Jeremias Gotthelf
Die Käserei in der Vehfreude
Jeremias Gotthelf

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Am folgenden Morgen aber gings wieder los. Eisi sagte Peterli, was er für einer sei, daß er wie ein Maulaffe gleich alles glaube, was man sage; dümmer als das kleinste Kind sei er, jedem Schulbub wäre es in Sinn gekommen, zu leugnen; jetzt könne er aber auch ausfressen, mit allem wolle es nichts zu tun haben. Wohl, die würden ihn schön ringgeln; der Nägelibodenbauer werde ihn in die Finger nehmen, daß ihm das Liegen weh tue, und der Ammann nicht weniger und andere Leute auch noch; der Dümmste sei er, den die Welt trage, mit einem solchen Manne sei eine Frau doch geschlagen, daß es keine Gattig habe. Natürlich wollte sich Peterli wehren und sagen, er vermöge sich dessen nichts, Eisi habe die Briefe schreiben lassen, die Buben geschickt, ihn den Buben nach; ihm wäre das alles nicht eingefallen, und jetzt solle er gar noch schuld an allem sein! »Hättisch gleugnet, hättisch gleugnet, warum hasts geglaubt? Das macht dSach aus!« schrie Eisi, und immer zorniger, und was ihns am zornigsten machte, war, daß es gar nicht wußte, was der Ammann im Nägeliboden gemacht und was der Handel für einen Ausgang genommen.

Eisi heizte Peterli durch beständiges Zanken so ein, daß er zuletzt in große Angst geriet und weiß Gott was dachte, was ihm geschehen könnte. Heimlich machte er sich nachmittags fort und ging zu Sepp. Der Wüstest sei der nicht, dachte er, und Vorbauen sei am besten. Sepp war verwundert über den Besuch, aber nicht unfreundlich, er hatte mit dem armen Mannli immer Erbarmen. Peterli entschuldigte sich, wie er sich aller Sache nichts vermöge und doch jetzt an allem schuld sein solle, weil er nicht geleugnet, aber er habe gar nicht daran gedacht. Was helf Leugnen, wenn man die Sache wisse, habe er gedacht. Dann klagte er bitterlich, wie er zweg sei; Sepp solle ihn doch in alle Wege nicht plagen wegem Vorschuß, verlieren solle er nichts an ihm, aber diesen Augenblick wisse er gar nicht, wie sich kehren. Er habe an der Käserei einen Schaden gehabt, es hätte keine Art, zweihundert Taler machten es nicht. Zweimal habe er die Kühe reisen müssen, Heu kaufen für ein Sündengeld, in welchem kein Segen, sondern der Fluch gewesen, und am Ende noch zehn Kreuzer herausgeben. Der, wo die Hagle ersinnet hätte, habe den Teufel im Leibe gehabt, er werde es wohl büßen müssen.

»Wie mans treibt, so hat mans«, sagte Sepp. »Ich habe einen schönen Nutzen, so viel als du Schaden haben willst. Aber ich habe nichts zwängen wollen, keinen Hochmut getrieben mit vielen Käsen und vieler Milch, keine Kühe besonders greiset, kein Heu gekauft, drdürwille keinen Streit gehabt, immer Milch genug im Hause, daher keine Abrechnung, und so bin ich recht froh über die Käserei; sie macht mir den Zins, den ich haben muß. Wir machten voriges Jahr den Lehrplätz, und alles will gelernt sein; es wird dieses Jahr schon besser gehen, und wir werden kaum so viel verhandeln wie das letztemal.« »Ja«, sagte Peterli weinerlich, »du hast eine Frau darnach; aber wennd myni hättest, du könntest auch nicht machen, was du wolltest, und Verstand brauchen in allem. Wo ist deine?« »Sie ist mit ihrer Schwester ins Dorf zu Ammanns gegangen«, antwortete Sepp boshaft. Peterli vergaß den Mund offen und brauchte lange, lange Zeit, bis er endlich hervorgestottert hatte: »Zu Ammanns? So« »Ja«, sagte Sepp, »es gibt was Neues, kannst es deiner Frau brichten: Felix heiratet unser Meitschi, ds Änneli.« »Wird nicht sein!« rief Peterli ordentlich erschrocken aus.

Es war wirklich so. Die Unterbrechung am vorigen Abend durch die Sündentaufe der Buben hatte die Sache rasch zum Abschluß gebracht und alle Empfindlichkeit verwischt. Änneli wußte nicht, ging es auf dem Kopfe oder auf den Füßen; es war ihm, als sei es von einem Traum wie von einem dichten Nebel umflossen, aus welchem es trotz aller Anstrengung nicht hinaus könne. Es war ihm ähnlich, wie man es eben im Traume oft hat: man will etwas lesen oder sollte sonst etwas ansehen und sieht nichts, kann die Augen nicht auftun, es ist und bleibt schwarz davor. Es war mit Änneli nichts anzufangen, und endlich begnügte sich der Ammann mit dem Versprechen, daß es am folgenden Nachmittage mit Bethi sie besuchen wolle, wo man die Sache besser besprechen könne.

Bethi war es dabei auch etwas wunderlich. Es hatte große Freude an Ännelis seltenem Glücke, als armes Meitschi einen reichen Mann zu bekommen, und zwar einen Felix. Wenn arme Mädchen reich heiraten, so taugen gewöhnlich die Männer nicht viel: sind alt, häßlich, kränklich, wunderlich, bös, kurz so beschaffen, daß sie kein Mädchen mit einem Stecken anrühren möchte, wenn sie eben nicht reich wären. Felix dagegen war ein Bursche von den Mehbessern, wohl wild zur Zeit noch, aber waren wilde Bursche den Mädchen nicht von je am liebsten? Und wir müßten unwahr sein, wenn wir nicht hinzusetzen wollten, daß in Bethi sich noch zwei andere Empfindungen neben der Freude regten; die erste war der Stolz, Ammanns sollten nicht meinen, daß sie Änneli eine gar zu große Ehre antäten und daß sie das Recht hätten, Änneli sein Lebtag vorzuhalten, daß es eigentlich nur dr Gottswille da sei. Lieber geradezu einen Bettler als einen reichen Mann und doch sein Lebtag Bettlerbrot essen müssen, sagte es. Es sei genug, wenn eine nie vergesse, was sie gewesen; man brauche es ihr nicht noch alle Tage vorzuhalten, und wenn eine mache, was sie könne, und nicht mehr begehre, als brüchlich und anständig, so solle man mit ihr zufrieden sein, bsunderbar wenn sie ihm nicht nachgelaufen, sondern er ihr. Das Zweite war nicht Neid, aber doch des Neides Schatten. »Jetzt bist du die Vornehmere und Reichere, schämst dich wohl meiner, wirst mit der Frau eines Schuldenbürleins nichts mehr zu tun haben wollen!« so etwas sagte Bethi an selbem Morgen manchmal, bis Änneli zu weinen anfing und sagte: »Was denkst doch auch von mir! Und kannst glauben, ich sei so schlecht, dich nicht mehr für meine Mutter zu halten? Was wäre ich ohne dich! Und wer weiß, wie es mir geht und ob ich nicht einmal wieder froh bin, zu dir zu kommen und deine Magd zu werden!«

Das war nachmittags ein schwerer Gang für Änneli, es dünkte ihns, wenn nur ein Weg unter der Erde durch führen würde oder es durch die Lüfte fliegen könnte, daß ihnen doch niemand begegne. Für die großen Äcker und Wiesen, das stattliche Haus, den schönen Stock, die einmal sein werden sollten, hatte es weder Augen noch Gedanken.

Sie wurden von der Ammännin freundlich empfangen. »Du kommst mir ungsinnet«, sagte sie, »aber nicht unwert. Gefallen hast mir schon lange, wenn ich auch nicht dran dachte, daß du Söhniswyb werden würdest. He nun, es wird so haben sein sollen, und es hätte leicht böser gehen können. Man muß immer froh sein, wenn die Buben mal ländten; haben sie einmal eine manierliche Frau, sind sie dem Teufel schon halb entronnen. Öppe bös wird das nicht gehen, wenn du mich nicht etwa in die Ecke stellen willst, daß ich nichts zu befehlen hätte; selb hätte ich ungern, ich muß es sagen. Daneben habe nicht Kummer, daß ich dich für eine Magd halten will, das wäre ja uns selbst eine Schande; die Leute müssen nicht glauben, Felix habe geheiratet, um einen Jungfernlohn zu ersparen. Wir vermögen ein Söhnisweib zu erhalten, auch wenn es keinen Streich werchete.«

Nun, darauf sagte Bethi sein Gsätzli auch. Das freue ihns, sagte es, denn seine Schwester könnte ihns dauern, wenn es seine Armut entgelten müßte sein Lebtag, es vermöge sich derselben nicht, und dem Felix sei es nicht nachgelaufen. Nicht daß es ganz nichts hätte, etwas sei auch da, aber für sie sei es bei solchem Reichtum nichts zu rechnen. Änneli werde gewiß machen, was ihm möglich sei, und dem Hause wohl anstehen. Und wenn es gegen die Ammännin sei, wie es gegen ihns gewesen, so werde sie dem lieben Gott dafür danken, daß sie ihns habe. Ihm selbst gehe es am übelsten: die Kinder seien noch nicht nachgewachsen, ihm hätten sie alles anvertrauen können; wie es gehen solle, wisse es nicht. Daneben werde es sehen müssen, wie machen; deswegen möchte es vor seinem Glücke nicht sein. Zu allem sagte Änneli wenig, es kam noch nicht aus seinem Traume zu bestimmtem Bewußtsein.

Dann begann die Ammännin zu erzählen, wie sie eigentlich hätte merken können, daß das Meitschi Felix gefalle. Der Tüfels Bueb habe sie ja auch einmal zu Bethi gesprengt, da, wo sie wie von ungefähr an den Gartenzaun gekommen. Aber er sei von je ein Barmherziger gewesen gegen arme Leute und Kinder, daß sie dabei nichts anderes gedacht; so sei es ihr auch gegangen, als Änneli überfahren worden und Felix über Eglihannes so wüst getan. Erst die Dürluftbäuerin habe ihr eine Laus hinter das Ohr setzen wollen; sie habe sich dessen nicht viel geachtet, bis die Briefe gekommen, welche aber Bethi fast mehr angingen als die Schwester. Bethi bat um Einsicht in diese Briefe. Die Ammännin meinte, es sei nichts Schönes darin, Bethi werde nur böse, und kein Mensch habe ihnen Glauben geschenkt. Allein man begreift, daß kein Weib vom Begehren abgestanden und kein Weib so unerbittlich gewesen wäre, die Einsicht abzuschlagen. Hinterher hätte die Ammännin gern einen Batzen gegeben, wenn sie nichts von den Briefen gesagt, denn es war, als hätte man ein angezündetes Schwefelhölzchen in ein Pulverfaß gesteckt. Bethi brannte schrecklich auf, denn es war kein Waschlumpen, sondern ein kräftiges Weib, welchem man mit bösen Anmutungen, sei es mit handgreiflichen, mündlichen oder schriftlichen, nicht nahekommen soll. Das lasse es nicht gelten, sagte Bethi endlich; gut sei es, daß man wisse, woher es komme. Die Dürlufttäsche habe ihns schon lange bitter gehaßt; sie könnten es besser machen als die droben, welche das Roß immer beim Schwanze zäumten, den ganzen Tag umherführen und erst am Abend in Sinn bekämen, was sie eigentlich machen sollten. Das lasse es nun nicht gelten, die müsse ihm einmal anekneue (vor die Füße knien), damit sie ihrem Maul eine Rechnung machen lerne und ehrliche Leute vor ihr sicher seien. Die Ammännin konnte Bethi bloß beschwichtigen durch die Hinweisung auf ihren Mann; der werde bald heimkommen, der könne am besten sagen, was da zu machen sei.

Um Bethi die Mücken aus dem Kopf zu treiben, gutes Blut zu machen, probierte sie einen Teufel mit dem andern auszutreiben. »Willst ein wenig im Hause herumkommen?« sagte sie zu Änneli, »sehen, wo du künftig daheim bist und wo du die Sachen suchen mußt, wenn du sie finden willst?« Also die Schätze der Welt wollte die Frau Ammännin aufschließen und zeigen und sagen: Das alles soll dein sein, wenn du mein sein willst! Glücklicherweise war die Frau Ammännin nicht der Teufel, sondern nur ein Weib, ein stolzes, herrschsüchtiges, aber mit Verstand und gutem Herzen, welche leider eben bei Stolz und Herrschsucht so oft fehlen.

Wir wollen sie auf diesem Zuge nicht begleiten, sondern bloß bemerken, daß über Bethis Seele zuweilen der genannte Schatten fuhr. Da waren Schatzkammern und Schätze darin, wie Bethi sie noch nie gesehen; denn das war ein altes Haus, in welchem seit mehreren Geschlechtern der Geldmangel nie eingekehrt war, daher die Vorräte aller Arten sich massenhaft angehäuft hatten. Für wenigstens zweitausend Taler hätte man allerlei verkaufen können, man hätte noch wenig gemerkt, keine Lücke gesehen. Diese Schätze werden selten gezeigt; kann man sie aber einmal einer vertrauten Seele zeigen, so lebt man um so seliger daran. Auch litten die Weiber in diesem Hause nie Not, hatten nicht nötig, zu Fristung ihres Leibes die Hausdiebe zu machen. Ufläte waren die Männer nicht, wie es deren gibt, zum Beispiel ein Harzer Hans im Harzer Loch oder ein Ammes Joggi in der Gnägi. Wo die Weiber für ihre Notdurft stehlen müssen, ja stehlen müssen für die Haushaltung, Speisen für Knechte, Mägde und Tagelöhner, da speichern sich die Vorräte nicht in dem Maße auf. Bethi dachte mit Seufzen an die Lage einer Bäuerin, welche aus allen Winkeln alles Verkaufbare zusammentragen muß, um mit den Zinsen nicht rückständig zu bleiben. »Ja, ja«, sagte es, »so wäre es schön, so wärs lustig, we mes chönnt u vrmöcht, aber üsereine lehrts angers.« Und Änneli ward die glückliche Besitzerin von diesem allem, konnte täglich durch diese Schatzkammern wandern und sich ergötzen im Schauen all dieser Herrlichkeiten. »Meitschi«, sagte Bethi, »jetzt wirst wohl hochmütig werden, mich nichts mehr schätzen, und wenn du heimkommst, dir nichts mehr gut sein!« »Glaubsts?« fragte Änneli, legte seine Hand auf Bethis Achsel und sah ihm in die Augen. »Nein«, sagte Bethi, »ich glaubs nicht; daneben wärest du nicht das Erste, welches es so hätte, und wie ein Mensch ausfällt, wenn er so zweg kommt, weiß man nicht. Es schießt Manchem wunderlich in Kopf, er weiß selbst nicht wie.« »Nein, Bethi, nein«, sagte Änneli, »mir nicht, davor wird mich der liebe Gott bewahren.«

Unterdessen war von Mädi das Gehörige zur Aufwart besorgt worden. Mädi, Stüdi und auch die Andere machten gar sonderbare Gesichter zu dieser Geschichte. Sie konnten die ganze Sache nicht begreifen. Es sei doch dumm, daß sie meinten, wegen es paar Worte müsse Felix so eine heiraten; es habe Mancher noch was ganz anderes gemacht, habe aber ans Heiraten nicht gedacht, und sie habe es doch annehmen müssen. Wenn er doch nur eine Magd habe nehmen wollen, so eine von der Gasse, so hätte er nicht bis in den Nägeliboden zu laufen gebraucht, sondern noch Brävere näher gefunden. Das werde aber so eine sein, wie sie am verfluchtesten seien, so eine, die vornen schlecke, aber hinten kratze. Die solle sich aber in acht nehmen, was sie mache; von der nähmten sie nichts an, lieber wollten sie weiters; so eine, die nicht einmal so viel sei als sie, solle nicht kommen und ihnen befehlen und sie noch kujonieren dazu, sagten sie. Sie wüßten nicht, wegen wessen Felix die genommen. Wegen der Hübschi sei doch wahrhaftig wenig zu rühmen; mitsamt den Kleidern gewogen werde es ein Kleines sein, was sie über hundert Pfund mache, und wegen der Farbe sei es doch nicht dr wert, eine zu nehmen. Wenn die einmal recht an die Sonne müsse, werde die bald eine Haut haben wie eine Andere. Daneben täten sie nichts sehen, was nicht alle Andern auch hätten, und Maul und Nase habe sie auch nicht an einem apartigen Ort. So räsonierte absonderlich Mädi, das wahrscheinlich fand, Felix wäre kein unpassender Ersatz für den verlornen Melcher, und wenn Felix nur eine Magd gewollt, so wäre es unendlich währschafter gewesen als das Kind, welches nicht viel mehr als einen Zentner wäge. Daneben kalkulierte Mädi wiederum nicht dumm; alles, was es machen sollte, machte es so gut als möglich. Schmöcket, wird es gedacht haben, ich hätte es können; ob es die Andere kann, fragt sich!


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