Bernhard Kellermann
Der Tunnel
Bernhard Kellermann

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3.

Allan hatte die Brücken hinter sich abgebrochen.

Trotz der Hoffnungslosigkeit der Situation entschloß er sich aber, noch einen letzten Versuch zu machen. Er wandte sich an die Regierung, was er schon früher, ohne Erfolg, getan hatte. Er blieb drei Wochen in Washington und war Gast des Präsidenten. Der Präsident gab ihm ein Diner und man erwies ihm Achtung und Respekt wie einem abgesetzten Monarchen. Allein an eine Beteiligung am Tunnel konnte die Regierung vorläufig nicht denken.

Hierauf versuchte es Allan ein letztes Mal mit den Banken und den Finanzgroßmächten. Gleich erfolglos. Einzelne Banken und Großkapitalisten gaben ihm aber zu verstehen, daß sie sich eventuell beteiligen würden, wenn Lloyd vorangehe. So kam Allan wiederum zu Lloyd zurück.

Lloyd nahm ihn sehr freundlich auf. Er empfing ihn in seinem stillen Arbeitszimmer. Er sprach mit ihm über die Börse und den Weltmarkt, schilderte ihm haarklein das Petroleum, den Stahl, Zucker, die Baumwolle und die Frachtsätze. Eine unerhörte Baisse nach einer unerhörten Hausse. Die Welt war immer noch um zehn Jahre in ihrer wirtschaftlichen Entwicklung zurück, so verzweifelt sie auch aufzuholen versuchte.

Sobald es Allan möglich war, Lloyd zu unterbrechen, ging er geradeswegs auf sein Ziel los. Er schilderte ihm die Haltung der Regierung und Lloyd lauschte mit geneigtem Kopf. 366

»Das ist alles richtig! Man hat Ihnen nichts vorgeflunkert, Allan. Sie können ja schließlich noch drei bis fünf Jahre warten.«

Allans Gesicht zuckte. »Ich kann das unmöglich!« rief er. »Drei bis fünf Jahre! Ich habe meine Hoffnung auf Sie gesetzt, Herr Lloyd!«

Lloyd wiegte den Kopf nachdenklich hin und her. »Es geht nicht!« sagte er dann bestimmt und preßte die Lippen zusammen.

Sie schwiegen. Es war zu Ende.

Als Allan sich aber verabschieden wollte, bat ihn Lloyd, zum Diner zu bleiben. Allan war unentschlossen – aber es war ihm nicht möglich, Lloyd jetzt zu verlassen. Trotzdem es vollkommen unsinnig war, log er sich noch immer eine leise Hoffnung vor.

»Ethel wird vor Überraschung sprachlos sein! Sie ahnt ja nicht, daß Sie hier sind!«

»Ethel – Ethel . . .« Nun, da Lloyd einmal den Namen seines Abgotts genannt hatte, konnte er von nichts anderem mehr sprechen. Er schüttete Allan sein Herz aus.

»Denken Sie,« sagte er, »Ethel war vierzehn Tage mit der Jacht fort, gerade als das Wetter so schlecht war. Nun hatte ich den Telegraphisten bestochen – ja, bestochen, denn so muß ich es bei Ethel machen – aber er telegraphierte nicht. Ethel hatte mich durchschaut. Sie ist in schlechter Laune und wir haben uns wieder gezankt. Jeder Tag aber, da ich Ethel nicht sehe, ist für mich eine Qual. Ich sitze und warte auf sie. Ich bin ein alter Mann, Allan, und habe nichts als meine Tochter!«

Ethel war äußerst verwundert, als sie Allan plötzlich eintreten sah. Sie runzelte die Stirn, aber dann ging sie ihm rasch entgegen und gab ihm erfreut die Hand, während sie leicht errötete. 367

»Sie sind hier, Allan! Wie schön! – Ich war nicht gut zu sprechen auf Sie – viele Wochen lang, das muß ich Ihnen sagen, wenn ich ehrlich sein soll.«

Lloyd kicherte. Er wußte, daß Ethel nun wieder besser gelaunt sein würde.

»Ich konnte damals nicht mit ins Konzert kommen.«

»Allan, Sie lügen doch nicht? Höre doch, Pa, wie Allan lügt. Er wollte nicht! Sie wollten nicht, Allan. Sagen Sie es offen.«

»Nun – ich wollte nicht.«

Lloyd machte ein erschrockenes Gesicht. Er fürchtete ein Ungewitter. Ethel konnte einen Teller zerschlagen und aus dem Zimmer laufen. Er war erstaunt, als Ethel nur lachte.

»Siehst du, Pa, so ist Allan! Er sagt stets die Wahrheit.«

Und Ethel war den ganzen Abend fröhlich und liebenswürdig.

»Hören Sie aber nun, Allan, mein Freund!« sagte sie, als sie sich trennten. »Ein zweites Mal dürfen Sie nicht so häßlich zu mir sein – ich würde es Ihnen nicht mehr verzeihen.«

»Ich werde mir alle Mühe geben!« antwortete Allan scherzhaft.

Ethel sah ihn an. Der Ton, in dem er dies sagte, gefiel ihr nicht. Aber sie verriet sich nicht und sagte lächelnd: »Nun, ich werde sehen.«

Allan stieg in Lloyds Wagen und hüllte sich in den Mantel. Er sann vor sich hin und sagte: »Der alte Lloyd wird nichts ohne sie tun – und alles für sie.«

Einige Abende später betrat Allan mit Ethel die Loge Lloyds im Madison-Square-Palast.

Sie traten während des Konzerts ein und ihr Eintreten erregte solch großes Aufsehen, daß die Egmont-Ouvertüre fast vollkommen verloren ging. 368

»Ethel Lloyd und – Mac Allan!!«

Ethels Robe repräsentierte ein Vermögen. Sie hatte die Phantasie der drei ersten Bekleidungskünstler New Yorks angepeitscht. Die Robe war ein Gewebe aus Silberstickerei und Hermelin und brachte ihren Hals und Nacken herrlich zur Geltung. Im Haar trug sie einen Schopf Reiherfedern an einer sprühenden Brillantagraffe.

Sie waren allein. Denn Ethel hatte es fertiggebracht, Lloyd, der schon fürs Konzert angekleidet war, im letzten Augenblick zu bestimmen, zu Hause zu bleiben, da er nicht wohl aussähe. Sie hatte ihn »my dear little dad and pa« genannt, »my honey-father«, so daß Lloyd in seiner Affenliebe überglücklich war, drei Stunden im Sessel auf seine Tochter zu warten.

Ethel wollte, daß man sie allein mit Allan sah, und sie wollte, daß die Loge erleuchtet war. In der Pause richteten sich alle Gläser auf die Loge und Stimmen wurden laut: »Mac Allan! – Mac Allan!«

Allans Glanz kam in dem Augenblick zurück, da er sich an der Seite einer Milliardärin zeigte. Er zog sich beschämt tiefer in die Loge zurück.

Ethel aber wandte sich an ihn mit einem intimen Lächeln, das nicht mißzuverstehen war, und dann beugte sie sich über die Brüstung und zeigte ihre schönen Zähne und ihr schönes Lächeln und kassierte den Triumph ein.

Allan überstand diese Szene nur mit Anspannung all seiner Kräfte. Er dachte an jenen Abend, da er mit Maud in der Loge gegenüber saß und darauf wartete, daß Lloyd ihn zu sich rief. Er erinnerte sich deutlich an Mauds transparentes rosiges Ohr und ihre vor Erregung geröteten Wangen, an den verträumten Blick, mit dem sie vor sich hinsah. Und ebenso deutlich erinnerte er sich an die Stimme Ethels, als sie ihm zum erstenmal die Hand reichte und sagte: 369 »How do you do, Mr. Allan?« Er fragte sich in Gedanken: Würdest du wünschen, daß Lloyd damals nicht gekommen wäre, daß man den Tunnel niemals begonnen hätte? – Und er entsetzte sich über sich selbst, als sein Inneres antwortete: Nein! – Selbst für Maud und Edith würde er nicht sein Werk hingeben.

Schon am nächsten Tage stiegen die Tunnelpapiere um sieben Prozent! Eine unverschämte Zeitung brachte am Morgen die Notiz, daß Ethel Lloyd sich im nächsten Monat mit Mac Allan verloben würde.

Am Mittag brachte eine andere Zeitung Ethels Dementi.

Miß Lloyd erklärte: »Der Mann, der diese Nachricht verbreitete, ist der größte Lügner der Welt. Ich bin eine gute Freundin Mac Allans. Das ist die Wahrheit, und ich bin stolz darauf.«

Aber die Zeitungsschreiber lagen im Hinterhalt. Nach einigen Wochen ging die mit durchsichtigen Anspielungen gespickte Notiz durch die Blätter, daß Mac Allan wieder nach New York übergesiedelt sei.

Das entsprach der Wahrheit, hatte aber nicht das geringste mit Allans Beziehungen zu Ethel Lloyd zu tun. Allan richtete sich im Gebäude der Tunnelstation Hoboken ein. Dieses Gebäude war noch im Bau und wurde nach Hobbys Entwürfen ausgeführt. Es bestand aus einem Mittelbau von dreißig Stockwerken bei einer Front von fünfzig Fenstern, den zu beiden Seiten zehn Fenster breite Türme von fünfundzwanzig Stockwerken flankierten. Mittelbau und Türme ruhten auf kolossalen Bogen, die direkt in die Bahnhofhalle führten. Die Türme waren mit dem breiten Mittelbau durch zwei Brückenpaare verbunden. Zur Abwechslung sollte das Gebäude Säulen auf den Dächern tragen, luftige Dachgärten-Arkaden.

Das Gebäude war bis zum sechsten Stockwerk fertig – und oben das dreißigste und neunundzwanzigste. Dazwischen 370 ragte das wirre Gitterwerk der Eisenkonstruktion, in dem am Tage winzige Menschen kletterten und hämmerten.

Allan bewohnte das erste Stockwerk, direkt über dem großen Mittelbogen der Halle. Er hatte seinen Arbeitsraum in den großen Restaurationssaal verlegt, der einen herrlichen Ausblick auf den Hudson und die Wasserfront New Yorks gewährte.

Ethel hatte es sich nicht nehmen lassen, einiges zur Ausschmückung des ungastlichen Riesensaales beizutragen, dessen bloßer Anblick einen Menschen melancholisch machen mußte. Sie hatte Wagenladungen von Zimmerpflanzen aus ihren Treibhäusern in Massachusetts kommen lassen. Sie hatte persönlich Ballen von Teppichen im Auto herübergebracht.

Das Aussehen Allans mißfiel ihr. Seine Hautfarbe war fahl und ungesund. Er ergraute rasch. Er schlief schlecht und aß wenig.

Ethel schickte ihm einen Koch ihres Vaters, einen französischen Künstler, der aus dem Aussehen eines Menschen auf den Speisezettel schließen konnte, der ihm zusagte. Sie erklärte ferner, daß ihm nichts mehr nötig sei als frische Luft, da die Stollen sein Blut vergiftet hätten. Ohne viele Worte zu machen, erschien sie jeden Tag Punkt sechs Uhr mit ihrem elfenbeingelben Car und fuhr Allan genau eine Stunde spazieren. Allan ließ sie gewähren. Sie wechselten auf der Spazierfahrt zuweilen kein Wort.

Das Gerücht von der baldigen Verlobung tauchte wieder und wieder in den Zeitungen auf. Die Folge davon war, daß die Papiere des Syndikats zu steigen begannen. (Lloyd hatte in aller Stille für zehn Millionen Dollar aufkaufen lassen, als man die Aktien nahezu umsonst bekam, und verdiente jetzt schon ein Vermögen!)

Die Papiere der schweren Industrie zogen an. In allen Dingen – den kleinsten – zeigte sich eine Besserung. Der 371 bloße Umstand, daß Ethels Car jeden Tag um sechs Uhr vor Hoboken-Station stand, beeinflußte die Weltbörse.

Allan war der Komödie, die ihn peinigte und beschämte, überdrüssig und beschloß zu handeln.

Bei einer Spazierfahrt machte er Ethel einen Antrag.

Ethel aber lachte belustigt und sah Allan mit großen, erstaunten Augen an. »Sprechen Sie keinen Unsinn, Allan!« rief sie aus.

Allan stand auf und klopfte dem Chauffeur. Er war totenbleich.

»Was wollen Sie, Allan?« fragte Ethel erschrocken und ungläubig und wurde rot. »Wir sind dreißig Meilen von New York!«

»Das ist ganz einerlei!« antwortete Allan brüsk und stieg aus. Er ging ohne jeden Gruß.

Allan wanderte ein paar Stunden durch Felder und Wälder, knirschend vor Grimm und Beschämung. Es war aus mit dieser Intrigantin! Aus! Nie mehr, nie mehr in seinem Leben würde sie sein Gesicht sehen! Der Teufel mochte sie holen . . .

Schließlich stieß er auf eine Bahnstation und fuhr nach Hoboken zurück. Mitten in der Nacht kam er an. Er bestellte sofort sein Auto und begab sich nach Mac City.

Tagelang lebte er im Tunnel. Er wollte weder Menschen noch das Licht sehen.

 


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