Jeremias Gotthelf
Die Käserei in der Vehfreude
Jeremias Gotthelf

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Wir wissen, daß es Sitte ist, einzukehren, ehe man heimkommt, so gleichsam um zuzufüllen, dieweil der Wein sich setzt beim Fahren, oder auch um den Tag gehörig zu brauchen mit Stumpf und Stiel und weil man zu Hause sich nicht langweilen mag. Es gibt auch Leute, welche an solchen Tagen nie heim können, wenn sie nicht gehörig gezankt, gescholten oder geschlagen haben. Ob bloße Streitsucht dabei zugrunde liegt, oder ob sie trinken, bis sie streiten müssen, oder ob Streitsucht und Trinksucht vereint wirken, ist noch nicht ausgemacht. Wir hoffen, Naturforscher werden sich mit daherigen Untersuchungen befassen und uns darüber ins Klare bringen. Man glaube nicht etwa, diese Sorte von Menschen existiere im rohesten Pöbel, der in den hintersten Gräben, wo Hasen und Füchse einander gute Nacht sagen, zu suchen, und hause in Klüften und Höhlen, komme daher in ungegerbten Ochsenhäuten mit nackten Beinen; man würde sich sehr irren. Diese Leute findet man in schönen Häusern, haben vornehme Kleider an, gebärden sich gebildet, zum gebildet Reden bringen sie es begreiflich nicht, haben manchmal sogar Titel am Leibe, machen Ansprüche, zu den Honoratioren zu gehören, singen zuweilen: »Freiheit, die ich meine!« Das ist zumeist Freiheit für die Sau, welche in ihrem Leibe wohnt, und Freiheit, alle andern Leute kujonieren und tyrannisieren zu können nach Belieben. Manchmal führen diese Leute ihren Spektakel selbst auf, manchmal führen sie Andere mit sich als Kläffer oder Bullenbeißer, welche sie dann anhetzen dem ersten Besten, der ihnen mißfällt. Diese Sorte Menschen ist wohlgekannt, kann aber an Markttagen so wenig vermieden werden als lästige Kuhschwänze, mißbeliebige Finger, schlechter Wein und zähes Fleisch; sie ist in den meisten Wirtshäusern zu riskieren, welche an Wegen zu reißendem Fortschritt liegen.

Als unsere Leute gegen ein Wirtshaus zufuhren, befahl Felix: »Sepp, häb zueche!« »Warum nicht gar«, sagte Bethi, und das waren die ersten Worte, welche es sprach; »jetzt noch zueche, und sollten wir schon vor mancher Stunde heim sein! Das het kei Gattig!« »Und jetzt bin ich Meister«, sagte Felix, »und tue es nicht anders«, sprang ab, nahm das Roß beim Kopf und führte es dem Stallknecht in die Hände. Sepp ergab sich darein; zur Selteni einmal werde nicht alles zwängen, dachte er. Aber Bethi war so zornig, daß man es bei einem Beine hätte geradeaus strecken können wie ein Scheit Holz; es hatte gute Lust, auf dem Wägeli sitzen zu bleiben, aber es dachte ans Aufsehen, und je weniger desselben, desto besser sei es. Aber was das abtrage, jetzt noch ins Wirtshaus und keine Stunde weit heim und mit Ammanns Felix, wo noch in dieser Nacht in jedem Hause werde Gericht gehalten werden über dieses Geschleipf, wie man noch keines gesehen. Bethi machte ein Gesicht, daß man das Weltmeer damit hätte vergiften können, aber es ging.

Als sie in die Stube kamen, wer saß drinnen? Eglihannes! – bei ihm einige jener Zankhähne, sonst noch ein zahlreiches gemischtes Publikum. »Gäbe einen Neutaler, wäre ich wieder draußen«, sagte Sepp. »Geschieht dir recht«, sagte Bethi, »wärest witzig, so brauchtest keinen Neutaler zu geben. Kannst jetzt ausfressen helfen, was eingebrockt ist.« Sepp trachtete nach einer entfernten Ecke; da rief Eglihannes in seinem aufgestachelten Übermut: »Vrstecke hilft nüt, me het ech ja scho gseh, ih wett dahere cho!« Sepp kam das Blut ins Gesicht, aber Felix kam ihm zuvor und sagte: »Warum nicht? Wir haben nicht nötig, uns zu verstecken; gestohlen haben wir nicht, und was wir brauchen, zahlen wir. Aber heutzutage nimmt man sich in acht, wo man absitzt, wenn man Krätze und Wanzen nicht liebt und nicht gern neben Huren und Hurenbuben sitzt.« So war der Feldzug eröffnet und von Felix mit förmlicher Begeisterung. Die bekannten Händelmacher von Eglihannese Schlage unterstützten und hetzten diesen mächtiglich. Bauern im Allgemeinen, die Vehfreudiger insbesondere wurden aufs Korn genommen, verhöhnt und verspottet schmählichst. Felix blieb nichts schuldig, er räsonierte die Andern greulich zusammen und gebrauchte dabei eine eigene Kampfesweise, welche noch unwiderstehlicher ist, als die der Russen in Ungarn war. Auf alles, was die Andern sagten, achtete er bloß, wenn es ihm dienlich war; so recht in guter Laune sagte er den Andern so wüst er konnte. Er hatte das Publikum auf seiner Seite, was begreiflich die Andern reizte und ärgerte; er war ebenrecht angetrunken, daher war ihm so recht wohl im Streit. Felix bestellte zwischendurch an Essen und Trinken, als ob er sein Lebtag dableiben wolle, und Bethi sagte: »Bist ein Narr, was meinst auch!« »Schweig, wer befiehlt, der zahlt«, sagte er. »Und essen kann, wer mag«, antwortete Bethi und befahl Sepp, nachzusehen, ob das Roß den Hafer gefressen. »Hast nicht zu pressieren«, sagte Eglihannes, »er entrinnt dir nicht!« Die Pintenwirtin lachte, daß es sie schüttelte, und Bethi sprühte das Feuer aus den Augen. Änneli hatte Lust zum Weinen, aber Felix sagte: »Habe nicht Kummer für alte Schuh, unser Gattig Leute gehen nicht mit dem Schelmen durch, aber euer Gattig Leute, ja, ganze Kuppele. Wenn ihr zentum alles ausgesogen habt und das Volk betrogen, die obrigkeitlichen Kassen bestohlen und versoffen und verhuret habt, geht ihr mit dem Schelmen draus nach Amerika oder sonst dem Teufel zu. Wie sagt man dem Orte, wo die Herren an Witwen und Waisen saugen, die Vogtsgelder verbraucht sind, das ganze Dorf samt Kirche und Schulhaus auf die Gant muß, wo man um drei Schoppen Bier einen ganzen Karren voll Weiber haben könnte mit samt neusilberigen Göllerketteli?«

Das stach auch, und ein Wort kam hitziger als das andere, bis Eglihannes nach Felix eine Flasche warf. Der parierte, ward dabei in die Hand geschnitten, sprang in einem Satz über den Tisch, und ehe sich jemand dessen versah, hatte er den Eglihannes unter den Füßen. Dessen Freunde vergaßen die gebildeten Gebärden, taten wie halbe Tiere, wollten Felix ungekocht fressen. Aber dem Felix stand alsbald der Nägelibodenbauer zur Seite, der hielt mit mächtigen Armen zwei bei der Gurgel, daß ihre ohnehin aufgeblasenen Gesichter wurden wie Euter von alten Bergkühen, die zum Kalben stehen. Felix, wie bekannt glücklich, wenn er prügeln konnte, rührte seine Fäuste noch munterer als früher die Beine beim Tanzen. Änneli weinte, Bethi räumte Gläser und Flaschen weg und schrie nach dem Wirte; das übrige Publikum sah zu, das weibliche mit Furcht und Zittern, das männliche kaltblütiger, neugierig. »Seh, tut sie doch auseinander«, hieß es, aber niemand hatte gern die Hand dazwischen. Zwei, Drei standen auf, zu helfen, wenn Sepp und Felix den Kürzern ziehen sollten, denn jene Händelmacher liebte niemand, es hatten schon zu Viele unter ihren Manieren gelitten. Der Wirt pressierte nicht; Bethi, voll Angst für ihren Mann, hatte einen seiner Gegner hinten bei den Haaren genommen und herumgerissen, worüber ein großes Gelächter entstand, der Lümmel ganz verdutzt dastand, als er als Gegner ein Weib erblickte.

Endlich kam der Wirt und tat seine Pflicht, die Schläge hörten auf, aber das Brüllen dauerte fort, und eine Partei bedrohte die andere mit den Folgen, schleuderte Drohung um Drohung auf ihre Häupter. Viel zu klagen hatte keine Partei, die Anfänger hatten, wie billig, mehr abgekriegt. Eglihannes sah aus wie ein gemausert Huhn und braun und blau dazu, die Halbherren und Streitmacher hatten verklebte Augen und Nasen wie Schuhleisten, Halstücher und Vorhemdchen waren in traurigem Zustande. Sepp war am besten darausgekommen, dagegen blutete Felix doppelt an Kopf und Hand, machte sich aber nichts daraus, dieweil er es gewohnt war, aß und trank nun, nachdem er gewaschen war, erst mit rechtem Appetit und fühlte volle Befriedigung als wie nach wohl vollbrachtem Tagewerk. Änneli sah ihn gar bedauerlich an, dessen freute er sich sehr, machte tapfer Gesundheit mit ihm, höhnte nebenbei immer den Eglihannes aus, bis der endlich, sattsam betrunken und neue Schläge fürchtend, das Feld räumte und durch seinen Gstabi sich heimziehen ließ.

Bethi saß wie auf Dornen und mußte doch warten, bis Eglihannes nicht mehr einzuholen war. Es weiß niemand, was es gegeben hätte, wenn es diesen Tag hätte ausstreichen können aus seinem Leben. Gäb wie man sich in acht nehme, es helfe alles nichts, dachte es. Dem, was einem einmal geordnet sei, entrinne man nicht, man möge machen, was man wolle. Gehe es von Hause, habe es Verdruß und komme ins Gerede, und Änneli sei die friedlichste Kreatur, und wo es sich zeige, sei Blut und Streit, nicht einmal wegem Meitschi, sondern aus bloßer Tüfelsüchtigi, das Meitschi habe nichts davon als Spott und Schmach. Es wollte, es hätte alles an seinem Orte, jedes in seinem Bette, dann wollte es gern für geraume Zeit das zu Markte Gehen abschwören. Bethis Sinnen benutzte Felix und flüsterte mit Änneli. Änneli antwortete nicht mit Worten, wurde aber ganz rot und schüttelte den Kopf. Felix flüsterte lauter, da sah Bethi sich um, sagte, es werde angespannt sein, jagte Änneli vor sich her, saß halb verdreht auf seinem Sitze, redete mit Felix, so daß der durchaus zu keinem heimlichen Worte mehr kam, auch nicht beim Absteigen, denn da jagte Bethi Änneli alsbald voran ins Haus, angeblich nach Licht. Felix mußte abziehen, nahm aber eben nicht zärtlichen Abschied von Bethi, was dieses auch eben nicht besonders anfocht.

Das Licht ward alsbald gelöscht, zwei Personen schliefen jedoch nicht, und dies waren Änneli und Bethi. Der Nägelibodenbauer dagegen schnarchte alsbald, daß die Fenster klirrten wie bei einem gelinden Erdbeben. Änneli hatte das Herz ganz voll; es kam ihm wohl, daß, nach Aussage der Gelehrten, das Herz dehnbar ist, es wäre sonst zersprungen. Ach, es war voll Glück und Freude, so ganz voll Freude an Felix und seinem Tun, und weiter als an diese Freude dachte es nicht; hell und klar und tief war diese Freude, wie wohl selten eine auf Erden ist. Bethis Herz war fast ebenso voll Verdruß und Sorgen. Bethi war ein Weib, hatte daher von Natur ein Auge für angehende Liebe und daherige Händel; überdies war es Stubenmagd gewesen, Erfahrung und Beobachtungen hatten es vor Andern scharfsichtig gemacht. Ännelis Liebe und Felix' zutäppisches Wesen um Änneli war ihm offenbar; daß der Anfang ein Ende habe, das heißt alles gleich anfangs von selbst erlösche, glaubte es. Aber was für ein Ende konnte es sein? Ein glückliches in keinem Falle, allerwenigstens eins mit Weh und Tränen, wenn nicht noch ein viel ärgeres! Allweg war eine schwarze Wolke über seinem lieben Änneli, die sich entladen mußte, aber wie, das war eben die Frage. Änneli wegtun zu rechter Zeit, das war das Kürzeste und Beste; das löscht das Feuer am besten, wenn man es austritt, ehe dasselbe im Dache ist. Es tat ihm aber weh, das liebe Meitschi, dessen Unentbehrlichkeit es gefühlt, wegzutun, damit war es selbst gestraft. Und was ihns noch mehr dauerte, war die Gewalttat an Ännelis Liebe. War es nicht in ähnlichem Falle gewesen: Magd, und der Geliebte der Sohn des Hauses? Wie wäre ihm nun gewesen, wenn eine eigene Schwester mit Gewalt es von Sepp gerissen, seine Verbindung unmöglich gemacht hätte! Es ging auch fort, aber aus fremdem Hause, und Sepp kam ihm nach. Es heiratete Sepp und war jetzt eine Bäuerin, aber Sepp war nicht reich und nicht des Ammanns einziger Sohn und wartete doch, bis die Eltern gestorben waren, die aber einige Dutzend Jahre älter gewesen als der Ammann und die Frau Ammännin, die bei ihrem Leben nie ein armes Mädchen als Sohnesfrau dulden würden, denn bekanntlich will man umso mehr Geld erheiraten, je mehr man bereits hat. Es ist so ein quasi Ehrenpunkt, recht viel Geld zu kriegen; je mehr man kriegt, desto mehr wert glaubt man selbst zu sein. Er ist ein ganzer Bursche, wenigstens hunderttausend Gulden hat er erheiratet! Oh, er ist doch der leidischt Kerli, e rechte Möf, het es selligs Vrmöge und war nicht imstande, etwas zu erheiraten, keinen Batzen hat er von seiner Frau! So lautet die öffentliche Meinung und nicht bloß die Ansicht eines Ammanns und einer Ammännin.

Das wars, was Bethi den Schlaf verscheuchte. Es suchte Rat und fand ihn nicht. Da kam ihm ein Laut ans Ohr, es fuhr auf und horchte, es war ihm, als höre es Töne; plötzlich wußte es, was es war, fuhr in die nötigsten Kleider, bestieg den Ofen, über welchem eine große, viereckige Öffnung war, durch welche man in die Kammer steigen konnte, in welcher Änneli schlafen sollte und nicht schlief, schob leise den Laden weg, welcher das Loch deckte, und rekognoszierte. Da sah Bethi eine Gestalt vor dem Fenster, von der kamen die Töne, und vor seinem Bette stand Änneli und zitterte. Bethi entschlossen hinauf zum Fenster, schob ein Schiebfensterchen zurück und sagte: »Hör du, Felix, es wäre Zeit, daß du uns in Ruhe ließest, ich habe heute schon genug Verdruß gehabt deinetwegen, vor weiterem will ich sein, zähl darauf! Geh heim, hier hast du nichts zu suchen, und wenn du was suchen solltest, du wirst da doch nichts finden, zähl darauf!« »Habe nichts mit dir«, sagte Felix zornig. »Geh du in dein Bett und stecke deine Nase nicht in anderer Leute Sachen. Hör, will zu Änneli und nicht zu dir.« »Du wirst zu einem so wenig kommen als zum Andern, und daß du mir nie mehr vor ein Fenster kommst des Nachts! Geh zu deinesgleichen und mache nicht arme Mädchen unglücklich, so schlecht wirst nicht sein wollen!« Felix wollte aufbegehren, aber Bethi sagte: »Bist besoffen und weißt nicht, was machst! Geh heim, oder ich wecke Sepp.« So sprach Bethi, schob das Fensterchen zu und trat zurück. Felix hielt eine Weile still und bückte sich. Als er glaubte, Bethi sei zu Bette, erhob er sich und klopfte wieder leise. Da war Bethi wieder da und sagte: »Jetzt gehe, wenn ich dir gut zum Rate bin, oder meinst, wir seien nur da, um uns von dir kujonieren zu lassen?« »Donners Hex, was du bist«, sagte Felix und verschwand. »Meitschi, geh ins Bett«, sagte Bethi ärgerlich zu Änneli; »bist mir ds Herrgotts und tust ihm auf; ds erstemal, wo du es tust, mußt aus dem Hause.«

Änneli brachte eine trostlose Nacht zu, ein doppelter Kummer zerschnitt ihm das Herz: Bethi war böse, Felix war böse. Änneli hatte ein liebes Herz, welches kein Tierchen böse machen konnte, und jetzt waren die beiden Menschen, welche unter dem weiten Himmel ihm die liebsten waren, zornig über ihns; man denke sich des armen Kindes Schmerz!


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