Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

II.

Weil sie dreschen wollten, waren Friede Schmahl und sein Vater früh aufgestanden. Der Hahn krähte in einem fort und kratzfußte um die Hennen, die von der Leiter auf den Hof flogen.

In dem kaltweißen Licht des jungen Tages stand die alte Großmutter, die einzige Frau im Hause und spülte am Brunnen ihren Melkeimer; dann verschwand sie mit ihren nackten Beinen, die braun und dürr wie Zaunstecken unter dem hochgeschürzten Rock hervorsahen, im Stall, wo die Kühe brüllten, die Hunger hatten und ihre Milch hergeben wollten.

Zwischen Stall und Scheune, wo der Pfad hinausging in den Fichtenort, der zum Hofe gehörte, gerade auf die Spitze des geöffneten Scheunentores fiel der erste lichte Sonnenstrahl … Er traf da wohl alle Morgen hin, ehe er über das schwarze Schuppendach und über die beiden Birnbäume glitt, die an der Miste fruchtbeladen im Frühwind schwankten.

Friedrich Schmahl hatte die Sonne so wohl tausendmal kommen sehen. Heute fiel's ihm auf, er kratzte den schwarzen, kurzgeschorenen Kopf und spie aus, als habe er einen übeln Geschmack im Munde.

Der alte Schmahl hantierte mit seinen gichtverkrümmten Fingern an der Dreschmaschine.

»Hal' man die Pierd rut!« rief er mit seiner knarrigen Stimme herüber. Sein noch volles Haar war weiß, und weiß waren die Bartstoppeln um Mund und Kinn, aber zwischen den vom Trunk geröteten Lidern sahen die alten Augen schwarz und hartherzig hervor, wie bei dem Sohne.

»Heste Albert nich sähn?« sagte der Alte, mit seiner lauten Stimme, dabei die Klopfbretter in der Maschine ordnend.

»Nee, dä supt all widder drei Dage lang rum!«

Der Alte schwieg, als träfe ihn der Vorwurf, daß sein jüngerer Sohn, der den Hang zum Trinken von ihm geerbt hatte und, nie recht zum Arbeiten angehalten, ein Faulenzer und Vagabund geworden war. Der und die in Berlin verkommene Tochter gaben zu ewigem Zank zwischen dem Vater und seinem Ältesten Anlaß.

Aber der Alte mußte sich und seinen Liebling verteidigen:

»Wenn hei mol wat angripen wull, du läßt em ja nich! … Dä Hund an de Kette hat's ja beter, wie der arme Minsche!«

Nun schimpfte der Schwarze erst.

»Lat'n man kommen! … Dat Oas! … Dä Rumdriwer! … Ick wer am schon! … Mit de Wagenrunge öwer'n Kopp, solange …!«

Friede hielt auf einmal inne. Sein Blick ging suchend über den Hof, am Hause vorbei, wo zwischen dem Lattenzaun und der Hauswand unter den Pflaumenbäumen ein Mädchen herkam, ein junges, frisches Geschöpf mit lachenden Augen und kosigem Mund, ein Tuch über den noch nicht gekämmten Flachskopf gesteckt, in vertragener Jacke und verschlissenem Rock, aber doch reizend in ihrer Jugend und blühenden Gesundheit.

Das war Schulzen Lene, eines Waldarbeiters Tochter, die Milch holen wollte.

»Wo is'n Großmudder?" fragte sie.

Friede, der mit seinen dreißig Jahren hinter allen Weibern her war und die Lene sonst nie in Ruhe ließ, zeigte mit abgewandtem Gesicht nach dem Kuhstall, ging aber selbst hinüber in das andere Stallgebäude, wo die Pferde standen.

Das Mädel blieb bei der Dreschmaschine stehen und sagte, sich in den runden Hüften wiegend und den Alten anblinzelnd:

»Wat het hei denn hüt, dä Friede? … Dä hat wull nich utslopen? … oder hat'n die Pauline wat vormakt?«

Der Alte, der auch noch gerne hübschen Wuchs und blanke Gesichter sah, grinste mit einem derben Witz, daß das Mädchen scheltend zu der alten Frau in den Stall rannte.

Der Friede kam über den Hof mit den Pferden. Ging um die Scheune herum und spannte die beiden Braunen in den Göpel, der mit eiserner Gelenkstange, die unter der Tenne hinlief, die Dreschmaschine trieb.

Das Radwerk klapperte, vom alten Schmahl geprobt, und stand wieder. Fritz warf dem Handpferd die hanfene Leine über den Hals und ging zu der Gerstenfuhre hin, sie ans Tor der Scheune zu schieben. Der Alte kam auch, sie hatten beide zu tun, den garbenvollen Wagen an der weißen Wand vorbei zu quetschen.

»Is good!« schrie der Vater, »beter kann hei nich stohn!«

Doch der Sohn schob und drehte nun erst noch weiter an seinem Hinterrade.

Der Alte zeterte:

»Halt doch! … Wenn ick dat seggen do, denn halt doch an, du Hund!«

Der Sohn schimpfte wieder, schwang sich auf den Wagen und warf mit der Forke das Getreide herab. Unten schichtete es der Alte, wie es nachher die Maschine aufnehmen sollte. Nun kam die Großmutter und, ohne viel zu fragen, nahm sie die Zugleine der Pferde und trieb die Tiere im endlosen Kreise des Göpels. Der Alte stopfte große Büschel Ähren in die Maschine, der Sohn schaufelte das vorn ausfallende Dreschgut beiseite; der Lärm war so groß, daß man kein Wort hätte verstehen können. Es sprach auch niemand. Von der Spreu überrieselt, die in der Zugluft der an beiden Seiten geöffneten Scheune wirbelte, nach kurzer Zeit von Staub und Schmutz ganz entstellt, schafften sie beide, Vater und Sohn, mit dem Eifer und der Emsigkeit der Menschen, welche die Arbeit als etwas Selbstverständliches und zu allen Zeiten Gebotenes ansehen. Und wie der Zeiger an der Uhr, umlief die Alte derweile den Kreis, den der Zugbalken des Göpels hinter der Tenne auf dem sandigen Boden beschrieb. Sie ging hinter den Pferden her und trieb die schwerziehenden mit der Peitsche an, wenn sie nachließen. Auf dem spitznasigen Gesicht des mageren Kopfes, den eine schüttere, silbrige Haarsträhne kaum bedeckte, lag die starre Ergebenheit eines Lebens, das in Vergangenheit und Zukunft nichts als Mühsal und Plage kennt, das längst verlernt hat, sich zu freuen und Schmerzen zu empfinden und das den Tod weder herbeisehnt noch fürchtet.

In der Pause, die man machte, weil die Maschine stockte, strich ein Schwalbenpaar laut zwitschernd durch die Tenne. Der junge Schmahl blickte unwillig auf, die Ölkanne, aus der er ins Radwerk goß, entfiel ihm, und der Alte fluchte. Sie hätten sich von neuem gezankt, wenn nicht die Großmutter gerufen hätte:

»Wullt Ji nich irst eten?«

Ja, das wollten sie! Und alle drei, aber jeder für sich, als hätte keiner mit dem andern etwas zu tun, gingen ins Haus.

Beim Frühstück kams dann doch! Der Vater schnitt sich eben eine Stulle von dem riesigen Brotlaib herunter, die Großmutter stellte die Kaffeekanne, den Milchtopf neben den Teller mit Schmalz, da fing Schmahl an, laut und unversöhnlich, mit seiner heiseren Stimme:

»Un ick leed dat nich! … Die kommt mi nich upp'n Hof, dat Minsch! … Hebb ick daför jearbeet und jerackst all' min Lewedach, dat du di hersett mit eene, die nich'n Hemde upp'n Oarsch hat! … Ick geih nich in Utrach, eh' ick nich weet, dat du dat Frugensminsch 'n Tritt givst!«

Friedel lachte höhnisch:

»Ewig ward Ji wull ook nich lewen!«

»Denn vaköp ick 'n Hof un leg min Jeld upp Zinsen!«

Der Sohn lachte wieder, aber er sah keinen an, als er sagte:

»Wer seggt denn, det ick die Pauline heiraten wer?«

Der Alte sah auf, und selbst die matten Blicke der alten Frau trafen den Enkelsohn, der ein Stückchen Brot abschnitt, es umständlich aufs Messer spießte und in den Mund schob. Endlich meinte der Vater unsicher:

»Und dat Kind?«

»Dat kann ja ook starwen …«

Eine Weile schwiegen alle drei, dann sagte die Ahne:

»Giv't man nich widder zu die Benischken … die deit nich god an die armen Wirmer!«

»Hö!« machte Friede, als wollte er mehr sagen … Auch der Alte machte nur eine unwirsche Bewegung.

Eine Zeit hörte man nur das Summen und Brummen der unzähligen Fliegen in der rauchgeschwärzten, unsauberen Küche. Dann kam der Alte wieder mit seinem Ärger und Zweifel:

»Un wenn ook! … Die beeden annern sin ook all starwen un do hest di doch witer rumjetreckt mit die Paulin'! … Aber dat ward nix! Ick segg di dat noch mal, dat Mäken kummt mi nich upp unsern Hof!«

Der Sohn zuckte die Achseln, er hörte den polternden Alten kaum mehr, weit fort war er mit seinen Gedanken. Auf einer mondbeschienenen Waldblöße, über die ein Mann und ein Mädchen gingen … Durchs Holz, den schmalen Wildpfad hin … bis zu der Luchwiese, wo über uralten Torfgräben Elfengebüsch und Schilfrohr wucherte … und … ein Schuß fiel …

Friede Schmahl schrak zusammen, daß er sich auf dem Stuhl halten mußte.

»Nano!« sagte der Alte, »dir gript dat wull?«

»Mi is nich god,« sagte der Sohn, »ick möt mi vakühlt hebben hüt Nacht …«

»Du warst wedder up de Hirsche! … Dat 's ook son Quack! … Scheeten deiste doch keen! …«

»Ach, wat weet Ji denn! … ick kann dun, wat ick will!«

Der Alte brummte noch. Plötzlich fing er wieder an:

»Dä Reimers ut Wendorf, dä hat erst letzt widder seggt, dat hei sich hier anköpen wull … dä nimmt 'n Hof glick … un ick vaköp'n am ook, wenn du nich 'n Enn makst mit die Paulin!«

»Wart's doch erst af!« sagte der Friede, stieß, sich aufhebend, den Stuhl zur Seite und ging aus der Küche. Der Alte folgte ihm, die Großmutter kam auch und bald klang der Lärm der Dreschmaschine wieder in die Nachbarschaft.


 << zurück weiter >>