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Die Schwester öffnete dem Staatsanwalt die Tür des Krankenzimmers.
»Ich möchte ganz allein mit ihm bleiben, Schwester.«
Sie nickte und zog sich zurück.
Staatsanwalt Herder ging an das Bett, das in dem von der Maiensonne goldgemalten Raum weiß und sauber an der Wand stand.
Unter der glattgestrichenen Decke lag, was an Kraft und Leben von Friede Schmahl übrig war.
Er war wach und bei Besinnung.
Der Staatsanwalt setzte sich auf den Stuhl, der neben dem Bett stand. Er sah auf die Fiebertabelle im metallenen Halter über der Lagerstatt und wußte, daß noch einer, unsichtbar, an diesem Bette wachte, die Hand schon ausgestreckt nach dem Gezeichneten.
»Können Sie sprechen, Schmahl?« fragte der Staatsanwalt leise.
Der bewegte den Kopf, öffnete dann die blutlosen Lippen, schloß sie wieder und sagte zuletzt ganz vernehmlich:
»Ick wull allens seggen …«
Und dann begann er stockend, von Atemnot gehemmt und von seiner Schwäche immer wieder gezwungen, innezuhalten. Die zerrissene Brust röchelte, die Schatten auf dem Angesicht des Todgeweihten wurden noch schwärzer; aber die Kraft seiner Seele, die sich freimachen wollte zu ihrem Heimatfluge, überwand alles.
Er hatte lange losgewollt von der Pauline. Die ließ ihn nicht. Und wenn's fast aus war mit ihr, traf sie ihn, lief ihm nach und lauerte in der Heide bei den Anstandslöchern, bis er sie wieder nahm … Manchmal war's auch umgekehrt. Dann riß es ihn zu ihr hin, wie ein Tier … Und über sein Inneres spannte sich der Groll: Der Zorn auf sich selbst, der kein Ende machte mit der alten Liebschaft; die Wut auf das Mädchen, das nicht von ihm lassen wollte.
Dazu brummte und zeterte zu Hause der Alte … Zum Verzweifeln war's oft! …
Aber wie er den Plan gefaßt, wann er zum ersten Mal auf den Gedanken gekommen war, die Pauline umzubringen, das konnte Friede Schmahl nicht sagen … Vielleicht, wie sie sich so runterbog, da sah er das Hinterteil und die Beine sich im dünnen Kleide abzeichnen – ja, das hatte ihn zur Wut gereizt! Weshalb? konnte er nicht sagen … Er wollt' es ja schon wochenlang tun! … Vielleicht auch, weil sie schwanger war und die Kinder ihm nachher so viel Sorge und Kosten verursachten … Und jeden Tag wurde sie ihm mehr zuwider.
Er trank sonst nicht. Aber in der Zeit war er öfters dhun. Und am nächsten Tag noch viel wütender … Wenn eine da gekommen wäre … seine Lene am Ende … ja, die hätte ihn abbringen können davon! … oder auch nicht … man weiß ja nicht … 's kann doch keiner in sich reinsehn! …
An dem Dienstag hatte er schon Nachmittag eine ganze Flasche Schnaps aus … Das war, wie wenn er innerlich brannte … und als stieß ihn einer fortwährend in die Seite … Er hätte schon beinahe einen Jungen, der ihn nicht grüßte, mit seinem Handstock erschlagen … Gottseidank, der Bengel rückte aus! …
Betrunken? … Dabei? … nein, das sei er nicht gewesen … ganz nüchtern … bloß wütend und so böse, daß er jedem an die Kehle hätte springen können.
Und dann hätt' er sie abgeholt … Ja, vor ihrem Haus wär' er auch gewesen … Ein Wunder, daß ihn keiner gesehen hätte! … Aber da wollt' er's schon wieder nicht mehr … hatte sich's überlegt und wollte ihr sagen: sie müßten endlich auseinandergehn! …
Und das konnte er nicht! Er bracht's nicht fertig, ihr das zu sagen! … Natürlich – weil der Staatsanwalt leise den Kopf schüttelte – 's wär' ja auch nicht zu glauben! … Aber trotzdem … was sollte er jetzt noch lügen?! …
Bei Heydens Brink, wo sie rüberging und sich 'ne Mohrrübe rauszog, da habe er zuerst geschossen, das traf aber nicht … merkwürdig, auf so nahe Entfernung! …
Nun sei er nochmal davon abgekommen. Aber nur für ganz kurze Zeit. Dann wollte er's erst recht! … Hatte sich auch alles reiflich überlegt, wie er sie wegbringen wollte …
Und in der Heide, bei der Sandgrube im »sauern Grund« schoß er sie von hinten nieder … Der Mond war so hell, daß man alles sehen konnte …
Er? … Er war froh, daß sie weg war! … Bedauern? Mitleid? Nein, gar nicht. Im Gegenteil, wie erlöst fühlte er sich! … Bloß die Leiche, die war ihm gräulich … Und er mußte sich in einemfort übergeben, wie er sie hingetragen und mit Fallholz und Sand bedeckt hatte.
Nach Hause war er noch lange nicht gegangen. Erst so um eins, wo ihn der Nachbar gesehen hatte … Und dann zurück wieder in die Heide, aber hinten rum, über die Äcker mit dem Spaten, um sie einzubuddeln.
Ja, am andern Morgen, daß er auf den Gendarmen mit den Pferden losfuhr, das war nur die Wut: er sollte nun selber rankommen … Da hatte er sich genug drüber geärgert … Und nachher erst, die Geschichte in der Schänke! … Ach, der Herr Untersuchungsrichter hatte damals ganz recht gehabt, wie er sagte: »Einmal werden Sie eine kapitale Dummheit machen, Friede Schmahl! … Und dann hüten Sie sich!«
Hätt' er das nicht getan und dem Gendarmen den Schnaps in den Wein gießen lassen von seinem Bruder, dann wär' er heute noch frei und nie rangekommen! …
Reue? … Nein! Die hätt' er auch später nicht gefühlt. Vielleicht, wenn ihm die Lene nicht gleich in die Arme gelaufen wäre, als er wieder draußen war … Im Gefängnis, in der Zelle, da sei's ihm manchmal so vorgekommen, als wenn einer hinter ihm herging. Und wenn er stehen blieb, blieb der auch stehn. Aber so wie er sich umdrehte, war doch keiner da …
Hier, jetzt wo's alle mit ihm wäre, da dächte er gar nicht mehr daran … Er würde's ja gerne sagen, aber er könnte sich doch nicht helfen: er dächte bloß noch an seine Lene und daß die, wenn er weg wäre, einen andern nehmen würde … Dann hätte er mehr Schmerzen hier – er zeigte auf die Brust – und die Schwester gäbe ihm was, daß er schlafen könnte.
Ja, und er dankte auch schön, daß seine Frau kommen dürfte … Verdient hätte er's ja nicht … aber …
Und nun schwieg Friede Schmahl eine ganze Zeit, nur das pfeifende Röcheln kam aus der zerschossenen Lunge.
Wenn er über das alles nachdächte und er könnte doch nichts anderes tun, besonders nachts, wo er keinen Schlaf hätte, dann käm' es ihm vor, als wenn das alles so hätte kommen müssen … Seine ewige Wut … und der Zank zu Hause … und nie einer, der freundlich zu ihm war, früher, wie er die Lene noch nicht hatte … Es wäre ja immer schon sowas um ihn rumgeschlichen … Natürlich hätte er's keinem gesagt … verstand ja auch keiner … Aber nun wäre er frei … und auch gar nicht Angst vor'm Sterben … wenn bloß die Lene bei ihm bleiben könnte! …
Ja, und der Alte, der hatte die Leiche gesucht und in der Sandgrube gefunden, gleich wie er, Friede, verhaftet war … In der darauffolgenden Nacht … Der Vater wäre ganz einfach den Fußspuren nachgegangen, die hätten damals, wo's tags zuvor geregnet hätte, noch frisch im Sand gestanden. Hätte sie gefunden und des Nachts auf dem Schubkarren fortgebracht, hin nach der Eiche … Daß die hohl war, wußten viele … Aber wer sollte dadran denken?! … Der Alte wäre raufgestiegen, hätte den Körper mit einem Seil hochgebracht und ihn dann in die Höhlung gestoßen … Bis zum jüngsten Tag wär sie dageblieben, die Pauline, wenn nicht der dumme Blitz gekommen wäre … Ein Gewitter im Mai! Hahaha! …
Wahrhaftig, der Todwunde lachte!
Dem Staatsanwalt griffs nach dem Herzen.
Da ging die Tür, die Schwester kam:
»Frau Schmahl ist draußen? … Soll ich sie fortschicken, Herr Staatsanwalt? … Nach ein Uhr ist kein Besuch mehr.«
»Nein, nein!«
Der schlanke Mann mit dem blassen Jünglingsgesicht stand auf:
»Lassen Sie sie nur herein!«
Und Lene trat ins Zimmer.
Staatsanwalt Herder beobachtete den Kranken.
Von Friede Schmahls Angesicht war alles, was ihn von den Menschen trennte, fortgeweht. Die Liebe, die mächtiger ist, denn alle Macht des Bösen und der Finsternis, entsündigte ihn und erleuchtete seine verlorene Seele.