Heinrich Pestalozzi
Lienhard und Gertrud
Heinrich Pestalozzi

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26.
Hochmut in Armut und Elend führt zu den unnatürlichsten, abscheulichsten Taten.

Marx war vorzeiten wohlhabend, und hatte Handelschaft getrieben; aber jetzt war das, was er besessen, schon längst vergantet, und er lebte fast gänzlich vom Almosen des Pfarrers und einiger bemittelter Verwandten, die er hatte. In all seinem Elend aber blieb er immer gleich hochmütig, und verbarg den dringenden Mangel und Hunger seines Hauses (außer da, wo er bettelte) allenthalben, wie er konnte und mochte.

Dieser, als er den Vogt sah, erschrak heftig; aber er ward darum nicht blaß; denn er war ohne das schon todgelb. Er nahm schnell die umherliegenden Lumpen, und schob sie unter die Decke des Bettes, und befahl den fast nackenden Kindern, auf der Stelle sich in die Kammer zu verbergen. – Herr Jesus! sagen die Kinder, es schneit und regnet ja herein. Höre doch, wie es stürmt, Vater! Es ist ja kein Fenster mehr in der Kammer. – Geht, ihr gottlosen Kinder! wie ihr mich so toll macht! Meint ihr, es sei euch nicht nötig, daß ihr euer Fleisch kreuzigen lernet? – Es ist nicht auszustehen, Vater! sagen die Kinder. – Es wird ja nicht lange währen, ihr Ketzer! geht doch; sagt der Vater, stößt sie hinein, schließt die Türe, und ruft dann dem Vogt in die Stube.

Dieser sagt ihm den Bericht. Der Marx aber dankt dem Vogt, und fragt: Bin ich Aufseher unter diesen Leuten?

Was denkst du, Marx? antwortete der Vogt. Nein, Arbeiter bist du wie die andern.

Marx. So, Herr Untervogt?

Vogt. Es steht dir frei, wenn du allenfalls die Arbeit nicht willst.

Marx. Ich bin freilich sonst solcher Arbeit nicht gewohnt; aber weil es das Schloß und den Herrn Pfarrer antrifft, so darf ich wohl nichts anders, und ich will sie annehmen.

Vogt. Es wird sie gar freuen, und ich denke fast, der Junker werde mich noch einmal zu dir schicken, dir zu danken.

Marx. Ha, ich meine es nicht so; aber insgemein möcht' ich doch nicht bei jedermann taglöhnen.

Vogt. Du hast sonst Brot.

Marx. Gottlob, noch immer.

Vogt. Ich weiß es wohl. Aber wo sind deine Kinder?

Marx. Bei meiner Frau seligen Schwester; sie essen da zu Mittag.

Vogt. Es war mir, ich hörte eben in der Kammer schreien.

Marx. Es ist kein einziges bei Hause.

Der Vogt hört das Geschrei noch einmal, öffnet ohne Komplimente die Kammertüre, sieht die fast nackenden Kinder, von Wind, Regen und Schnee, der in die Kammer hinein stürmt, zitternd und schlotternd, daß sie fast nicht reden können, und sagt dann: Essen deine Kinder da zu Mittag, Marx? – Du bist ein Hund und ein Heuchler, und du hast das um deines verdammten Hochmutes willen schon mehr so gemacht!

Marx. Um Gottes willen! sag' es doch niemanden! bring' mir es doch nicht aus, Vogt! um Gottes willen! Unter der Sonne wäre kein unglücklicherer Mensch als ich, wenn es mir auskäme.

Voigt. Bist du denn von Sinnen? Auch jetzt sagst du nicht einmal, daß sie aus dem Hundsstall herkommen sollen. Siehst du denn nicht, daß sie braun und blau sind vor Frieren? So würde ich einmal meinen Pudel nicht einsperren.

Marx. Kommt jetzt nur heraus! Aber Vogt, um Gottes willen! sag' es doch niemand!

Vogt. Und du spielst dann noch beim Pfarrer den Frommen!

Marx. Um Gottes willen! sag' es doch niemanden!

Vogt. Das ist doch hündisch, du Heiliger! ja du Ketzer! Hörst du, das bist du, ein Ketzer; denn so macht es kein Mensch. Du hast dem Pfaffen auch die vorige Woche den Schlaghandel erzählt; kein Mensch als du! Du gingst eben um zwölf Uhr, da es geschah, von einer frommen Fresseten heim und neben meinem Haus vorbei.

Marx. Nein, um Gottes willen! glaube doch das nicht! Gott im Himmel weiß, daß es nicht wahr ist.

Vogt. Darfst du auch das sagen?

Marx. Weiß Gott, es ist nicht wahr! Vogt, ich wollte, daß ich nicht mehr hier vom Platze käme, wenn es wahr ist!

Vogt. Marx, darfst du das, was du jetzt sagst, vor meinen Augen dem Pfarrer unter die Nase sagen? Ich weiß mehr, als du glaubst.

Der Marx stotterte: Ich weiß . . . ich möchte . . . ich ha . . . habe nicht davon angefangen.

So einen Hund und einen Lügner, wie du bist, habe ich in meinem Leben keinen gesehen. Wir kennen jetzt einander, sagte der Vogt, ging, und erzählte alles in eben der Stunde des Pfarrers Köchin, die sich denn fast zu Tode lachte über den frommen Israeliten ab der Reuti, und heilig versprach, es dem Pfarrer getreulich zu überbringen. Der Vogt aber freute sich in seinem Herzen, daß hoffentlich der Pfarrer dem wüsten Ketzer das Wochenbrot jetzt nicht mehr geben würde, worin er sich aber gröblich irrte; denn der Pfarrer hatte ihm bis jetzt das Brot wahrlich nicht um seiner Tugend, sondern um seines Hungers willen gegeben.


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