Bernhard Kellermann
Der Tunnel
Bernhard Kellermann

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2.

Während der Lärm das Syndikatgebäude umtobte, hatte Allan eine Konferenz mit S. Woolf und dem zweiten finanziellen Direktor des Syndikats, Rasmussen.

Die finanzielle Lage des Syndikats war keineswegs alarmierend, aber auch nicht befriedigend. Für den kommenden Januar war die zweite Milliardenanleihe vorbereitet gewesen. Unter den momentanen Verhältnissen war natürlich nicht daran zu denken. Niemand würde einen Cent zeichnen!

Das Dröhnen der Explosion im amerikanischen Südstollen, der Lärm des Streiks war in allen Börsen der Welt widergehallt. Die Papiere stürzten in wenigen Tagen um fünfundzwanzig Prozent, denn jedermann wollte sie so rasch wie möglich loswerden und niemand hatte Lust, sich daran die Finger zu verbrennen. Acht Tage nach der Katastrophe schien ein Krach unvermeidlich. Aber S. Woolf warf sich mit einer verzweifelten Anstrengung gegen den wankenden finanziellen Riesenbau – und er stand wieder! Er zauberte eine verführerische Bilanz vor die Öffentlichkeit, er bestach ein Heer von Börsenberichterstattern und überschüttete die Presse der alten und neuen Welt mit beruhigenden Communiqués. 265

Die Kurse zogen an, die Kurse blieben fest. Und S. Woolf begann die mörderische Schlacht, die Kurse zu halten und wieder langsam in die Höhe zu schrauben. In seiner Office im zehnten Stock des Buildings arbeitete er mit verbissener Energie, schnaufend und rasselnd wie ein Nilpferd, die Pläne dieser Kampagne aus.

Während die Horde drunten heulte, unterbreitete er Allan seine Vorschläge. Die Kali- und Eisenerzlager des »fetten Müllers« sollten ausgebeutet werden. Die elektrische Energie der Kraftstationen verwertet. Das Submarinium der Unglücksschlucht gefördert. Nach den Bohrresultaten lag es in einer durchschnittlichen Mächtigkeit von zehn Metern – ein Vermögen! S. Woolf hatte der Pittsburg Smelting and Refining Co. Verträge unterbreitet. Die Company sollte die Erze herausbrechen, das Syndikat würde die Förderung an Tag übernehmen. Dafür forderte S. Woolf 60 Prozent vom Reingewinn. Die Company wußte recht gut, daß das Syndikat »hard up« war und bot 30 Prozent. S. Woolf aber schwor, daß er sich eher lebendig einmauern lasse, als auf die Schamlosigkeit einzugehen. Er wandte sich sofort an die »American Smelters« und die Pittsburg Co. kam zurück und bot 40 Prozent.

Woolf ging auf 50 Prozent herab und drohte, daß das Syndikat in Zukunft überhaupt keine Handvoll Erz mehr fördern werde; es würde einfach die Stollen unter den Lagern durchführen oder darüber hinweg, einerlei. Endlich einigte man sich auf 46⅓ Prozent. Um das letzte Drittel kämpfte S. Woolf wie ein Massaikrieger und die Pittsburg-Leute erklärten, sie hätten lieber mit dem Teufel zu tun als mit diesem »shark«.

S. Woolf hatte sich in den letzten zwei Jahren auffallend verändert. Er war noch fetter geworden und noch asthmatischer. Zwar hatten seine dunklen Augen immer noch den 266 leicht schwermütigen, orientalischen Glanz und den Kranz schwarzer langer Wimpern, die stets gefärbt erschienen. Aber ihr Feuer war verdüstert. S. Woolf begann stark zu ergrauen. Er trug den Bart nicht mehr kurz geschnitten, sondern als dicke Zotteln am Kinn und auf den beiden Backen. Mit seiner mächtigen Stirn, den weitstehenden, vorquellenden Augen und der breiten gebogenen Nase hatte er Ähnlichkeit bekommen mit dem amerikanischen Büffel – ein Einzelgänger und Einsiedler, den die Herde ausgestoßen hatte, weil er zu tyrannisch war. Diesen Eindruck verstärkte das blutunterlaufene Auge. S. Woolf hatte in den letzten Jahren mit einem konstanten Blutandrang gegen den Kopf zu kämpfen.

So oft das Geschrei drunten anschwoll, zuckte S. Woolf zusammen und seine Augen bekamen einen flackernden Blick. Er war nicht feiger als andere Menschen, aber das atemraubende Tempo der letzten Jahre war ihm an die Nerven gegangen.

Und dann. S. Woolf hatte noch ganz andere Sorgen, ganz andere, die er wohlweislich vor aller Welt verschwieg . . .

Nach der Beratung war Allan wieder allein. Er ging auf und ab in seinem Arbeitsraum. Sein Gesicht war abgemagert und seine Augen trüb und elend. Sobald er allein war, überfiel ihn die Unruhe und er mußte wandern. Tausendmal ging er hin und her und schleppte seinen Gram von einer Zimmerecke in die andere. Zuweilen blieb er stehen und sann nach. Aber er wußte selbst nicht, was er dachte.

Dann telephonierte er ins Hospital nach Mac City und fragte nach Hobbys Befinden. Hobby lag im Fieber und niemand wurde zugelassen. Endlich raffte er sich auf und fuhr aus. Am Abend kam er etwas erfrischt zurück und 267 nahm wieder seine Arbeit auf. Er arbeitete an verschiedenen Projekten für den Ausbau der submarinen Schlucht. Eine große Station, ungeheure Depots und Maschinenräume sollte sie aufnehmen. 80 Doppelkilometer Gestein konnte er in sie stürzen. Recht besehen, war die Unglücksschlucht, in der der Tod Jahrmillionen auf die Tunnelmänner gelauert hatte, von unschätzbarem Wert. Die Projekte beschäftigten ihn und verdrängten düstere Visionen. Keine Sekunde durfte er an die Dinge denken, die hinter ihm lagen . . .

Spät in der Nacht legte er sich schlafen und er war froh, wenn er ein paar Stunden ruhte, ohne von entsetzlichen Träumen gemartert zu werden.

Ein einzigesmal speiste er bei Lloyd zu Abend.

Ethel Lloyd sprach mit ihm vor Tisch. Sie zeigte einen solch aufrichtigen Schmerz über den Tod Mauds und Ediths, daß Allan sie fortan mit ganz anderen Augen betrachtete. Sie schien ihm plötzlich um viele Jahre älter und reifer geworden zu sein.

Allan verbrachte einige Wochen ununterbrochen im Tunnel.

Eine Unterbrechung von einigen Wochen, die sich bei regulärem Betrieb nur durch ungeheure finanzielle Opfer hätte ermöglichen lassen, war ihm im Grunde genommen ganz erwünscht. Durch die atemlose jahrelange Arbeit waren alle Ingenieure erschöpft und brauchten Ruhe. Dem Arbeiteraufstand legte er keine große Bedeutung bei. Nicht einmal dann, als die Union, die Gewerkschaften der Monteure, Elektriker, Eisen- und Betonarbeiter, Maurer, Zimmerleute die Sperre über den Tunnel verhängten.

Vorläufig galt es, die Stollen zu verwalten, wenn sie nicht in kurzer Zeit verwahrlosen sollten. Für diese Arbeit 268 stand ihm ein Heer von achttausend Ingenieuren und Volontären zur Verfügung, das er über die einzelnen Strecken verteilte. Mit einer heroischen Anspannung der Kräfte verteidigten diese achttausend das riesige Werk.

Monoton gellten die Glocken vereinzelter Züge durch den öden Tunnel. Der Tunnel schwieg, und alle brauchten lange Zeit, um sich an die Totenstille der Stollen zu gewöhnen, die früher dröhnten von Arbeit. Die Truppe der Tiefbautechniker, Eisenkonstrukteure, Elektrotechniker, Maschineningenieure fuhren die europäischen, atlantischen und amerikanischen Stollen ab. Jede Schiene, jede Schwelle, jede Niete und jede Schraube wurde sorgfältig revidiert und notwendige Korrekturen und Verbesserungen gebucht. Geometer und Mathematiker prüften genau Lage und Richtung der Stollen. Die Maße wichen nur um geringes von den berechneten ab. Am größten waren die Abweichungen der atlantischen Strecke des »fetten Müllers«, wo sie drei Meter in der Breite und zwei Meter in der Tiefe betrugen – Differenzen, die sich auf Ungenauigkeiten der Instrumente, die von den enormen Massen von Gestein beeinflußt wurden, zurückführen ließen.

In der verhängnisvollen Schlucht waren Tag und Nacht tausend halbnackte, schweißtriefende Arbeiter der Cleveland Mining Co. mit dem Bohren, Sprengen und Fördern des lockergelagerten Submariniums beschäftigt. Die tropisch-heiße Schlucht heulte und brandete von Arbeit, ganz als sei nie etwas geschehen. Die Tagesproduktion hatte einen ungeheuren Wert.

Im übrigen aber war alles tot. Die Tunnelstadt war wie ausgestorben. Wannamaker hatte sein Warenhaus geschlossen, das Tunnelhotel die Pforten zugemacht. In den Arbeiterkolonien hausten Weiber und Kinder, die Witwen und Waisen der Verunglückten. 269

 


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