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Der alte Schmahl war gleich aus dem Bett, als ihm sein Sohn zurief:
»Do, Vadder, ick hew 'n Hirsch schoten!«
Friede spannte die Pferde an den Mistwagen, indes der Alte in die Kleider kam.
Dann fuhren sie los, ohne viel zu reden. Der Vater schlaftrunken, der Sohn noch voll der Süße und Seligkeit von der Liebsten Küssen … So still seine Lippen blieben, so laut war sein Herz! … Eine war ihm gut! Ein Mensch stand beben ihm und deckte ihn mit seinem Leibe vor der Wut der andern! Ach, er meinte sie noch immer an seinem Halse hängen und ihre Liebesküsse auf seinem Munde zu fühlen! Ein Seufzer entrang sich seiner Brust, die in Leidenschaft und Sehnsucht brannte.
Der Alte sah auf:
»Wat hest do denn … Do runkst jo all so! …«
Dann, wie Friede nichts entgegnete, döste der Alte weiter.
Der Mond stand mitten am Himmel und alle Sterne leuchteten. Es war eine Nacht voll unendlicher Schönheit. Und ferne ließ der Brachvogel seinen melodischen Ruf hören.
Die Pferde gingen fast lautlos im weichen Sand. Manchmal ächzte der Wagen … Der Alte saß zusammengekauert auf dem Brett und schlief. So konnte Friede seine Träume schweifen lassen.
Dann waren sie beim Hirsch. Hatten ihn bald auf dem Wagen und fuhren zurück.
Als sie ein Stück weit fort waren, sagte der Alte:
»Wo föhrst do denn, Junge? Dat's doch der Weg, dä durch den ›suern Grund‹ löppt.«
Friede antwortete nicht und fuhr – die Straße war hier abschüssig – schneller.
Auf einmal griff der Alte, der hinter dem Sohn, neben dem Hirsch saß und dessen Beine zur Seite des Wagens zwischen den Rädern baumelten, nach den Zügeln:
»Ick wull dat nich, do! … kannste denn nich hüren?! … Ick wull dor nich vorbi!«
»Wo denn?!« Friede wich mit seinen Händen den Fäusten des Alten aus: »Dat is doch man Schnack, Vadder! … Dor oder dor, dat is allens een!«
Martin Schmahl wollte vom Wagen springen, aber der Sohn riß in die Zügel, daß die Gäule galoppierten … Der Alte fluchte und schimpfte.
Sie kamen an einer Lichtung vorbei. Da stand ziemlich am Rande der nicht so großen Freiung ein Eichbaum. Die Leute sagten, die Eiche stände noch aus der Schwedenzeit dort. Aber wenn sie auch gewiß nicht die Hälfte der seitdem vergangenen Jahrhunderte im Winde gerauscht hatte, so war's doch ein gewaltiger Baum. Kaum zwei Mannshoch vom Boden zu riesenhaften Ästen ausladend, von einem Umfang, einer Fülle und mit einer Kraft in den nachtblauen Himmel hinauftrotzend, daß man sie von weither über die hier nur kümmerliche Heide ragen sah … Drei Männer mußten ihre Arme ausbreiten, wollten sie sie umfassen.
»Na,« sagte Friede Schmahl, als sie ein Stück vorbei waren, »het sei Euch wat dohn, Vadder, die Eke?«
Der Alte brummte.
Friede Schmahl lachte. Es klang, wie wenn nachts im Walde der Kauz lacht, irr und zerrissen …