Heinrich Pestalozzi
Lienhard und Gertrud
Heinrich Pestalozzi

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115.
Des Kalberleders Versuch, den Sachen zu helfen, und sein übler Ausschlag.

Sie waren jetzt da, und taten, was nötig war, und der junge Kalberleder ging bald zum Nußbaum, und fing an, wie wenn er einen halben Rausch hätte, den Kühreihen zu singen. Das dünkte den Pfarrer gar lustig. Er lag unter dem Fenster, und hörte dem Holzhacker zu, der den Kühreihen sang. Auch der Vogt guckte hinter dem Umhang hervor, zu sehen, was das geben müsse; denn er merkte gleich, daß der Kalberleder nicht für die Langweile den Baum umhaue, sondern daß gewiß etwas dahinter stecke.

Es ging nicht lange, so stellte des Pfarrers Hans sich in eine Gartenecke zum Kalberleder, und sagte: Es ist fast schade, daß du den Baum umhaust; er trug ja alle Jahre so viel Nüsse.

Kalberleder. Er gibt gute Läden zu Flintenschäften, und mein Vater hat einem Glarner einen guten Baum versprochen; zudem treiben die Nußbäume mit den Wurzeln gar weit, und schaden mehrenteils am Gras mehr, als sie an den Nüssen abtragen.

Hans. Das ist sonst wohl so; aber ihr laßt diesen da mit seinen Wurzeln ja nur gegen unser Land und nicht gegen das eurige treiben.

Kalberleder. Wie meinst du das?

Hans. Ha so, daß ihr bald alle Jahre ihm auf eurer Seite die Wurzeln abgrabet.

Kalberleder. Du weißt einmal mehr als ich.

Hans. Nein, wie ihr doch so unschuldig tun könnet, ihr Nachbarn!

Kalberleder. Ich weiß gewiß nichts davon. Aber sage doch, wäre es vielleicht nicht möglich, daß ich dem Vogt auch einen guten Abend sagen könnte?

Hans. Wohl freilich.

Kalberleder. Kommt er nie ans Fenster?

Hans. Du kannst ja zu ihm in die Stube gehen; der Pfarrer hat gewiß nichts dawider.

Kalberleder. Er möchte glauben, was ich mit ihm wollte.

Hans. Du wirst nichts Geheimes haben.

Kalberleder. Nichts weniger.

Hans. Der Herr Pfarrer ist unter dem Fenster. Wenn ich du wäre, ich würde hingehen, und es ihm selber sagen.

Du hast recht, sagte der Kalberleder, legte dann den Karst ab, nahm seine Kappe in die Hände, ging unter das Fenster, wo der Herr Pfarrer war, bückte sich tief, und sagte: Gott grüß Euch, wohlehrwürdiger Herr Pfarrer!

Pfarrer. Ich danke dir.

Kalberleder. Ihr zürnet es doch nicht, daß der Vater den Nußbaum da umhauen lassen will?

Pfarrer. Ich wüßte gar nicht warum.

Kalberleder. Ha, ich dachte, wenn er Euch etwa Schermen (Schutz) im Hofe gäbe.

Pfarrer. Er steht nicht an der Windseite. Nein, ich bin gar froh, wenn er wegkömmt; er nahm uns die Morgensonne in dem halben Garten.

Kalberleder. Wenn es dem Vater jemals in den Sinn gekommen wäre, daß er Euch im Wege stehe, er hätte ihn gewiß schon lange umgehauen.

Pfarrer. Er sah das wohl, aber es war meinetwegen nicht nötig.

Kalberleder. Warum das nicht, Herr Pfarrer? Ihr könnt nicht glauben, wie Ihr den Leuten so lieb seid, und wie es auch den Vater freut, daß Ihr mit dem armen Tropf, den Ihr bei Euch habt, so gut seid.

Pfarrer. Ich tue ihm nichts als meine Schuldigkeit.

Kalberleder. Wohl freilich, Herr Pfarrer. Aber um Erlaubnis, wie geht es auch mit ihm? Hält er sich auch, daß Ihr mit ihm zufrieden sein könnet?

Pfarrer. Ja gottlob; bis jetzt bin ich von Herzen mit ihm zufrieden.

Kalberleder. Der Vater hat gesagt, vielleicht sehe ich ihn etwa am Fenster, und ich solle ihn in dem Falle von seinetwegen grüßen, und ihm sagen, daß er doch auch nicht verzweifle. Es werde, will's Gott, auch noch Brot für ihn in der Welt geben.

Pfarrer. So viel ich merken mag, ist er jetzt einmal für sein Brot noch nicht unruhig.

Das freut mich, antwortete der Kalberleder; und nach einer Weile sagte er wieder: Wenn ich dürfte, Herr Pfarrer, ich hätte fast Lust, ihn auch einen Augenblick zu sehen, weil ich doch so nahe bin.

Ich mag es wohl leiden, sagte der Pfarrer.

Nun hatte der Kalberleder, was er wollte. Er ging mit dem Pfarrer in die Stube, und wartete da unter gleichgültigen Gesprächen einen Augenblick ab, in welchem der Pfarrer beiseite ging. Wie ein Blitz ergriff er diesen Augenblick, und sagte zum Vogt: Ich muß dir geschwind sagen, weil wir allein sind: wenn du stille bist, und niemanden ins Unglück bringst, so wollen dir die Vorgesetzten alle für dein Lebtag an die Hand gehen, daß du des Brotes wegen ruhig schlafen kannst. Aber wenn du schwatzest, und sie auch ins Spiel hineinziehest, so zähle darauf, daß du keinen Menschen im Dorfe findest, der dir nur ein Stück Brot gibt, wenn er dich auch Hungers sterben sähe. Das ist es, warum ich da bin, und warum ich mich zu dir in die Stube geschlichen.

Der Vogt war über diesen plötzlichen Antrag sehr betroffen, wußte einen Augenblick nicht, was er antworten sollte, und sagte dann ganz wehmütig zum Kalberleder: Ich habe geglaubt, du seiest bloß aus Freundlichkeit für mich da.

Ich bin jetzt dafür da, und möchte gerne eine Antwort, sagte der Kalberleder; und sah ihn an, wie wenn er ihn durchstechen wollte.

Vogt. Ich kann nicht helfen; ihr könnet mit mir handeln, wie ihr wollet.

Kalberleder. Du hast hiemit schon geschwatzt?

Vogt. Ich kann es nicht leugnen.

Kalberleder. Ach, wenn du willst, du kannst alles wieder zurücknehmen und verdrehen.

Vogt. Ich tue es nicht.

Kalberleder. So?

Vogt. Es ist mir leid; aber es ist besser, die Unordnungen . . .

Kalberleder. Schweig doch von Unordnungen; wer hat sie gemacht als du?

Vogt. Es ist mir leid.

Kalberleder. Verkehre, was du gesagt hast; es gereut dich nicht.

Vogt. Ich kann nicht!

Kalberleder. Du willst nicht.

Vogt. Ich kann nicht, und, die Wahrheit zu sagen, ich will auch nicht. Aber du wirst erleben, daß ich niemanden dadurch etwas schaden werde.

Kalberleder. Das ist geredet, wie wenn du den Verstand verloren hättest.

Vogt. Ich kann wohl begreifen, daß es dir so vorkömmt; vor vierzehn Tagen wäre es mir auch so vorgekommen.

Kalberleder. Rede doch jetzt nicht wie eine alte Betschwester. Dein Glück hängt von diesem Augenblicke und von deinem Worte ab.

Vogt. Mache dir keine Hoffnung; daraus gibt es gewiß nichts.

Kalberleder. Glaube mir, du wirst deinen Lohn dafür kriegen.

Eben jetzt kam der Pfarrer wieder in die Stube, und der Kalberleder nahm bald darauf Abschied. Vorher aber sagte er noch zum Pfarrer, er glaube, er habe den Vater nicht recht verstanden, und er habe vielleicht nicht den Nußbaum gemeint, den er angegriffen.

Das kann wohl sein, sagte der Pfarrer.

Und der Kalberleder: Ich will ihn doch, ehe ich ihn vollends umhaue, noch einmal fragen.

Du tust wohl daran, sagte der Pfarrer, merkte aber doch, daß etwas Krummes um den Weg war.

Die Vorgesetzten aber wunderten sich gar sehr, wie es mit diesem Vorhaben gehe, und standen mit Ungeduld wartend hinter den Zäunen und Häusern, wo man gegen das Pfarrhaus sieht. Der Speckmolch kroch sogar mit seinem großen Bauche über Garben und Heustock unter das Dachloch, um von da hinunter zu sehen, wie es dem Kalberleder gehe, und wann er wieder heimkomme. Aber die hinter den Hecken und der unter dem Dachloch wurden übel getröstet, da sie sahen, wie er den Kopf hängte, und die Hände fallen ließ, als er wieder zum Pfarrhaus hinausging. Sie eilten aber doch zu seinem Vater, den Bericht ganz zu vernehmen. Dieser wollte noch groß tun, und voraus rühmen, was sein Sohn ausgerichtet; aber sie stopften ihm den Mund, und schworen voraus, was er heimbringe, sei eine hinkende Botschaft.

Ihr könnt es doch auch nicht wissen, bis er da ist, sagte der Vater.

Wohl freilich, sagten die Bauern, als eben der Bube anlangte. Er warf das Holzgeschirr so stark in das Tenn hinein, daß die Stube davon erzitterte; kam dann erst, nachdem ihn sein Vater zweimal hatte rufen müssen, in die Stube, stand in eine Ecke, grüßte niemanden, und sagte nur: Es ist alles nichts.

Die Bauern aber wollten mehr wissen, und er mußte, so ungern er es tat, ihnen umständlich erzählen, wie es zugegangen. Als er fertig war, hudelten sie ihn noch einen Augenblick aus, gingen dann nach und nach wieder heim, beladen mit Gedanken und Ratschlägen, die die Angst in ihnen ausbrütete, die aber noch nicht reif waren.

Den alten Kalberleder reute jetzt nichts so sehr als sein Nußbaum. Ich möchte das helle Wasser weinen, daß ich ihn so leichtsinnig habe umhauen lassen, sagte er, als die Bauern kaum fort waren, zu seinem Buben.

Ich war kein Narr, erwiderte dieser. Ich noderte (stocherte) nur so an den Wurzeln, und er steht deshalb noch hundert Jahre.

Das ist gut, Bub; was man nicht weggibt, das hat man noch, sagte der Vater. Und bald darauf sagte er wieder: Aber gelt, es hätte den Pfarrer gefreut, wenn er dieses Gartennachbars losgeworden wäre?

Der Bub. Das denk' ich. Er und der Hans sagten beide, er fresse nur ab ihrem Boden.

Der Vater. Er frißt hoffentlich noch länger daran als sie beide.

Der Bub. Ich habe dem Pfarrer, da ich sah, daß es mit dem Vogt nichts war, gesagt: ich glaube, ich hätte dich unrecht verstanden, und du habest vielleicht einen andern Baum gemeint.


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