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Gendarm Ebel wohnte in Brummstag gleich im ersten Hause, wo der Wald aufhört, an dem kleinen Weiher, in dem sich die Gänse und Enten des Dorfes ein Stelldichein gaben.
Er putzte eben sein Pferd und rief seiner Frau, die ihn zum Frühbrot haben wollte, zu: er käme gleich!
Da schob einer um die Zaunecke, durchs Tor, auf dessen Besuch der Gendarm am wenigsten gerechnet hätte.
»Nanu, min Jung, wo kümmst Du denn all her?«
Albert Schmahls Gesicht sah so graulich aus, trug so unverkennbar den Stempel einer schrecklichen Niederlage, daß mans schon von weitem sehen mußte. Der Gendarm dachte nicht anders, als: »den haben seine Kumpane aber nicht schlecht untergekriegt!« Sagte aber vorläufig kein Wort, weil es ihn gar nicht lockte, nach solchem Scharmützel den Friedensstifter oder gar den Rächer zu spielen.
Und sonderbar, auch der Trunkenbold, heute übrigens völlig nüchtern, schien kein Verlangen zu empfinden, die Entstehungsgeschichte des blau-rot-grünen Farbenspiels in seinem entstellten Gesicht zu erzählen.
Er kam auch anfangs gar nicht recht zum Reden, der Arme, der sich heute nicht einmal hatte Mut trinken können. Der Gendarm mußte ihn wiederholt nach seinem Begehr fragen und war, wie der andere so stotterte und stockte, drauf und dran, dennoch auf Alberts zerschlagenes Aushängeschild anzuspielen, als der endlich Mut faßte:
»Ick hebbe mi man bi Sä enschulljen wulln, Härr Wachmeester!«
»Bei mir? … Weshalb denn?«
»No … Sei weeten doch noch! … Dor in 'n Krug bei Sallberg'n … Dor hebb' ick Sä doch Konjack rinschütt mang Ehren Win … wo Sei denn hernachens …«
Weiter kam er nicht!
Der Gendarm, der sich beim Putzen seines Gaules gebückt hatte, war plötzlich emporgeschnellt und stand mit fackelnden Augen und geballter Faust vor dem Zurückweichenden.
Dann faßte er sich, hörbar den Atem einziehend und seine ungeheure Erregung hinunterwürgend. Ihm war sofort klar, daß hinter dem Bubenstreich des Trinkers dessen Bruder Friede stand.
Mit einem blöden Lächeln sagte Albert:
»Jo, dat het mi keene Ruhe nich jeloahn … ich hebbe möten herkam nu sagen Sei dat, Harr Wachmeester!"
»So …« Der Gendarm schüttelte den Kopf. Und nach einer Pause, in der er hastig den blonden Schnurrbart drehte:
»Dat hätt' ick nich von di jedacht, Albert … Ich hab' immer jemeint, du wärst son harmloser Mensch, der gerne eenen abbeißt … aber sonst tust du keinem was! … Nee, das hätt' ich nich jeglaubt … von dir nich! …«
Der Armselige vor ihm wand sich hin und her. Er wollte mehr sagen, aber er fand die Form nicht.
So mußte ihm Ebel zum Wort helfen:
»Nu segg' mi mal, min Jung, wie du dadruff kamen büst!« Er wollte, um Schmahl vertrauter zu machen, das Platt der Gegend sprechen, aber sein so schwer, bemeisterter Ingrimm ließ ihn, den in der Stadt Geborenen, gleich wieder ins Hochdeutsche fallen:
»Das hast Du doch nich aus dir selber gehabt! Da steckt doch einer dahinter! … Der mir mal 'n bißchen was am Zeuge flicken wollte, was?«
Albert nickte.
»Na wer denn?«
»Sä seggen dat hernachens den annern un denn … denn …«
»Denn kriegst du deine Schacht, meinste? … Nee, ich jebe Dir aber mein Ehrenwort, als königlich preußscher Wachtmeister, daß ich das nich tue! Keine Silbe erfährt der andre von mir! … Das heißt, natürlich! Kaufen wer' ich mir den Kujon! Aber so, daß er's gar nich merkt, aus welche Luke der Wind weht! Na, und nu sage mal! sag's offen und ehrlich! … es ist dein Bruder Friede jewesen, nich wahr? Der hat dich dazu anjestiftet?«
Albert Schmahl sagte nichts, aber in seinen verschwollenen, von den harten Schlägen des Bruders blutunterlaufenen Augen stand die Bejahung von Ebels Frage deutlicher, als die Lippen sie hätten aussprechen können.
»Ick segge nix, Harr Wachmeester! Ick segge gor nix! Sä künnen glöben, wat Sei wull'n!«
Damit wandte er sich und rannte humpelnd zum Hofraum hinaus.
Der Gendarm sah ihm nach, bis daß er um die grüne Schlehdornhecke war. Dann führte er pfeifend sein Pferd in den Stall und ging zu seinem Weibe hinein.
Ihrer Frage, was denn der Schmahl gewollt habe, gab er keine Antwort. Der große Mann, der sich in den niedrigen Stuben immer ein wenig bücken mußte, sann vor sich hin und grübelte.
Plötzlich faßte er den rotgestrichenen Holzstuhl, der vor ihm stand, stieß ihn auf die Diele, daß die Frau zusammenfuhr, rief:
»Mach mir schnell meine Stullen und wickel' sie mir ein!«
Und war aus der Stube.
Aber im Umsehen war er wieder drin, steckte sein Frühstück in die Tasche – Gastwirtschaften suchte er seit jenem Sonntag am Tage nicht mehr auf – und schwang sich, als die behäbige Frau aus der Türe trat, schon auf seinen Rappen.
Das Pferd, das den Sporn nicht gewöhnt war, keilte aus und war mit drei Sprüngen vom Hofe.
Frau Ebel tat, was ihr sonst nie einfiel, sie rannte über den Hof, bis auf die Chaussee und sah ihren Mann im Galopp davonsprengen, daß der Staub wirbelte.
Es war ein kalter Oktobertag mit einer blassen Sonne zwischen jagenden Wolken, und der Wind trieb das dürre Laub, das die jungen Platanen an der Landstraße, noch rot und gelb leuchtend, hernieder fallen ließen.
Albert Schmahl zog fröstelnd den Hals in die Joppe. Sein ausgemergelter Leib, sonst erwärmt und befeuert vom Schnaps, den er jetzt entbehren mußte, fror schaudernd.
Da hörte er Pferdegetrappel, wandte den Kopf und blieb stehn.
Gendarm Ebel parierte den Rappen und sprang ab:
»Ich wollt Ihn' noch was sagen, Schmahl …« er zögerte.
Der Andere sah einfältig zu ihm empor:
»Wat is denn, Harr Wachmeester?«
»Na … Sie … Sie haben doch das Gastwirtsverbot, nich wahr?«
»Jo … dat heet … ick hebbe …«
»Na ja, ich weiß schon! … Und er fehlt Ihn' gewiß sehr, Ihr kleiner Wuppdich?!«
Dem Trinker schwammen die entzündeten Augen.
»Herr Wachmeester …« Er kam nicht weiter.
»Na, ich kann Ihn' vielleicht 'n bißchen helfen … Das heißt … natürlich … betrinken dürfen Sie sich nicht, bloß daß Sie etwas haben … sone Flasche voll, vastehn Sie?«
»Harr Wachmeester …« Der Bedauernswerte flog am ganzen Leibe, so regte ihn die Vorstellung auf, seine Leidenschaft wieder stillen zu dürfen.
»Tja!« Ebel hob den Kopf mit dem blitzenden Helm, »aber eine Liebe ist der andern wert, Schmahl! Wenn ich jetzt zu Sange ins Dorf reiten soll und ihm sagen, daß er Ihn' einen kleinen einschenkt, dann müssen Sie mir auch 'n Gefallen tun! … 'S is nebenbei 'n Verdienst, das Sie sich erwerben, denn so was, das darf nich verborgen bleiben! … Nicht wahr, Sie verstehen mich schon? Sie wissen doch?! … Ich meine die Jeschichte mit der Pauline!"
Da führ der Zerrüttete jäh zusammen:
»Mit dä Paulin'? Ick weet nich, Harr Wachmeester …«
»Aber ja, Sie wissen doch, Schmahl! … Sie haben sicher schon was gehört davon! Denn Ihr Vater, der ist doch auch da mit bei!«
Das hätte Gendarm Ebel nicht sagen sollen! Er merkte sofort, wie der Bauernsohn zurückzuckte.
Schmahl schrie fast:
»Nä, ick weet nix! Ick weet wahrhaftig nix, Harr Wachmeester!«
Aber sein Teufel, der Fusel, stand hinter ihm und machte im Hin und Her, im Weigern und Bitten, im Drohen und Versprechen einen Judas aus dem Geknechteten, der wimmerte:
»Harr Wachtmeester, ick weet nix, so wahr ick lebe! … Allens, wat ick hürt hebbe, is dat Vadder mal seggt het: An die Schwedeneke dor – – – Denn het he mi seihn un denn kiekt em min Brauder, der Friede, der kiekt em an, wie wenn er am glik das Messer int Hart stötten wull … nu da wör hei still, wat min Vadder is … Aberst nich wahr, Sei seggen nix wieter? … Sunst schloahn sei mi upp de Stelle dod!«
Der Gendarm hatte schon den linken Fuß im Bügel. Da schrie Albert Schmahl fast:
»Un … Harr Wachtmeester … Sei hebben doch jeseggt … dat Sei hinwulln bi Sange … dat he mi 'n lütten inschenken dheit!«
»Da reit ich hin, jetzt!«
Der Gendarm war im Sattel.
»Valaß dich auf mich, mein Junge!«
Und der Gaul zeigte die Hufe, daß die Schottersteine auf der Chaussee Funken gaben.