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Hest Du wat seihn, Hinnerk?«
»Wat denn, Corl?«
»Na, dor! … Hinger dat Holt … wo wi eben vorbikamen sind?«
»Nee, ick hew nix seihn … wi künn jo noch mol torück!«
»Do bist verrückt, Minsche! Hest Du Lust, dat do Di 'ne Kugel mang de Rippen scheiten lahn wüllst? Jo? … Selig sünd, de dor nix seihn un doch glooben! … Weet do nich, dat steiht schon in de Bibel?«
Damit entfernten sich die beiden Bauernsöhne von der Stelle, wo Carl Beese an einer Sandgrube, die seit Jahren unbenutzt lag, die Merkmale frischen Grabens bemerkt hatte.
Beide waren sie mit den anderen Einwohnern des Dorfes zu der Polizeistreife aufgeboten worden, die der verschwundenen Pauline Merk galt; denn das arme Geschöpf war nicht heimgekehrt zu ihrer alten Mutter, die vor Gram um die geliebte Tochter zusehends hinstarb.
Alle Vögel sangen in der Heide. Die Sonne brannte auf Sand und roter Erika, und verworren schollen die Stimmen der Suchenden in den Kusseln.
Da brach es wie ein Wolf durch das niedere Holz: der Polizeihund, den die Behörde sich verschrieben hatte und den sein Führer revieren ließ, eine Spur der Verlorenen zu finden.
»Dä funn' ook nix!« sagte der ältere der beiden Burschen, auf den Hund deutend, »jo, wenn hei glik den annern Tag hätt söken kunnt! Aberst nu, wo all' twee Wochen vagangen sün! … Wer weet, wo hei die Paulin' nu all hinbröcht het!«
Auf einmal brach heller, triumphierender Laut die Stille:
Hau! … Hau! … Hauhau! … Hauhauhau! …
Hinnerk und Corl blieben lauschend stehen:
»Nu hat hei sä doch funn!«
Dann eilten sie zurück, wohin der helle Hals des Hundes sie gleich einem Glockensignal rief.
Von allen Seiten hastige, springende Schritte!
»In de Sandkaute!« schrie Hinnerk, »wie ick di seggt hebbe! Corl! … sei licht in de Sandkaute!«
Als die beiden anlangten, waren schon etliche der Suchenden zur Stelle. Die andern, wohl hundert und mehr, kamen nach und nach.
Gendarm Ebel war dabei, auch der Berliner Geheimpolizist, der den Hund gebracht hatte.
»So recht, Faßan! … So recht, mein braver Hund!«
Der Kriminalbeamte stand am Rande der ziemlich tiefen Grube. Der Hund, unten auf der Sohle, kratzte und grub mit seinen scharfkralligen Pfoten wie ein Teufel!
»Schaufeln her!« kommandierte der Berliner.
Aber die aus Saida beeilten sich nicht, und die Brücher, die einzeln im Bruch wohnten und die sich von alters her nicht gerne befehlen ließen, noch weniger.
»Militär hätte die Staatsanwaltschaft requirieren müssen!«
Der Kriminalbeamte blickte zornig auf die zögernden Bauern, »wenn nicht mein Hund wäre, die da hätten nie was gefunden!«
Das konnte Gendarm Ebel nicht auf seiner Gemeine sitzen lassen:
»Man muß es ihnen nur in Ruhe sagen, Kamerad!« Er wandte sich zu den Wartenden, die nicht freundlich auf den Fremden schauten.
»Na man to, Lüd! Dat sall doch keener nich seggen, dat Ji 'n Mörder unger Euch rumlopen laßt!«
Da waren die Jungen zuerst unten. Dann die Alten. Sie gruben, daß der gelbe Sand nach allen Seiten flog. Nur wo der Hund scharrte, schaufelten sie nicht.
»Laß!« kommandierte sein Führer, »da! leg' dich nieder!«
Der Hund lag still, seine klugen Augen auf den Herren richtend. Aber plötzlich, während sein Herr selbst den Sand zur Seite warf, sprang er zu und faßte eine Hornhaarnadel, die er, sich setzend, dem Führer gab.
Atemlose Stille lag über den Menschen, die sich in dichtem Schwarm um den Beamten und seinen Hund drängten.
Der Berliner hielt die ziemlich große Hornnadel hoch in der Rechten:
»Ist einer hier, der die Pauline Merk genau gekannt hat?«
Der Besitzer Hasse, der auch bei der Streife war, trat vor:
»Bi mi het sei dient … Hasse is mein Name.«
»Un, Vadder!« Ein Junge drängte sich ran, »ick weet, dat is unse Pauline ehre Hoornadel!«
Die Sonne stand fast scheitelrecht über der glühenden Heide. Ein Schweigen, in dessen flirrender Goldluft die Flügel des Rachegeistes bebten, lag über den ergriffenen Menschen.
Dann zersprang der Bann. Die Herzen wurden frei, und die Lippen öffneten sich zu angstvollen, bedrückten Worten.
Aber keine Freude kam auf. Keiner zweifelte mehr an der Schuld des verhaßten Schmahl. Aber es war einer von den Ihren, eines Bauern Sohn! Und wenn sie ihn und seine Sippe sonst alle mieden, jetzt, da er des Mordes schuldig sein sollte, jetzt war er aus ihrem Stamme! Hatte eine Luft mit ihnen geatmet und von der Scholle, die ihrer aller Mutter war, hatte er sein Brot geerntet! Der Schimpf, die Schande, die ihn und die Seinen traf, schändete sie alle! Nicht einer, dessen Herz sich der Gerechtigkeit entgegenstemmte, aber auch keiner, der ihr Walten und die Sühne, die diese schwere Tat finden mußte, froh begrüßte.
Wie ein Leichenzug bewegte sich die Menge zurück. Ganz hinten gingen Hinnerk Findler und neben ihm Carl Beese:
»Du, Corl, kiekst do to, wenn sei am den Kopp affslagen?«
»Du Döskopp! Da loten sei keen bi tokieken! Dat word in't Jefängnis makt. Un dorbi wird ümmer mit sone quorre Glocke jelitten. Un hernachens da steiht dat uff Zettels, wo dat ruffdruckt ward, un dä sünd rot.«
Der kleinere schüttelte seinen Flachskopf:
»Do kannst mi veel vorschweßen, Corl! … An Enn' ward dat ook noch utklingelt, wie bi uns, wenn eener 'ne Koie notschlachten dät!«
»Na, ob Du dat nu glöwst oder nich! … Ick möt dat doch all weeten! Min Schwager, dä is doch bi't Millether in Berlin west! … Und dor hebben se ook een afkehlt … Dä het sin Olsche amordet … Corl! … un der het seggt, wie sei am ruttrocken hebben ufft' Schaffot … da het hei seggt …«
Die Schar stand plötzlich still, ebbte rückwärts, daß die letzten die vordersten wurden, zurück in die Heide.
»Was ist denn? … Wat's los? … Wat wull'n sei denn noch?«
Erst allmählich ward die Absicht der beiden Polizeimänner klar: sie hatten in der großen Überraschung, in dem hohen Triumph, den ihnen der Hund verschafft hatte, ganz vergessen, nach den Spuren zu suchen, die von diesem ersten Bette des Verbrechens weiter führten, dahin, wo die Tote ihre Ruhe gefunden hatte.
Da ging manch Spottlachen über die groben Gesichter, manch höhnisches Wort strafte heimlich die unachtsamen Beamten, denen der erste Erfolg die Überlegung raubte.
Nach einer halben Stunde waren die, die es nicht vorgezogen hatten, ins Dorf zurückzukehren, wieder an der Sandgrube. Ringsumher hatten die groben Bauernschuhe den Sand zertreten, auch auf Nadeln und Flechtenmoos im Holze, das sich der Sanddüne vorlagerte, schien jede Spur verwischt.
Doch zuletzt fand ein Junge ein Stück weiterhin die Fährte eines Karrenrades, die noch frisch war. Diese schmale Rinne, die ohne Zweifel ein einrädriges Vehikel hinterlassen hatte, ging kreuz und quer durch die Kiefern, aber nirgends gelang es, eine Menschenspur dahinter festzustellen.
»Der Kerl ist auf Strümpfen gegangen!«
Gendarm Ebel blieb stehen:
»Wir müssen gleich an der Lehmchaussee nach Brummstag sein, Kamerad, und da werden wir die Karre auch verlieren!«
So wars. Der Lehm der breiten Waldstraße, von vielen Rädern und Hufen geglättet und von der Sonne dieses heißen Jahres steinhart gebrannt, gab keine Antwort auf die Frage, wo der sich hingewandt, der hier so schuldbeladen seine traurige Last davongeführt hatte.