Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

I.

Die Lupinen rochen wie Honig, und von der dichten Kiefernschonung, die so grün den Berg anstieg, kamen heiße zitternde Nadeldüfte. Große, weiße Wolken hingen am blauen Himmel, und die Sonne, schon im Niedergehen, umfing die bebende Erde noch einmal mit der ganzen Glut einer letzten Leidenschaft … Der Herbst wollte kommen, drüben von der Landstraße leuchteten der Ebereschen korallengeschmückte Zweige; ein paar feine, silbrige Fäden flogen in Glanz und Sonne dahin; aber noch waren die Nächte warm, und von den Feldern, wo die letzten Garben an die Brust der bindenden Mädchen sanken, stieg es mit dem Schleier der Abendnebel wie heimliche Brunst empor: ein sich immer von neuem Lieben- und Umschlingenwollen, als könne dies reiche Jahr nicht Abschied nehmen von seiner Fülle und Fruchtbarkeit.

So hing der Abendhauch blau und durchsichtig zwischen den hohen Kiefern, deren Stämme der Untergang mit Kupfer und Gold tönte … Ein Fink schmetterte und über den Sandweg setzte ein Eichkater den Stamm der Kiefer hinauf … Droben sah er, den buschigen Schweif ringelnd, mit den schwarzen Perlaugen auf den Mann hinunter, der sein Gewehr von der Schulter genommen hatte und auf das Tierchen anschlug. Das Mädchen neben ihm legte die große, mit Sommersprossen übersäte Hand auf ihres Bräutigams Arm und sagte:

»Och, lat em doch, Friede! … Dä is jo man so kleen! …«

Er wandte sich zu ihr und sah sie mit seinen stechenden Augen, die etwas unbewegliches hatten, an. Dabei glitt sein Blick von ihren gesunden, braunroten, etwas flachen und ausdruckslosen Zügen über die rote, schwarz punktierte Jacke, in der volle Brüste hingen, hernieder auf den stark hervortretenden Bauch, der auf die Ankunft neuen Lebens deutete.

Der Fink hoch oben im Nadelbaum setzte an zu einem langen, jubelnden Triller … Ein leiser Wind kam auf, und von weither scholl das Geschrei eines Schweines, das der Metzger holte.

»Wat hest du bloß, dat do mi immerto so ankiekst, Friede?« Das Mädchen lächelte hilflos mit halboffenen Lippen, drehte sich von ihm und ging vor auf den heißen Sandweg, dessen Wärme ihre bloßen Füße spürten, an der niederen Schonung entlang.

Da lag zur Linken ein großes Kartoffelfeld, dunkelgrün in seinem verschwenderischen Blattwuchs, und mitten drin, mitten in den Kartoffeln ein kleineres Stück, das wie hellgrüne Federbüsche leuchtete.

»Do! … ick hal mi ne Mohrriebe, Friede,« sagte sie und teilte mit ihren zur halben Wade geschürzten Röcken das hohe, volle Kraut, das rauschte und klang unter ihren derben Tritten. Bei den Mohrrüben bückte sie sich, tauchte wieder auf aus der grünen Fülle und stand, um sich rasch noch einmal hinabzuneigen.

In dem knallte es! So laut und so nah war der Krach, daß das derbe Mädchen, als sei es getroffen, taumelte, sich in den Ranken mit den Füßen verstrickte und in die Knie sank.

Noch im Fallen drehte sie sich.

Da stand ihr Liebster mit der rauchenden Waffe, die er halb erhoben hielt, als sei er unschlüssig, ob er noch ein zweites Mal schießen solle.

»Do hest mi woll dodscheiten wulln, Friede?« sagte sie, sich mühsam erhebend, denn die Beine zitterten ihr, und all ihre Glieder versagten vor Schreck bei der Haltung des Mannes, der zehn Schritt von ihr stand, jetzt das Gewehr schulterte und mit einem dummen Lachen, zu dem der enttäuschte Blick seiner harten, schwarzen Augen nicht stimmte, herüberrief:

»Ick wull di man 'n beten Angst injagen!«

»Na, do! …«

Sie schüttelte den Kopf und kam langsam durch die Kartoffelstauden zurück auf den Weg.

Hinten, tief über der Schonung wurde der Himmel purpurn. Die Sonne verließ die Erde, die all' ihr Licht getrunken hatte. Das blieb noch über Wegen und Wiesen in weißer Dämmerung hängen, als die beiden Leute, der Mann und das Mädchen, durch den Nebel gingen, der über dem Bruch lag … Da kam ein sanfter, süßer, schwellend hoher Ton von der Heide herab, des Brachvogels Gesang. Wie den das Mädchen hörte, erschauerte ihr Herz … Das war den ersten Abend gewesen, als er sie vom Tanz nach Haus brachte, auch so durch den Wiesennebel, an den Torflöchern vorbei, da sang auch der Bracher … wie heut … und er, der Friede war so lieb zu ihr gewesen … sie konnte nicht »nein« sagen, als er sie in die Kusseln drängte.

Aber davon zu reden mit ihm, fiel ihr nicht ein … Waren schon drei Jahre vergangen … Und 's war all' das dritte Kind, das sie von ihm im Schoße trug … die ersten, die waren alle beide tot … Weil sie doch diente, die Pauline, hatte er ihr eine Frau gesagt in Schackenholt, das war ein paar Meilen ab … Und da waren sie totgeblieben, der kleine Junge – und der war so dick un alert! – und das Mädchen auch … das hatte ja gleich gequient … aber wenn sie's hätte behalten dürfen … er litt's doch nicht, der Friede … war immer gleich böse, wenn sie was sagte … und die Benischken, wo die Kinder hin waren, die alte Hexe! … da sagten sie alle, die wußte was! … die konnte für alles böten, für's Gesundwerden und für's Sterben … der kleine Max hatte kein Jahr gelebt, das Ernstinchen bloß drei Monate …

Es wurde finsterer. Das Mädchen sah den Mann an, und wie seine schwarzen, unbarmherzigen Blicke ihr mattes Verständnis trafen, da stieg es in ihr wie kalte Angst empor. Doch die Gewohnheit, an des Mannes Seite zu gehen, der für roh und gewaltsam galt, die Nervenlosigkeit einer stumpfen Seele räumten schnell wieder Furcht und Zweifel fort.

Und als nun ein Wind aufkam und es in den Bäumen rauschte, drückte sich die Blonde fester an den schwarzhaarigen Mann, der den Filz in's Gesicht gedrückt, die Annäherung der Gefährtin gleichgültig hinnahm.

»Wenn wi doch nu mal schon heiraten künnen!« sagte sie leise, »dat's doch nu all drei Johr her, dat wi tosamm' gehn … nich, Friede? To Michele ward dat doch nu all drei Johr …«

Er erwiderte nichts, er rückte nur ab von ihr und ging seitlich. Sie drängte nach, faßte seinen Arm, den er ihr brummend ließ.

»Do!« Sie stieß ihn an, »Schulzen Lene hätt' seggt, heiraten deist du mi doch nich! … Friede! … hürste? … Dat soll sä man nich noch mal seggen, hebb' ick seggt … dat weet ick beter! Nich wahr, Friede?«

»Ach, lot doch man,« sagte er, »dat's jo all' dummen Kram … wat geiht uns Schulzen Lene an!«

»Na jo, Friede … ick segg jo man blos sau … Wi möten doch nu ook balle frigen … das sind doch nu all' schon drei Johr her!«

So kam sie vom Ende zum Anfang und erreichte nichts, als das Zugeständnis von ihm:

»Jo … drei Johr sin dat all her …«

Sie gingen schweigend durch die Sternennacht, die vom mondlosen Himmel sank, wie ein silbergesticktes Bahrtuch … Es knackte im Holz, ein Stück Wild brach im Walde, und ein aus dem Schlaf aufgeschreckter Waldvogel zwitscherte leise.

Sie klammerte sich an ihn und seufzte laut, da sie nun hinter dem Hochholz in den Waldweg bogen, den nachts nur gehen konnte, wer da jeden Baum kannte. Aber als sie auf den weißen Sand einer großen Lichtung traten, blickte der späte Mond über die Kusseln, noch rot, wie Dukatengold, aber jede Minute höherschwebend und lichterwerdend, bis er zwischen leichten Wolken als silbernes Halbrund hell erglänzte.


 << zurück weiter >>