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XIV.

Vor einer Stunde war die Kirche nicht aus, so trat Friede Schmahl, um eine Zigarre zu rauchen, in die Schenke ein, die an der Chaussee nach Brummstag lag.

Im Gastzimmer fiel sein erster Blick auf den Gendarm Ebel, der hier sein Frühstück nahm. Er saß mit mehreren andern, Bauern aus dem Bruch, am großen Tisch neben der Schänke, die wie in einem Alkoven eingebaut war.

Im ersten Augenblick wollte Friede Schmahl gleich wieder umkehren. Die da drüben unter dem symbolischen ›Großen Messer‹, das aus Pappe und Silberpapier geklebt, von der Decke herunterhing und mit einem Glöckchen angeläutet wurde, wenn einer der Gäste gar zu arg aufschnitt, die kannte der junge Bauer ebenso, wie sie ihn. Aber sie waren seine Freunde nicht, gehörten auch nicht zu seiner Sippe. Und wie sie so dick und protzig dasaßen, die eckigen Schädel mitten im blauen Qualm ihrer Zigarren und Pfeifen, da hatte Friede Schmahl wenig Lust, ihnen auch nur die Tageszeit zu bieten.

Indem rief der eine:

»No, Friede, dor büste ja all' wedder! … Nu sett di man dal nu vertell uns 'n beten! … Wat de dor makt hest! … Sowat, dat hürt man jo nich alle Dage!«

Friede Schmahl ging langsam an den Schankraum, dabei nickte er dem Bauern, der gesprochen hatte, höhnisch zu:

»Dor möt do den Harrn Schandarm Ebel fragen, Corl! … Dä weet, wie dat man'n ihrlichen Minschen in't Kaschott bring'n dheit.«

Ein paar von den Bauern lachten heimlich.

Der Gendarm hob seine klaren, blauen Augen zu Friede Schmahl auf, sah ihn durchdringend an und schien etwas erwidern zu wollen. Aber er strich nur seinen blonden Reiterschnurbart und nahm sein Glas Bier, das er in einem Zuge leertrank.

Friede Schmahl hatte den Blick ruhig ausgehalten, jetzt wendete er sich zu dem Wirt, der hinter den Tisch der Theke getreten war, und bat:

»Giw mi 'ne Zigarr', Eduat! Jo, un 'n Glas Beer kannst mi ook gäben!«

Damit begab er sich nach der Fensterseite hinüber und nahm dort Platz.

Während der Wirt ihm das Verlangte brachte, sah Friede eine größere Gesellschaft junger Bauernsöhne auf den Krug zukommen. Sie gingen untergefaßt zu dreien, stießen sich, lachten und trieben Narrenspossen. Man sah, daß sie nicht erst von Hause kamen und wohl schon die Wirtschaften im Dorf hinter sich hatten.

Als sie schon unter der Tür waren, kam ihnen noch einer auf unsicheren Füßen nachgerannt. Friede Schmahl erkannte seinen Bruder Albert. Er wurde von den andern aufgefangen und zuerst in die Gaststube hineingestoßen.

Hier füllten sie alles mit Lärm und Schreien, liefen an den Stammtisch zu den Bauern und schüttelten denen die Hände. Ein großer, hübscher Mensch, kaum recht erwachsen, ›Otto‹ nannten sie ihn, hatte Geburtstag, der bestellte Getränke.

»Win her! … un Beer! … wat do hest, Eduat!«

Der Wirt ließ sich nicht nötigen.

Natürlich hatten sie Friede Schmahl gesehen. Sie tuschelten, und einer flüsterte mit dem schon trunkenen Bruder des jungen Bauern.

Der tappte zum Fenster hin und sagte schluckend:

»Do … büst … do … ja ook … Friede … kam' doch man rieber! Dä … dä Otto Seiler … dä giewt eenen ut … to sin … Jeburtstag …«

Sonst wäre Friede Schmahl den Angeheiterten, zu denen er ja schon dem Alter nach nicht gehörte, aus dem Wege gegangen – hier, wo er dem Gendarmen um keinen Preis weichen wollte, war ihm die Einladung gerade recht. Er stand auf, nahm sein Glas und setzte sich zu den Jungen. Sah ihn da auch der eine oder andere zuerst scheu an, die meisten in ihrer lustigen Laune kümmerten sich gar nicht um ihn. Sie lachten grundlos, trieben Scherz miteinander, und das Geburtstagskind, der lange Otto, mit seinem hübschen, noch fast mädchenhaften Gesicht, stieß, nachdem er Friede ein Glas Wein eingegossen hatte, mit ihm an; worauf Friede ihm gratulierte und auf seine Gesundheit trank.

Flaschen und Gläser wurden im Umsehn leer, der Wirt und seine starke, vollbusige Ehehälfte hatten zu tun, alle Wünsche zu befriedigen.

Friede Schmahl sah auf seine Uhr … Die Kirchzeit war vorüber, Lene mußte bald heimkommen. So dachte der junge Bauer, sich still davonzumachen … Da trat sein Bruder, mit dem Glas, dessen Inhalt seine unruhige Hand verschüttete, auf schwanken Beinen an ihn heran und stotterte:

»Sehste … Friede … dat's Recht … von di … nich so alleen … sin … denn et steiht schon … in de … Bibel: et … is … nich god, dat dä Minsch …« Er lachte schallend, in seinem umnebelten Kopf stießen sich Gedanken und Worte über den Haufen, »nu biste wedder dor … un … bliewst ook …« Er wußte nicht weiter und brach aufs neue in dummes Gelächter aus.

»Nu sett di man! … sett' di hen, Du Döskopp!«

Sein Nachbar, der nach absolvierter Dienstzeit noch die Militärmütze trug, drückte den Trunkenbold auf den Stuhl.

Aber Friede Schmahl meinte danach, erst recht nicht fortgehn zu dürfen. Er fing an, zu trinken, und rauchte, daß er in Wolken saß.

Einer ging an den Musikautomaten, legte die Platte auf, die er gerade fand, und da's ein Walzer war, faßten sich zwei von den Angeheiterten um und begannen zu tanzen.

Der Lärm und Jubel ward immer größer und pflanzte sich auch an den Stammtisch fort. Die Bauern drüben, alles wohlhabende Leute, wollten sich nicht lumpen lassen und bestellten ebenfalls Wein, wobei der Gendarm natürlich ihr Gast blieb.

Der stand jetzt auf, aber man ließ ihn nicht fort. 'S wär' ja Sonntag heute, da hätte er gewiß nicht soviel zu tun! … Und Gendarm Ebel gehörte zu den Männern, die für gewöhnlich sehr mäßig, sich hüten müssen, am Kneiptisch hängen zu bleiben, weil ihre starke Konstitution ihnen den Widerstand gegen den Alkohol auch da noch vortäuscht, wo sie längst die Grenze der Nüchternheit überschritten haben.

Friede Schmahl fing an, in seinem Innern zornig zu werden. Nicht auf die, die bei ihm saßen. Mit denen sprach er und tat Bescheid auf ihr Zutrinken. Er hatte ja jemand hier, dem auch schon nüchternen Sinnes sein böser Blick galt … Da drüben saß er, auf dem Ledersofa zwischen den Bauern, die sein Riesenkörper im dunkelgrünen Waffenrock mit den blitzenden Knöpfen alle überragte … Den behielt Friede scharf im Auge, an dem wollte er sich reiben! Und in seinem nachdenklichen Geist, den der Wein noch spitzer und schärfer machte, reifte langsam ein häßlicher Plan.

Er winkte seinem Bruder, der bereitwillig kam. Und redete mit ihm, freundlich, wie lange nicht mehr.

Der Trunkene, bei dem der Rausch lange Zeit brauchte, ihn ganz niederzuwerfen, folgte seinem Bruder auch, als der ihn vom Tisch fortlockte, nach der Schänke hin. Dort kaufte Friede eine kleine runde Flasche und ließ sie mit Kognak füllen, um sie dann in die Seitentasche seines Jaketts zu stecken.

Alberts wäßrige Augen folgten der Bewegung, er schien Bedauern zu empfinden, daß das kostbare Naß da ungenutzt verschwand.

Nun lachte Friede ihn an und blinzelte geheimnisvoll:

»Weeßte, Albert, wat ick dormit wüll?«

Er flüsterte und tuschelte und allmählich begriff ihn der blöd und mit offenem Munde Stierende doch.

Da, jetzt war der Moment gekommen! Schnell schob Friede dem Bruder die kleine Flasche mit Kognak in die unsaubere Hand.

Der torkelte los, auf den Tisch zu, an dem die Bauern saßen und von dem soeben der Gendarm aufgestanden war, um auszutreten.

Einer der Wirte, der vorhin Friede Schmahl angesprochen hatte, auch schon schwer von Bier und Wein in Stimme und Gebärde, rief jetzt dem Bruder entgegen:

»Na, Albert, west do di ook eenen köpen?«

Da setzte sich der Taumelnde, der seine Betrunkenheit absichtlich übertrieb, neben den Besitzer auf den Stuhl des Gendarmen und ließ sichs aus dessen Glas schmecken. Aber als wollte er sein Versehen gleich gut machen, entkorkte er das Kognakfläschchen und goß zu dem Rest Rotwein den Schnaps, bis das Glas voll war.

Der Bauer neben ihm sah es, aber angezecht, wie alle, die am Tisch saßen, mochte er es für einen feinen Witz halten und dachte nicht daran, den Gendarmen, der jetzt wieder eintrat, aufzuklären. Im Gegenteil, er hob sein Glas, hielts dem Beamten entgegen und trank' es, während Albert Schmahl feixend davonwackelte, bis zur Nagelprobe.

Gendarm Ebel hatte schon vorher eine rote Stirn und glänzende Augen: sobald er das so böse gemischte Getränk herunter hatte, reckte er sich, pustete laut und sagte stockend:

»Deubel! Das war aber scharf!«

Später wunderte er sich selbst, daß er den Nachbar nicht einmal gefragt hatte, was man ihm da ins Glas gegossen habe? Aber später war er eben wieder nüchtern! … Jetzt sah er alles in der Gaststube sich heben und senken, die Menschen flatterten vor seinem verschwimmenden Blick, wie ungeschickte Vögel, und ein Sausen und Brausen war um ihn her, als wenn der Sturm durch den Raum fegte.

Er stand auf, wollte gehn und ließ sich wieder von dem Nachbar auf den Sitz ziehn. Als er weiter trinken sollte, wäre er fast vom Stuhl gesunken. Aber dann riß er sich doch mit aller Kraft in die Höhe … Eine Stimme sagte ihm: »Du mußt fort! Darfst Dich hier vor den Bauern nicht am Boden wälzen!« Er schüttelte die nach ihm langenden Hände ab und verließ, wie ein Schiff durch den Nebel schwankend, die Gaststube.

Hinter ihm schlich einer mit einem Teufelslachen auf dem harten, braunen Gesicht.

In der Luft ward dem Gendarmen noch elender. Er tastete sich schwerfällig am Haus entlang, wollte zu den Ställen, die hinter dem Gebäude lagen, dort hatte er im Schuppen sein Rad eingestellt.

Auf einmal war Friede Schmahl an seiner Seite:

»Sä säuken wull Ehr Rad, Harr Wachmeester?«

Ebel fuhr fahrig mit den Händen umher, wollte reden, es wurden aber nur Laute, die kein Wort formten.

Da hielt ihm Friede Schmahl, tückisch lächelnd, das Zweirad. Ebel sollte vom Hof! Auf offener Straße, vor den Augen der sonntäglich geputzten Kirchgänger, die heimkehrten ins Bruch, sollte der Verhaßte seine Unmäßigkeit zeigen!

Und es gelang. Friede brachte den Gendarmen, dessen gewaltige Körperkraft hartnäckig gegen das Rauschgift kämpfte, aufs Rad. Er stützte ihn noch, bis der in der Uniform auf der Chaussee war.

Der Gendarm, einmal im Sattel, bekam es fertig, zu fahren. Und – Friede sah's mit knirschenden Zähnen – je weiter Ebel fuhr, desto mehr mäßigten sich die Schlangenlinien der Radspur: er gewann mit der Bewegung, die ihm jahrelange Gewohnheit war, die Gewalt über seine Gliedmaßen zurück.

Da fuhr an seinen langen Beinen der Hund eines Spaziergängers in die Höhe. Der Gendarm bog weit aus nach der entgegengesetzten Seite, er verlor die Pedale, das Rad fiel, und der Riese stürzte in den Straßengrabe, wo er liegen blieb.

Vorübergehende versuchten ihn aufzurichten – vergeblich! Eine todähnliche Betäubung hielt den Berauschten an der Erde. Und da es stark an zu regnen fing, mochten sich die Helfer nicht aufhalten, die wohl zudem auch die Schadenfreude ein wenig kitzelte, daß die hohe Behörde in der Person ihres Bewaffneten dort im Dreck lag.

Friede Schmahl stand trotz des prasselnden Regens von Ferne und triumphierte. Er lachte nicht; nur seine Lippen standen weit offen, und die Nüstern waren gespannt, wie bei einem wiehernden Hengst.

Doch plötzlich weiteten sich seine dunklen Augen: dorthinten, wo an die Chaussee, die wie ein immer schmaler werdendes, graues Band zwischen den grünen Luchwiesen hinlief, sich zu beiden Seiten der dunkle Kieferwald mit dem helleren Schmuck der Hängebirken drängte, dort ganz weit hinten erschien, wie ein Spielzeug so klein, ein Reiter.

Friede Schmahls Raubvogelaugen hatten ihn schon erkannt. Hoch in die Luft hätte er springen mögen, der im Gebüsch am Graben Versteckte, als der Reiter jetzt, immer größer und deutlicher werdend, näher kam – der Herr Oberwachtmeister, Ebels unmittelbarer Vorgesetzter!

Und er ließ sich nicht ein Titelchen entgehen von dem trübseligen Erkennen, von dem freilich nur der Reitende etwas wußte – Gendarm Ebel lag im Graben und war auch durch die harten Worte seines ›Ober‹ nicht aus dem Totenschlaf des Rausches zu erwecken.

Aber später, als er seine Strafe verbüßt hatte, drei Tage Arrest, die die ersten waren in seiner langen Dienstzeit, da kams dem so schmählich Getroffenen zu Sinn, daß ihm jemand einen Henkersstreich gespielt, daß man ihn absichtlich benebelt hatte.


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