Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Bei diesem Riesenbrande, einem der größten Brände New Yorks, verloren wunderbarerweise nur sechs Menschen das Leben: Joshua Gilmor, Kassendiener, mit Kassierer Reichhardt und Kassenvorstand Webster in der Stahlkammer vom Feuer überrascht. Die Schutzgitter werden durchsägt, gesprengt, Reichhardt und Webster gerettet. Als man Gilmor herausziehen will, verschüttet eine Lawine von Schutt und Eis das Gitter. Gilmor fror am Gitter fest.
Die Architekten Capelli und O'Brien. Springen vom 15. Stock ab und zerspritzen auf der Straße. Feuerwehrmann Riwet, vor dessen Füßen sie zerschellen, erleidet einen Nervenchok und stirbt drei Tage später am Schrecken.
Commander Day. Von einem einstürzenden Fußboden des dritten Stockwerkes mit in die Tiefe gerissen und vom Schutt erschlagen.
Der Groom Sin, Chinese. Bei den Aufräumungsarbeiten in einem Eisklumpen eingeschlossen aufgefunden. Zum nicht geringen Entsetzen aller kommt, als man den Klumpen zerschlägt, der fünfzehnjährige Chinese in seinem hübschen blauen Frack zum Vorschein, die Mütze mit den Lettern A. T. S. auf dem Kopf.
Heldenhaft war die Handlungsweise des Maschinisten Jim Buttler. Buttler drang in das brennende Gebäude ein und löschte die acht Kesselfeuer in voller Gemütsruhe, während über ihm das Feuer tobte. Er verhütete eine Kesselexplosion, die verhängnisvoll hätte werden können. Jim tat seine Pflicht und verlangte kein Lob. Aber er war nicht so töricht, das Angebot eines Managers zurückzuweisen, der ihn bei einer Monatsgage von 2000 Dollar durch ganz Amerika schleppte und ihn in concerthalls auftreten ließ. 335
Drei Monate lang sang Buttler jeden Abend sein kleines Lied:
»Ich bin Jim, der Maschinist vom A. T. S.
Die Flammen brausen über mir,
Ich aber sage: Jim, lösch deine Feuer . . .«
New York war erfüllt von Feuerlärm und Brandgeruch.
Während sich noch der Qualm des Brandes über Downtown wälzte und verkohlte Papierstücke aus dem grauen Himmel herabregneten, brachten die Zeitungen das brennende Building, Kellys kämpfende Bataillone, die Bildnisse der beim Brand Verunglückten, den Abstieg Allans und seiner Begleiter.
Das Syndikat wurde totgesagt. Der Brand war eine Einäscherung erster Klasse. Der Schade war trotz der Versicherungen enorm. Verhängnisvoller aber war die Unordnung, die der rasende Pöbel und das Feuer angerichtet hatten. Millionen von Briefen, Quittungen und Plänen waren zerstört. Nach dem amerikanischen Gesetz müssen Generalversammlungen am ersten Dienstag des Jahres abgehalten werden. Der Dienstag fiel vier Tage nach dem Brand, und das Syndikat erklärte an diesem Tage den Konkurs.
Das war das Ende.
Noch am Abend der Konkurserklärung sammelte sich vor dem Central-Park-Hotel, in dem Allan Wohnung genommen hatte, eine Rotte von Gesindel an und pfiff und johlte. Der Manager fürchtete für seine Fensterscheiben und legte Allan Briefe vor, in denen man drohte, das Hotel auffliegen zu lassen, wenn es Allan noch länger beherberge.
Mit einem bitteren, verächtlichen Lächeln gab Allan die Briefe zurück. »Ich verstehe!« Er siedelte unter fremdem Namen ins Palace über. Am nächsten Tage aber mußte er auch das Palace wieder verlassen. Drei Tage später nahm 336 ihn kein Hotel in New York mehr auf! Dieselben Hotels, die früher jeden regierenden Fürsten an die Luft gesetzt haben würden, wenn Allan die Zimmer gewünscht hätte, verschlossen ihm die Tür.
Allan war gezwungen New York zu verlassen. Nach Mac City konnte er nicht übersiedeln, da man gedroht hatte, die Tunnel-Stadt in Brand zu stecken, sobald er sich dort sehen lasse. So fuhr er mit dem Nachtzug nach Buffalo. Die Mac Allanschen Steel Works wurden polizeilich bewacht. Allans Anwesenheit konnte indessen nicht lange geheim bleiben. Man drohte die Steel Works in die Luft zu sprengen. Um Geld zu schaffen hatte Allan die Werke bis auf den letzten Nagel an Mrs. Brown, jene reiche Wucherin, verpfändet. Sie waren nicht mehr sein Eigentum und er durfte sie nicht in Gefahr bringen.
Er ging nach Chicago. Aber auch in Chicago gab es Hunderttausende, die am Tunnel Geld verloren hatten. Man vertrieb ihn auch hier. Die Fensterscheiben des Hotels wurden in der Nacht eingeschossen.
Allan war in Acht und Bann. Noch vor kurzer Zeit war er einer der mächtigsten Männer der Welt, von allen Souveränen mit Auszeichnungen überschüttet, Ehrendoktor einer großen Anzahl von Hochschulen, Ehrenmitglied aller bedeutenden Akademien und wissenschaftlichen Gesellschaften. Jahrelang hatte man ihm zugejubelt und zuweilen nahm die Begeisterung Formen an, die an den Personenkultus früherer Zeiten erinnerte. Kam Allan zufällig einmal in einen Hotelsaal, so schrie sofort irgendeine begeisterte Stimme: »Mac Allan ist im Saal! Three cheers for Mac!« Eine Meute von Journalisten und Photographen war ihm Tag und Nacht auf den Fersen gewesen. Er konnte kein Wort sprechen, keine Bewegung machen, ohne daß es die Öffentlichkeit hörte und sah. 337
Nach der Katastrophe hatte man ihn gedeckt. Es handelte sich ja nur um dreitausend Menschenleben! Nun aber handelte es sich um Geld, die Öffentlichkeit war ins Herz getroffen und zeigte ihm ihr geschliffenes Gebiß.
Allan hatte dem Volk Millionen und Milliarden gestohlen! Allan hatte für sein irrsinniges Projekt die Sparpfennige des kleinen Mannes geplündert! Allan war nicht mehr und nicht weniger als ein Highwayrobber, ein Wegelagerer! Er und der saubere S. Woolf! Er hatte ja die ganze Tunnelfarce lediglich zu dem Zweck inszeniert, seinem Allanit einen Riesenabsatz zu schaffen – jährlich eine Million Dollar Reingewinn! Sieh dir heute die Allanschen Steel Works in Buffalo an, my dear: eine Stadt! Und gewiß hatte Allan sein Geld in Sicherheit gebracht, bevor es zu krachen begann! Jeder Liftboy und Trambahnkutscher schrie so laut, wie man es nur immer wollte, daß Mac der größte Gauner aller Zeiten war!
Im Anfang gab es noch einzelne Zeitungen, die Allans Partei ergriffen. Aber es regnete Drohungen und nicht mißzuverstehende Winke in die Redaktionen – und was mehr war: niemand kaufte diese Zeitungen mehr! Ja, Tod und Teufel, man wollte doch nicht lesen, was man persönlich nicht dachte und noch dafür bezahlen! Und die Zeitungen, die sich verritten hatten, schwenkten ab und suchten aufzuholen. Es fehlte S. Woolf, der ruhmlos Hinabgestiegene, dem die Gabe verliehen war, Trinkgelder von richtiger Höhe in die richtige Hand zu drücken.
Allan tauchte in verschiedenen Städten auf, aber immer mußte er wieder verschwinden. Er war der Gast Vanderstyffts in Ohio, aber siehe da, einige Tage später gingen drei Speicher von Vanderstyffts Musterfarm in Flammen auf. Die Prediger in den Betsälen nützten die Konjunktur aus und nannten Allan den Antichrist und machten gute 338 Geschäfte dabei. Niemand wagte es mehr, Allan aufzunehmen. Auf Vanderstyffts Farm erreichte ihn ein Telegramm Ethel Lloyds.
»My dear Mr. Allan,« depeschierte Ethel, »Papa bittet Sie, auf unserm Gut Turtle-River, Manitoba, Wohnung zu nehmen, so lange Sie wollen. Pa würde sich sehr freuen, wenn Sie sein Gast wären. Sie können dort Forellen fischen und finden gute Pferde vor. Besonders Teddy empfehle ich Ihnen. Wir kommen im Sommer zu Ihnen. New York fängt schon an ruhiger zu werden. Well, I hope you have a good time. Yours truly Ethel Lloyd.«
In Kanada fand Allan endlich Ruhe. Niemand kannte seinen Aufenthalt. Er war verschollen. Einige Zeitungen, die von sensationellen Lügen lebten, brachten die Aufsehen erregende Nachricht, daß er sich getötet habe.
»Der Tunnel verschlingt Mac Allan!«
Aber jene, die ihn kannten und wußten, daß er sechs Leben habe wie der Hai, prophezeiten, daß er bald wieder auftauchen werde. Und in der Tat kehrte er früher nach New York zurück, als jemand geahnt hatte.
Der Zusammenbruch des Syndikats hatte noch Hunderte mit in die Tiefe gerissen. Viele Privatleute und Firmen, die der erste Stoß erschüttert hatte, hätten sich zu behaupten vermocht, wenn man ihnen ein paar Wochen Frist gegeben haben würde. Der zweite Stoß rannte sie nieder. Im großen und ganzen aber waren die Folgen des Bankrotts weniger verderbenbringend, als man befürchtet hatte. Der Bankrott kam nicht unerwartet. Sodann: die allgemeine Lage war so schlecht, daß sie kaum noch schlechter werden konnte. Es war die traurigste und elendeste Zeit seit hundert Jahren. Die Welt war um zwanzig Jahre in ihrer Entwicklung zurückgeworfen worden. Der Streik begann abzuflauen, aber Handel, Verkehr, Industrie lagen noch immer 339 in einer tiefen Ohnmacht. Bis hinauf nach Alaska, bis hinein in die Berge des Baikal und die Wälder am Kongo war die Betäubung gedrungen. Auf dem Missouri-Mississippi, dem Amazonenstrom, der Wolga, dem Kongo lagen Flotten von Dampfern und Leichtern ohne Leben.
Die Asyle für Obdachlose waren überfüllt, ganze Stadtviertel in den großen Städten verarmt. Jammer, Hunger und Elend überall.
Es war Torheit zu behaupten, Allan habe diese Lage verschuldet. Wirtschaftliche Krisen aller Art spielten herein. Aber man behauptete es. Die Zeitungen hörten nicht auf, Allan anzuklagen. Sie schrien Tag und Nacht, daß er dem Volk mit falschen Vorspiegelungen das Geld aus der Tasche gelockt habe. Nach siebenjähriger Bauzeit sei noch nicht ein Drittel des Tunnels vollendet! Niemals, niemals habe er daran geglaubt, den Bau in fünfzehn Jahren bewältigen zu können, und das Volk schamlos belogen!
Endlich, Mitte Februar, erschien in den Zeitungen ein Steckbrief hinter Mac Allan, Erbauer des Atlantic-Tunnels. Allan wurde angeklagt, das öffentliche Vertrauen bewußt getäuscht zu haben.
Drei Tage später hallte New York wider von dem Geheul der Zeitungsverkäufer: »Mac Allan in New York! Stellt sich dem Gericht!«
Die Konkursverwaltung des Syndikats bot eine ungeheure Kaution, ebenso Lloyd, aber Allan wies beide Angebote zurück. Er blieb in den »Tombs«, im Untersuchungsgefängnis der Franklinstreet. Täglich empfing er auf einige Stunden Strom, in dessen Hände er die Verwaltung des Tunnels gelegt hatte, und konferierte mit ihm.
Strom hatte mit keiner Miene, keinem Wort sein Bedauern darüber ausgedrückt, daß Allan in diese mißliche Lage 340 gekommen sei, nicht mit einem Lächeln seine Freude, ihn wiederzusehen. Er referierte, nichts sonst.
Allan war angestrengt tätig, so daß ihm die Zeit nicht lang wurde. Er speicherte ein Depot an Gehirn auf, das sich später (später!) in Muskelkraft umsetzen sollte. Während seiner Internierung in den »Tombs« arbeitete er die Baumethode für die einstollige Fortführung des Tunnels aus. Außer Strom empfing er nur seine Verteidiger, sonst niemand.
Ethel Lloyd ließ sich einmal bei ihm melden, aber er wies sie ab.
Der Prozeß Allans begann am 3. April. Schon Wochen vorher war jeder einzelne Platz des Verhandlungssaales belegt. Man bezahlte Unsummen für die Vermittlung eines Platzes. Es kamen die frechsten und schamlosesten Durchstechereien vor. Besonders die Damen gebärdeten sich wie toll: sie alle wollten sehen, wie Ethel Lloyd sich benehmen würde!
Den Vorsitz führte der gefürchtetste Richter von New York, Doktor Seymour.
Mac Allan standen die vier ersten Verteidiger der Staaten zur Seite, Boyer, Winsor, Cohen und Smith.
Der Prozeß dauerte drei Wochen, und drei Wochen lang befand sich Amerika in ungeheurer Erregung und Spannung. Der Prozeß war die minuziöse Geschichte der Gründung des Syndikats, der Finanzierung, des Baus und der Verwaltung des Tunnels. Auch sämtliche Unfälle und die Oktober-Katastrophe wurden ausführlich erörtert. Die Damen, die bei der Vorlesung vollendeter Dichtungen einschlafen, blieben bei all diesen Einzelheiten, die niemand verstehen konnte, der nicht mit der Materie genau vertraut war, gespenstisch wach.
Ethel Lloyd fehlte keine Stunde. Während der ganzen 341 Dauer der Verhandlung saß sie, aufmerksam lauschend, fast ohne Bewegung in ihrem Sessel.
Allan erregte große Sensation und auch einige Enttäuschung. Man hatte erwartet, ihn, auf dem das Schicksal herumhämmerte, gebrochen und müde zu sehen, um ihn bemitleiden zu können. Aber Allan dankte, er sah genau aus wie früher. Gesund, kupferhaarig, breitschulterig, genau dieselbe Art scheinbar zerstreut und gleichgültig zuzuhören. Er sprach dasselbe breite, langsame, wortkarge westliche Amerikanisch, das zuweilen noch an den Pferdejungen von Uncle Tom erinnerte.
Großes Aufsehen erregte auch Hobby, der als Zeuge zugezogen worden war. Sein Anblick, seine hilflose Art zu sprechen, erschütterten. War dieser Greis Hobby, der auf einem Elefanten durch den Broadway ritt?
Allan brach sich selbst das Genick. Zum größten Schrecken seiner vier Verteidiger, die seinen Freispruch schon beschworen hatten.
Der Angelpunkt des ganzen Prozesses war natürlich die von Allan angegebene Bauzeit von fünfzehn Jahren. Und am siebzehnten Tage des Prozesses tastete sich Doktor Seymour vorsichtig an diesen heiklen Punkt heran.
Nach einer kurzen Pause begann er ganz harmlos: »Sie verpflichteten sich, den Tunnel im Laufe von fünfzehn Jahren zu bauen, also nach Ablauf der fünfzehn Jahre die ersten Züge laufen zu lassen?«
Allan: »Ja.«
Doktor Seymour, leichthin, dabei rügend ins Publikum blickend: »Waren Sie überzeugt, den Bau in dieser Zeit fertigstellen zu können?«
Alle Welt erwartete nun, Allan würde die Frage bejahen. Allan aber tat es nicht. Seine vier Verteidiger rührte nahezu der Schlag, als er den Fehler beging, die Wahrheit zu sagen. 342
Allan erwiderte: »Überzeugt war ich nicht. Aber ich hoffte unter günstigen Verhältnissen den Termin einhalten zu können.«
Doktor Seymour: »Rechneten Sie mit diesen günstigen Verhältnissen?«
Allan: »Ich war natürlich auf die eine oder andere Schwierigkeit gefaßt. Der Bau konnte unter Umständen zwei, drei Jahre länger dauern.
Doktor Seymour: »Also waren Sie überzeugt, den Bau nicht in fünfzehn Jahren fertigstellen zu können?«
Allan: »Das sagte ich nicht. Ich sagte, ich hoffte es, wenn alles gut ging.«
Doktor Seymour: »Sie gaben den Termin von fünfzehn Jahren an, um das Projekt leichter starten zu können?«
Allan: »Ja.«
(Die Verteidiger saßen wie Leichname.)
Doktor Seymour: »Ihre Wahrheitsliebe macht Ihnen alle Ehre, Herr Allan.«
Mac sagte die Wahrheit und hatte sich die Konsequenzen selbst zuzuschreiben.
Doktor Seymour begann sein »summing-up«. Er sprach von zwei Uhr nachmittags bis zwei Uhr nachts. Die Damen, die bleich vor Zorn werden, wenn sie in einem Geschäft fünf Minuten warten müssen, hielten bis zum Schluß aus. Er rollte das ganze schaurige Panorama von Unheil auf, das der Tunnel in die Welt gebracht hatte: Katastrophe, Streik, Bankrotte. Er behauptete, zwei Menschen wie Mac Allan seien imstande, die ganze wirtschaftliche Welt zu ruinieren. Allan sah ihn erstaunt an.
Am nächsten Tag um neun Uhr morgens begannen die Plädoyers der Verteidiger, die bis spät in die Nacht währten. Die Verteidiger legten sich flach über den Tisch und streichelten die Geschworenen unter dem Kinn . . . 343
Dann kam der Tag der größten Spannung. Tausende von Menschen umdrängten das Gerichtsgebäude. Sie alle hatten durch Allan zwanzig, hundert, tausend Dollar verloren. Sie verlangten ihr Opfer und sie bekamen es.
Die Geschworenen wagten es gar nicht, Allans Schuld zu verneinen. Sie hatten keine Lust, mit einer Dynamitbombe in die Höhe zu gehen oder auf der Treppe ihres Hauses niedergeschossen zu werden. Sie sprachen Allan der bewußten Irreführung des Publikums, kurz des Betruges schuldig. Wiederum fehlte S. Woolf, der ruhmlos Hinabgestiegene, dessen Hände golden abfärbten.
Das Urteil lautete auf sechs Jahre drei Monate Gefängnis.
Es war eines jener amerikanischen Urteile, die Europa nicht fassen kann. Es war unter dem Druck des Volkes und der momentanen Lage gegeben. Auch politische Motive spielten herein. Die Wahlen standen bevor und die republikanische Regierung wollte der demokratischen Partei schmeicheln. Allan hörte das Urteil mit ruhiger Miene an und legte sofort Revision ein.
Das Auditorium aber war einige Minuten völlig erstarrt.
Dann aber sagte eine empörte, bebende Frauenstimme: »Es gibt keine Gerechtigkeit mehr in den Staaten. Die Richter und Geschworenen sind von den Schiffahrtsgesellschaften bestochen!«
Das war Ethel Lloyd. Diese Bemerkung kostete sie ein kleines Vermögen und dazu zehntausend Dollar für Anwälte. Und da sie während ihres Prozesses, der enormes Aufsehen erregte, den Gerichtshof abermals beleidigte, bekam sie drei Tage Haft wegen Ungebühr. Ethel Lloyd bezahlte aber freiwillig keinen Pfennig. Sie ließ sich pfänden. Und zwar übergab sie dem Gerichtsvollzieher zwei Paar Handschuhe mit Brillantknöpfen.
»Bin ich mehr schuldig?« fragte sie. 344
»Nein, danke,« antwortete der Beamte und zog mit den Handschuhen ab.
Als aber die Zeit herankam, da Ethel ins Loch wandern sollte, hatte sie keine Lust. Drei Tage jail? No, Sir! Sie riß aus an Bord ihrer Dampfjacht »Goldkarpfen« und kreuzte in zwanzig Meilen Entfernung von der Küste, wo ihr niemand etwas anhaben konnte. Stündlich sprach sie funkentelegraphisch mit ihrem Vater. Die Funkenstationen der Zeitungen fingen alle Gespräche ab und New York amüsierte sich acht Tage lang. Der alte Lloyd lachte Tränen über seine Tochter und vergötterte sie noch mehr. Da er aber ohne Ethel nicht leben konnte, so bat er sie schließlich zurückzukehren. Er sei nicht wohl. Sofort richtete Ethel den Bug des »Goldkarpfens« gegen New York, und hier fiel sie prompt in die Hände der Gerechtigkeit.
Ethel brummte drei Tage und die Zeitungen zählten die Stunden bis zu ihrer Befreiung. Ethel kam lachend heraus und wurde von einem Park von Automobilen empfangen und im Triumph nach Hause gebracht.
Unterdessen aber saß Allan im Staatsgefängnis von Atlanta. Er verlor nicht den Mut, denn er nahm das Urteil nicht ernst.
Im Juni nahm die Revision des Prozesses ihren Anfang.
Der Riesenprozeß wurde abermals aufgerollt. Das Urteil aber blieb unangetastet und Allan kehrte nach Atlanta zurück.
Die Sache Allan ging an den Supreme Court. Und nach drei weiteren Monaten wurde der letzte Prozeß geführt. Es wurde Ernst und ging um Allans Hals.
Die finanzielle Krise war unterdessen abgeflaut. Handel, Verkehr, Industrie begannen sich zu erholen. Das Volk hatte seinen fanatischen Haß verloren. Aus hundert Anzeichen merkte man, daß jemand an der Arbeit war, Allans Sache zu ordnen. Man behauptete, es sei Ethel Lloyd. 345 Die Zeitungen brachten günstiger gefärbte Artikel. Die Geschworenen waren ganz anders zusammengesetzt.
Allans Aussehen befremdete, als er vor dem Supreme Court erschien. Seine Gesichtsfarbe war fahl und ungesund, seine Stirn von tiefen Falten durchfurcht, die auch blieben, wenn er sprach. Er war grau geworden an den Schläfen und stark abgemagert. Der Glanz seiner Augen war erloschen. Zuweilen schien er ganz teilnahmlos.
Die Aufregungen der letzten Monate, die Prozesse hatten ihn nicht niederwerfen können. Aber die Haft in Atlanta hatten seine Gesundheit untergraben. Ausgeschaltet vom Leben und von Aktivität mußte ein Mann wie Allan zugrunde gehen; wie eine Maschine zusammensackt, wenn sie zu lange stillsteht. Er wurde ruhelos und schlief schlecht. Entsetzliche Träume bekamen Gewalt über ihn, so daß er sich am Morgen gemartert erhob. Der Tunnel verfolgte ihn mit Schrecknissen. Es donnerte in seinen Träumen und das Weltmeer brach in die Stollen und Tausende trieben wie ertrunkene Tiere zu den Tunnelmündungen hinaus. Der Tunnel saugte wie ein Trichter: er verschlang Maschinenhallen und Häuser, die Tunnelstadt glitt in den Schlund hinein, Dampfer, Wasser und Erde, New York begann sich zu neigen und zu sinken. New York brannte lichterloh und er flüchtete über die Dächer der zusammenschmelzenden Stadt. Er sah S. Woolf in drei Teile geschnitten und alle drei Teile lebten und flehten ihn um Gnade an.
Der Supreme Court sprach Allan frei. Der Freispruch wurde mit großem Jubel aufgenommen. Ethel Lloyd schwenkte das Taschentuch wie eine Fahne. Allan mußte unter Bedeckung zu seinem Wagen gebracht werden, da man ihn in Stücke gerissen hätte, um ein Andenken zu haben. Die Straßen rings um das Gebäude hallten wider: »Mac Allan! Mac Allan!« 346
Der Wind blies wieder aus der andern Richtung.
Allan aber hatte nur noch einen Gedanken, den er mit dem letzten Rest von Energie verfolgte: Einsamkeit, keine Menschen . . .
Er begab sich nach Mac City. 347