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Es ward nun Zeit, mich zu einer Exkursion nach den Ruinen von Mesaourat bereit zu machen, obgleich diese Tour, weil man sie wegen gänzlichen Wassermangels in der Wüste sehr schnell zurücklegen muß, mit großer Beschwerlichkeit verbunden ist. Zu meiner Sicherheit begleiteten mich auf Befehl des Gouverneurs der Emir Bischir selbst mit acht seiner ausgesuchtesten Leute.
Kurz vor Sonnenuntergang verließen wir Korschud Paschas Palast, und es war schon dunkel geworden, ehe wir, Schendy zum letztenmal durchziehend, das Ende dieser traurigen Ruinen erreicht hatten. Bald darauf überzog ein fürchterliches Gewitter den ganzen Himmel mit Rabenschwärze. Von allen Seiten durchkreuzten die Blitze das Firmament, welche die fahlen Mauern der uns umgebenden Trümmer, von Moment zu Moment mit dem Dunkel abwechselnd, in rotem Feuerschein erglänzen ließen, gleich einer gespenstischen Erscheinung der auflodernden Flammen jenes frühern Brandes, der Schendy für immer verheerte. Uns tat jedoch diese Artillerie des Himmels nicht den mindesten Abbruch, da sich aber nachher auch ein heftiger Platzregen zu ihr gesellte, mußten wir im nächsten Dorfe notgedrungen ein Obdach suchen. In den kleinen, wie Backofen heißen und von Schmutz und Insekten aller Art angefüllten Stuben der Landleute war es indes nicht lange auszuhalten. Ich ließ daher bei einem mühsam angezündeten Feuer unter dem fortwährenden Rollen des Donners unsre zwei kleineren Zelte aufschlagen, die nicht größer als Schilderhäuser sind und sonst nur den Eingang der größeren bilden. Hier lagerten wir bald ziemlich trocken, während Schech Bischir mit seinen Leuten, Dromedaren und Pferden sich sorglos unter den herabströmenden Fluten im Freien bettete. Dieser mächtige Schech, ein geistvoller und unternehmender Mann, hat es von Anfang an treu mit dem neuen Gouvernement gehalten und ist jetzt eine seiner mächtigsten Stützen unter den Arabern, was um so wichtiger ist, da allen übrigen Schechs, die noch immer einige Ranküne wegen der Vergangenheit bewahren (und es ist ihnen nicht sehr zu verdenken), ungeachtet aller scheinbaren Unterwürfigkeit nicht viel zu trauen sein soll, eine Verstellung, in der überhaupt alle Orientalen Meister sind. Der Schech Bischir wird, wie ich vom Kascheff hörte, wegen seiner Anhänglichkeit an die jetzige Regierung von jenen Häuptlingen bitter angefeindet und läßt sich daher auch nicht leicht ohne zahlreiche Begleitung unter ihnen blicken.
Nach einigen Stunden hörte der Regen auf und gestattete uns, die Reise fortzusetzen, welche die ganze Nacht hindurch in monotoner Einförmigkeit rastlos vorwärts ging. Gegen Morgen kamen wir, bis jetzt noch immer nicht fern vom Nil geblieben, durch einen weitläufigen Akazienwald, dessen Bäume sich infolge des fruchtbaren Gewitters der Nacht, wie bei uns im Frühjahr, über und über mit kleinen meergrünen Blättern von einer reizend frischen und glänzenden Farbe bedeckt hatten. Auch die Luft war abgekühlt, ein sanfter Zephyr wehte durch die Zweige und trug duftigen Geruch auf seinen Fittichen. Hier schlugen wir unsern ersten Biwak in der Nähe eines Dorfes auf. Gleich nach dem Frühstück ging ich mit Ackermann auf die Jagd, um für weitere Nahrung zu sorgen. Wir erlegten diesmal außer den so leicht beizukommenden Turteltauben eine junge wilde Gans für unsere Tafel und außerdem noch allerlei bunte Vögel mit der den Menschen erlaubten Grausamkeit, nur um der Schönheit ihres Gefieders willen. Am Nil, dessen Ufer hier ziemlich malerisch und bebuscht sind, stießen wir in der Nähe von vierzehn gravitätisch fischenden Pelikanen auf ein Krokodil weiblichen Geschlechts mit seinem kaum erst drei Fuß langen Sprößling, welcher letztere einen fruchtlosen Schuß erhielt und dann wie ein Frosch seiner schwerfälligen Mama schleunig ins Wasser nachschlüpfte. Bei unsrer Zurückkunft meldete man mir die Anwesenheit dreier Pilgrime aus Darfur, die, wie es hieß, auf einer Wallfahrt nach Mekka begriffen seien. Es waren sehr gut gewachsene Neger, jeder mit einem langen blauen Hemde nebst Sandalen, die bunte Lederriemen zusammenhielten, bekleidet, und es schienen gewandte Leute zu sein. Sie rühmten einstimmig die Eigenschaften ihres Sultans und sagten uns, daß nicht Kobbé (wie es uns die geographischen Nachrichten angeben) die Hauptstadt des Reichs und Residenz des Königs sei, sondern Tendelti-Tassir, das auf keiner Karte steht. Kobbé, meinten sie, sei nur die Hauptstadt der Kaufleute, die andere, weit stattlichere und umfangreichere, die Residenz des Herrschers und der Großen. Ihren Äußerungen nach schien in diesem Lande zwischen Adel und Kaufmannschaft eine starke Demarkationslinie gezogen zu sein. Wahrscheinlich besitzen sie dort noch keine vermittelnden Bankiers. Ihrer Aussage nach ist die Residenz nur eine starke Tagereise von Kobbé entfernt. Einen großen Fluß, behaupteten sie, gäbe es, so viel ihnen bekannt, in ihrem ganzen Lande nicht, aber viel Bäche, die in der Regenzeit zu Flüssen würden, und außerdem zahlreiche Brunnen und Zisternen, so daß es nirgends als in der angrenzenden Wüste an Wasser fehle. Das Land soll reich an Waldungen und fruchtbar sein. Unter den Gartenfrüchten nannten sie Orangen, Zitronen, Granaten und Melonen und andere mir unbekannte Namen, und unter den Gemüsen ziemlich die nämlichen, welche Sudan und Kordofan liefern. Der Sultan habe, fuhren sie fort, seit einigen Jahren angefangen, den Nizzam einzuführen, welchen ein Weißer befehlige, den der Sultan sehr hoch halte; doch gefalle den Eingebornen dieser Dienst nicht, und die Truppen seien viel weniger gut dressiert als die ägyptischen Soldaten, welche sie in Kordofan und im Sudan gesehen; auch besitze der Sultan einige Kanonen, ohne sie jedoch bis jetzt sehr gebraucht zu haben.
Sie hatten sämtlich viele Amulette und Glasperlenschnuren an sich hängen, der eine aber außerdem noch eine Art Brieftasche, worin sich ein buntes, roh angefertigtes Bild der heiligen Kaaba befand, das er zu zeigen anfänglich einige Schwierigkeiten machte. Dieser, welcher der Unterrichtetste von den dreien zu sein schien, erzählte uns nachher von Volksstämmen, die in den höchsten Gebirgen ihres Landes wohnten und gar keine Religion hätten, nicht einmal so viel, setzte er hinzu, als ein Dschaur (Christenhund). Deswegen stellt man auch jährlich regelmäßige Jagden auf sie an und bedient sich der Gefangenen zu Sklaven, über welche als Kriegsbeute der Besitzer eine ebenso unbeschränkte Herrschaft ausübt als über sein Vieh. Im übrigen scheint die Regierung milde und nach ihrer Art auch ziemlich gerecht zu sein.
Die Leute konnten etwas arabisch reden und verstanden die Sprache von Kordofan, welche einer der Begleiter des Schech Bischir ebenfalls sprach, der uns daher während der Unterhaltung als genügender Dolmetscher zu dienen imstande war.
Die Abteilung der Wüste, in welche wir von hier aus eindringen sollten und die sich bis zum roten Meer erstreckt, wird nur von wenigen wandernden Beduinenstämmen bewohnt, die bloß nominell, und auch dies nur zum Teil, unter der Oberherrschaft Mehemed Alis stehen, folglich noch alle Reisende als gute Beute ansehen. Die Sicherheit, die man so vollständig in den Staaten des ägyptischen Herrschers genießt, hört also hier auf, und der Schech Bischir kündigte uns an, daß ein Anfall von Räubern möglich sei, wir daher unsre Waffen in Bereitschaft halten möchten. Zugleich bot er mir an, jetzt meinen Dromedar, auf dem wir Europäer uns immer in einer etwas unbehilflichen Lage befinden, mit seiner bisher von einem Diener an der Hand geführten Stute zu vertauschen, was ich dankbar annahm. Gegen fünf Uhr abends machten wir uns auf den Weg und erreichten bald eine herrliche Plaine, die, soweit das Auge reichte, mit hohem Binsengras nebst Gruppen niedriger Akazien und Mimosenbüschen bedeckt war; in blauer Ferne vor uns stiegen einzelne, bald spitz, bald tafelförmig, bald gezackt geformte Berge empor, und der Anblick des ganzen Landes bis an ihren Fuß zeigte deutlich, daß einst hier allgemeine Kultur geherrscht haben müsse, deren Spuren trotz der Austrocknung alter Kanäle und Verschüttung der Brunnen nach Jahrtausenden noch sichtbar blieben. Ich bin daher überzeugt, daß nur ein überall verbreiteter Untergrund von Wasser diese Spuren von Fruchtbarkeit erhalten kann, welche uns noch jetzt umgaben, Sorge und Kultur also dieses weite Land bald wieder von neuem zur Aufnahme einer ansehnlichen Bevölkerung tüchtig machen würden. Der Himmel war bewölkt, was die Hitze sehr minderte, die Nacht aber auch so stockfinster werden ließ, daß nur Araber mit ihrem Hundeinstinkt, den man füglich ihren sechsten Sinn nennen könnte, den Weg aufzufinden imstande waren.
Unser Marsch in dieser Dunkelheit, der keiner Karawanenstraße mehr folgte, sondern quer durch die hohen Binsen ging, hatte bereits einige Stunden angedauert, als unsre Leute plötzlich anhielten, weil jener sechste Sinn – Gott weiß wie – inne geworden war, daß seitwärts in einem struppigen Gebüsch Menschen lagerten. Der Leutnant des Schechs rief sie sogleich in die Nacht hinein mit lauter Stimme an, frug, wer sie wären und was sie hier machten? Doch ehe ich weiter erzähle, muß ich des Schech Bischirs Gefolge kürzlich beschreiben. Es waren ihrer, wie gesagt, nur acht, aber allem Anschein nach höchst zuverlässige Leute, sämtlich schwarz wie ihr Herr, stark und muskulös gebaut, was man um so leichter beurteilen konnte, da sie fast nackt waren und von markanten, aber nicht unangenehmen Gesichtszügen. Eine Binde um den Leib und ein Tuch um den Kopf gewickelt, nebst Sandalen an den Füßen, komponierte außer den Waffen ihren ganzen Anzug. Nur der Leutnant trug darüber noch eine Art weiter blauer Bluse und der Schech den faltenreichen weißen Mantel mit roten Streifen eingefaßt, der der römischen Toga ganz ähnlich sieht, mit einem sehr voluminösen Turban von gleicher Farbe auf dem Haupte. Alle ritten weiße Dromedare von der ausgezeichneten eignen Zucht des Schechs, der seine größten Besitzungen in Berber hat, wo das Gebiet der Tischari-Araber beginnt, deren Dromedare an Güte nur denen aus Nedschdi weichen. Sämtliche Leute waren sehr vollständig nach Landesart bewaffnet, das heißt, jeder hatte einen Wurfspieß, ein großes ovales Schild aus Krokodil- oder Hippopotamushaut, durch das nur eine Büchsenkugel dringt, einen Dolch am Oberarm befestigt und ein langes grades Ritterschwert mit dem Griff in Kreuzesform über die Schulter gehangen, wie ich es schon früher beschrieb. Flinten scheinen hier nicht üblich, und was davon ehemals etwa existiert haben mag, ist den von Mehemed Alis Truppen unterworfnen Arabern weggenommen worden. Es gab kein Feuergewehr unter der ganzen Truppe als ein Paar altertümliche europäische Pistolen, die dem Schech gehörten und die sein Leibdiener nebst einer durch Riemen befestigten kleinen Patronentasche am Gürtel trug. Alle waren vortreffliche Reiter und wußten ihre Dromedare so geschickt zu regieren, daß die Schnelligkeit und Gewandtheit ihrer Bewegungen denen der Pferde nicht viel nachgab, während dagegen meine Suite nur sehr mühsam mit ihren Tieren zurechtkam, die aber auch von weit schlechterer Beschaffenheit waren. Dies veranlaßte denn häufig unwillkommnen Aufenthalt, um die Traineurs wieder heranzubringen.
Kaum also war die vorhin gemeldete Frage an die verdächtigen Fremden ergangen, als von einer tiefen Stimme die uns schnell vom Dragoman übersetzte Antwort erschallte: «Kommt nur heran, dann werdet Ihr es erfahren!» Im Nu waren alle Dromedare des Schech Bischir am Boden und ihre Reiter schon herabgesprungen, von denen jedoch vorsichtig zuerst nur die Hälfte, mit gezognen Schwertern und von ihren Schildern gedeckt, in der Dunkelheit nach der Richtung des Schalls der gehörten Stimme vordrangen. Wir blieben ruhig mit gespannten Pistolen halten und erwarteten den weitern Verfolg, um nach Umständen mitzuagieren. In wenigen Sekunden hörten wir mit großem gegenseitigem Kampfgeschrei mehrere mit den Schildern aufgefangene Schwerthiebe ertönen und wollten, da es nun Ernst zu werden schien, ebenfalls vorrücken, als der Schech uns bat, dies bis zum höchsten Notfall zu versparen, worauf er nun selbst mit seinen übrigen Leuten der «melée» zueilte. Seine schallenden drohenden Worte, die er den Streitenden zudonnerte, schienen sogleich einen Waffenstillstand herbeizuführen (denn da wir nichts sahen, konnten wir uns nur der Ohren als Fühlhörner bedienen). Das Geklirr der Waffen hörte auf, das Geschrei aber verdoppelte sich von beiden Seiten. Nach ungefähr fünf Minuten verstummte auch dies plötzlich, alle die Unsrigen kamen hastig zurück, schwangen sich auf ihre Dromedare und eilten im kurzen Trabe mit uns davon. Auf unsere neugierigen Fragen erhielten wir zur Antwort: Die Fremden hätten sich für reisende Dschellabs erklärt und vorgegeben, daß sie uns für Räuber gehalten.Dschellab bedeutet eigentlich Kaufmann; da aber hier in der Regel niemand reist, als um zu handeln, auch einen Reisenden. Am richtigsten würde man es mit «wandernder Handelsmann» übersetzen. Der Schech setzte hinzu, daß er sich damit beruhigt habe, obgleich das Vorgeben erlogen sei, da hier gar kein Karawanenzug existiere, wo Dschellabs angetroffen werden könnten. Es sei indes besser, sich zu entfernen, da man nicht wissen könne, ob nicht eine weit stärkere Anzahl in der Nähe sei, von denen jene nur ein vorgeschobner Posten gewesen. In der Tat fanden wir, nachdem wir noch nicht tausend Schritte weiter geritten waren, in einer sehr engen und schwierigen Passage durch unebnes, steiniges Terrain voller Dornen einen zweiten Trupp ähnlicher Dschellabs, der aber wahrscheinlich noch weniger zahlreich war, da er bei dem Anruf unsrer Spitze sogleich die Flucht ergriff. Ich hatte übrigens keinen Augenblick die mindeste Besorgnis für unsre Sicherheit, da wir uns auf die Treue der Eskorte verlassen konnten und die Menge unsrer Feuergewehre gewiß selbst gegen eine fünfmal überlegne Zahl schnell den Sieg auf unsre Seite gebracht haben würde.
Eine Stunde später, nahe vor Mitternacht und grade als der Mond riesengroß und feurig am Horizonte emporstieg, beleuchtete er vor uns die imposanten Ruinen von Mesaourat, in der Mitte eines geräumigen Tales gelegen, das einzeln stehende Sandsteinberge von den barocksten Formen umgaben, in jener häufig vorkommenden Bildung dieser Gebirgsart, welche sie wie mit Türmen, Mauern und Zinnen auf ihren Gipfeln gekrönt erscheinen läßt. Wir waren indes so ermüdet, daß wir vorderhand nur wenige Blicke auf alle die Herrlichkeiten unter dem Mondlicht warfen und nach dem Genuß einer schnell an der Spirituslampe gekochten Tasse Tee die Teppiche auf den Boden unsrer Duodezzelte breiten ließen und, den Sattel zum Kopfkissen, so köstlich wie auf Eiderdaunen bis zum Anbruch des Tages schliefen.
Die Ruinen von Mesaourat (jeder Vokal des Worts wird voll ausgesprochen), deren äußerste Umfangsmauern nach Cailliaud 185 Metres in der Breite und 248 in der Länge messen, sind meiner Überzeugung nach die Überreste eines großen königlichen Lustschlosses mit allem nötigen Zubehör an Wohnungen, Höfen, Ställen usw., denen noch zwei kleine, höchst zierliche Tempel (ganz in der Art wie bei uns eine Hofkapelle) angehängt worden waren und welchen gewiß in dem pittoresken, fruchtbaren Tale auch einst die umgebenden Gärten nicht fehlten.Cailliaud hält diese Ruinen für eine Erziehungsanstalt der Priester. Ich kann diese Meinung nicht teilen. Es ist zu viel Prunk und Spielerei in diesen Räumen, alles zu fern von der ernsten Pracht priesterlicher Etablissements aus jenen Zeiten. Sämtliche Gebäude ohne Ausnahme sind aus Quadern von mittlerer Größe aufgeführt, deren schön rötlichen Sandstein die nahen Berge lieferten, alles ist zierlich und auf die solideste Weise bearbeitet, aber nirgends bemerkt man weder die kolossalen Proportionen, noch die vollendete Kunst der alten Denkmäler Ägyptens, und es wird vielleicht passend sein, hier gleich im voraus zu bemerken, daß alle Ruinen, die wir während unsrer diesmaligen Expedition zu sehen bekamen und von denen gleich weitläufiger die Rede sein wird, immer ganz ein und denselben Charakter trugen, welcher zwar einige Affinität mit den merkwürdigen Überresten bei Dschebel-Barkal sowie zum Teil mit denen bei Meroë hat, jedoch auch eine dezidiert verschiedene Nuance von ihnen zeigt. Diese besteht in der Mischung griechischen oder vielmehr römischen Stils mit dem bereits ganz korrumpierten ägyptischen, der in allen diesen weit mehr dem bloß eleganten nachstrebenden und eher überladen als erhaben zu nennenden Gebäuden vorherrscht. Ich halte sie daher auch für noch neuer als jene Monumente von Dschebel-Barkal und kaum älter als höchstens aus gleicher Zeit mit den letzten Ptolemäern, wo nicht ganz gleichzeitig mit der spätern römischen Epoche. Die oft ins Kleinliche gehende Ausschmückung, die offenbar aus griechischem Baustil entnommenen Zierraten neben den ägyptischen und mit diesen vermischt, die Abwesenheit aller kolossalen Massen und daraus hervorgehender großer Effekte zeugen sämtlich für diese Meinung. Aber die weit sorgfältigere Rücksicht auf Bequemlichkeit und die größere Menge aneinanderstoßender Wohnzimmer, meistens von kleinerer Dimension, als in den altägyptischen Denkmalen angetroffen wird, scheinen abermals das Wirken eines weiblichen Elements zu verraten, und ich möchte daher der Vermutung Raum geben, daß diese Gebäude sich aus den letzten Zeiten jener Königinnen herschreiben, die, wie schon bemerkt, jahrhundertelang unter demselben immer fortgesetzten Namen in Äthiopien herrschten und in vielfachem kriegerischem und friedlichem Verkehr mit den Römern standen, so daß leicht Baumeister dieser Nation gebraucht worden sein können, um den ägyptischen Stil hier, wie in ihrem Vaterlande oft den griechischen, zu verballhornen. Der Hypothese einiger Reisenden beipflichten zu wollen, welche schon bei den offenbar viel älteren Denkmälern von Meravi und Meroë als ganz unkritisch erscheint, nämlich: daß die Architekturüberreste Äthiopiens älter als die Ägyptens seien, wäre hier eine vollständige Absurdität. In allen diesen Bauarten sehen wir ohne Ausnahme nur eine untergeordnete Nachahmung, keineswegs einen untergeordneten Anfang. Die charakteristischen Zeichen dieser zwei verschiednen Unvollkommenheiten sind aber zu sehr in die Augen springend, um sich darüber anders als absichtlich täuschen zu können, vorausgesetzt, daß man überhaupt eines gesunden Urteils fähig sei. Ich wiederhole jedoch, daß ich durchaus nicht leugnen will, daß Kultur und selbst die ersten Anfänge roher Kunst aus diesen Gegenden im grausten Altertum nach Ägypten vorgerückt sein mögen, und die Ansicht, daß das flache, zum Teil erst später angeschwemmte Land Ägyptens aus den Bergplainen Äthiopiens zuerst bevölkert worden sein mag, ist gewiß völlig naturgemäß und folglich wahrscheinlich – ich behaupte nur, daß die noch jetzt existierenden alten Monumente Äthiopiens, welche uns bekannt sind, keineswegs aus jener Zeit herstammen und sogar großenteils weit jünger als die ägyptischen Altertümer aus der letzten Periode der Pharaonen, ja zum Teil der Ptolemäer sind.
Es ist indes immer schon interessant genug, sich den hiesigen Ruinen gegenüber zu überzeugen, daß in so großer Entfernung von der jetzt zivilisierten Welt vor wahrscheinlich nicht länger als fünfzehnhundert Jahren hier noch Tausende von Quadratmeilen blühender Fluren voll Städte, Tempel und Paläste existierten, wo jetzt nur eine auf ihrer Oberfläche gänzlich wasserlose, keine Frucht mehr tragende Wüste mit bloßem Gestrüpp und wenigen Bäumen in ungeheuren Distanzen sich ausdehnt und daß zugleich eine vielfach verfeinerte Kultur des Geistes mit einer immer noch höhern Stufe der Kunst (der Baukunst wenigstens), als wir selbst einnehmen, da herrschte, wo es in diesem Augenblick nur noch einige umherwandernde wilde Horden räuberischer Beduinen gibt.
Der Gedanke also, mich in einem ehemaligen Lustschloß der gebildeten und lebenslustigen Königin Candace zu befinden, die ich mir natürlich als eine ungemein schöne und graziöse Schwarzbraune vorstellte, gab der Besichtigung des vor mir liegenden Labyrinths von Gemächern, Treppen, Gängen, Höfen, Säulenhallen, Tempeln und Mauern ein doppeltes Interesse, was einigermaßen der Müdigkeit, welche das beschwerliche Durchirren derselben herbeiführte, und der dumpfen Hitze, die uns dazu nicht wenig belästigte, die Waage hielt. Auch gab ich mich, ich muß es gestehen, mehr dem egoistischen Genusse als dem Fleiße des Reisebeschreibers hin, da weder die Zeit, welche wir hier zu verweilen imstande waren (denn unser mitgenommener Wasservorrat reichte kaum auf drei Tage), genügend war, noch meine Abspannung es möglich machte, mich mit detaillierten Messungen und genauern Untersuchungen dieser Art zu beschäftigen, um einen korrekten Plan des Ganzen aufzunehmen, was überdies, wie ich glaube, durch Herrn Linant mit der ihm eigentümlichen Treue wohl schon geschehen sein wird. Der Leser möge daher nachsichtig mit folgender kurzen Beschreibung fürlieb nehmen.
Es scheint, daß es mehrere Haupteingänge zu dem Komplex der verschiednen Gebäude gegeben hat, welche alle von einer gemeinschaftlichen Mauer geschützt den königlichen Palast in seinem ganzen Umfang bildeten, es ist aber jetzt schwer zu ermitteln, wo sich die eigentlichen Propyläen desselben befanden. Nach meinem Dafürhalten war der Haupteingang auf derjenigen der schmälern Seiten des großen länglichen Vierecks, welche gegen Nordost liegt. Hier zeigen sich nach Durchschreitung eines nicht sehr breiten Hofes auf beiden Seiten lange Reihen von Gemächern, deren Mauerreste sechs Fuß dick sind (das Innere dieser Mauern mit rohen Steinstücken ausgefüllt) und durch welche ein stattlicher Säulengang führte. Die Säulenschäfte sind glatt, ohne Hieroglyphen noch Bildwerke, stehen auf einem Sockel, haben einen Fuß über dem Boden fünf Ellen Umfang und eine Höhe von höchstens 16-17 Fuß, inklusive des Gebälks des aus Blättern geformten kelchförmigen Kapitäls. Nur wenige derselben stehen noch aufrecht, und alle übrigen sind mehr oder weniger zertrümmert. An den beiden Enden der Kolonnade scheinen Hallen existiert zu haben und diese durch Nischen, wahrscheinlich mit Statuen geziert, geschlossen worden zu sein. Aus der östlichen der Hallen tritt man in einen ehemals ohne Zweifel bedeckten Gang, zehn und einen halben Fuß breit und 231 Fuß lang, dessen Einfassungsmauern nur vier Fuß Dicke haben und mit zugerundeten großen Werkstücken von der Art, die man in Norddeutschland Eselsrücken nennt, belegt sind. Der Gang fährt durch mehrere große Höfe, in deren einem noch eine einzelne hohe Säule von 12½ Fuß Umfang steht. Dann leitet er neben den Grundmauern verschiedner Gebäude vorbei durch eine verzierte Pforte in die hintere Kolonnade eines etwas erhöhter als der Rest stehenden Tempels, der ganz nach der gewöhnlichen Anordnung eines griechischen Peripteros erbaut ist, jedoch ohne Opisthodomos und Pronaos. Er bildet nur einen einzigen Saal (die Cella), welcher von vier Säulen innerhalb getragen und auf allen vier Seiten durch Mauern geschlossen wird, die rund umher ein doppelter Portikus, zehn Säulen an der langen und sechs an der schmalen Seite, umgibt. Auf drei Seiten sind die Säulen glatt, auf der vierten, östlichen, aber – wo sich eine breite und hohe offne Terrasse befindet, nach der, wie noch einige Spuren verraten, eine prächtige Treppe, welche die ganze Breite der Terrasse einnahm, hinaufführte – zeigen sich alle Säulen auf das reichste und zum Teil in sehr geschmackvoller Arbeit verziert, obgleich die Größe derselben auch hier nur um ein Weniges die früher von mir angeführten übersteigt und überhaupt, wie gesagt, nur das Zierliche, nirgends das Imposante vorherrscht. Jede Säule ist verschieden dekoriert, und hier stießen wir zuerst in den ganzen Ruinen auf einige Hieroglyphen und Anaglyphen, ganz gut ausgeführt, aber ohne Farben. Jedoch nur der unterste Stein der Säulen, deren jede aus vier Stücken bestand, war auf diese Weise dekoriert. An einigen sah man die gewöhnliche Prozession der ägyptischen Gottheiten mit ihren Attributen, einige auch mit dem Nilschlüssel in der Hand, denen eine Königin Opfer brachte, was mich fortwährend in meiner Hypothese bestärkte, daß das schöne Geschlecht hier de préférence gewartet habe. Die Figuren an den vier mittelsten Säulen, dicht neben dem Haupteingang, waren voll zu drei Viertel herausgearbeitet und bei sehr korrekter Zeichnung mit viel Grazie behandelt, jedoch viel weichlicher gehalten, als es der ernste rein ägyptische Stil gestattet. Alle diese Darstellungen sind leider sehr verstümmelt. Im Innern des Tempels, wo, wie bereits erwähnt, sich nur vier Säulen befinden, sind in jeder der beiden längern Seitenwände zwei Fenster angebracht; auf der südlichen bemerkten wir zwischen diesen noch eine Nische, in der wahrscheinlich die hier verehrte Gottheit stand. Dem großen geschmückten Eingangstore dieses Tempels gegenüber ist eine kleinere Ausgangspforte, die durch den hinteren Portikus nach einer nur fünf Fuß breiten Treppe führt, durch die man in einen Wirrwarr von Räumen gelangt, ohne Zweifel Privatwohnungen, deren Hauptmauer auf der Südseite in einen sehr großen, weit tiefer liegenden Hof abfällt, so daß sie hier wohl an 18 Fuß Höhe haben mag. In der Mitte des besagten Hofes deuten Grundlagen und einzeln umherliegende Fragmente auf das einstige Dasein zweier Obelisken und wahrscheinlich eines Kolosses zwischen ihnen. Nirgends konnte ich auf den Außenseiten der Mauern noch im Innern der Gemächer Spuren anderer Skulpturen noch eines königlichen Wappens entdecken, nur zwei kleine, sich sehr ähnliche, eingemeißelte Bilder grotesker Art fand ich auf, wovon ich die Kopie des einen hier beifüge, so wie die Verzierungen einer der Säulen in der kleinen Kolonnade.
Der Anfang einer altorientalischen Inschrift, die sich auf der Hinterwand des Tempels befand und die ich mühsam kopierte, ist mir leider verlorengegangen. Der Rest derselben war gewaltsam zerstört, wogegen viele andere Wände desto mehr mit rohen Bild- und Schriftversuchen der Araber oder vielleicht auch einzelner, hierher versprengter, ägyptischer Soldaten verunreinigt waren. Mit größerem Vergnügen entdeckte ich später unter diesen Allotrien zwei lange, ganz moderne Inschriften von Herren Linant und Caillaud herrührend, den einzigen Europäern, die bis heute, den 25sten April 1837, bis hierher vorgedrungen sind.
Sie lauten folgendermaßen:
1) «L'an de Jesus 1822 Frédéric Cailliaud a visité ces ruines renommées, il y est venu mandé par la France – Favorisé par le prince Ismaël-Pascha, il a pénétré audelà de Fazole par dix dégrés de latitude, où il a visité des peuples payens.»
2) «L'an de Jesus 1822 Louis Linant a visité ces ruines. Il y est venu mandé par l'Angleterre et il a pénétré jusqu'au royaume du Senaar grâce aux conquêtes d'Ismaël-Pascha, Général des armées de son père Mehemed-Ali, vice-roi d'Egypte.»
Ich glaubte ein Recht zu haben, als der dritte Europäer, der Mesaourat besucht hat, einen Ehrenplatz zwischen diesen beiden Herren einzunehmen, und ließ, da ich nicht so hohe Mandanten als sie aufzuführen habe (denn mein Vaterland, weit entfernt, mir Aufträge zu geben, lehnte sogar meine desfallsigen Anerbietungen ab), nur die nachstehenden Worte durch meinen Dragoman einmeißeln.
«Im Jahre 1837 unsrer christlichen Zeitrechnung hat ein deutscher Reisender... diese Ruinen besucht, gesandt durch seinen spiritus familiaris und mit der Absicht, so weit vorzudringen, als es ihm Vergnügen machen wird.»
In einem der unzähligen Höfe des Palastes steht noch ein besonderer kleiner Tempel frei in der Mitte, vielleicht ein Thyphonium, weil an den Türpfosten sich greuliche Schlangen in die Höhe winden. Neben ihnen befinden sich die Reste zweier stehender Kolosse von sehr mittelmäßiger Arbeit und gleich allem übrigen aus Sandstein. Marmor und Granit sahen wir nirgends angewandt. Auch dieser Tempel besteht nur aus einer Cella mit zwei umgeworfnen Säulen darin. Dem Eingang gegenüber steht ein einfacher Altar.
Andere Ruinen außer dem Bereich der erwähnten Umfangsmauern sind bis dato, soviel ich weiß, nicht aufgefunden worden, denkt man sich aber das auch jetzt noch durch seine malerischen Formen reizende Tal in blühender Kultur, Ziergärten um das Schloß und Wälder auf den nahen Bergen, so muß es einen höchst wünschenswerten Landaufenthalt abgegeben haben, wenn die junge Königin der Äthiopier irgendeine Privatursache hatte, die Freuden der Einsamkeit den geräuschvolleren ihrer Hauptstädte von Napata und Meroë vorzuziehen.
Nach Mittag setzten wir unsern Ritt nach den Tempeln von El-Auvatep fort. Zwei Stunden lang blieben wir noch in den Bergen, dann öffnete sich eine ungeheure Plaine vor unseren Augen, wieder mit einzeln stehenden Bergen in der weitesten Ferne umgrenzt, während ein schmal auslaufender Ast des eben verlassenen Gebirges sich allmählich abdachend uns links zur Seite blieb. Diese Ebene war steriler als die früher durchzogene, doch ebenfalls an einigen Orten durch kleine Haine und Baumgruppen der stachlichen Mimosen einigermaßen belebt. Nach vier Stunden scharfen Reitens erreichten wir das Ende des erwähnten Bergrückens, wo vier Tempel, stufenweise nach der Ebene hinabsteigend, erbaut sind, ein Ort, der auf Herrn Cadalvenes Karte (wie es scheint nach der von Cailliaud kopiert, da er selbst nicht hier war) Naga genannt wird. Die uns begleitenden Araber kannten jedoch diesen Namen nicht, sondern nur den von El-Auvatep. Schon 1000 Schritt vor den Tempeln stießen wir auf einen auf den Hinterfüßen hockenden Löwen aus rotem Stein, nur wenig vom Sande verschüttet und bis auf den abgeschlagenen Kopf ohne Verstümmelung. Wahrscheinlich liegen noch mehrere seiner Kameraden neben ihm vergraben, auch beginnen schon von hier aus die einzelnen Schutthaufen zerstörter Gebäude auf beiden Seiten des Weges, so daß man annehmen darf, daß hier im Altertum eine nicht unbedeutende Stadt gestanden haben muß.
Der erste, den höchsten Platz einnehmende Tempel, östlich von den andern gelegen, trägt auf seinen Quadern noch die Spuren eines ehemaligen Überzuges aus feinem und sehr festem Stuck. Seine innern Wände sind mit auf den freien Stein eingegrabnen Bildern und Hieroglyphen bedeckt, deren Gegenstände aber nur sehr undeutlich zu erkennen sind. Der Gott mit der Widdermaske (Ammon) kommt am häufigsten vor, hier aber opfert ihm ein König oder Feldherr, neben welchem auch ein halber Ring noch sichtbar war, den ich abzeichnete, da ich in Champollion und Wilkinson keinen ähnlichen auffinden konnte; es ging dies Blättchen jedoch mit der erwähnten Inschrift zugleich verloren, was ich insofern bedauere, da diese Monumente bis jetzt fast ganz unbekannt sind. Dem Eingang gegenüber steht wie gewöhnlich ein ganz einfacher Altar in Form eines Würfels. Die Menge außerhalb aufgehäufter Trümmer deuten auf noch mehrere ansehnliche Gebäude in der Nähe, und ähnliche Steinhaufen ziehen sich gleich einer Straße weit nach der Plaine hinab.
Der zweite Tempel, ungefähr zweihundert Schritt von dem ersten abwärts gegen Westen gelegen, war von viel größerem Umfang sowie auch von höherer Pracht und Zierlichkeit. Sechs aufeinanderstoßende Tore desselben nebst mehreren sie verbindenden Säulenschäften stehen noch aufrecht, alles gedrängt voll sehr nett ausgeführter Skulpturen, doch überall ohne irgendeine Spur von Färbung. Über jedem der Tore sieht man die geflügelte Kugel mit Schlangen umgeben, und eine breite Auffahrt aus Westen hat fast alle ihre Sphinxe auf beiden Seiten erhalten, viele davon noch ganz unbeschädigt. Es sind dieselben hier offenbar dickwollige Schafe (nicht Widder) wie wahrscheinlich auch die Sphinxe in Meravi, derengleichen in Ägypten gewiß sonst nirgends angetroffen werden und daher auch eine auffallende Eigentümlichkeit dieses Teiles von Äthiopien bilden.
Fünf- bis sechshundert Schritte weiter in derselben, sich nach Westen erstreckenden Linie stößt man auf den dritten und kleinsten Tempel, der höchstwahrscheinlich neuer als der andere ist und im verdorbensten römischen Stil widerlicher Überladung den völligen Verfall der Kunst verrät, obgleich auch er zum Teil mit ägyptischen Verzierungen, aber ohne Hieroglyphen und Bildwerken, ausgeschmückt ist, mehr den phantastischen Undingen in einer unsrer älteren Gartenanlagen als einem den Göttern geweihten religiösen Gebäude ähnlich.
Aus einer viel älteren Epoche und als der edelste von allen erscheint dagegen der nahe dabeiliegende vierte Tempel, obgleich er an Größe den letztbeschriebnen kaum zur Hälfte übertrifft. Sein Eingang ist von Osten wie bei dem ersten und dritten, denn nur der zweite hat ihn umgekehrt von Westen her. Dieser Eingang hat die Form ägyptischer Pylonen, auf deren schmalen Seiten sich zwei Riesenschlangen um den Stiel einer kolossalen Blume in die Höhe winden und in der Figur eines Gottes enden (Osiris), der die Nilschlüssel in der Hand trägt. Auf der linken breiten Vorderseite der Pylonen neben dem Tore sieht man das bekannte, sich fast auf jedem ägyptischen Monumente wiederholende Bild des Riesen, gewöhnlich einen Herrscher in der Gestalt des siegenden Osiris darstellend, mit der einen Hand das Schwert erhebend und in der andern Gefangene am Schopfe haltend. Hier aber übertrifft die Kollektion von Köpfen, die der Riese gepackt hat, an Quantität alle ägyptischen Darstellungen dieser Art, die ich gesehen habe. Es gleicht dies seltsame Gebilde völlig einem unsrer Stammbäume in Form eines aufsteigenden Kandelabers und enthält zuerst oben drei gigantische Häupter, die mit langen Hälsen eins aus dem andern hervorwachsen und von denen sich unförmlich lange Arme nach beiden Seiten horizontal ausstrecken; in den Zwischenräumen dieser sechs Arme aber finden noch fünfundzwanzig kleinere Köpfe Raum, und diese ganze Maschine hält der Riese an dem langen Haarbüschel des obersten Kolossalhauptes mit der linken Hand und schwingt in der rechten, statt des Schwertes, hier eine vernichtende Keule.
Auf der rechten Seite des Tores ist eine riesenhafte Göttin abgebildet von ganz gleicher Größe mit ihrem gegenüberstehenden Pendant und in gleicher Stellung, auch dieselbe ungeheure Kopfsammlung in der Hand haltend. Beide Darstellungen sind nicht ohne imposante Wirkung, verraten aber dennoch in ihrer Gesamtheit nur den Verfall, nicht den rohen Anfang der Kunst, und alle Physiognomien sind weit entfernt von jenem bewunderungswürdig charakteristischen, ebenso mannigfachen als speziell treuen Ausdruck, den zum Beispiel bei ähnlichen Bildern in Theben und Ypsambul die Köpfe der Besiegten haben, so daß man aus den Zügen ihres Antlitzes noch heute fast mit Bestimmtheit ihr Vaterland erraten kann. Das Innere des Tempels war ganz leer von Skulpturen und Hieroglyphen und scheint nie fertig geworden zu sein. Nur kahle, zerbröckelte Wände und hohe Steinhaufen boten sich hier dein Auge dar. Dagegen befanden sich auf sämtlichen Außenwänden sorgsam ausgeführte und zum Teil wohlerhaltne, riesige Gebilde. Besonders sind die Skulpturen auf der südlichen Seite im besten Zustande und führen uns hier ganz dieselbe Prozession von fünf Gottheiten, eine hinter der andern, vor, die man im Thyphonium zu Dschebel-Barkal und anderwärts abgebildet sieht. Abermals ist es aber eine Königin mit ihrer Gesellschaftsdame, die ihnen hier opfert. Auch die andern Wände scheinen mehrere weibliche Figuren in Verbindung mit den Göttern zu enthalten; sie sind aber zu undeutlich und verwischt, um sich genau davon überzeugen zu können. Der Tempel hatte wie No. 2 oben eine weit ausgeladne Krönung nach altägyptischer Weise, von der jedoch nur noch einige Bruchstücke, und hier zum erstenmal auch noch mit etwas Farbenspuren versehen, übrig sind. Gewaltsame Zerstörung durch Menschen ist bei allen diesen Monumenten klar ersichtlich, und einige eingegrabne Kreuze auf den Mauern lassen leider vermuten, daß christlicher Fanatismus, selbst bis hierher dringend, tätig fromm zum Ziel der Kunstvernichtung mitgewirkt habe.
Tödliche Ermüdung, fünfunddreißig Grad Hitze im Schatten des Tempels und ein brennender Kopfschmerz, von dem ich fast fortwährend geplagt wurde, dazu statt stärkender Nahrung nichts mehr als schwarzes Wasser aus den stinkenden Schläuchen und halb verschimmelter Zwieback müssen die Magerkeit dieser Beschreibung entschuldigen wie die Unmöglichkeit, in der ich mich befand, allein, wie ich war, hinreichende Kopien von den merkwürdigsten der genannten Gegenstände zu nehmen. Ich wage zu behaupten, daß wenige an meiner Stelle unter solchen Umständen mehr zu unternehmen imstande gewesen sein würden.
Gegen Abend nach einer kurzen Ruhe mußten wir wieder in den Sattel, um sieben deutsche Meilen weiter während der Nacht den dritten Ort aufzusuchen, an dem allein sich noch Ruinen in diesem Teil des Landes befinden. Da indes nach fünfstündigem Marsch des Doktors und meines Kammerdieners Dromedare kaum mehr vorwärts zu bringen waren, das etwas kupierte Terrain in der ägyptischen Finsternis immer schwieriger zu passieren wurde und wir alle uns vor Mattigkeit kaum mehr auf unsern Tieren zu halten vermochten, so beschlossen wir, links ab einem großen Feuer zuzureiten, das, wie uns der Schech versicherte, einem ihm bekannten Beduinenstamm angehöre, um dort den Morgen oder wenigstens den Aufgang des Mondes zu erwarten. Ungeachtet der uns eben gegebnen Versicherung gebrauchte der Schech Bischir wiederum alle militärische Vorsicht. Wir mußten einige hundert Schritte vor dem Feuer, das den Mimosenwald um uns her magisch beleuchtete, halten bleiben, und zwei Leute wurden zum Rekognoszieren vorausgeschickt. Als sie zur Abstattung ihres Rapports zurückkamen, ward es, ich weiß nicht aus welchen Gründen, nicht für tunlich gefunden, hier die Gastfreundschaft anzusprechen, sondern wir wandten uns von neuem seitwärts, einem weit entfernteren Feuer zu, das am Horizonte aufblitzte. Dort nach einer halben Stunde angelangt, befolgte man dieselbe Taktik, worauf uns endlich gestattet ward, auf einem isolierten Sandhügel unser Nachtlager aufzuschlagen, an dessen Fuß sich unsre sämtlichen Tiere wie ein Bollwerk im Kreise umherreihten. Von den Beduinen, welchen nur der Schech Bischir allein einen Besuch abstattete, bekamen wir keinen einzigen zu sehen, statt dessen aber, was uns ungleich willkommener war, brachte uns unser sorgsamer Schech selbst eine enorme Kürbisflasche voll vortrefflicher Milch nebst einem Pack arabischer Brotkuchen mit, die uns ein köstliches Mahl bereiteten. Einige Stunden tiefen Schlafes, wenngleich auf hartem Lager, erfrischten uns so vollkommen, daß wir alle mit erneutem Mut und in der besten Laune wieder unsre Dromedare bestiegen, um in belebender Morgenfrische der aufgehenden Sonne entgegenzureiten. Wir hätten uns jedoch die ganze Beschwerlichkeit der langen heutigen Tour füglich ersparen können, da die Ruinen, um derentwillen wir den großen Umweg unternahmen, ganz unbedeutend sind. Sie liegen nah am Nil und bestehen nur aus großen Schutthaufen, aus denen sich noch drei aufrechtstehende viereckige Pfeiler erheben, durch Isisköpfe mit sehr langen Ohren verziert. Ein italienischer Renegat, Leibarzt des Gouverneurs zu Khartum, hat hier Nachgrabungen veranstalten lassen, die aber kein anderes Resultat gegeben haben, als einige zerbrochene Säulenschäfte und Schlußsteine von Toren mit dem Symbol der geflügelten Kugel aufzudecken, an denen die Arbeit ziemlich roh ist.
Es blieb uns jetzt, um unsere Exkursion ganz zu vollenden, nur noch ein zweistündiger Marsch bis Beni-Naga übrig, in dessen Nähe meine auf der kürzesten Straße vorausgegangene Reisekarawane uns am Fluß erwartete. Unser Weg längs des Nils glich, obgleich ohne Anbau, doch völlig einem Garten durch die Menge der zierlichen Gesträuchclumps und malerisch verteilten Baumgruppen, zwischen denen sich die schönste Fernsicht einerseits auf die eben verlassenen Berge, von der andern auf die weiten Windungen des Flusses eröffnete. Wild war hier ziemlich häufig, besonders Hasen, welche die Beduinen durch Steinwürfe zu töten verstehen. Einmal floh ein Trupp von sechs schlohweißen großen Antilopen an uns vorüber, und in der Nähe einiger Zelte sahen wir eine sehr eigentümliche Rasse halbwilder Schafe, die nicht nur in der Form ganz von den unsrigen abwichen, sondern auch in ihrer Farbe. Einige waren rehfarben, die Wolle anderer von der Farbe eines falben Pferdes, und mehrere auf das Schönste marmoriert wie ein Osterei. Bald darauf erblickten wir unfern Beni-Naga einen dichten Hain hoher Palmen, derengleichen wir lange nicht mehr zu Gesicht bekommen hatten, und entdeckten zugleich unsre hellgrünen Zelte unter ihrem Schatten aufgeschlagen, neben verschiedenen Sakis, umgeben von den durch sie bewässerten fruchtbaren Fluren. Hier beschloß ich den heutigen Tag zu rasten. Ein Schaf ward für den Schech und seine Leute geschlachtet und ganz am Spieße gebraten; ich begnügte mich mit Datteln und Milch, eine Diät, die ich bis Khartum fortsetzte und dadurch mein häufiges Kopfweh und anderes leichtes Übelbefinden vollständig beseitigte.