Jeremias Gotthelf
Die Käserei in der Vehfreude
Jeremias Gotthelf

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Hat man Haus und Milch, bedarf man auch jemand, welcher aus der Milch den Käs macht, einen Käser oder Senn, wie man zu sagen pflegt. Dies ist die Hauptperson, denn von diesem hängt der Käs ab. Ein schlechter Senn kann eine ganze Sommernutzung von hundert Kühen vielleicht im Wert von fünf- bis sechstausend Gulden fast wertlos machen, und was noch mehr ist, den Kredit einer Käserei auf Jahre hinaus zerstören. Leute, welche sich für Sennen ausgaben, fand man immer, denn besserer Verdienst ist selten im Lande. So ein Senn verdient während ungefähr sieben Monaten hundertvierzig bis hundertsechzig, ja zwei- bis dreihundert Gulden nebst freier Station, Nidle, Butter, Zieger usw., so viel er mag, daß die meisten, wenn sie Liebhaber von solchen Sachen sind, gegen Herbst so fett wie Dächse werden oder wie die Bären, ehe sie an den Tatzen zu saugen anfangen, wozu er die fünf übrigen Monate des Jahres befähigt und berechtigt ist; da nimmt ihn die Käsereigesellschaft nicht in Anspruch, er ist frei, kann machen, was er will, es sei denn, daß Winterkäse gemacht werden, was aber selten ist und besonders bezahlt wird. Es finden sich daher Leute genug, welche sagen, sie könnten das Käsen: Küherssöhne, Küherknechte, nach und nach auch Hüttenknechte, das heißt Knechte der Sennen in den Käshütten. Es legt sich nämlich so ein Senn zumeist einen Knecht zu, welcher ihm bei dem Reinigen der Geschirre, beim Salzen und Käsen zur Hand sein muß. Diese avancieren begreiflich auch gerne zur Meisterschaft wegen der Ehre und dem Gelde. Ob dann aber auch alle, welche es sagen, es wirklich auch können, ist eine andere Frage, welche bloß durch das Probieren zu lösen ist.

Die Schwierigkeiten liegen also nicht in äußerlichen Dingen, nicht im Mangel des Stoffes oder des Personals, die Schwierigkeiten liegen im Inwendigen. Sie liegen erstlich im gegenseitigem Mißtrauen. Jeder fürchtet, vom Andern betrogen zu werden, wahrscheinlich weil so Viele denken: was man machen könne, ohne daß es an Tag käme, dem habe niemand viel nachzufragen, sei also auch mehr oder weniger erlaubt. Ich mache, was ich kann, machs auch, denken wohl die Schlauern. Den Andern ists aber doch nicht recht wohl bei der Sache, sie fühlen wohl, daß sie bei diesem Grundsatze den Kürzeren ziehen müssen; denn da kann auf alle mögliche Weise mit der Milch betrogen werden, und zwar so, daß entweder der Käs ganz verdorben oder aber desto magerer, also desto schlechter wird. Das Erste geschieht, wenn man ungesunde Milch, Milch von ungesunden Eutern, ungesunden Kühen oder auch Käsmilch zur guten schüttet, das Zweite, wenn man in die frischgemolkene Milch, welche alsobald von der Kuh weg in die Käserei zu tragen ist, Wasser oder ältere Milch schüttet, von welcher man die Nidle weggenommen hat. Das Erstere zeigt sich bald und läßt, wenn man ernstlich will, sich ausmitteln, von wem der Schaden kommt. Das Letztere ist viel schwerer zu entdecken, auch jetzt, wo man Milchproben hat wie Weinproben. Da sie bloß anzeigen, ob die Milch fetter oder magerer ist, die Kühe aber gar verschiedene Milch geben, bessere und schlechtere, so zeigen sie die Verfälschungen doch nicht mit Sicherheit an; es kann einer lange sein Wasser teuer verkaufen, wenn man ihm nicht auf andere Weise über seine Schliche zu kommen weiß.

Allen diesen Fatalitäten soll nun ein Reglement vorbeugen, welches die Gesellschaft sich selbsten gibt. Jeder Anteilhaber wird zum Gesetzgeber, und jeder sucht nun das Gesetz so einzurichten, daß er ein Loch zum Entschlüpfen für sich behält, während er damit alle Andern beschränken oder fangen, den Donners Schelmen das Betrügen verleiden will. Das Ding ist nun ein schweres Kunststück, und wir glauben nicht, daß es irgendwo gelungen ist, daß eine Käserei zu finden ist, wo es von A bis Z lauter und redlich zugeht wegen Gesetz und Reglement. Und weiß auch manchmal der Bauer nicht um die Schelmerei, so kennt sie doch die Frau, und treibt sie die Frau nicht, so treibt sie der Melker, der mit irgend einer Frau unter der Decke steckt, oder manchmal aus ganz einfachem Hochmut, um von der gleichen Zahl Kühen mehr Milch zu liefern als ein anderer Melker. Ja, so ein Reglement zu machen, welches ein wahrer Trost ist für die Einfältigern und Mindern und ein Zaum für die Mächtigern und Schlauern, selb hat eine Nase; auch für ein solches wäre der Niggel (Gesetzfabrikant) zu kurz, denn ein Gesetz ohne Loch kann der eben nicht machen.

Die zweite große Schwierigkeit bietet der Senn dar. So, wie man Milch genug kriegt, aber nicht immer die beste, so kriegt man wohl immer einen Senn, aber was für einen! Auch hier macht nicht die Kunst die Hauptsache, sondern die Ehrlichkeit. Die Kunst ist zwar nicht unbedeutend. Der Senn muß sich auf die Milch verstehen, muß in seinen Armen den Thermometer haben, welcher ihm unmittelbar die rechten Wärmepunkte angibt für die verschiedenen Verrichtungen; alles muß er mit der größten Pünktlichkeit, nichts obenhin verrichten, muß im Geschirr die größte Reinlichkeit bewahren, muß der Besorgung der gemachten Käse mit großem Fleiße obliegen, darf der Mühe des Salzens und Kehrens der Käse sich nicht leichtfertig überheben. Aber da kann man Vorsicht anwenden bei der Auswahl, Aufsicht üben im Verlauf des Sommers, aber bei der Ehrlichkeit? Nach dem schönen Grundsatze: Dem Ochsen, der da drischet, sollst du das Maul nicht verbinden! darf der Senn und auch sein Knecht vom gelieferten Stoffe für ihre Personen brauchen, was sie mögen, aber mehr nicht. Verschleipfen sollen sie nicht, weder aus Liebe noch ums Geld, weder kaufs- noch tauschsweise. Nun hat der Senn nicht bloß alle gelieferte Milch in seinem Verschluß, sondern es ist auch ein bedeutender täglicher Handel in einer Käsehütte. Da jeder Anteilhaber sich verpflichtet, alle Milch über seinen Hausbedarf in die Käserei zu geben, so würden die, welche keine Kühe haben, besonders die Armen, um alle Milch kommen. Diese können nun ihre Milch in den Käsereien holen. Freilich geht es da nicht bloß spitzer zu mit Messen als ehedem, wo so eine Bäuerin, welche in der Milch flotschete wie Enten in einem Weiher, keinen Unterschied machte zwischen einer Maß und einem Kessel, sondern das gegenwärtige Milchmaß enthält bloß vier Pfund Milch statt wie ehedem fünfe. Man verkauft an einigen Orten auch Käsmilch, das heißt die Flüssigkeit, welche übrig bleibt, wenn der Käs gemacht ist, wenn die Anteilhaber nicht alle heimnehmen oder die Gesellschaft nicht eigene Schweine hat, welche sie mit der übrig bleibenden Käsmilch mästet. Es wird an einigen Orten auch Nidle verkauft. An allen Orten wird gebuttert, die gemachte Butter heißt Vorbruchanken. Es schließt sich nicht alle Fettigkeit im Kessel dem Käse an: erneuertes Wärmen bringt den Rest obenauf; sie wird abgenommen, man läßt sie vertropfen, gießt dann gute Nidle dazu und buttert die Mischung zusammen, bis man ihr Butter sagen kann, ists aber doch nicht recht. Sie wird akkordweise Händlern geliefert und geht pfundweise weg. Es ist also in einer Hütte nicht bloß ein täglicher, sondern fast ein stündlicher Handel, welcher dem Senn durch die Hand geht und der unmöglich beaufsichtigt werden kann, man mag es anstellen, wie man will. Und wenn man alles getan zu haben glaubt, was Menschen möglich war, so ersinnet der Senn neue Kniffe und lacht seine Bauern, welche sich klug dünkten und waren es doch nicht, weidlich aus. Sie stecken zum Beispiel Bleikügelchen in die Stricke der Wage, welche die Schale mit den Gewichten hält, schreiben weniger auf, als geliefert wird usw. usw. Steckt der Senn mit Kassier oder Sekretär unter der Decke oder gar mit dem Hüttenmeister, so ist vollends nichts zu machen.

Es zeigte sich endlich eine ganz eigene Schwierigkeit: eine fast durchgängige Opposition der Weiber gegen die Käsereien, welche allerdings großen Einfluß auf das Haus haben und die Betreibung des ganzen Milchgeschäftes durchaus verändern. Die Milch war bis dahin durchgängig unter der Obergewalt des Weibes gestanden. Das Weib führte Milch- und Butterhandel, wenn nicht zufällig der Mann so ein Märitmannli war, welches sein Körbchen gerne regelmäßig nach Bern oder Langenthal trug und das erlaubte Schöpplein sich selbst zu Gemüte führte. Das Weib nahm das Geld ein und händigte dem Manne ein, was ihm gut schien. Wenn ihm hier und dort ein Kreuzer durch die Finger schlüpfte, so brauchte es denselben nicht immer dem Manne zu bekennen, und einem Weibe aufzupassen ist noch etwas ganz anderes als einem Senn. Es konnte einen Kaffee machen und ihn trinken mit goldgelber Nidle, wie kaum ein König sie hat, es brauchte der Mann es nicht allemal zu wissen; und wenn er auch an allen Kachelen und Schüsseln roch und griff, um zu wissen, ob in seiner Abwesenheit ein Kaffee gemacht worden sei oder nicht, so wars doch leicht, ihm schlau genug zu sein, daß weder ein Kacheli nach Kaffee roch oder noch warm war. Es konnte einer armen Frau helfen in der Not, brauchte nicht genau zu zählen oder zu messen. Und wäre auch dies nicht gewesen, so war es doch immerhin eine Freude, im Milchkeller zu stehen, Milchkacheln ringsum ein oder zwei Dutzend, bedeckt mit fingerdicker Nidle, geduldig auf die Bäuerin harrend, bis sie käme, den weichen, appetitlichen Pelz ihnen abzustreifen. So eine reiche Milchbäuerin hatte was zu bedeuten und Grund zu bedeutendem Selbstbewußtsein. Käsereien ändern dieses ganze Verhältnis durchaus. Die Bäuerin erhält nur das Nötigste für den Haushalt, die Milch wandert geradenwegs in die Käserei, leer bleibt der Keller und leer die Hand der Bäuerin, welche nun nichts mehr zu verkaufen hat. Das Geld kommt in einem oder zwei sogenannten Stößen dem Manne zu, der erste Stoß gewöhnlich bei der Ablieferung, der letzte im März oder Mai, auch im März die ganze Summe auf einmal, also massenweise, was früher batzenweise einging und ebenso wieder ausging. Der Vorteil ist ersichtlich, aber bitter übel trugen es anfangs die Weiber. Abbruch an der Herrschaft geht allenthalben übel. In bitterer Milchnot schmachtete manche Haushaltung und ebenfalls in bitterer Geldnot, und schmachtete nach dem ersten Stoße wie die Israeliten nach dem ersten Regen, nachdem es drei Jahre nicht geregnet hatte.

Trotz allen diesen Schwierigkeiten mehrten sich die Käsereien rasch, und wieviele dato bestehen, steht sicherlich in den Tabellen des Direktors des Innern, aber ob es jemand weiß, das ist deswegen doch die Frage. Was das Merkwürdigste ist: je mehr Käse man machte, desto höher stiegen sie im Preise, desto rascher gingen sie ab. Der Zentner stand durchschnittlich auf fünfundzwanzig Gulden, die Maß Milch zahlt sich, die Käsmilch nicht gerechnet, über fünf Kreuzer; eine Käserei, das Hüttengeld, das heißt das Geld vom täglichen Handel eingerechnet, kann bis auf achttausend Gulden einbringen. Und ob eine oder zwei Millionen Gulden jährlich durch den Käs ins Land gebracht werden, weiß vielleicht das Handelsministerium. Es ist jedenfalls der bedeutendste Ausfuhrartikel des Kantons Bern in diesem Augenblick und ein Beweis, daß mit gesteigerter Produktion der Fleiß im Absatz sich steigert, die Preise des Produkts sich erhalten können. Einstweilen ist ein Käsgeschäft eins der besten, darum schießen alle Jahre neue Käsehändler auf, und wer nicht zu durstig dabei wird, kann reich werden. Aber es ist Geld nötig dazu, denn aufs Geld warten die Bauern nicht gerne. Geld scheint diesen Händlern aber auch nicht zu fehlen. Es soll welche geben, welche jeden Herbst zehntausend Zentner kaufen, tut die Kleinigkeit von zweihundertfünfzigtausend Gulden. Wird aber auch viel renommiert dabei; Großköpfe reden von fünftausend Zentner und verkehren nicht zweitausend.

Ob noch jetzt ein Unterschied besteht zwischen Alpen- und Talkäs, ist so genau nicht bekannt, wenigstens spricht man bloß davon: die Käse in den sogenannten Dörfern, das heißt im flachen großen Aartale, wo meist Kunstgras gefüttert wird, seien nicht so gut als die aus den Käsereien mehr den Bergen zu, wo der größte Teil der Fütterung Naturgras ist. Jedenfalls wird kaum ein Moskowite den Unterschied merken und prächtig an seinem Emmentaler leben, komme er nun von den Siebentaler Bergen oder aus einem Lehmloch oder gar vom Schüpfenmoos.


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