als die Nacht einbrach, stand des Mondes Sichel schon hell am Himmel, und unsre beiden schwarzen Führer begrüßten ihn durch einen recht wohlklingenden Gesang, der mir besonders dadurch auffiel, daß dies die ersten afrikanischen Sänger waren, welche ich nicht durch die Nase, sondern wie Europäer mit voller Bruststimme singen hörte. Die Melodie war heiter, ich möchte sagen tändelnd, und nicht ohne Anmut. Es wird zum Behuf eines anschaulichen Lokalbildes dienen, diese beiden Eingebornen hier mit wenigen Zügen zu schildern. Der älteste von beiden war ein gedrungen gebauter, kleiner Mann von ungefähr 35 Jahren, der uns schon von Meravi an begleitet und von uns wegen seiner furienartigen Coiffure den Namen «des Waldteufels» erhalten hatte. Dickes pechschwarzes Haar, das er ohne alle weitere Kopfbedeckung trägt, hängt ihm von allen Seiten bis über die Schultern wie Schlangen herab und vermischt sich mit einem gleich üppigen und gleich schwarzen Barte, der auch nicht viel weniger lang ist. Schlohweiße große Zähne, die fast immer sichtbar bleiben, und brennende kleine Augen schauen aus dem runden Gesicht hervor, das in seiner Ungewaschenheit die Farbe eines von Ruß geschwärzten alten kupfernen Kessels hat. Brust und Schulterblätter sind so hervorstehend und so fleischig, daß sie auf die seltsamste Weise, vorn wie auf dem Rücken, die wiederholte Form eines weiblichen Busens präsentieren; die Beine dagegen mit den dicken Knien sind äußerst mager und fast ohne Waden, ein Fehler, der bei den Arabern häufig, bei den Barabras, Dongolesen und den hiesigen Einwohnern aber fast allgemein ist. Füße und Hände zeigen sich wohlgeformt, wie es ebenfalls bei den meisten der Eingebornen stattfindet. In jeder Backe sind unsrem Freunde fünf tiefe, parallel laufende Linien eingebrannt, was teils als Zierde, teils als Präservativ gegen Krankheiten dienen soll. Zu diesem letzteren Zwecke trägt er auch noch am rechten Arme ein Bracelet von Leder mit einer Kapsel aus gleichem Stoff, die ein geschriebenes Amulett verschließt. Am linken Arme bildet den Pendant zu diesem Schmuck ein messerartiger Dolch, und über der Schulter hängt, so wie wir ein Jagdgewehr tragen, an einem kurzen, breiten Riemen ein Schwert mit eisernem Kreuzesgriff. Man versicherte mir in Khartum, daß diese hier sehr allgemeinen Waffen in Holland verfertigt würden und einen bedeutenden Handelsartikel für die hiesigen Länder ausmachen. Die europäische Arbeit war wenigstens nicht daran zu verkennen. Außer einem kleinen Leinwandschurz um die Lenden geht unser Original, gleich seinen Landsleuten, völlig nackt, und nur höchst selten schnallt er sich dünne Ledersandalen an oder schlägt ein Tuch um den Kopf. Dafür sind Körper und Haare mit Fett fortwährend wohl eingeschmiert, und er ermangelt nie, nach der Mahlzeit der Diener, an der er sonst nur wenig teilnimmt, den Rest des Fettes oder der Butter, welcher in der Schüssel zurückbleibt, sorgsam auszukratzen, um ihn als kostbare Salbe für sich zu benutzen. So ekelhaft uns dies erscheinen mag, so befriedigend ist doch das Resultat, denn es hält die Insekten gänzlich ab und gibt der Haut des Körpers die größte Schönheit. Ich sah nie in Europa eine Frau, deren Haut am ganzen Körper einen so wundervollen matten Glanz, eine solche fleckenlose Ebenheit und eine solche Samtweiche gehabt hätte, als hier fast allgemein bei Männern und Weibern angetroffen wird. Dazu gestehe ich, daß mir die rötlich schwarzbraunen Nuancen von allen Menschenfarben als die schönsten erscheinen, weiß dagegen mir jetzt immer wie krankhaft vorkommt, das Negerschwarz aber wie verbrannt. Wenn die Sonne auf den Nacken eines Individuums von jener gerühmten Farbe scheint, so glaubt man einen dunklen Seidenflor über Goldplatten ausgebreitet zu sehen, und Atlas wie Samt fassen sich hart dagegen an. Ich für meine Person zweifle daher auch nicht – da die Bibel sich nicht deutlich darüber ausspricht –, daß Adam im Paradiese diese Hautfarbe als die normale besessen haben müsse, und seitdem erst seine nordischen Kinder von Kälte, Kummer, Not und zu vielem Nachdenken blaß geworden, die südlichen aber von der glühenden Sonne wie im Ofen schwarz gebeizt worden sind. Des Habib-Allah (dieser Name ist wörtlich unser deutsches «Gottlieb») Fassungskraft war weit schwächer als sein Körper und seine Seele wahrscheinlich auch weniger schön als seine Haut. Oft war es schwer, nicht ungeduldig über sein Benehmen zu werden. So ist es eine zwar im Grunde unnütze, aber bei einer beschwerlichen langen Tour doch gewissermaßen erleichternde Sache (ohngefähr so wie das Schreien beim Schmerz) zu fragen: ob man noch weit bis zum Ziele habe, ob die Hälfte, das Drittel des Weges zurückgelegt sei; wieviel Stunden noch durchritten werden müßten usw. Alle diese Fragen konnten Habib-Allah nie verständlich gemacht werden, und seine Antworten blieben immer ganz unbefriedigend, weil er unter «weit» nur das zu verstehen fähig war, was eine ganze Tagesreise oder darüber umfaßte; unter «nahe», was keine ganze Tagesreise betrug, eine Sonderung des Weges aber in verschiedene kleinere Abteilungen oder gar eine Berechnung nach Stunden durchaus nicht zu begreifen vermochte. Frug man ihn, auf entfernte Berge oder einen andern Gegenstand hinweisend: Liegt der Ort, nach dem wir gehen, vor oder hinter diesem Berge? – so konnte man keine andere Antwort von ihm erhalten als: «Der Ort, wo wir hingehen, liegt vor und nicht hinter uns.» Übrigens war er stets guter Laune und alles ihm recht. Indolenz und Heiterkeit scheinen wahrlich die Grundzüge des Charakters aller seiner Landsleute zu sein. Gutmütig und dienstfertig, mit scharfen Sinnen begabt, fast ohne Bedürfnisse und gegen alles abgehärtet gleich den Tieren, mit der kleinsten Gabe begnügt und die geringste Gunst des Schicksals als ein Glück ansehend, scheinen sie völlig zufrieden zu leben, ja sie genießen vielleicht so die einzig mögliche, wahre Freiheit. Denn nur wer für sich selbst nichts und folglich auch keinen andern braucht, mag sich mit Recht frei nennen – welche Galeerensklaven aber sind wir unglückseligen Europäer in dieser Hinsicht!

Wir spürten es in den letzten Tagen dieser Wüstenreise, wo wir sämtlich auf etwas Reis ohne Zutat und verfaultes Wasser reduziert blieben, was uns Herren niedergeschlagen und mißmutig, alle unsere europäischen Diener aber widerspenstig und nachlässig machte, während diese glücklichen Menschen von alledem gar nichts bemerkten, da jede Temperatur ihnen gleichgültig, jedes Wasser ihnen recht und ein bißchen angefeuchtetes Mehl zur Nahrung schon ganz hinlänglich war. Habib-Allahs guter Humor ward dabei oft noch so überfließend, daß er vom Kamel herabsprang und, ohne unsern Marsch aufzuhalten, in der fürchterlichsten Hitze neben den Tieren herlaufend, zugleich mit gezogenem Schwerte einen Waffentanz ausführte, dessen groteske Sprünge und linkische Körperverdrehungen auch den Verdrießlichsten zum Lachen bringen mußten. Je mehr wir aber über ihn lachten, desto zufriedner und geschmeichelter fühlte er sich selbst.

Unser zweiter Führer, den wir erst von Magaga aus angenommen hatten, war von etwas verschiednem Schlage und eine Art Dandy unter seinen Landsleuten, weit aufgeweckter als Habib-Allah, obgleich nicht scharfsichtiger in intellektueller Beziehung, aber gesprächiger, noch mehr zum Scherz geneigt und besonders viel eitler. Dies zeigte sich schon in seiner Tracht, denn außer seinem weit zierlicheren Schurz, Dolch und Amulett trug er auch noch Glasperlen in vielen Farben um mehrere Teile des Körpers gewunden. Seine Haare waren wie die der Weiber in hundert Flechten gedreht und an der Mitte des Halses in gleicher Länge sehr akkurat abgeschnitten. Um diesen sorgfältigen, altägyptischen Kopfschmuck fortwährend in bester Ordnung erhalten zu können, stak immer eine starke Binse hinter seinem rechten Ohr, wie bei uns die Comptoirschreiber ihre Schreibfedern zu plazieren pflegen. Wenn er nicht sprach, so sang er, trotzdem daß er fast den ganzen Weg zu Fuß neben uns herlaufen mußte, während Habib-Allah öfters ritt und ihm nur selten auf eine halbe Stunde lang den Platz auf seinem Dromedare einräumte. Beide vertrugen sich übrigens auf das beste, obgleich Habib-Allah, wahrscheinlich als der Ältere, immer den Ton einer gewissen Superiorität gegen seinen Gefährten beibehielt.

Wir konnten erst am 17. nachts um elf Uhr den ersehnten Brunnen Abadlech erreichen, die Tiere waren fast erschöpft, und wir selbst todmüde. Man nennt bekanntlich das Kamel «das Schiff der Wüste», und ein berühmter Reisender behauptet, daß auch die Bewegung des Dromedars der eines Schiffes gleiche. Dies finde ich so unbegründet als möglich. Im langsamen Schritt desselben wird man zwar allerdings vorwärts und rückwärts geschaukelt, aber so unsanft, daß es mit der Bewegung eines Schiffes auch nicht das Mindeste gemein hat. Im Trabe aber stößt das Tier so gewaltig, daß auf langen Touren die Folge dieser anhaltenden Erschütterung bei den meisten ein permanentes Kopfweh hervorbringt, welches sich erst nach einigen Stunden Ruhe wieder verliert. Für Hypochondristen mag jedoch die Bewegung heilsam sein, denn der ganze Körper wird durchschüttelt wie ein Mehlbeutel in der Mühle. Dazu kommen noch die höchst unregelmäßig konstruierten Sättel, deren üble Wirkung auf die Sitzteile man durch alle aufgebundne Kissen und Teppiche doch nicht gänzlich aufheben kann. Auf meinem Dromedar, einem schönen Tiere, das aber fast einem Elefanten an Größe gleichkam, saß ich über dem Gerüste meiner Kissen gerade so hoch als auf dem Bocke einer englischen stage coach. Der Eigentümer wollte diesen Dromedar, welcher einer besondern Renommée in der Gegend genießt, durchaus nicht hergeben, als der Kascheff die nötigen Tiere für mich in Meravi requirieren ließ (Requisitionen, die nicht verweigert werden dürfen, die aber das Gouvernement bezahlt), bis eine Botschaft des Kascheff, welche dem Widerspenstigen lakonisch andeutete: in einer Stunde deinen Dromedar oder deine Ohren und Nase – die Wahl nicht länger zweifelhaft ließ. Man erschrecke nicht zu sehr über diese Tyrannei. Die Redensart des «Ohren- und Nasenabschneidens» ist seit Mehemed Alis Regierung hier ebensogut nur figürlich geworden als bei uns etwa die Drohung: einem das Fell über die Ohren zu ziehen. Die erste Phrase bedeutet hier nur einige Kurbatschhiebe, welche eine Sache kurz abmachen, statt deren dem armen Teufel bei uns vielleicht ein Prozeß an den Hals geworfen wird, der tausendmal länger dauert und schweres Geld kostet – beides dem Araber viel empfindlicher als seine Haut. Das Arbiträre der Requisitionsmaßregel aber selbst betreffend, so haben wir auch dabei in unsrem Vaterlande nichts voraus; denn wenn man unsern Gutsbesitzern, Pächtern und Bauern ihre Pferde gegen die schwächste Vergütigung zur Landwehrübung wegnimmt, nachdem man die Menschen schon vorher ohne diese abgeholt hat – was ich übrigens keineswegs tadeln will, da es eines sehr löblichen und gemeinnützigen Zweckes wegen geschieht –, so sehe ich doch in beiden Ländern hinsichtlich des Zwanges wenig Unterschied. Gewalt herrscht im Grunde hier wie dort, nur daß sie bei uns so methodisch organisiert ist, daß selbst der Gedanke eines Widerstandes unmöglich wird, während hier noch häufig ein solcher versucht wird und nicht selten sogar der einzelne damit ungestraft durchschlüpft. Welt ist Welt, und die Hauptsachen verändern sich überall wenig – das unbestreitbarste Recht wird immer das des Stärkeren bleiben, und ebenso wird der alte französische Zyniker Recht behalten: «Qu'il y aura toujours et partout beaucoup de fripons et encore plus de dupes.» Freilich sind die Modifikationen unzählig – und diese brillanten Variationen, welche der große Geist fortwährend auf das Thema der Menschheit komponiert, höchst wunderbar. – Hier herrscht nun noch der absolute Herr «par la grâce de Dieu et du Kurbatsch». Bei uns glauben die Leute glücklicher zu werden, wenn ein konstitutioneller Apparat in Bewegung gesetzt wird. Die Macht weiß sich aber auch dort geltend zu machen, und – wie ein schlauer Advokat den dummen Bauer mystifiziert – wird auf diesem Wege oft eine Nation ganz leicht dahingebracht, sich durch erkaufte Repräsentanten dasjenige selbst aufzubürden, was kein Minister und kein Despot ihr unter andern Umständen je gefahrlos zuzumuten hätte wagen dürfen. Es ist aber viel besser, über all dergleichen zu lachen als zu weinen und sich überall recht herzlich mit dem zu begnügen, was da ist. In dieser Hinsicht finde ich selbst die Chinesen sehr weise.

Das von Jackdull mitgenommene Fleisch war verfault, ehe wir es genießen konnten; das Wasser des Brunnens, wo wir Halt machten, war ebenfalls faul und brackig, Brot und Wein hatten wir nicht mehr, etwas Reis mußte daher unser Abendmahl liefern, wie er schon am Tage unser Frühstück ausgemacht hatte und am folgenden wieder ausmachen mußte.

Während man am nächsten Morgen aufpackte, hatte ich Kissen und Teppich in den Schatten eines alten Baumes legen lassen und ruhte mit dem Kopfe hart am Stamm, bis man mein Dromedar vorführte. Im Aufstehen hörte ich einen zischenden Ton hinter mir und erblickte, mich umwendend, eine große, kohlschwarze Schlange, die, noch halb im hohlen Baumstamme verborgen, mit Kopf und Vorderteil zusammengeringelt auf meinem Kissen ruhte, dicht neben der Stelle, wo mein Haupt den Eindruck zurückgelassen hatte. Es ist kein Zweifel, daß die Schlange, von der Weiche und Wärme angezogen, schon eine geraume Zeit in dieser Stellung dicht neben mir verweilt haben mußte, und nur mein sie störendes schnelles Aufspringen ihr zorniges Zischen verursachte. Sie war ohngefähr zwei bis drei Finger dick, und nach der Eingebornen Aussage von der giftigsten Art. So entgeht man oft Gefahren, ohne das mindeste davon zu ahnen.

Der Teil der Wüste, den wir an diesem letzten Tage und in der Nacht durchritten, verdiente am besten den Namen Wüste, denn er bestand durchgängig aus einer endlosen Ebene, plan wie das Meer und ohne Spur des geringsten Gräschens; doch blieb der Sand hart und war an vielen Stellen dicht mit zerbröckeltem schwarzen Gestein bedeckt. Erst gegen das Ende unsres Marsches kamen wir an ein Akaziengebüsch, in dem das Grunzen einiger Hyänen unsre Tiere etwas beunruhigte. Wir stiegen ab, um womöglich eine davon zu schießen, wozu der Mond hell genug schien, konnten sie aber bei ihrer schnellen Flucht nicht einholen. Nach Mitternacht erblickten wir endlich die Häuser von Metemma, seit der Zerstörung Schendys der Hauptort des Distrikts, wo alles noch im tiefsten Schlafe lag und wir lange Zeit brauchten, ehe wir einen Boten auffinden konnten, um uns nach unsern Zelten am Nil zu führen, da der Fluß nur beim höchstem Wasserstand die Stadt erreicht, jetzt aber noch eine starke halbe Stunde davon entfernt strömt. Verdurstet und erschöpft, wie wir waren, kann man sich denken, mit welcher Wonne wir die kühlen Fluten begrüßten und uns in ihrem Nektar berauschten, denn diesmal ward ich vollkommen inne, wie frisches Wasser zum wahren Nektar werden könne.

Nicht viel weniger Genuß gewährte uns am Morgen das Bad, obgleich man uns wegen der nun immer häufiger werdenden Krokodile, die besonders beim Beginn des Flußanschwellens gefährlich sind, sehr davon abriet. Auch sahen wir während unsers zweitägigen Aufenthalts an dieser Stelle nie einen Eingebornen ins Wasser gehen. Es ist sonderbar, daß diese Tiere an gewissen Orten (und auch dort nicht immer, nach Proportion ihrer größern oder geringern Menge) weit mehr als an andern zu fürchten sind. In Assuan zum Beispiel hat man noch nie einen Menschen von ihnen angreifen sehen, während man sich in Ouadi-Halfa außerordentlich vor ihnen in acht zu nehmen hat. Bei Dongola sind sie wieder harmloser, obgleich zahlreicher. Der Kascheff von Ouadi-Halfa erzählte mir, als ich dort war, daß er im vorigen Jahre mit einem Freunde ausging, um sich unfern der Katarakten zu baden. Kaum waren beide nur wenige Fuß weit in den Fluß hineingeschritten, wo ihnen das Wasser noch nicht bis an den halben Leib ging, als ein Krokodil neben ihnen auftauchte, seinen Gefährten mit dem Schweif erfaßte, und sogleich wieder mit ihm im Wasser verschwand. Kurz darauf sah er in einiger Entfernung das Untier von neuem zum Vorschein kommen, mit seiner Beute spielend wie die Katze mit der Maus, bis es auf einer kleinen Insel landete, und dort den allem Anschein nach leblosen Körper vor des Kascheffs Augen zu verzehren anfing. Noch an demselben Abend ward ein Knabe und eine Ziege in derselben Gegend der Raub eines andern Krokodils. Die Hauptgefahr besteht darin, daß sich dieses Reptil im Sande des Flußbettes eingräbt, und dann, plötzlich daraus hervorbrechend, wie der Ameisenlöwe seine Beute erfaßt. Kommen die Krokodile von fern herangeschwommen, so ist es weit leichter, ihnen zu entgehen, doch hat man sie in Metemma häufig mitten im Fluß Jagd auf Menschen machen sehen, wobei man behauptet, daß sie, wenn ihnen die Wahl zwischen einem Schwarzen und einem Weißen freisteht, immer den letzteren vorziehen. Zuweilen verfolgen sie Menschen selbst auf dem festen Lande, wo man indes nur immer im Kreise umherzulaufen braucht, um ihnen bei der Schwerfälligkeit ihrer Wendungen des Einholen unmöglich zu machen.

Um zehn Uhr besuchte mich der Kascheff von Metemma mit mehreren andern Türken und Arabern, unter denen vorzüglich der Schech Bischir vom Stamme der Dschalin-Araber meine Aufmerksamkeit erregte, weil Herr Rüppel seiner erwähnt und angibt, daß dieser sehr zuverlässige Mann ihm Nachrichten über die noch nie von einem Europäer besuchten Ruinen der Stadt Mandera erteilt und als Augenzeuge, der selbst dort gewesen, davon gesprochen habe. Es fand sich indes, wie nach der Länge der seitdem vergangenen Zeit zu vermuten war, daß der Schech Bischir, den wir vor uns hatten, nur der Sohn desjenigen war, den Herr Rüppel gekannt. Auch der gegenwärtige hatte einmal von Mandera reden gehört, leugnete aber, daß sein Vater je dort gewesen sei, und wollte ebensowenig zugeben, daß er sich dessen gegen einen Europäer gerühmt habe. Hier war also keine genügende Auskunft zu erhalten, indes fand sich nachher ein Sklave des Kascheff vor, der das Dasein der Ruinen von Mandera bestätigte, zugleich aber dahin berichtigte, daß Mandera weder eine Stadt, noch ein Dorf, sondern ein Berg sei, auf dessen Gipfel wie an seinem Fuße einige Trümmer von Gebäuden stünden; doch sehe man weder Säulen noch Pyramiden darunter. Einige Stunden davon befände sich ein halb verlassenes Dorf, dessen Name er sich nicht mehr erinnern könne. Die Lage der Ruinen gab er ebenfalls nach den von ihm bestimmten Distanzen gewisser Städte verschieden von Herr Rüppel, nämlich mehr südlich und dem Nil näher an. Wir werden später sehen, daß die Nachrichten dieses Mannes in erster Hinsicht der Wahrheit entsprachen, was in der Tat in diesen Ländern als eine große Seltenheit zu betrachten ist, in der zweiten Behauptung aber irrte er sich. Herrn Rüppels eingezogne Nachrichten waren unrichtig, obgleich er die darauf bezügliche Stelle mit seiner gewöhnlichen Anmaßung folgendermaßen schließt:

«Die obigen Notizen über Mandera wurden zwei Jahr später von Herrn Cailliaud in seinen Reisen Vol. III. pag. 138 auch angeführt. Es wäre interessant zu wissen, ob er dabei bloß nach mir abgeschrieben hat oder ob auch ihm dieselben Angaben aus verschiedenen Quellen zugekommen sind.»

Herr Cailliaud hat wahrlich nicht nötig, Herrn Rüppel abzuschreiben; es gibt keinen Reisenden, der gewissenhafter, genauer und wahrheitsliebender selbst beobachtet und keine Mühe dabei gescheut hat als Herr Cailliaud, wie ich mich selbst zu überzeugen so vielfache Gelegenheit fand und ihm gar oft den wärmsten Dank dafür gezollt habe; denn obgleich Herr Cailliaud kein Gelehrter war, so ist doch kein Führer sicherer als er, wo er selbst gewesen, über Mandera ist er jedoch ebenfalls nicht genau unterrichtet worden und erzählte bloß, was er gehört hatte.


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