Heinrich Pestalozzi
Lienhard und Gertrud
Heinrich Pestalozzi

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30.
Fortsetzung, wie Schelme miteinander reden und handeln; auf eine andere Manier.

Wein her, Frau Vögtin! Vogt, wir saufen auf die Ernte hin, eine Garbe vom Zehnten für die Maß!

Vogt. Ihr wollt mich bald bezahlen.

Bauern. Nicht so bald, aber desto schwerer.

Der Vogt setzt sich zu ihnen, und sauft auch mit ihnen nach Herzenslust auf den künftigen Zehnten. Nun sind alle Mäuler offen; ein wildes Gewühl von Fluchen und Schwören, von Zoten und Possen, von Schimpfen und Trotzen erhebt sich an allen Tischen. Sie erzählen von Hurereien und Diebstahl, von Schlaghändeln und Schmähworten, von Schulden, die sie listig geleugnet, von Prozessen, die sie mit seinen Streichen gewonnen haben; von Bosheiten und Unsinn, davon das meiste erlogen, viel aber leider! wahr war; wie sie den alten Arner in Holz und Feld um den Zehnten bestohlen haben; auch wie ihre Weiber jetzt bei den Kindern Trübsal blasen, wie die eine das Betbuch nehme, die andere einen Krug Wein im Spreu oder in einen Strohsack verberge; auch von ihren Buben und Mädchen, wie eines dem Vater helfe die Mutter betrügen, und ein anderes der Mutter helfe den Vater erwischen, und wie sie es als Buben auch so gemacht haben und noch viel schlimmer. Dann kamen sie auf den armen Uli, der über etlichen solcher Narrenpossen ertappt worden, und elendiglich am Galgen umgekommen sei; wie er andächtig gebetet habe, und gewiß selig gestorben sei, nachdem er, wie man wohl wisse, nicht das Halbe bekannt habe, aber doch um des unchristlichen Pfarrers willen habe ins Gras beißen müssen.

Sie waren eben an dieser Geschichte und an des Pfarrers Bosheit, als die Vögtin ihrem Manne winkte, daß er heraus komme.

Wart, bis die Geschichte mit dem Gehängten vorüber ist, war seine Antwort. Sie aber sagte ihm leise ins Ohr: Der Joseph ist da. Er antwortete: Versteck ihn; ich will bald kommen.

Der Joseph hatte sich in die Küche geschlichen. Es war aber so viel Volk im Haus, daß die Vögtin befürchtete, man sehe ihn da. Sie löschte das Licht aus, und sagte ihm: Joseph, ziehe deine Schuhe ab, und schleiche mir nach in die untere Stube; der Mann kommt hinunter. Der Joseph nahm seine Schuhe in die Hand, und folgte ihr auf den Zehen in die untere Stube. Und es ging nicht lange, so kam der Vogt auch, und fragte ihn: Was willst du noch so spät, Joseph?

Joseph. Nicht viel; ich will dir nur sagen, es sei mit den Steinen recht gut in der Ordnung.

Vogt. Das freut mich, Joseph.

Joseph. Der Meister redete heute von der Mauer, und schwatzte da, daß die nahen Kiesel und Feldsteine recht gut wären; ich sagte ihm aber geradezu, daß er ein Narr sei, und seine Sache nie recht anstellen wolle. Die Mauer werde vom Schwendistein so schön und glatt werden wie ein Teller. Er sagte kein Wort dagegen, und ich fuhr fort, wenn er nicht Schwendisteine nehme, so stoße er sein Glück mit Füßen von sich.

Vogt. Hat er sich dazu entschlossen?

Joseph. Ja freilich, das war im Augenblick richtig. Am Montag werden wir den Bruch angreifen.

Vogt. Die Taglöhner müssen ja am Montag ins Schloß.

Joseph. Sie werden zu Mittag schon wieder zurück und mit der Ware in dem Kalk sein. Das hat seine Richtigkeit, wie wenn es schon drinnen wäre.

Vogt. Das ist recht und gut. Wenn es doch nur schon gemacht wäre! Dein Trinkgeld liegt schon parat, Joseph.

Joseph. Ich hätte es eben jetzt recht nötig, Vogt.

Vogt. Komm nur am Montag, wenn ihr den Bruch angefangen haben werdet; es liegt parat.

Joseph. Meinst du, ich halte nicht Wort?

Vogt. Wohl, Joseph, ich traue dir.

Joseph. So gib mir doch gerade jetzt drei Taler auf unsere Abrede. Ich wollte gern morgen meine neuen Stiefel beim Schuster abholen; es ist mein Namenstag, und ich mag dem Meister kein Geld fordern.

Vogt. Ich kann jetzt nicht wohl; komm doch am Montag abend.

Joseph. Da seh ich, wie du mir trauest. Man mag wohl etwas versprechen; aber halten, das ist was anders. Ich glaubte, auf dein Trinkgeld zählen zu dürfen, Herr Untervogt!

Vogt. Bei meiner Seele, ich gebe es dir!

Joseph. Ich seh' es ja.

Vogt. Es ist am Montag auch noch Zeit.

Joseph. Vogt, du zeigst mir, daß man es mit Händen greifen kann, daß du mir nicht traust. Also darf ich auch sagen, wie es mir ist. Wird der Steinbruch einmal angegriffen sein, so wirst du mir kein gutes Wort mehr geben.

Vogt. Das ist doch unverschämt, Joseph; ich werde dir gewiß Wort halten.

Joseph. Ich mag nicht hören. Wenn es nicht jetzt sein kann, so ist alles aus.

Vogt. Kannst du es jetzt nicht mit zwei Talern machen?

Joseph. Nein, ich muß drei haben; aber dann kannst du auch auf mich zählen in allem.

Vogt. Ich will es endlich tun; aber du hältst mir dann doch Wort?

Joseph. Wenn ich dich dann anführe, so sage, wo du willst, ich sei der größte Schelm und Dieb auf der Erde.

Der Vogt rief jetzt der Frau, und sagte ihr: Gib dem Joseph drei Taler. Die Frau nimmt ihn beiseits, und sagt ihm: Tu' doch das nicht!

Vogt. Rede mir nichts ein; tue, was ich sage.

Frau. Sei doch kein Narr! Du bist besoffen; es wird dich morgen reuen.

Vogt. Rede mir kein Wort ein! Drei Taler im Augenblick! Hörst du, was ich sage?

Die Frau seufzt, holt die Taler und wirft sie dem Vogt dar. Dieser gibt sie dem Joseph, und sagt noch einmal: Du wirst mich doch nicht anführen wollen?

Behüte mich Gott davor! was denkst du auch, Vogt? antwortete Joseph; geht, zählt vor der Türe noch einmal seine drei Taler, und sagt zu sich selbst: Nun ist mein Lohn zwischen den Fingern, und da ist er sicherer als in des Vogts Kiste. Er ist ein alter Schelm, und ich will nicht sein Narr sein. Nehme jetzt meinethalben der Meister Kiesel- oder Blaustein.

Die Vögtin heulte vor Zorn auf der Herdstätte in der Küche, und ging nicht mehr in die Stube bis nach Mitternacht. Auch dem Vogt ahnete, sobald er fort war, daß er sich übereilt habe; aber er vergaß es bald wieder bei der Gesellschaft. Der Greuel der Saufenden dauerte bis nach Mitternacht. Endlich kam die Vögtin aus der Küche, und sagte: Es ist Zeit aufzubrechen; es geht gegen den Morgen, und ist heiliger Abend.

Heiliger Abend! sagten die Kerls, streckten sich, gähnten, soffen aus, und standen nach und nach auf. Jetzt taumelten, wankten sie allenthalben umher, hielten sich an Tischen und Wänden, und kamen mit Mühe zum Hause hinaus.

Geht doch ein jeder allein, und macht kein Gewühl! sagte ihnen die Vögtin; sonst kriegen der Pfarrer und sein Chorgericht Strafen.

Nein es ist besser, wir versaufen das Geld, antworteten die Männer. Und die Vögtin: Wenn ihr den Wächter antreffet, so sagt ihm, es stehe ein Glas Wein und ein Stück Brot für ihn da. Und sie waren kaum fort, so erschien der Wächter vor den Fenstern des Wirtshauses, und rief:

Wollt ihr hören, was ich euch will sagen?
Die Glock', und die hat ein Uhr g'schlagen!
              Ein Uhr g'schlagen!

Die Vögtin verstand den Ruf, brachte ihm den Wein, und bat, daß er doch dem Pfarrer nicht sage, wie lange sie gewirtet habe. Und nun half sie noch dem schlummernden Besoffenen aus den Schuhen und Strümpfen . . .Hier standen noch ein paar Zeilen. – Das ist unflätig, sagte ein Knabe von noch nicht zehn Jahren, der sie lesen hörte. Ich umarmte ihn, und strich die Stelle durch. – Jüngling, wirst du dein reines Gefühl und das sanfte Erröten deiner Wangen behalten, so wird der Zug deiner Jugend dir Freude machen im Alter. Aber wirst du diese sanfte Unschuld deines Herzens der Kühnheit deines wachsenden Muts aufopfern, wird dein blitzendes Auge einst sich nicht mehr niederschlagen, nicht mehr Tränen fallen lassen; wird deine Wange nicht mehr erröten beim Anblick dessen, was unrecht und schändlich ist: Jüngling, dann wirst du ob dieser Stelle weinen, oder sie vielleicht nicht mehr wert achten, daß du sie lesest. In diesem Augenblicke mußte mir natürlich der Gedanke auffallen: Wie weit darf ein sittlicher Schriftsteller das Laster malen? Darf mein Mund aussprechen, was Hogarth und ** gemalt haben? aussprechen das Tun dieser Menschen, die ich ohne Bedenken vom Pinsel und vom Grabstichel gemalt sehe? Mein Gefühl bebt zurück, wenn ich es in Worte bringe und ausspreche das Tun dieser Menschen; und ich sehe mich um, ob mich niemand höre. Aber das Bild des Malers sehe ich hingelehnt am Arme des Besten, des Edelsten, und ich scheue mich nicht. Die Zunge des Menschen, sein Mund sind enger mit dem Gefühle seines Herzens verbunden als seine Hand. Die Kunst, die mit Hand und Pinsel das Laster malt, und kühn ist, und das Tiefste treffend enthüllet, entweihet das Herz nicht mit der Gewalt, mit der es der Mund tut, wenn er mit gleicher Kühnheit das Laster entblößt darstellt. Das ist keine Lobrede für alle angebeteten Dichter; aber es dünkt mich hingegen besonders in einem Jahrhundert, wo es der allgemeine Ton ist, den Kopf mit Bildern des Müßiggangs, anstatt mit Berufs- und Geschäftssachen zu füllen, eine für das Menschengeschlecht höchst wichtige Wahrheit.

Und sie brummte noch von Josephs Talern und von der Dummheit ihres Mannes; er aber schlummerte, schnarchte, wußte nicht, was er tat. Endlich kamen beide am heiligen Abend zur Ruhe.

Und nun, gottlob, habe ich eine Weile nichts mehr von ihnen zu erzählen. Ich kehre zurück zu Lienhard und Gertrud.

Wie das eine Welt ist! Bald steht neben einem Hundsstall ein Garten, und auf einer Wiese ist bald stinkender Unrat, bald herrliches, milchreiches Futter. Ja, es ist wunderlich auf der Welt. Selbst die schönen Wiesen geben ohne den Unrat, den wir darauf schütten, kein Futter.


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