Bernhard Kellermann
Der Tunnel
Bernhard Kellermann

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5.

Am folgenden Mittwoch schiffte sich Allan mit Maud und Edith auf dem deutschen Drei-Tage-Boot nach Europa ein. Hobby begleitete sie; er »kam auf acht Tage mit«.

Maud war in wunderbarer Stimmung. Sie hatte ihre heiterste Laune – ihre Mädchenlaune – wiedergefunden, und diese Laune hielt während der ganzen Fahrt über den winterlichen und ungastlichen Ozean an, obwohl sie Mac nur bei den Mahlzeiten und am Abend zu Gesicht bekam. Lachend und fröhlich plaudernd stapfte sie, in Pelze eingehüllt, in dünnen Lackschuhen auf den eisigen Verdeckkorridoren hin und her.

Hobby war der populärste Mann auf dem Boot. Von den Kabinen der Ärzte und Zahlmeister an bis hinauf zur geheiligten Kommandobrücke war er zu Hause. Vom frühen Morgen bis zum späten Abend gab es keine Stelle auf dem Schiff, wo man nicht seine helle, etwas nasale Stimme gehört hätte.

Von Allan dagegen hörte und sah man nichts. Er war den ganzen Tag über beschäftigt. Zwei Typistinnen des Schnellbootes hatten während der ganzen Reise alle Hände voll zu tun, seine Briefe abzuschreiben. Hunderte von Briefen lagen fertig und adressiert in Allans Kabine. Er traf die Vorbereitungen zur ersten Schlacht.

Die Reise ging zuerst nach Paris. Von da nach Calais und Folkestone, wo der Tunnel unter dem Kanal im Bau war, nachdem England seine lächerliche Angst vor einer Invasion, die mit einer einzigen Batterie verhindert werden konnte, überwunden hatte. Hier hielt sich Allan drei Wochen auf. Dann gingen sie nach London, Berlin, Essen, Leipzig, Frankfurt und wieder zurück nach Paris. Allan blieb an all diesen Orten einige Wochen. Am Vormittag arbeitete 45 er für sich, nach Tisch hatte er täglich Konferenzen mit Vertretern großer Firmen, Ingenieuren, Technikern, Erfindern, Geologen, Geographen, Ozeanographen, Statistikern und Kapazitäten der verschiedensten Fakultäten. Eine Armee von Gehirnen aus allen Gegenden Europas, aus Frankreich, England, Deutschland, Italien, Norwegen, Rußland.

Am Abend speiste er allein mit Maud, wenn er nicht gerade Gäste bei sich hatte.

Mauds Laune war noch immer ausgezeichnet. Die Atmosphäre von Arbeit und Unternehmungen, die Mac umgab, belebte sie. Sie hatte vor drei Jahren, kurz nach ihrer Heirat, fast genau die gleiche Reise mit Mac gemacht, und damals hatte sie ihm nur schwer verzeihen können, daß er die meiste Zeit mit fremden Menschen und unverständlichen Arbeiten verbrachte. Nun, da sie den Sinn all dieser Konferenzen und Arbeiten begriff, war alles natürlich ganz anders geworden.

Sie hatte viel Zeit und sie teilte sich diesen Überfluß an Zeit sorgfältig ein. Einen Teil des Tages widmete sie ihrem Kinde, dann besuchte sie Museen, Kirchen und Sehenswürdigkeiten, wo sie auch immer sein mochten. Auf ihrer ersten Reise war sie nicht oft zu diesen Genüssen gekommen. Mac hatte sie natürlich überallhin begleitet, wenn sie es wünschte, aber sie hatte bald gefühlt, daß ihn diese herrlichen Gemälde, Skulpturen, alten Gewebe und Schmuckstücke nicht besonders interessierten. Was er gerne sah, das waren Maschinen, Werke, große industrielle Anlagen, Luftschiffe, technische Museen, und davon verstand sie ja nichts.

Nun aber hatte sie Muße und sie entzückte sich an all den tausend Herrlichkeiten, die ihr Europa so teuer machten. Sie besuchte Theater, Konzerte, so oft es anging. Sie sättigte sich für Amerika. Sie bummelte stundenlang in 46 alten Straßen und engen Gassen umher und machte photographische Aufnahmen von jedem kleinen Kaufladen, den sie »entzückend« fand, und jedem krummen alten Hausgiebel. Sie kaufte Bücher, Reproduktionen aus den Museen und Ansichtskarten von alten Häusern und neuen. Diese Ansichtskarten waren für Hobby bestimmt, der sie darum ersucht hatte. Sie gab sich ehrliche Mühe, ihr Material zusammenzubekommen, aber für Hobby, den sie liebte, war ihr keine Arbeit zu viel.

In Paris ließ Allan sie acht Tage allein. Er hatte in der Nähe von Nantes, bei Les Sables an der biskayischen Küste mit Geometern und einem Schwarm Agenten zu tun. Dann schifften sie sich mit Geometern, Ingenieuren und Agenten nach den Azoren ein, wo Allan über drei Wochen auf den Inseln Fayal, San Jorgo und Pico beschäftigt war, während Maud mit Edith den herrlichsten Frühling genoß, den sie je erlebt hatte. Von den Azoren fuhren sie mit einem Frachtdampfer (als die einzigen Passagiere, was Maud entzückte!) quer durch den Atlantik nach den Bermudas. Hier, in Hamilton, trafen sie zu ihrer großen Freude Hobby, der eine kleine Reise herüber gemacht hatte, um sie zu erwarten. Die Geschäfte auf den Bermudas waren rasch erledigt und im Juni kehrten sie nach Amerika zurück. Allan mietete ein Landhaus in Bronx, und die gleiche Tätigkeit wie in London, Paris und Berlin begann nun in Amerika. Täglich konferierte Allan mit Agenten, Ingenieuren, Wissenschaftlern aus allen Städten der Staaten. Da er häufig lange Besprechungen mit Lloyd hatte, so begann die Öffentlichkeit aufmerksam zu werden. Die Journalisten schnüffelten in der Luft wie Hyänen, die Aas riechen. Gerüchte von den abenteuerlichsten Gründungen schwirrten durch New York.

Aber Allan und seine Vertrauensmänner schwiegen. 47 Maud, die man aushorchen wollte, lachte und sagte kein Wort.

Ende August waren die Vorbereitungsarbeiten beendet. Lloyd ließ an dreißig der ersten Vertreter des Kapitals, der Großindustrie und Großbanken Einladungen zu einem Meeting ergehen; diese Einladungen hatte er eigenhändig geschrieben und durch Spezialkuriere aushändigen lassen, um die Bedeutung der Konferenz zu betonen.

Und am 18. September fand diese denkwürdige Konferenz im Hotel Atlantic, Broadway, statt.

 


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