Bernhard Kellermann
Der Tunnel
Bernhard Kellermann

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6.

Ethel war aus anderem Material als Maud. Sie ließ sich nicht an die Peripherie der Arbeit drängen, sie siedelte sich im lärmenden Mittelpunkt an. Sie absolvierte einen regulären Ingenieurkursus, um »mitreden zu können«.

Von dem Tage an, da sie Allan die Hand gereicht hatte, verteidigte sie in würdiger Weise ihre Rechte.

Es schien ihr genug zu sein, wenn sie Allan für den Lunch freigab. Um fünf Uhr aber, Punkt fünf Uhr war sie da – ob Allan in New York weilte oder in der Tunnel-City, 391 einerlei – und bereitete still, ohne ein Wort zu sprechen, den Tee. Allan konferierte mit einem Ingenieur oder Architekten, darum kümmerte Ethel sich nicht im geringsten.

Sie wirtschaftete lautlos in ihrer Ecke oder im Nebenzimmer, und wenn der Teetisch fertig war, so sagte sie: »Mac, der Tee ist fertig.«

Und Allan mußte kommen, allein oder in Gesellschaft, das war Ethel einerlei.

Um neun Uhr stand sie mit dem Car vor der Türe und wartete geduldig, bis er kam. Die Sonntage mußte er bei ihr verbringen. Er konnte Freunde einladen oder ein Rudel Ingenieure bestellen, ganz wie er wünschte. Ethel führte ein gastliches Haus. Man konnte kommen und gehen, wann man wollte. Sie hatte einen Park von fünfzehn Automobilen zu ihrer Verfügung, die jeden Gast zu jeder Stunde des Tages und der Nacht hinbrachten, wohin er wollte. An manchen Sonntagen kam auch Hobby von seiner Farm herüber. Hobby produzierte jährlich zwanzigtausend Hühner und Gott weiß wie viele Eier. Die Welt interessierte ihn nicht mehr. Er war religiös geworden und besuchte Betsäle. Zuweilen blickte er Allan ernst in die Augen und sagte: »Denke an dein Seelenheil, Mac –!«

Wenn Allan reiste, so reiste Ethel mit ihm. Sie war mit ihm wiederholt in Europa, auf den Azoren und den Bermudas.

Der alte Lloyd hatte ein Stück Land bei Rawley, vierzig Kilometer nördlich Mac City, gekauft und dort ein riesiges Landhaus, eine Art Schloß für Ethel bauen lassen. Das Land reichte bis ans Meer und lag mitten in einem Park alter Bäume, die Lloyd von japanischen Gärtnern hatte für die Verpflanzung präparieren und nach Rawley bringen lassen.

Lloyd kam jeden Tag, um sie zu besuchen, und von Zeit zu Zeit brachte er ganze Wochen bei seiner abgöttisch geliebten Tochter zu. 392

Im dritten Jahre ihrer Ehe gebar Ethel einen Sohn. Dieser Sohn! Er wurde von Ethel wie ein Heiland gehütet. Es war Macs Kind, Macs, den sie liebte, ohne viele Worte zu machen, und er sollte in zwanzig Jahren das Werk des Vaters übernehmen und vervollkommnen. Sie nährte ihn selbst, sie lehrte ihn die ersten Worte sprechen und die ersten Schritte tun.

In den ersten Jahren war der kleine Mac zart und empfindlich. Ethel nannte ihn »rassig und aristokratisch«. Im dritten Jahre aber ging er in die Breite, sein Schädel wurde dick und er bekam Sommersprossen. Sein blondes Haar wurde brandrot: er verwandelte sich in einen richtigen kleinen Pferdejungen. Ethel war glücklich. Sie liebte zarte und empfindliche Kinder nicht, stark und kräftig mußten sie sein und tüchtig schreien, damit die Lungen wuchsen – genau wie der kleine Mac es tat. Sie, die nie Angst gehabt hatte, lernte nun die Angst kennen. Sie zitterte stündlich um ihr Kind. Ihre Phantasie war erfüllt von Entführungsgeschichten, die sich zugetragen hatten, da man Kinder von Millionären gestohlen, verstümmelt, geblendet hatte. Sie ließ eine Stahlkammer, wie in einer Bank, in ihr Haus zur ebenen Erde einbauen. In dieser Stahlkammer mußte der kleine Mac mit der Nurse schlafen. Ohne sie durfte er nie den Park verlassen. Zwei auf den Mann dressierte Polizeihunde begleiteten ihn und stets schnüffelte ein Detektiv die Gegend drei Meilen im Umkreis ab. Nahm sie ihn mit sich, so fuhren zwei Detektive im Wagen mit, bewaffnet bis an die Zähne. Der Chauffeur mußte ganz langsam fahren, und Ethel ohrfeigte ihn einmal auf offener Straße in New York, weil er »hundred miles an hour« fuhr.

Jeden Tag mußte ein Arzt den Kleinen, der prächtig gedieh, untersuchen. Wenn das Kind sich nur räusperte, so depeschierte sie sofort nach einem Spezialisten. 393

Überall sah Ethel Gefahren für ihr Kind. Aus dem Meer konnten sie steigen, ja sogar aus der Luft konnten Verbrecher herabkommen, um den kleinen Mac zu stehlen.

Im Park war eine große Wiese, die, wie Ethel sagte, »geradezu zur Landung von Aeroplanen einlud«. Ethel ließ ein Rudel Bäume darauf pflanzen, so daß jeder Aeroplan, der eine Landung versuchte, elend zerschmettern mußte.

Ethel stiftete eine Riesensumme für die Erweiterung des Hospitals, das sie »Maud Allan Hospital« taufte. Sie gründete die besten Kinderheime der ganzen Welt in allen fünf Tunnelstädten. Schließlich war sie nahe am Bankerott und der alte Lloyd sagte zu ihr: »Ethel, du mußt sparen!«

Die Stelle, wo Maud und Edith getötet worden waren, ließ Ethel umzäunen und in ein Blumenbeet verwandeln, ohne Allan ein Wort davon zu sagen. Sie wußte recht gut, daß Allan Maud und die kleine Edith noch nicht vergessen hatte. Es gab Zeiten, da sie ihn des Nachts zuweilen stundenlang auf- und abgehen und leise sprechen hörte. Sie wußte auch, daß er in seinem Arbeitstisch sorgfältig ein vielgelesenes Tagebuch aufbewahrte: »Leben meines kleinen Töchterchens Edith und was sie sagte.«

Die Toten hatten ihre Rechte und Ethel dachte nicht daran, sie ihnen zu schmälern.

 


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