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XVII.

Förster Domnus war in der Nacht draußen gewesen. Ein Wilddieb, dem er lange schon auf der Spur war, hatte ihn, leider wieder mal ohne Resultat, um seinen Schlaf gebracht.

Das sagte die Försterin, eine kleine unscheinbare Frau, aber flink wie ein Wiesel, dem eintretenden Gendarmen:

»Er schläft erst seit fünf Uhr. Wenn ich ihn jetzt wecke, dann macht er mir Schande!«

Ebel, der nicht aus der Gegend war, begriff den Sinn des Wortes nicht gleich und fragte:

»Wieso, Frau Förster? Meinen Sie, wenn Ihr Mann müde ist, wird er seine Pflicht nicht tun?«

»Ach wo!« Sie wehrte einen jungen hirschroten Teckel, der an ihrem Rock biß und zerrte, und lachte dabei:

»Ich meine doch, daß er dann schimpft! Und wie schimpft er! Nee, kommen Sie lieber rein und trinken ein Glas Bier oder 'ne Tasse Kaffee … der steht noch warm in der Röhre!«

Ebel ließ sich nicht nötigen. In der Hast, hierher zu kommen, hatte er ja so nichts in den Magen bekommen, als er von Hause wegritt.

So schnell, wie ihre Füße und Hände, war auch der Försterin Mundwerk … Keinen Moment blieb sie am selben Fleck, und nicht einmal hörte sie auf, zu erzählen.

Dem Gendarmen war's recht. Er aß und trank und hörte wenig von den Pflaumen, die man in diesem Jahr gar nicht hätte verkaufen können, so viele gäbs! … Und von den Minorkahühnern, davon die Försterin einen Stamm, drei Hennen und einen Prachthahn sich zugelegt hätte. Nicht einmal der zahme Rehbock interessierte ihn, den man durch's Fenster die Magd attackieren sah, die sich auch mit dem Stallbesen nicht gegen den gehörnten Raufer verteidigen konnte und auf ihrer Flucht in den Schweinestall gar einen Pantoffel verlor.

Der Beamte dachte nur immer an das Bubenstück, dem er zum Opfer gefallen war und an seinen Urheber … Fünfzehn Dienstjahre und fast ebenso lange als Gendarm hatte ihm keiner was vorwerfen können! Und nun, als alten Menschen, jetzt mußte ihn so ein gottvergessener Schubiak, so ein Meuchelmörder, der mußte ihn um seine Reputation bringen!

Er ächzte vor Zorn.

Die Försterin sah ihn fast erschrocken an:

»Was is Ihnen denn, Herr Ebel?«

»Ach! … wissen Sie, liebe Frau Domnus …« Er konnt' es nicht mehr bergen, in seinem brennenden Herzen, es mußte heraus!

Da war's das erste Mal, daß er sie wortlos, verdutzt dasitzen sah. Aber nicht lange. Sie faßte sich bald, die Frau Försterin:

»Und darum komm' Sie zu meinem Mann? Der soll Ihnen helfen? Ja, aber, lieber Herr Ebel, was kann denn mein Hermann dabei tun? … Mein Mann, der hat doch auch keine Ahnung! … Natürlich, froh wär er ja auch! Denn der Schmahl, der steht schon lange auf seiner Liste, sagt er! … Aber Sie wissen doch: wollen tut mancher! Bloß kriegen! Das is nich so leicht! Überhaupt den! Sie sagen ja hier, er steht mit dem Teufel im Bunde, der Schmahl! Was die Leute so reden! Und darum kommts auch nicht raus! Denn jewesen is er's, das is keine Frage!«

So plätscherte das Bächlein ohne Rast und Ruhe.

Gendarm Ebel hatte die angebotene Zigarre in Brand gesetzt und paffte … Er war schon wieder in all dem Wortschwall mit sich allein: er mußte die Leiche der Pauline Merk finden! Und wenn der Schmahl, dieser Hundsfott, zehnmal mit dem Teufel im Bunde war – er hatte den lieben Gott auf seiner Seite! Gottes Gerechtigkeit konnte nicht zulassen, daß so ein Mordgeselle und Leuteverderber der ganzen Welt ein Schnippchen schlug! Die weite Heide wollte Ebel umdrehen! Jeden Tag und jede Stunde, die ihm der Dienst ließ, wollte er hinaus und solange suchen, bis er die Ermordete fände!

Und er wußte ja jetzt! … wußte, wo er sie suchen sollte! … Das hatte der Säufer, der Albert, nicht nur so hingesagt! Das mit der Schwedeneiche! Da mußte man suchen! In der Gegend hatten sie die Pauline Merk vergraben!

Das Feuer bullerte im Ofen, die Försterin kniete davor und stieß mit der Zange den glühenden Torf nach hinten:

»Heizen Sie bei sich zu Hause auch schon? Herr Ebel?«

Der Gendarm hörte die Frau reden. Aber als spräche sie weit von ihm entfernt. So blieb er die Antwort schuldig. Und es brauchte dessen auch gar nicht! Die kleine Frau Domnus ließ die Rede von der Gegenrede nicht abhängen.

Ebel kam's vor, als spräche sie jetzt von vergangenen Zeiten, da ihre Kinder noch klein waren, die jetzt in der Kreisstadt in Pension die Schule besuchten. Er nickte und erwiderte: »Ja, ja!« Aber sein Geist und Wille schweifte schon mit dem Förster durch die Heide, wo der braune Hund zwischen den Kusseln im Gestrüpp und Ried unablässig nach der Spur jenes armen, nie mehr gesehenen Mädchens suchte.

Indem sah er wieder durchs Fenster und rief freudig:

»Da is ja Ihr Mann, Frau Domnus!«

»Denn is er hinten rausjegangen! Nein, sowas! Aber das macht er immer! Ich weiß nie …«

Ebel war schon aus dem Zimmer und mit seinen langen Beinen so schnell auf dem Hof, daß die Försterin kopfschüttelnd am Fenster zu sich selber sagte – sie war auch, wenn sie allein war, nicht still:

»Na, hat man sowas jesehn?! … Der is ja beinig, wie ein Junger! Ich denke, er is noch drin, da is er schon draußen! Und eine Wut hat er im Leibe! – Mein Herr Jesus, ich möchte der Schmahl nicht sein!«

Sie bürstete die mit gehäkelten Deckchen belegten Kissen auf der Fensterbank, obwohl sie sicherlich sauber waren, mit besonderem Eifer und unterbrach sich dabei nicht im Selbstgespräch! Ging vielmehr von den Bemerkungen über die Fliegen, die doch gewiß zu nichts nütze seien, als einen Christenmenschen zu ärgern, dadurch, daß sie das weißlackierte Holz der Fensterrahmen mit schwarzen Punkten versahen – unmittelbar in eine Bewillkommnung ihres Gatten über, der nun mit dem Gendarmen in die warme Stube trat.

Die Frau fragte sofort, warum Domnus – so nannte sie ihn – wieder statt durchs Wohnzimmer, hinten rum durch die Küche auf den Hof gegangen wäre? Aber er, mit einer dämpfende« Handbewegung, bat sie, ohne besondere Rücksicht:

»Nu, meine liebe Ottilie! Nu laß uns mal 'n bißchen allein und quassele draußen weiter!«

Sie lächelte und nickte mit ihrem schon leicht ergrauten Kopf, auf dessen dünnen Scheitel ein kleiner, drolliger Dutt thronte:

»Ja, ich weiß schon … ja, ja! Wenns interessant wird, dann sind wir Frauen überflüssig … aber ich gehe ja schon! ja doch! also auf nachher, Herr Ebel! … auf nachher!«

Ihr Mann hatte sie unter den Arm gefaßt und führte sie ritterlich, aber unaufhaltsam zur Tür.

Dann sprachen die beiden Männer eine kurze Weile, und Förster Domnus nahm die Flinte über die Schulter.

Sie gingen vorn hinaus.

Als sie auf dem Hof waren, stand Frau Domnus am Küchenfenster, riß es hastig auf und schrie:

»Hermann! Hermann! Ich muß Dir noch was sagen! Hermann!«

Indes, Domnus zog seinen Gast schnell vom Hofe, er hatte dem braunen Rüden gepfiffen, der im Galopp, den Zaun mit hohem Schwung überfallend, aus dem Garten kam.

»Da sucht er Igel,« sagte Domnus, »meine Frau würde Ihnen auch sagen, warum, weshalb und wozu … Ich hab's noch nicht begriffen, denn er bringt sie mir bloß, wenn er sich den Fang auch noch so blutig reißt, an den Stacheln, nachher läßt er sie liegen!«

Dem Gendarm war's einen Augenblick, als wenn beinahe alles menschliche Tun und das, was er jetzt vorhatte, insbesondere dem »Igelbringen« des Hundes ähnelte. Doch seiner Seelen Wunde brannte doch zu schmerzhaft, seine Wut loderte zu hoch, als daß er schon hätte einsehen können, daß der heiße Wunsch, er möchte den Verbrecher entlarven, nur aus einem verzehrenden Rachedurst quoll.

An des Försters Seite schritt er, der sein Pferd im Forsthaus gelassen hatte, auf dem breiten Sandweg zwischen zwei mannshohen Schonungen dahin, die endlos schienen, in ihrem schwarz braunen, mit Flechtenmoos bewachsenen Gezweige, das nur an den Spitzen die graugrünen Nadelbüsche zeigte, während die Wipfel, von der Nonne zernagt, trübseligen Anblick boten.

»Wenns so weiter geht,« Domnus deutete auf den halb zerstörten Kiefernbestand, »frißt uns die verdammte Raupe noch den ganzen Wald auf!«

Der Gendarm dachte, obwohl sein Gewissen ihn mahnte, von seiner wilden Vergeltungslust abzulassen:

»Und wenn die Heide bis Talblick zum Henker geht – wenn ich bloß die Leiche finde!«

Der Förster redete weiter, von Wald und Wild, unterbrach sich aber, da er den Gendarm ins Auge faßte, und meinte:

»Mann! Mann! Sie tun Unrecht, wenn Sie sich das gar so sehr in 'n Kopf setzen! Ihre Behörde muß Ihnen das Unrecht abbitten, was Ihnen geschehen ist! … Kein Mensch kann dafür, wenn ihm ein Schweinehund Schnaps ins Getränk gießt … Aber das andere, mit dem Schmahl, darein sollten Sie sich nicht zu fest verbeißen! Denn ehrlich gestanden, ich glaube nicht dran, daß wir sie finden, die Pauline Merk. Wenn der Polizeihund damals vergeblich gesucht hat, der doch drauf dressiert ist! Dem sein Führer auch vorher Witterung gegeben hat, wie ich gehört habe … Wenn der sie nicht findet, dann wird meiner, trotz seiner hervorragenden Nase, wohl auch versagen!«

»Aber jetzt wissen wir, wo sie liegt, Domnus!«

»Na, na, lieber Kamerad! Mir wär's doch gewiß recht, wir finden sie! Wenn einer, so habe ich den Kerl auf 'm Visier, den Schmahl! Aber – – na, wir werden ja gleich sehn! Dadrüben fängt ja der ›saure Grund‹ schon an!«

Gendarm Ebel eilte noch mehr wegan. Und der Förster Domnus folgte ihm mit Kopfschütteln.

Die Heide wurde hier dichter. Das Terrain senkte sich zu weichem Wiesengrund, durch den ein Rinnsal floß. Weit links sah man das weite, windgeschüttelte Elsenbruch im ungewissen Sonnenlicht. Ein Rudel Rotwild zog langsam durch das lückige Strauchwerk, soweit entfernt von den Männern, daß nur das Kopftier stehen blieb und heräugte, die andern Stücke zogen mit ihren in der Sonne rotleuchtenden, schlanken Körpern ruhig zu Holz.

Die Männer waren auf Domnus Wink stehen geblieben. Nun ging der ungeduldige Gendarm weiter. Da floh das Leittier, hinter seinen Genossen drein, in hohen Fluchten.

Der Förster freute sich laut des guten Anblicks. Ebel, nur seinem Vergeltungswahn lebend, antwortete gar nicht.

Dan waren sie bei der Eiche, deren wundervolle, dunkelgrüne Krone über dem Kroppzeug der Heidekusseln, im kalten Winde rauschend, himmelan strebte.

Hoch droben schwebte ein Falk, wie ein Punkt nur dem scharfen Auge des Waidmannes sichtbar. Da stieß er herab. Er fiel wie ein Stein, mit unglaublicher Schnelligkeit, aus höchster Höhe!

»Der könnte uns helfen, mit seinem Auge! Das sieht alles … das kleinste und das verborgenste! Unsere Sinne sind stumpf und leblos dagegen!«

»Hier muß es sein!« sagte Ebel, mit starrem Auge ins Dickicht greifend … »ich bin fest überzeugt … hier muß der Hund suchen!«

Und der braune Rüde verschwand auf seines Herrn Wink im Holz. Bald hörte man seinen lauten Hals hinter einem Wilde.

»Er denkt, er soll stöbern, Ebel!« Der Förster faßte den nun in seine Idee Verrannten beim Arm, »Ebel! Glauben Sie mir, wenn uns nicht der blaue Zufall hilft, werden wir das arme Mädchen nie finden!«

Aber der Gendarm gab sich so leicht nicht. Eine Stunde und noch eine suchten die beiden. Immer wieder mußte der Hund, der ja nicht einmal wußte, was man von ihm wollte, hinein in die Dickungen. Am Ende versagte er. Und blieb hinter seinem Herrn.

»Lassen Sie's, Ebel, lassen Sie's sein! Wie ich Ihnen gesagt habe: nur per Zufall kann die Leiche gefunden werden! Wir können ebensogut einen Tropfen im Wasser oder eine Tannennadel da in der Heide suchen!«

Da endlich entschloß sich der Gendarm widerwillig, heimzukehren. Aber im Herzen war er anders gesonnen: sobald er Zeit hätte, würde er allein hier wieder hergehen. Und wenn er auch dann nichts fand, er würde doch nicht nachlassen, würde wieder und wieder hierher kommen und suchen und zum tausendsten Mal suchen, bis er eines Tages doch das gefunden hatte, wonach seine Seele mit aller Macht verlangte! …


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