Bernhard Kellermann
Der Tunnel
Bernhard Kellermann

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Dritter Teil

1.

Unterdessen hatten sich Mac Allans Bohrmaschinen an den fünf Arbeitszentralen schon meilenweit in die Finsternis hineingefressen. Wie zwei schauerliche Tore, die in die Unterwelt hinabführen, sahen diese Tunnelmündungen aus.

Tag und Nacht aber, ohne jede Pause, kamen endlose Gesteinszüge im Schnellzugstempo aus diesen Toren heraufgeflogen, Tag und Nacht, ohne Pause, stürzten sich Arbeiter- und Materialzüge in rasendem Tempo hinein. Wie Wunden waren diese Doppelstollen, brandige schwarze Wunden, die immerzu Eiter ausspien und frisches Blut verschlangen. Da drinnen aber, in der Tiefe, tobte der tausendarmige Mensch!

Mac Allans Arbeit war nicht jene Arbeit, die die Welt bisher kannte, sie war Raserei, ein höllischer Kampf um Sekunden. Er rannte sich den Weg durchs Gestein!

Die gleichen Maschinen, das gleiche Bohrermaterial vorausgesetzt, hätte Allan mit den Arbeitsmethoden früherer Zeiten zur Vollendung des Baus neunzig Jahre gebraucht. Er arbeitete aber nicht acht Stunden täglich, sondern vierundzwanzig. Er arbeitete Sonn- und Feiertage. Bei den »Vortrieben« arbeitete er mit sechs Schichten; er zwang seine Leute, in vier Stunden das zu leisten, was sie bei langsamem Tempo in acht Stunden geleistet haben würden. Auf diese Weise erzielte er eine sechsfache Arbeitsleistung. 139

Der Ort, wo die Bohrmaschine arbeitete, der Vortrieb, hieß bei den tunnelmen die »Hölle«. Der Lärm war hier so ungeheuer, daß fast alle Arbeiter mehr oder weniger taub wurden, trotzdem sie die Ohren mit Watte verstopft hatten. Die Allanschen Bohrer, die den Berg perforierten, setzten mit einem klirrenden Schrillen ein, der Berg schrie wie tausend Kinder auf einmal in Todesangst, er lachte wie ein Heer Irrsinniger, er delirierte wie ein Lazarett von Fieberkranken und endlich donnerte er wie große Wasserfälle. Durch den kochend heißen Stollen heulten fünf Meilen weit schreckliche, unerhörte Töne und Interferenzen, so daß niemand es gehört haben würde, wenn der Berg in Wirklichkeit zusammengestürzt wäre. Da das Getöse Kommando und Hornsignale verschluckt hätte, so mußten alle Befehle auf optischem Wege gegeben werden. Riesige Scheinwerfer schleuderten ihre grellen Lichtkegel bald gleißend weiß, bald blutrot in das Chaos von schweißüberströmten Menschenknäueln, Leibern, stürzenden Steinen, die selbst wieder Menschenleibern ähnlich sahen, und der Staub wälzte sich wie dicke Dampfwolken im Lichtkegel der Reflektoren. Mitten in diesem Chaos von rollenden Leibern und Steinen aber bebte und kroch ein graues, staubbedecktes Ungetüm, wie ein Ungeheuer der Vorzeit, das sich im Schlamm gewälzt hatte: Allans Bohrmaschine.

Von Allan ersonnen bis auf die kleinste Einzelheit, glich sie einem ungeheuren, gepanzerten Tintenfisch, Kabel und Elektromotoren als Eingeweide, nackte Menschenleiber im Schädel, einen Schwanz von Drähten und Kabeln hinter sich nachschleifend. Von einer Energie, die der von zwei Schnellzugslokomotiven entsprach, angetrieben, kroch er vorwärts, betastete mit seinen Fühlern, Tastern, Lefzen des vielgespaltenen Maules den Berg, während er helles Licht aus den Kiefern spie. Bebend in urtierischem Zorn, hin- und 140 herschwankend vor Wollust des Zerstörens fraß er sich heulend und donnernd bis an den Kopf hinein ins Gestein. Er zog die Fühler und Lefzen zurück und spritzte etwas in die Löcher, die er gefressen hatte. Seine Fühler und Lefzen waren Bohrer mit Kronen aus Allanit, hohl, mit Wasser gekühlt, und was er durch die hohlen Bohrer in die Löcher spie, war Sprengstoff. Wie der Tintenfisch des Meeres, so änderte er plötzlich seine Farbe. Aus seinen Kiefern dampfte Blut, seine Rückennarbe funkelte böse drohend, und unheimlich wie der Tintenfisch des Meeres zog er sich zurück, in roten Dunst eingehüllt – und wieder kroch er vorwärts. Vor und zurück, Tag und Nacht, jahrelang, ohne Pause.

Sobald er die Farbe wechselt und sich zurückzieht, stürzt sich eine Rotte Menschen die Gesteinswand hinauf und windet fieberhaft die Drähte zusammen, die aus den Bohrlöchern hängen. Und wie vom Grauen gepeitscht jagt die Rotte zurück. Es grollt, donnert, dröhnt. Der zerschmetterte Berg rollt den Fliehenden drohend nach, ein Steinhagel jagt vor ihm her und prasselt gegen die Panzerplatten der Bohrmaschine. Wolken von Staub wälzen sich dem roten Glutatem entgegen. Plötzlich blendet er wieder grellweiß und Horden halbnackter Menschen stürmen in die brodelnde Staubwolke hinein und stürzen den noch rauchenden Schutthaufen hinauf.

Das gierig vorwärtsrollende Ungetüm aber streckt Freßwerkzeuge schauerlicher Art aus, Zangen, Krane, es schiebt seinen stählernen Unterkiefer vor und in die Höhe und frißt Gestein, Felsen, Schutt, den hundert Menschen mit verzerrten Gesichtern, glänzend von Schweiß, ihm in den Rachen werfen. Seine Kiefer beginnen zu mahlen, zu schlingen, der bis zum Boden schleifende Bauch schluckt und zum After kommt ein endloser Strom von Felsen und Steinen heraus.

Die hundert schweißtriefenden Teufel da oben taumeln zwischen dem rollenden Gestein, zerren an Ketten, schreien, 141 brüllen und der Schuttberg schmilzt und sinkt sichtbar unter ihren Füßen zusammen. Fort, das Gestein muß aus dem Wege, das ist die Losung!

Schon aber meißeln und bohren und wühlen schmutzgetigerte Menschenklumpen unter den Freßwerkzeugen des Ungeheuers, um ihm den Weg zu ebnen. Männer mit Schwellen und Schienen keuchen heran, die Schwellen werden gebettet, die Schienen festgeschraubt, und das Ungeheuer wälzt sich vorwärts.

An seinem schmutzbedeckten Leib, seinen Flanken, seinem Bauch, seinem gewölbten Rücken hängen winzige Menschen. Sie bohren Löcher in Decke und Wände, den Boden, in hervorstehende Blöcke, so daß sie jederzeit im Augenblick mit Patronen gefüllt und abgesprengt werden können.

So fieberhaft und höllisch die Arbeit vor der Bohrmaschine wütete, so fieberhaft und höllisch tobte sie hinter ihr, wo der endlose Strom von Gestein herausquoll. Eine knappe halbe Stunde später mußte die Maschine zweihundert Meter rückwärts freie Fahrt haben, um das Sprengen abwarten zu können.

Sobald das Gestein auf dem ewig wandernden Rost unter dem Bauch der Maschine hervorkam, sprangen herkulische Burschen darauf und versicherten sich der großen Blöcke, die Menschenkraft nicht heben konnte. Während sie auf dem Rost, der zehn Schritte hinter die Maschine reichte, mitwanderten, befestigten sie die Ketten, die um die großen Blöcke geschlungen waren, an den Kranen, die aus der Rückwand der Maschine starrten und die Blöcke hoben.

Der ewig wandernde Rost aber schüttete die Gesteinsmassen prasselnd und krachend in niedrige, eiserne, verbeulte Karren, den Hunden in den Kohlengruben ähnlich, die, ein endloser Zug, vom linken Schienenstrang auf den rechten mit Hilfe eines halbkreisförmigen Verbindungsgeleises geführt wurden und gerade so lange hinter dem Rost stockten, 142 als nötig war, um Gestein und Blöcke aufzunehmen. Sie wurden von einer mit Akkumulatoren gespeisten Grubenlokomotive gezogen. Klumpen von Menschen mit bleichen Gesichtern, einen Brei von Schmutz auf den Lippen, taumelten um Rost und Hunde, wühlten, wälzten, schaufelten und schrien, und das grelle Licht der Scheinwerfer blendete unbarmherzig auf sie hernieder, während die Luft der Wetterführung wie ein Sturmwind in sie hineinpfiff.

Die Schlacht bei der Bohrmaschine war mörderisch und täglich gab es Verwundete und häufig Tote.

Nach einer vierstündigen Raserei wurden die Mannschaften abgelöst. Vollkommen erschöpft, gekocht in ihrem eigenen Schweiß, bleich und halb bewußtlos vor Herzschwäche, warfen sie sich auf das nasse Gestein eines Waggons und schliefen augenblicklich ein, um erst über Tag zu erwachen.

Die Arbeiter sangen ein Lied, das einer aus ihren Reihen gedichtet hatte. Dieses Lied begann:

Drinnen, wo der Tunnel donnert
In der heißen Hölle, Brüder,
Gee, wie ist die Hölle heiß!
Einen Dollar extra für die Stunde,
Für die Stunde einen Dollar extra
Zahl dir Mac für deinen Schweiß . . .

Zu Hunderten flohen sie die »Hölle« und viele brachen nach kurzer Zeit für immer zusammen. Aber es kamen immer neue!

 


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