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Es war ein schöner Sonntag, wie sie Gott erschaffen hat zu seiner Ehre und den Menschen zur Freude. Es ist wahr, Freude hatten viele Menschen an diesem Sonntage, aber keine über das, was Gott schön gemacht, und keine, die ihnen Ehre brachte vor Gott. Im Nägeliboden war keine Freude, und die Schönheit des Tages genoß man nicht; ums Haus war niemand sichtbar, es schien verödet. Sepp hatte seine Hausbücher vorgenommen und brachte Rückstehendes in Ordnung. Bethi wollte ein Kapitel in der Bibel lesen, aber mit allem Lieb brachte es die Geschichte nicht aus dem Kopfe. Alle Augenblicke unterbrach es sein Lesen mit einer Bemerkung, welche bewies, wo seine Gedanken waren. Bald mußte Sepp den Auftritt in der Kirche wiederholen, bald sagen, ob die und jene auch dagewesen und was sie für Gesichter gemacht, bald waren es Ausrufungen über Ännelis Verstecktheit, über Felix' Bosheit. Wenn es den mal vor Augen kriege, dem wolle es den Kopf waschen, wie er es noch nie erlebt; ein armes Meitschi so zum Besten zu haben, wenn er nicht noch Schlimmeres im Schilde geführt! Dann seufzte es über die Zukunft: Wie ohne Änneli es machen, und wohin mit ihm so plötzlich, und was werden dann die Leute sagen, warum man es fortgetan! Es wäre Bethi sicher schwer gewesen, am Abend zu sagen, ob es in den Büchern Mosis gelesen oder in der Offenbarung St. Johannes.
Droben im Gaden war Änneli; freundliche Sonnenblicke zuckten durch das sonst dunkle Gemach – so war es auch in seiner Seele. Trübe und dunkel war es drin. Wen es liebte, war ihm böse, die Andern spotteten über ihns; was wartete ihm jetzt, wohin sollte es, des Lebens Sonne schien ihm erloschen. Es kannte natürlich Schiller nicht, sonst hätte es auch gesungen: »Des Lebens Mai blüht einmal und nicht wieder, mir hat er abgeblüht!« Dann zuckte es hell durch seine Seele: Felix hatte es doch geliebt, und er war ihm so lieb; seine Gestalt stand verklärt vor seiner Seele, und seine guten Worte klangen so lieblich darin wieder. Es kannte sie alle noch und repetierte sie, und wenn es jetzt schon grausamen Gram und Verdruß im Herzen trug, es konnte es doch nicht zum Wunsche bringen, daß es den Felix nie gesehen, daß es ihm nie freundlich gewesen. Er hatte es so gut gemeint, und das habe ihm so wohlgetan, und wenn er es jetzt nur nicht entgelten müsse und seine Eltern hart mit ihm umgingen. So sinnete und weinte das Mädchen, es wäre gern gestorben, obgleich es auch den Spruch nicht kannte, es habe gelebt und geliebt.
Der Abend mit seinen Geschäften rief sie zusammen; das Gewohnte ward abgetan, als es dunkelte, die Kinder ins Bett gebracht. Früh auf, früh nieder, galt im Nägeliboden. Man ließ die Kinder abends nicht bis neun oder zehn Uhr auf der Gasse und am Morgen solange sie wollten im Bette. Es ward Regel gehalten, damit die Kinder von Jugend auf nicht an Willkür und Gutdünken, sondern an Gesetz und Ordnung sich gewöhnten. Im Kleinen liegt oft Großes, in scheinbar Unbedeutendem eine ganze Lebensrichtung. Als sie darauf allein in der Stube saßen, brachte Bethi aufs Tapet, was jetzt gehen müsse. Sie werweiseten viel hin und her, waren in sich selbst nicht einig, am wenigsten unter einander. Änneli zerriß es das Herz, von allem scheiden zu müssen, was ihm lieb war. Aber es sagte: »Darf ich mich vor den Leuten zeigen, bin ich vor ihm sicher?« Damit deutete es mehr seine Schwäche als Felix' bösen Willen an. Sepp meinte, es solle bleiben, aber Bethi sagte, es wollte lieber ein Mäß Flöhe hüten als zwei Solche; daneben wisse es wohl, wie die Leute das aufnehmen und sie verdächtigen würden. Bleibe es, so seien sie vor der Leute Mäulern nicht sicher und die verfluchten Briefe würden auch zu ihnen kommen. Eisi hatte aus Furcht vor ihren Hexenkünsten sie damit verschont, sie desto mehr in Briefen an Andere liegen lassen.
Guter Rat war teuer – da klopfte es an die Stubentüre, man schrak zusammen; ehe man antworten konnte, ging die Türe auf, und herein trat der Ammann mit dem Spruch: »Guten Abend gebe euch Gott.« Sepp war der Einzige, welcher antworten konnte. »Danke Gott«, sagte er. Aber so verblüfft waren alle, daß im ersten Augenblicke den Ammann niemand sitzen hieß. Nun, er wartete nicht darauf, setzte sich und sagte: »Ich komme ungsinnet, ihr werdet aber wissen, wegen was. Es ging heute etwas, es ist mr nicht am rechten Orte; es nähmte mich wunder, wie der Sachverhalt wäre, ich glaube, ich habe das Recht, darnach zu fragen. Du«, wandte er sich zu Änneli, »wirst es am besten wissen; willst es mir erzählen? Aber ich möchte, daß du mir die Wahrheit angebest, es kommt mir viel darauf an.«
Das war für Änneli eine starke Zumutung. Zehnmal leichter hätte eine Andere zehnmal ärgere Bekenntnisse abgelegt, als jetzt Änneli zum Besten geben sollte. Nun, es weigerte sich nicht, aber sein Herz blutete; es war ihm bei jedem Wort, als sei es ihm mit Daumenschrauben abgepreßt. Die Erzählung war zum Glück nicht lang. Als sie zu Ende war, sagte der Ammann: »Es wird so sein.« Zu seinem Verwundern hatte Änneli bekräftigt, was Felix gesagt.
»Und jetzt?« fragte der Ammann. »He, und jetzt?« sagte Sepp. »Daran werweiseten wir eben. Das Meitschi vermag sich der ganzen Sache nichts und muß doch alles ausbaden, das ist eigentlich nicht billig. Es möchte fort, und was sagen dann die Leute, warum man es fortgetan? Überdem kommt es uns sehr unkommod, wenn wir es fortlassen müssen. Daneben, was soll es hier, besonders wenn es Euer Sohn nicht ruhig lassen kann?« »Da wäre Heiraten das Beste«, sagte der Ammann. Es wäre ihm lieber, er vexierte nicht und fötzelte sie aus, sagte Sepp, sie hätten es nicht verdient. Sie wüßten wohl, wer er sei und wer sie seien, und daß Felix gekommen, vermöchten sie sich nichts, es sei ihnen zwider genug. Hätten sie drum gewußt, sie hätten es ihm erleiden wollen. He, sagte der Ammann, öppe ganz vexiert sei das nicht, es sei Ernst dabei; Felix habe den Kopf gemacht, das wolle was sagen. Sie möchten nicht daran schuld sein, wenn er was Ungeschicktes anstelle. Öppe ganz recht sei es ihnen anfangs nicht gewesen, wolle er aufrichtig sagen; sie hätten es anders gemacht, wenn es an ihnen gewesen. Daneben könnte Felix leicht was Dümmeres machen, und wenn das Meitschi auch arm sei, so sei es brav und sei seiner Frau so unanständig nicht, sie hätte es schon lange im Auge gehabt, freilich nicht für Söhnisweib. Sie hätte den Gedanken, es werde manierlich sein, sich unterziehen und nicht gleich befehlen wollen. Es heygs ere troffe, und so sei Heiraten wirklich das Beste, was sie machen könnten, und nicht vexiert.
Änneli und Bethi waren ganz verstummet, sahen den Ammann an, ob er es wirklich sei oder ein Anderer; sie hatten das Wort gehört, konnten es aber nicht fassen. Sepp sagte endlich: »Hört, Ammann, ich denke wohl, Ihr vexiert nicht mit uns, das wäre nicht viel gemacht. Aber hört, das Meitschi ist uns lieb und wert, und wir haben Ursache dazu. Wenn es nun nur der Schuhwisch sein sollte und alle Tage hören müßte, wie es nur ein Gottswillemensch sei, nichts gebracht, also auch nichts zu sagen hätte, so wär es mir lieber, es bliebe bei uns, erleidet ist es uns nicht. Anfangs täts ihm weh, aber solches versurret am Ende auch, wie ds Klemme und ds Haue, es geht nicht so leicht zum Töten wie das Verschüpfe u Schuehwüsch sy.«
Noch ehe der Ammann, den diese Rede gestochen (er hatte wahrscheinlich geglaubt, die ganze Familie werde vor Freuden sich am Boden herumwälzen), antworten konnte, erschollen vor den Fenstern einzelne Töne und endlich ein jämmerliches Geschrei. Man fuhr erschrocken auf. Offenbar hatte jemand am Fenster geguckt, etwas Züchtigendes war über ihn gekommen, aber man wußte nicht was. Bethi schob das Schiebfenster zurück. Sepp sprang hinaus, die Schreier fanden sich alsbald.
Endlich war Eisi doch aufgebrochen im Dorfe, schlug den Weg ein, der neben Ammanns Haus vorbeiführte. Es nahm ihns wunder, ob dort Lärm sei oder sonst etwas zu merken. Lange ehe es dabei war, sah es jemand zur Türe von Ammanns Haus herauskommen; am breiten Rücken wußte es alsbald, daß es der Ammann war. Er kam nicht gegen Dorf und Wirtshaus, sondern ging in der gleichen Richtung wie Eisi. Der hat eine feine Nase, daß der heute nicht ins Wirtshaus geht, dachte es. Der könnte dort was erschmöcken, aber wo will der aus so spät? Meinst, es sehe dich niemand, aber wart, das ernäsele ich doch! In gehöriger Entfernung ging es leise nach und sah den Ammann im Nägeliboden ins Haus treten. Jetzt war ihm nicht mehr zu helfen. So, geht er da hin; er wird es mit Geld machen wollen, der dicke Schelm! Das muß ich wissen, aber um kein Lieb darf ich zum Hause, die Hagels Hex hat gewiß Fallen gestellt oder was gebeizt, der Teufel weiß was; die hätte zu große Freude, wenn sie mich acht Tage lang unter ihr Fenster bannen könnte, meinte Eisi. Es lief heim und fand dort den koboldischen Jungen, der an einem Briefe laborierte. Kaum sagte es davon, der Ammann sei im Nägeliboden, so war der Junge zweg dort zum Horchen und je nach den Umständen zu einem Streiche. Benzli bot sich zum Begleiter an, und ehe Eisi was dran machen konnte, waren sie verschwunden. Wegen dem andern Jungen war es Eisi nicht angst; wenn demselben schon was begegnete, so ging es ihns ja nichts an, hingegen um sein Kraut jammerte es sehr – es hatte wahrscheinlich eine Ahnung.
Die Bursche hatten einen günstigen Standpunkt aufgefunden, von welchem aus sie die ganze Stube übersehen konnten. Einstweilen hörten sie nichts, aber sie dachten, das Wetter werde schon noch losgehen. Plötzlich fuhr Beiden eine Hand in Nacken und faßte sie. Da schrieen sie so jämmerlich auf, meinten, es sei der Teufel. Aber es war Felix. Sobald sie den erkannten, wollten sie mit Beißen, Stüpfen, Kratzen sich losmachen; aber was der hielt, hielt er einstweilen, zudem ging ihm plötzlich ein Licht auf. Er kannte den, welcher die Briefe vertragen, er hatte nun auch den, welcher sie geschrieben. »Ihr Lausbuben, wollt ihr bekennen oder nicht«, sagte Felix und brachte ihre Gesichter in starke Berührung. Sie aber kratzten und stüpften aus Leibeskräften und schrieen. »Willst uns gehen lassen, du großes Kalb, du Veh, was du bist!« Aber Felix war in solchen Dingen wohlerfahren; er fuhr mit den Buben dem Brunnen zu, setzte dort beide mit einem Ruck in den Trog, als wäre er ein Badkasten. Hochauf spritzte das Wasser und platschte über die Ränder, schrecklich schrieen die Jungen, ärger als Schweine am Messer. Felix tauchte sie unter, dann gurgelten sie, aber alsbald fing das Schreien wieder an; bekennen wollte keiner. Sepp kam dazu, endlich auch der Ammann; sie vernahmen, wie Felix die Jungen getroffen und was er jetzt wolle. Die Buben wimmerten und schrieen schrecklich; das Untertauchen abgerechnet, war ihr kalter Sitz in die Länge ihnen sicherlich peinlich, aber mit dem Bekennen wollte keiner anfangen.
Plötzlich kam eine Stimme über sie: »Es düecht mih, es sött afe gnue sy, ih wett höre, wenn ih guet zum Rat bi.« Es war Peterlis Stimme, der hinter ihnen stand. Droben im Dürluft hatte Eisi das Schreien gehört und nun auch geschrieen. »Si mürde se, si mürde se! Peter, uf u ache, si töte ne, si töte ne!« Peterli hatte Vaterliebe, lief und redete nun sehr auf, unerschrocken vor dem Ammann: Was das für eine Manier sei, mit armen Kindern so umzugehen, und ob er sie loslassen wolle oder nicht, sonst wolle er sich auch dreinlegen. Da sprach der Ammann: »Warum machen die Buben solche Streiche, Peter, fechten mit solchen Briefen und plagen nachts die Leute bei den Häusern!« »Oh«, sagte Peter, »es sind ja nur Kinder, sie wußten nicht, was sie machten, die Leute brauchten sich ja des Gchafels nicht zu achten.« »Deiner hat sie also vertragen und der Andere geschrieben?« fragte der Ammann. »Es wird sein«, antwortete Peterli. »Und deine Frau gab sie an?« fuhr der Ammann fort. »Nicht apart«, sagte Peterli, »öppe dryglueget het si u allbeeinist öppis drzue gseyt, aber öppe vil nit. Daneben war es nicht bös gemeint, ume so für dKurzwyl hey sis gmacht. U dr Schuelmeister het gseit, je meh me schryb, dest besser lehr mes.« »Felix, laß sie laufen«, sagte der Ammann; »der Dürluftbauer hat alles gesagt, was nötig ist.«
Felix tauchte sie noch einmal brav unter, ließ sie dann los. Benzli kroch alsbald heraus, der kleine Ratskandidat aber blieb sitzen. Er gehe da nicht heraus; wer ihn hineingetan, könne ihn wieder heraustun, wo nicht, so müsse er ihm gut sein für allen Schaden, sagte er. Erst als alle lachten, kroch er heraus, jedoch nicht ohne Verwahrung seiner Rechte, eine Drohung, ihn zu finden, was ihm von Felix noch eine tüchtige Ohrfeige zuzog.
Der Zorn des künftigen Volksmannes kehrte sich, als Felix außerhalb dem Bereiche seines Zornes war, gegen Peterli. Diesen kapitelte er runter, wie nur ein Dorfmagnat einem Schuldenbäuerli hätte abkapiteln können; er beurkundete sich so recht als eine zukünftige Größe, als eine Stütze der Freiheit und des Vaterlandes. »Warum dampest du alles aus und trappest hinein, jetzt kannst es auch ausfressen! Warum leugnest nicht? Leugnen ist die Hauptsache; man muß alles leugnen, bis etwas gesetzmäßig bewiesen ist! Der Schulmeister hat gesagt, es sei einer ein dummer Hund, aus dem gar nichts werde, wenn einer glaube, was man ihm nicht beweisen könne; es sei schon Mancher unglücklich geworden, weil er so leicht geglaubt, was man ihm angemutet. Und ds Beweisen habe heutzutage eine Nase, man könne niemanden mehr däumeln und niemanden mehr schlagen, das sei gegen die Menschenrechte. Und wegem bloßen Glauben könne man niemanden mehr strafen; überhaupt sei kein verachteteres Wort als das Wort Glauben, das sei eins, man sollte es nicht einmal mehr brauchen, geschweige denn, daß einer dummer Hung genug sei, wirklich etwas zu glauben, das nicht handgreiflich gemacht sei. Und du dampest nach, was dir vorgesagt wird, und das wird der Dank sein, daß ich das deiner Frau zu Gefallen getan! Aber wart du nur, ich will dir es schon zeigen, wo es durchjagt! Ich glaube nichts und aber nichts, bis du es rechtmäßig bewiesen hast, daß ich die Briefe geschrieben; du kannst der Lügner sein und den Dreck an deinem Stecken haben!« So zankend stießen sie auf Eisi, welches Zorn und Angst ihnen entgegengetrieben.
Als Eisi hörte, wie Peterli geplaudert, geglaubt, eingestanden, was es auf ewig geborgen glaubte, da war Peterli kaum zu helfen und Eisi auch nicht. Es kriegte Krämpfe, und Peterli wußte nicht, was gut dafür sei; er fing an zu fürchten, es sei ums Sterben zu tun. Es gieng mr notti übel, dachte er, wo hätte ich gleich eine Andere? Der Bube lief draus, sagend: »Habt ihrs gehört, ich will mit allem nichts zu tun haben; ich glaube nichts und aber nichts, und beweise man mir etwas! Mit solchen dummen Leuten ist man immer angeschmiert, dumms Volk, verfluecht dumms!« Glücklicherweise kam auch Eisis Mutter daher, die verstand sich besser auf diese Umstände. Eisi ward in den Dürluft gebracht und blieb am Leben. Peterli war einstweilen des Kummers los, wo eine Andere nehmen. Er war auch des Gchifels los und des Lebens sicher, denn selben Abend war es Eisi nicht mehr ums Reden.