Heinrich Pestalozzi
Lienhard und Gertrud
Heinrich Pestalozzi

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157.
Ein Doktor in der Perücke, auf einer Tragbahre und im Bette.

Währenddem kam der Hans aus dem Pfarrhaus, seinem Herrn zu sagen, die Vögtin habe eine Ohnmacht über die andere, und lasse bitten, daß ihr Mann zu ihr heim dürfe.

Der Pfarrer sagte dem Junker die Umstände der Krankheit und die Wirkung der Himmelstropfen; und der Hans konnte sich nicht enthalten, beizufügen, die Vögtin merke jetzt selber, daß sie von diesen Tropfen vergiftet worden sei.

Aufgebracht fragte jetzt schnell der Junker, ob der Henkerskerl an der Gemeinde sei.

Daheim ist er, sagten etliche seiner Nachbarn; und der Junker sandte im Augenblick den Weibel zu ihm mit dem Befehl, daß er hieher kommen solle.

Der Treufaug gab diesem zum Fenster hinaus Antwort, und fragte, was er mit ihm wolle. Sobald er aber merkte, daß es die Vögtin antreffe, beliebte es ihm nicht, mit dem Weibel zu gehen, und er sagte zu ihm: Du weißt, wenn es auf den Abend geht, so ist es zu spät für mich, um Rede und Antwort zu geben; und heute habe ich so viel getrunken, daß ich den Mann auf dem Brunnenstock für den Junker ansehen könnte, wenn ich an die Gemeinde gehen müßte. Darum ist es besser, ich bleibe daheim. Sei doch so gut, und sage dem Junker, ich liege im Bette, und es sei mir gar nicht wohl; aber ich wolle morgen oder übermorgen ins Schloß kommen, wenn er wolle.

Der Weibel, der den Treufaug haßte, brachte dem Junker die Antwort, just wie sie ihm gegeben wurde; nämlich er habe ihm zum Fenster hinaus in der Perücke gesagt, er liege im Bette, sei krank usw. Doch von dem Brunnenstocke sagte er nichts.

Der Junker, der sich längst vorgenommen hatte, den Treufaug beim ersten Anlaß zum Gespötte zu machen, rief jetzt den Flink, und befahl ihm, den kranken Kerl auf einer Tragbahre im Bette hieher zu bringen, und auf keine andere Art, er möge sagen, was er wolle.

Es träumte aber auch dem Treufaug selber vom Bösen wegen seiner Antwort. Sobald der Weibel fort war, nahm er sein altes Perspektiv von der Wand, und guckte auf den Gemeindplatz hinunter, um zu sehen, wie der Weibel mit dem Junker rede. Er sah ihn, wie er vor ihm stand, und merkte augenblicklich an seinem Munde, daß er das Gespötte mit ihm treibe; und es erschütterte ihn, wie wenn er das Fieber hätte, daß der Weibel ihn wie ein untreuer Ketzer verrate. Aber da er jetzt noch gar den Harschier zum Junker hervortreten sah, fiel ihm das Fernglas fast aus der Hand und zum Fenster hinaus. Was ihm in der Angst in den Sinn kam, war, er müsse ins Bett gehen, damit er darin sei, wenn allenfalls der Harschier kommen sollte. Aber ehe er ging, nahm er das Fernglas noch einmal, und sah jetzt viele Leute mit Tragbahren beim Junker stehen.

Es dünkte die jungen Bursche lustig, den Herrn Doktor im Bett unter die Linde zu bringen. Sie sprangen zu Dutzenden, und brachten eine Menge Tragbahren.

So viele Tragbahren müssen etwas anderes bedeuten, dachte der Doktor, atmete etwas leichter, und ging nicht ins Bett, sondern in den Keller, um in einer Weinflasche Trost wegen seines Schreckens zu holen. Er hatte sie aber kaum heraufgebracht und auf den Tisch gesetzt, so pochten der Flink und die Bursche mit der Tragbahre an seiner Türe; und es ward dem Doktor grün und schwarz vor den Augen, als er dieses Volk vor seiner Türe sah. Was wollt ihr hier mit eurer Tragbahre? rief er stotternd vom Fenster hinunter.

Wir müssen dich auf derselben zum Junker tragen, antworteten die Träger; und die jungen Bursche, die mitliefen, erhoben ein lautes Gelächter.

Aber der Flink rief ernsthaft: Macht uns auf; Ihr müßt mit uns!

Der Treufaug, beinahe ohne zu wissen, was er tat, öffnete jetzt die Türe.

Sie gingen jetzt hinauf, und der Flink berichtete ihm in Form und Ordnung, was jetzt sein müsse.

Er aber fluchte, und sagte, er vermöge ja zu zahlen, und wenn es tausend Gulden und mehr koste, wenn er etwas verfehlt habe; so aber lasse er sich nicht behandeln.

Die jungen Bursche antworteten ihm: der Junker tue das nur, um ihn zu schonen, weil er gehört habe, daß er krank sei, und im Bette liege. Der Flink aber sagte, er solle Vernunft gebrauchen, und gutwillig tun, was sich nicht ändern lasse. Aber der Treufaug war wie wütend, fluchte forthin, und sagte, daß er nicht so mit sich umgehen und sich nicht tragen lasse. Zuletzt war der Flink müde, und sagte, wenn er nicht gutwillig kommen wolle, so müsse er ihn binden.

Bei Gott! sagte der Treufaug, probiere es einer, und rühre mich an; er wird dann erfahren, was ihm begegnet. Aber ohne ein Wort zu antworten, faßte ihn jetzt der Flink tüchtig beim Arm.

Jesus! Jesus! der Arm tut mir wehe! ich will ja kommen! sagte nun der Doktor, setzte sich schluchzend und heulend auf die Tragbahre, und ließ geduldig seine Bettdecke über sich legen und sich forttragen.


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