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III.

Na, Mutter, was Ihr ooch immer habt!« sagte der Schuster Merk, der einen aus der Naht gegangenen Bauernstiefel mit Pechdraht und Ahle wieder in Schick brachte. »Träume sind Schäume! … Un was soll denn die Pauline passiert sein! … Sie is doch hundertmal durch den »sauern Grund« gegangen un ich glaube sogar, sie is mit ihren Friede jegangen, mir war, als hab' ich 'n unters Fenster stehen sehn, gestern Abend …« Dabei steckte er den Stiefel auf den Leisten und machte ihn mit dem Knieriem auf seinem Schenkel fest.

Die alte Frau stand am Herd, sah nach den Kartoffeln, die sie fürs Vieh kochte, und schüttelte den Kopf:

»Dat bedüd allmal wat, Franz … ick hebb sei upp 'n hohen Berg steihn sehn und sä hatt de Arme hoch bört und hett jewinkt, wir sallen kamen; un denn sprung sä af un war eener hinger ehr her … Aber wer't war, dat kunn ick nich seihn … Un ick hebbe ooch son Jefäuhl, dat drückt mi reen dat Herz af!«

Der Sohn, der viel in der Welt umhergekommen, das Plattdeutsche für ungebildet hielt, nahm gerne seine Zuflucht zu Fremdworten.

»Dat is Phantasie un Illuschion! … Un das kommt, wann man auf 'n Abend noch soviel essen tut! Denn is der Magen voll un das drückt aufs Jehirn und denn träumt man schlecht.«

Die alte Frau hob mit Anstrengung den schweren Kartoffeltopf vom Feuer, goß das siedende Wasser ab und wollte die Kartoffeln eben in den Trog zum Zerstampfen schütten, als auf dem Backsteinboden des Flures Schritte klangen und ein Junge in die Küche trat.

»Na, Hassen Ernst, wat willst du?« Der Schuhmacher ließ den Hammer sinken; dabei sah er aber zu seiner alten Mutter hin, deren gutes Gesicht ganz weiß geworden war, »schickt dich unser Paulinchen?«

»Nä.« Der Junge blieb am Eingang stehen, »ick sall man fragen, wo sei afbliewen is?«

Die alte Frau, die wegen ihres Beinleidens nicht gut fortkonnte und sich sonst langsam bewegte, rannte auf ihn zu, sie schrie fast:

»Unse Pauline? … Wat is mit dä? … Is se denn nich dor? … Segg doch, Hassen Ernst! … Wo is sei denn? … Sei is doch to Hus gohn, jestern Amd!«

Ihr Schreien zerfloß in Weinen, sie hatte des Jungen Arm gepackt und zerrte an ihm, daß der Zehnjährige sich ängstlich loszumachen trachtete.

Der Schuhmacher kam dazwischen. Er hatte Hammer und Schuh hingeworfen, faßte die alte Frau und beschwichtigte sie:

»Nu sei doch man gut, Mutter! … Laß doch man … Wird ja nicht so schlimm sein … was ist denn, Hassen Ernst! … Erzähl' doch mal! … Die Pauline is doch gestern wechjegang' von Euch, nich wohr?«

»Jo! … wechgohn is sei all schon um fif … aberst wedderkam is sei all' lang nich …«

Mehr war aus dem Jungen nicht herauszubringen. Pauline Merk, die im Elsenbruch beim Bauern Hasse diente, war weder gestern noch heute dort angekommen.

»Sä hett doch ehre Wäsche jebrocht, dat ick se ehr waschen sall,« jammerte die Mutter, »wo is sei denn bloß, sei wull doch glick to Hus! … wo is sei denn nu bloß? … Um halbig sieben is se hier wechgohn, un um sieben muß sei doch all dor sin! … Dat's ja doch man 'ne halbe Stunn' bis bi Eich! …«

Die alte Frau hatte die Arme vor den Leib gelegt und lief händeringend in der Küche hin und her.

Durch die offene Tür, wie ins kleine, laubumsponnene Fenster lachte die helle Sonne, klang das Zwitschern der Schwalben, das Zirpen der Stare herein, und wenn die Alte mit Klagen und Schluchzen innehielt, dann hörte man fernes Sensendengeln und verlorene Stimmen von den Feldern.


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