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Zu den größten Plagen in Ägypten gehört die Masse der Fliegen, von denen man den ganzen Tag über gequält wird, bis sie in der Nacht von den Mücken abgelöst werden, welche indes weit weniger häufig und kaum so bösartig als an feuchten Orten in Europa sind. Moskitos gleich denen der Berberei sind mir bisher noch gar nicht hier vorgekommen. Die hartnäckige Windstille, welche seit Theben eingetreten war, ließ uns nur sehr langsam avancieren, und später fuhr sich noch überdies die große Barke so in Steinen fest, daß wir achtzehn Stunden in sengender Hitze an eine Felswand gelehnt verweilen mußten, ehe wir wieder flott wurden. Ein drittes Übel war der eintretende Mangel an gewissen Provisionen, die man sich hier nicht mehr verschaffen kann, namentlich Wein und selbst Zucker. Ich rate jedem, von diesen Artikeln wie auch Tee und guten Tabak immer dreimal so viel mit sich zu nehmen, als man zu verbrauchen glaubt. Das Zuviel wird selten hindernd, das Zuwenig aber sehr empfindlich und, wenn man daran gewöhnt ist, selbst der Gesundheit nachteilig.
Erst nach zwei Tagen erreichten wir Esne, eine ziemlich gut gebaute und für Ägypten mehr als gewöhnlich rein gehaltne Stadt, wo sich auch der wohlerhaltne und prachtvolle Portikus eines großen Tempels befindet, der jetzt als Kornmagazin dient. Man hat deshalb seine stolzen Säulenreihen mit Kotmauern durchzogen, um die nötigen Räume abzutrennen. Fast jede dieser Säulen wird von einem verschieden geformten Kapitäl gekrönt, an dem sich die bunten Farben noch mit großer Frische auszeichnen. Säulen und Wände sind voll Skulpturen, deren Ausführung jedoch nicht aus der besten Zeit ist.
In Esne erblickten wir die ersten Schwarzen mit großen silbernen Ringen in der Nase und bis auf den schmalen Gürtel ganz nackt gehende Weiber. Auch fanden wir die Stadt von vielen Almehs bevölkert, welche der Vizekönig aus Kahira hierher relegiert hat und sie auf Kosten des Gouvernements ein halbes Jahr lang ernähren läßt. Nach Verlauf dieser Zeit sind sie zwar frei, nach Kahira zurückzukehren, dürfen aber ihr früheres Metier nicht mehr daselbst treiben. Hier sind sie nicht daran verhindert und machen sich die Erlaubnis möglichst zunutze. Es befanden sich einige recht hübsche unter ihnen, welche Doktor Koch früher in Kahira tanzen gesehen hatte. Die armen Mädchen betrauerten bitterlich ihre Verbannung und führten dazu noch eine ganz eigentümliche Beschwerde gegen die Bewohner der hiesigen Gegenden an, die uns lachen machte, da wir in Europa nur über das Gegenteil zuweilen Konsistorialprozesse entstehen sehen.
Nach dem langen Kalme folgte stürmisches Wetter, das uns nicht besser vorwärts brachte, und in der Nacht riß der Wind sogar das Segel meiner Barke entzwei, was unter den schon ohnehin bei jeder Gelegenheit schreienden Arabern einen furchtbaren Lärm veranlaßte. Gegen Morgen sahen wir eine große Herde Büffel durch den Fluß schwimmen, die zwei oder drei unserer Schiffsjungen, welche gleich Amphibien auf beiden Elementen ohne Unterschied leben, nebst meinem Spartaner Susannis zu verfolgen sich belustigten. Es gibt gewiß kein Tier mit einem entschiedneren und zugleich possierlicheren Ausdruck von Dummheit, als den ägyptischen Büffel, besonders im Wasser, wo nur sein unförmiges Haupt mit den stieren Augen sichtbar wird. Endlich begann der Wind günstiger zu blasen, und wir fuhren daher ohne anzuhalten bei den imposanten Ruinenmassen von Edfu und später Konombos vorbei, obgleich der Entschluß, sie für jetzt so ganz zu übergehen, einige Überwindung kostete – denn aufgeschoben ist leider öfter aufgehoben, als wir glauben. Grade mit Sonnenuntergang waren wir an eine Stelle gelangt, wo sich bei Dschebel Selsele zwischen zwei schroffen Felsenreihen der Nil so sehr verengt, daß man bequem einen Stein von einem Ufer auf das andere werfen könnte. Nach Geoffroi de St. Hilaire boten hier in uralten Zeiten die geschloßnen Felsenberge dem Nil eine undurchdringliche Wand, die ihn zwang, westlich der libyschen Bergkette seinen Weg nach dem Mittelmeere zu suchen. Schwache Spuren jenes Laufes sollen sich noch in der Wüste vorfinden, und Überreste des weiten Landes, das er damals befruchtete, mögen vielleicht die verschiednen Oasen sein. Endlich bezwang er den sich ihm entgegenstellenden Damm und mag sich zuerst gleich dem Rheinfall im tiefen Sturze darüber ergossen haben, bis in der Folge der Jahrtausende er sich den freien Durchgang und zugleich im Meere selbst das Delta schuf.
Gleich nach dem Engpaß vor Selsele breitet sich der stolze Fluß wieder in alter Majestät aus, denn da er während eines Laufes von mehreren hundert Stunden, außer dem meist trockenen Atbarra, fast keinen Zufluß irgendeiner Art empfängt, so hat er das Eigentümliche, in seiner ganzen Länge (von Khartum an gerechnet, wo der weiße und blaue Fluß sich vereinigen) immer nur dasselbe Volumen Wasser fortzurollen. In dem Maße, wie man sich Assuan nähert, bemerkt man bereits häufig einzelne Klippen im Flußbett und darf in der Nacht nur mit großer Vorsicht fahren.
Tag und Nacht fehlten bei dieser schnellen Reise nie der Matrosengesang und Tambourinmusik, begleitet von Improvisationen aller Art. Als Susannis die Büffel verfolgte und dabei selbst die Schwarzen im schnellen Schwimmen übertraf, war er eine Zeitlang der Held ihrer Lieder – ein andresmal, wo ich ihnen ein Schaf geschenkt, teilte ich selbst mit dem sanften Opfer die Ehre des Tages. Denn ein geschlachtetes Schaf bedingt schon ein Fest. In der Regel lebt dies lustige Völkchen nur von Brot oder Schiffszwieback und Käse, wovon sie aber enorme Portionen verschlingen können; und für diese Kost allein arbeiten sie ohne weitern Lohn.
Schon nahten wir den Grenzen Ägyptens. Zwei hohe Felsen stiegen gleich einem Tore mitten aus dem Strome empor und ein Heiligengrab auf der Bergspitze rechts, ein alter Palast am palmenbekränzten Ufer links, deuteten auf die nahe Stadt. In der Tat erblickten wir nach wenigen Minuten die römischen Mauern mit dem Nilometer auf der Insel Elephantine, die grünumbuschten Häuser des neuen muhamedanischen Assuan und über ihm die Ruinen des alten christlichen Syene – auf diese Weise drei Phasen der bewegten Geschichte dieses Landes dem Auge auf einmal vorführend.
Wir ruhten hier einige Tage aus und fanden eine höchst freundliche Aufnahme bei Bali-Kascheff, einem gebildeten Türken, der die Europäer liebt und ihnen mit Freuden jede Gefälligkeit erzeigt, die in seinen Kräften steht.
Unsre erste Ausflucht war nach der Insel Elephantine, deren kürzlich noch reiche Überreste erst in der letzten Zeit zerstört wurden. Jetzt findet man nichts mehr vor als einen Teil des von Strabo erwähnten Nilometers mit herabführender Treppe und Spuren tief eingeschnittner Maße an den äußern Quadern, einige umhergeworfne Säulenreste, zwei verstümmelte Statuen und ein mit Hieroglyphen verziertes Tor nebst mehreren Mauern aus großen Werkstücken. Die gegenüberliegenden phantastischen Granitfelsen tragen mehrere ägyptische Inschriften und Bilder; weiterhin zeigen sich schon die ersten Klippen der Katarakten. Ein Teil der Insel Elephantine – der Blühenden, wie sie die Araber nennen – ist gut bebaut, und statt ihrer sonstigen Heiligentempel bleibt sie jetzt nur durch ihre vortreffliche Milch und Butter ausgezeichnet. Während wir diese von weidendem Vieh belebten Haine und Fluren durchstrichen, brachte man uns allerlei unbedeutende Antiken zum Verkauf, unter welchen auch als solche zwei kleine Räder einer Taschenuhr produziert wurden, die einer europäischen Polizei vielleicht dazu gedient hätten, irgendeinen im geheimen verübten Mord oder Diebstahl zu entdecken – denn wie kämen die Einwohner sonst zu einer solchen Ware?
Auch in der Nähe der Stadt befinden sich noch einige interessante Reste des Altertums, aus denen man ersieht, daß man mit Unrecht in unsrer Zeit Diodor der Ungenauigkeit beschuldigt, weil er des Nilometers als in der Stadt Siéne befindlich erwähne, welcher sich doch gegenüber auf der Insel Elephantine befunden habe, zwei verschiedne Nilometer aber in solcher Nähe nicht mit Wahrscheinlichkeit anzunehmen wären. «Le vrai souvent n'est pas vraisemblable» – und so ist es auch hier, denn die Überreste des Nilometers auf dem Platze, wo das ägyptische Syene stand, sich fast noch deutlicher nachzuweisen, als die, deren Strabo auf Elephantine gedenkt. Weitläufige Bäder standen damit in Verbindung, die sich zum Teil noch jetzt in ganz brauchbarem Zustande befinden.
Für unsre Matrosen waren dies Festtage, deren größten Teil sie im Wasser zubrachten, wo sie gleich Flußgöttern sich umhertummelten, und mit einem höchst wunderlichen Manöver, das sie den Delphinen nachzuahmen scheinen, Purzelbäume gegeneinander schossen, deren Nebenzweck aber hauptsächlich darin bestand, dem Gegner mit einem vorgestreckten Beine unversehens einen so heftigen Schlag zu versetzen, daß er einen Augenblick gegen seinen Willen in der Tiefe verschwinden muß. Dort schwimmt der Getroffene dann gewöhnlich unsichtbar fort, bis er sich seinen Vorteil abgepaßt und nun plötzlich wieder auftauchend den empfangenen Schlag mit Interessen wiederzugeben sucht. Dieses ganz neue Kampfspiel ergötzte uns nicht wenig, und Engländer würden ohne Zweifel bald bedeutende Summen auf die rüstigen Wasserboxer gewettet haben. Wir begnügten uns, durch einige in den Fluß geworfene Piaster ihren Eifer immer wach zu erhalten. Bei einer solchen Gelegenheit entfiel dem Doktor ein kostbares Pfeifenmundstück an der tiefsten Stelle des Stromes. Dreimal tauchte man vergebens danach nieder, wie in Schillers Ballade, und erst zum vierten Male brachte es eine der rastlosen Amphibien glücklich und unversehrt wieder zum Vorschein.
Möge Dir, der Du dieses liesest, alles, was Du verloren achtetest, ebenso von neuem geschenkt werden! – ein nicht zu verachtender Wunsch, mit dem ich hier an Ägyptens Grenze von allen den unbekannten Freunden und Freundinnen, deren Zahl nur einem Autor allein nie groß genug deucht, dankbaren Abschied nehme, bis wir uns im wüsten Nubien wiederfinden.