Bernhard Kellermann
Der Tunnel
Bernhard Kellermann

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7.

Allan fuhr mit Maud bis zum zehnten Stock ab, um zu dinieren. Er war vom Schweiß derart durchnäßt, daß er sich vollständig umkleiden mußte. Aber selbst dann schlugen augenblicklich wieder die Schweißperlen aus seiner Stirn. Seine Augen waren noch geweitet und blicklos von der großen Anspannung seiner Kräfte.

Maud trocknete ihm vorsorglich die Stirn und kühlte seine Schläfen mit einer Serviette, die sie in Eiswasser getaucht hatte.

Maud strahlte! Sie plapperte und lachte vor Erregung. Was für ein Abend! Die Versammlung, die Lichtgirlanden, der Dachgarten, das zauberische New York ringsum, nie würde sie diesen Anblick vergessen. Wie sie alle im Kreise saßen! Sie, die Namen, die sie seit ihrer frühesten Jugend tausendmal gehört hatte, deren bloßer Klang eine Atmosphäre von Reichtum, Macht, Genie, Kühnheit und Skandal erzeugte. Und sie saßen und hörten ihm zu, Mac! Maud war unendlich stolz auf Mac. Sein Triumph begeisterte sie, sie zweifelte keinen Augenblick an seinem Erfolg.

»Welch schreckliche Angst ich doch hatte, Mac!« sprudelte sie hervor und umschlang seinen Nacken. »Aber du hast gesprochen! Ich traute meinen Ohren nicht! Guter Gott, Mac!« 64

Allan lachte. »Ich hätte lieber zu einer Herde von Teufeln gesprochen als zu diesen Burschen, Maud, das kannst du mir glauben!« entgegnete er.

»Wie lange wird es nun dauern, denkst du?«

»Eine Stunde, zwei Stunden. Kann sein, die ganze Nacht.«

Maud öffnete überrascht den Mund.

»Die ganze Nacht –?«

»Kann sein, Maud. Auf jeden Fall werden sie uns Zeit lassen, ruhig zu Abend zu essen.«

Allan war nun wieder vollkommen ins Gleichgewicht gekommen. Seine Hände zitterten nicht mehr und in seine Augen war der Blick zurückgekehrt. Er erfüllte seine Anstandspflicht als Gatte und Gentleman und legte Maud das schönste Stück Beef vor, so wie sie es liebte, die schönsten Spargel und Bohnen, und machte sich hierauf selbst ruhig an die Arbeit, während ihm der Schweiß in großen Tropfen auf der Stirn stand. Er fand, daß er außerordentlich hungrig war. Maud dagegen plauderte so eifrig, daß sie kaum zum Essen kam. Sie ließ die ganze Gesellschaft der Geladenen aufmarschieren. Sie fand, daß Wittersteiner einen wunderbaren und bedeutenden Kopf habe. Über Kilgallans jugendliches Aussehen wunderte sie sich, und John Andrus, den Minenkönig, verglich sie mit einem Nilpferd; C. B. Smith, der Bankier, dagegen kam ihr wie ein kleiner, grauer, schlauer Fuchs vor. Und diese alte Hexe Mrs. Brown habe sie in der Tat gemustert, als sei sie ein Schulmädchen! Ob es wahr sei, daß diese Mrs. Brown aus purem Geiz nie Licht zu Hause brenne . .?

Mitten in der Mahlzeit kam Hobby ins Zimmer. Hobby, der es gewagt hatte (und es sich leisten konnte), in Hemdärmeln im Lift des Atlantic herunterzufahren.

Maud sprang sofort erregt auf. »Wie steht es, Hobby?« schrie sie. 65

Hobby lachte und warf sich in einen Sessel.

»So etwas habe ich noch nicht erlebt!« rief er aus. »Sie liegen sich in den Haaren! Es ist wie in Wallstreet nach den Wahlen! C. B. Smith wollte gehen – nein, das müßt ihr hören! Er will gehen, sagt, die Sache sei ihm zu gewagt und steigt in den Lift. Aber sie sind hinter ihm her und ziehen ihn mit aller Gewalt an den Rockschößen wieder aus dem Lift heraus! Keine Lüge! Ye gods and little fishes! Kilgallan steht in der Mitte und schwingt die Gutachten, Mac, und schreit wie ein Ausrufer: Dagegen können Sie nicht ankommen, dagegen können Sie nichts sagen!«

»Natürlich Kilgallan!« warf Allan ein. »Er hätte nichts dagegen!« (Kilgallan war das Haupt des Stahltrusts.)

»Und Mrs. Brown! Es ist nur gut, daß Photographen da sind! Sie sieht aus wie eine Vogelscheuche in Ekstase! Sie ist verrückt geworden, Mac. Sie hat Andrus fast die Augen ausgekratzt. Sie ist außer sich und schreit fortwährend: Allan ist der größte Mann aller Zeiten! Es wäre eine Schande für Amerika, wenn sein Projekt nicht ausgeführt würde!«

»Mrs. Brown?« Maud war starr vor Erstaunen. »Aber sie brennt ja nicht einmal Licht vor lauter Geiz!«

»Trotzdem, Maud!« Hobby brach von neuem in helles Gelächter aus. »Der Teufel kennt die Menschen, girl! Sie und Kilgallan, die zwei werden dich durchsetzen, Mac!«

»Willst du nicht mit uns essen, Hobby?« fragte Allan, der einen Hühnerschenkel zwischen den Zähnen bearbeitete und Hobby aufmerksam zuhörte.

»Ja, komm doch her, Hobby!« rief Maud und stellte Teller zurecht.

Aber Hobby hatte keine Zeit. Er war weitaus erregter als Allan, obwohl ihn die ganze Sache wenig anging. Er stürzte wieder hinaus. 66

Von Viertelstunde zu Viertelstunde kam er wieder, um über den Stand von Allans Sache zu berichten.

»Mrs. Brown hat zehn Millionen Dollar gezeichnet, Mac! Es beginnt!«

»Mein Gott!« schrie Maud mit schriller Stimme und schlug vor Überraschung die Hände zusammen.

Allan schälte eine Birne und wandte sich ruhig an Hobby: »Na, und?«

Hobby aber war zu erregt, um sich setzen zu können. Er lief hin und her, nahm eine Zigarre aus der Tasche und biß die Spitze ab. »Sie zieht also einen Notizblock aus der Tasche,« begann er, während er mit fliegenden Händen die Zigarre in Brand steckte, »einen Block, den ich nicht mit der Feuerzange anfassen möchte, so schmutzig ist er – und zeichnet! Stille! Alles ist starr! Und nun greifen die anderen in die Tasche und Kilgallan geht herum und sammelt die Zettel ein. Kein Wort wird mehr gesprochen. Die Photographen arbeiten mit Hochdruck! Mac, deine Sache ist gemacht, I will eat my hat . . .«

Dann ließ sich Hobby lange nicht mehr sehen. Eine ganze Stunde verging.

Maud war still geworden. Sie saß aufgeregt da und lauschte mit Ohren und Augen, ob sich nichts rege. Je länger es dauerte, desto verzagter wurde sie. Allan saß im Sessel und rauchte still und nachdenklich die Pfeife.

Endlich vermochte Maud nicht länger an sich zu halten, und sie fragte, ein wenig kleinlaut: »Und wenn sie sich nicht entschließen können, Mac?«

Allan nahm die Pfeife aus dem Mund, hob den Blick mit einem Lächeln zu Maud und erwiderte ruhig und mit tiefer Stimme: »Dann fahre ich wieder nach Buffalo und fabriziere meinen Stahl!« Aber mit einem festen, sicheren 67 Nicken des Kopfes fügte er hinzu: »Sie werden sich entschließen, Maud!«

In diesem Augenblick klingelte das Telephon. Es war Hobby. »Sofort heraufkommen!«

Als Allan wieder auf dem Dachgarten erschien, kam ihm der Stahltrustmann Kilgallan entgegen und klopfte ihm auf die Schulter.

»You are right, Mac!« sagte er.

Allan hatte gesiegt. Er händigte dem rotgekleideten Groom einen Stoß Telegramme ein und der Groom versank im Lift.

Einige Minuten darauf war der Dachgarten leer. Jeder einzelne ging unverzüglich an seine Arbeit. Hotelbedienstete schafften die Gewächse und Sessel fort, um Platz für Vanderstyffts großen Vogel zu machen.

Vanderstyfft kletterte in die Maschine und schaltete die Lampen ein. Der Propeller prasselte, ein Sturmwind fegte die Hotelbediensteten in die Ecke, der Apparat lief ein Dutzend Schritte vorwärts und stieg in die Luft. Und der große weiße Vogel zog den Lichtnebeln New Yorks entgegen und verschwand.

 


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