Heinrich Pestalozzi
Lienhard und Gertrud
Heinrich Pestalozzi

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166.

  Weilen doch über den himmlischen Bogen
Eine so dicke Decke gezogen,
Daß es auf Erden finster und Nacht,
Welches uns alle so schläfrig macht –
Liebester Gott! so wollest verschaffen,
Daß wir doch friedlich nehmen Bedacht;
Unser Aug' sei für das Nahe geschaffen,
Und nicht gar in die Ferne zu sehn! –
Mächtiger König! wehre dem Teufel,
Wann er uns reizt zu Zank und zu Zweifel.
Wann er die Poltergeister erweckt
Und uns mit streitigen Meinungen neckt;
Denn er damit den Seelen aufpasset,
Sonderlich auch dem Frieden nachstellt,
Welchen der Mörder grimmiglich hasset,
Deme nur, was uns schadet, gefällt –
Mächtiger König! wehre dem Teufel,
Wann er uns reizt zu Zank und zu Zweifel,
Wann er die Poltergeister erweckt,
Und uns mit streitigen Meinungen neckt!


Da der Pfarrer hörte, daß der Jakob Friedrich Hartknopf jetzt gedemütiget und jedermann zum Gespötte geworden sei, ging er noch diesen Abend zu ihm hin.

Der arme Tropf wußte von nichts weniger in der Welt als davon, daß der Mensch aus jedem Unglück, das ihm begegnet, den größten Nutzen ziehen könne, wenn er sich überwinden kann, nachzuforschen, worin er selber daran schuld ist. Er wütete nur darüber, daß jedermann das Gespött mit ihm trieb, und dachte nicht, daß seine Torheiten und Laster ihm dieses Gespött zugezogen hatten. Aber so ist der Mensch allenthalben. Er meint, er dürfe zwanzig, dreißig und vierzig Jahre ein Narr oder ein Schelm sein, und es dürfe dann niemand auch nur das Maul darüber rümpfen, wenn es ihm auskömmt. Aber es ist vergebens. Die Welt lacht ob den Narren, welche fallen, und ob den Schelmen, welche an den Pranger kommen. Doch gibt es immer noch Leute, die nicht lachen, sondern Mitleiden haben. Der gute Pfarrer war gewiß auch einer von diesen, obschon es der Hartknopf nicht glaubte, sondern meinte, er komme jetzt nur zu ihm, ihn auszuhöhnen. Aber der Pfarrer war so herzlich mit ihm, daß er bald von seinem Irrtum zurückkam.

Ein Hauptwort, das der Pfarrer zu ihm sagte, war dieses: Hartknopf, ich möchte dir eben zeigen, wie man in der Welt ohne Kränkung leben kann.

Hartknopf. Ich möchte es gerne wissen.

Pfarrer. Man muß nur immer den geraden Weg gehen.

Hartknopf. Aber was ist der gerade Weg?

Pfarrer. Alles, was ihr wollet, das euch die Menschen tun sollen, das tut ihr auch ihnen.

Der Hartknopf wollte hier ausweichen, und dieses und jenes anbringen; aber der Pfarrer hielt ihn fest, und sagte ihm, daß sein Unglück just daher komme, daß er diesen geraden Weg nicht gegangen sei, und in keinem Stücke liebreich und gutmütig mit seinen Nebenmenschen gelebt habe. Hierauf ging er recht tief mit ihm in die Materien seines Lebens hinein, und sagte ihm unter anderm: Hartknopf, du bist ein rechter Meinungen-Narr gewesen, und hast immer vergessen, daß wir alle blind sind auf Erden, und darum uns nie über Meinungen erhitzen und ereifern sollten. Und es ist recht heidnisch, wie du an deinen Meinungen hangest, wie wenn sie selbst Gott wären. Du glaubst, wer nicht denke wie du, sei Gott nicht lieb; und hast die gute Lehre vom stillen, frommen Gottesglauben zu einer Streitlehre gemacht, daß die Leute das Wort Gottes und das Evangelium brauchten, wie ein böses Volk ein trölerisches Gesetzbuch braucht, einander das Leben zu verbittern, und das Blut unter den Nägeln hervorzudrücken. Indessen bist du mit diesem Leben ein Lump geworden; und wenn du Kinder hättest, du könntest sie nicht mit Gott und Ehren erziehen. Ich will nur kein Blatt vor den Mund nehmen, und dir sagen: Wenn du dich nicht änderst und fleißiger wirst, so fällst du in kurzem der Gemeinde zur Last; denn ich weiß deine Umstände, und weiß, daß du in allen Ecken weit mehr schuldig bist, als du zahlen kannst.

Der Hochmut hätte dem Hartknopf nicht zugelassen, mit klaren Worten dem Pfarrer zu gestehen, daß er recht habe, wenn er nicht den Artikel mit den Schulden berührt hätte; aber darüber erschrak er so sehr, daß er ihm bekannte und sagte: ja, es sei wahr, und er wollte jetzt gern, es wäre anders. Er klagte den Magister Heiligenzahn an, daß er ihn vor zwanzig Jahren so in die Büchersachen hineingeführt habe.

Pfarrer. Wußte der Magister Heiligenzahn, daß du ein Strumpfweber warst?

Hartknopf. Ja.

Pfarrer. So hatte er unrecht. Man muß jedermann bei seinem Handwerk lassen; und der Mensch muß nie in Sachen hineingehen, die gar zu ungleich sind mit denen, die er in seiner Jugend gelernt hat, und durch die er sein Brot suchen muß. Denke jetzt nur selber, wenn du ein fleißiger braver Strumpfweber geblieben wärest, und deinen Kopf immer recht warm bei deinem Stuhl und Garn gehabt hättest, wärest du nicht viel ehrlicher, wohlhabender, zufriedener und an Leib und Seele gesunder, als du jetzt bist mit all dem dummen, papiernen Kram, den du im Kopfe hast?

Auch dieses sagte der Pfarrer noch zu ihm: Hartknopf, nicht wissen und nicht verstehen wollen, was einem zu hoch ist, dabei bleibt es einem wohl. Man singt dann ruhig sein Glaubenslied, und kömmt heiter zum Grabe; und wer am meisten weiß, weiß immer, daß er fast nichts weiß.

Der Hartknopf war jetzt in einer Lage, daß diese Reden Eingang fanden; und er sagte zuletzt selbst, er wollte freilich gern, daß er bei seinem Handwerk geblieben wäre, und sich keiner andern Sache etwas angenommen hätte, und mehr solche Worte, die vor zweimalvierundzwanzig Stunden noch niemand vermutet hätte, daß sie einem Manne zum Mund herauskommen würden, der sich einbildete, mehr zu wissen als sieben Pfarrer.


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