Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Wenn ein Mensch ein Buch schreibt, kommt er, wenn das Ende naht, in eine gelinde Wallung, die immer und immer steigt, bis endlich der letzte Punkt gesetzt ist. Diese Wallung wird durch zwei Gedanken hervorgebracht. Erstlich denkt man an die Welt, was die sagen werde, daß man ein Buch geschrieben, und zwar so eins, wie keines auf der Welt sei und nie wieder eins kommen werde, wo man von Hütte zu Hütte, von Palast zu Palast laufen werde mit der Frage: »Habt ihr es gelesen, habt ihr es gelesen?« Wo in Zukunft der Hansli beim Misten, das Stüdi beim Rüblijäten, der Ratsherr auf dem Rathause und der eidgenössische Oberst auf seinem Schimmel mit diesem Buche in der Hand gesehen würden, und alle schreiend: »Das ist ein Buch, das ist eins! Das muß einer sein, der es geschrieben hat, e ganze Kerli, e vrfluechte Pickel!« Das ist der erste Gedanke, der Fieber macht.
Der zweite Gedanke ist der: Welchem Buchhändler will ich die Gnade erweisen und es zum Drucken geben? Ach, wie wird der die Ellbogen schlecken bis hinter das Achselbein, und was wird er mir wohl dafür geben? Verflucht viel, das weiß ich, aber wieviel wohl? Das ist der zweite Gedanke, der am Fieber mithilft, und zwar ziemlich stark, so daß, wenn beide Gedanken so recht flüssig werden, das ein starkes Fieber gibt, daß einem das Schlafen vergeht und fast das Essen, daß man zuweilen selbst Kamillentee brauchen muß.
Nun, wenn mal der letzte Punkt gemacht ist, vergeht das Fieber bald, zuerst der letzte Teil und dann der erste. Wenn erstlich kein Buchhändler es drucken will, keiner etwas dafür geben, endlich einer aus Erbarmen es druckt, aber nicht auf eigene Kosten, sondern auf Kosten dessen, der es geschrieben, wenn dann niemand es lesen will, in keiner Hand es gesehen, in keinem Hause es geduldet wird, wenn bei den täglichen Nachfragen beim Verleger der arme Schelm keine Bestellung sieht, sondern täglich neue Krebse, kein Geld sieht, sondern höhnische Gesichter, wohl, da vergeht das heiße Fieber, da kommt das kalte, daß ihm die Zähne klappern, daß er schnadert am ganzen Leibe ganz miserabel. Es ist die kalte Angst vor dem Konto, welchen der Verleger ihm machen wird, und zwar nicht mit Erbarmen, sondern mit Salz und Pfeffer.
Etwas Ähnliches stellte sich in der Vehfreude ein. Nicht daß etwa ein Vehfreudiger ein Buch geschrieben oder die ganze Gemeinde eins komponiert hätte. Bewahre, so was kam einem Vehfreudiger nicht in Sinn! »Öppis Dumms eso«, hätte jeder gesagt, dem es angemutet worden wäre. »Es ist mir ja zwider, wenn ich in eines sehen muß; wenn ich eines schreiben sollte, so wollte ich lieber die Erdäpfel im ganzen Bernbiet ungekocht fressen, ich würd ob der ersten Zeile ein Narr.« Und wenn es einem auch in Sinn gekommen wäre, er hätte es nicht riskiert, er wäre sein Lebtag für einen Narren gehalten worden gleich dem guten Doktor Glux zu Unghoblete.
Der Eglihannes war der Einzige, welcher Autorgelüsten an Tag legte, doch bloß, wenn er besoffen war. Nicht daß er an ein Buch dachte, so wenig als daß er eines las. Mit dem Hagelszüg möge er nichts zu tun haben, sagte er, es mache ihm alles Langeweile. Aber wenn er besoffen war, so drohte er der ganzen Welt, er wolle sie in die Zeitung tun oder gar in den »Guckkasten«, denn der verstehe es, Gott u Mönsch im Dreck umezzieh, daß sie ihr Lebtig stinken täten; es sei noch ärger, als wenn einer wär ins Schyßhus gfalle. Indessen brachte er es doch nie zu einem eigenhändigen Zeitungsartikel, dazu war er zu dumm, selbst zu der Zeit, in welcher er hochgestellter Beamteter war. Stach ihn der Teufel zu hart und konnte er sein Gift nicht versaufen, so ging er, wenn er was über den Pfaffen hatte, zum Schulmeister, der war Schmutzköchin weit und breit und verstand eine Brühe zwegzurühren, daß man damit eine halbe Stadt hätte vergiften können. Ging es über einen Weltlichen, einen Kollegen, so marschierte Eglihannes zum Katzenmani im Galgenmösli, der hatte ebenso große Freude daran, jemanden etwas anzuhängen, als er früher Zorn gehabt, wenn ihm jemand den Buckel ausgeklopft. Er gab sich für besonders befähigt dazu aus, denn er hielt sich für einen Logiker und hatte sich auf die Philosophie gelegt, das heißt er lief Pfarrern nach, welche alberne Dinge schwatzten, die den Bauern zu gemein waren, und schöpfte aus solchen Albernheiten seine Weisheit. Unser Mani eben, obgleich im Galgenmösli, stand doch auf der Kulturhöhe, von welcher ihm alles, was unchristlich oder antichristlich war, als Philosophie erschien; denn Mani war in solchen Sachen so kreuzdumm, daß selbst seine nächsten Verwandten sich seiner schämten, wenn sie ihn lafern hörten. Indessen dem Eglihannes waren diese Artikel eben nur zu philosophisch, sie bissen nicht recht. Wollte er so was Rechtes, welches durch jedes Fell ging, so ging er zum alten, grauen Sünder, welcher nicht gern gehängt sein will; der schrieb ihm für eine vierbatzige Flasche Sachen, daß selbst der Teufel den Pfnüsel bekam darob.
Nein, wegen einem Buche kriegte man in der Vehfreude kein Fieber, aber mit dem Käs hatten sie es akkurat wie Schriftsteller mit einem Buche. In der Regel schließt sich die eigentliche Kässaison mit Michelstag, einige Tage auf oder nieder, darauf kommt es nicht an, wenn es nicht ausdrücklich eingedungen ist. Aber lange vor diesem Zeitpunkte, schon gegen Ende des Augusts fängt so allgemach das Fiebern an. Man läßt in der Stille aus, man hätte das schönste Mulch, wo es in diesem Jahre geben werde, den höchsten Preis nehme man. Man geht, mit den Händen in den Säcken, den schön geordneten Käsen nach, betrachtet sie, ob sie eben, recht gerundet seien, nicht zu fast eingefallen oder zu sehr aufgelaufen oder gar gespalten, gibt dem Senn Weisung, er solle diesen oder jenen Käs besser so oder anders drehen. Wenn einer käme, sie zu gschauen, sehe er den Fehler weniger. Der Senn sagt nicht viel darauf, denkt aber bei sich: ja, glaub du, dummer Bauer, du könnest einen Käshändler hinter das Licht führen! Einer, der mit dem Ding weniger bekannt ist, meint gar, diesen solle man in jene Ecke stoßen und einen andern zuoberst hinstellen. Er denkt nicht daran, wie die Käse in ganz anderer Ordnung stehen als Bücher in einer Bibliothek, wie jeder Käs das Datum des Tages, an welchem er gemacht worden, an sich trägt, jeder in dieser Ordnung in Reih und Glied steht und stehen muß, in dieser Reihe heruntergenommen und gesalzen werden muß, damit richtig das Maß des Salzes getroffen werde, welches er bedarfDie Geschichte wegem Käsbürsten, welche Kohl erzählt, ist ein dem berühmten Manne angehängter Witz, der allen Leuten lästig wird durch sein Fragen und solche Antworten sich hageldick zuzieht. Man fährt wohl mit einer Bürste über die Käse, aber bloß um die Salztropfen zu verwischen, was zwei Sekunden für jeden Käs braucht. . In diesem allem ist eine Pünktlichkeit, von welcher nicht bloß mancher Hans Uli, sondern selbst mancher Professor oder gar der Hornborstel in Wien, der Minister, und der Spitzhütel, der General ebendaselbst, sich nichts träumen lassen.
Zugleich aber sucht man zu vernehmen, wie in andern Käshütten die Mulche ausfallen, die Käse sich machen. Das ist aber nicht ganz leicht. Jede Gesellschaft hat das höchste Interesse, den schlechten Zustand ihrer Käse geheimzuhalten, jedes Mitglied derselben begreift dieses auch, wenn es sonst gar nichts begreift, und verschweigt ihrer Käse Mängel sicher weit treuer als seine eigenen und namentlich seines Weibes Fehler, Laster und Sünden. Und dennoch, trotz aller Vorsicht, wird, man weiß nicht wie, bekannt, wo es fehlt. Wie das Licht durch jede Ritze dringt, kommt durch Spalten, Astlöcher, vielleicht gar Wurmlöcher alles an Tag, was in einem Käsgaden vorgeht. Da heißt es ganz mit Recht: Es ist nichts so fein gesponnen, es kommt doch endlich an die Sonnen. Das wird dann weitergesagt unter der Hand mit halblauter Stimme: Die in A sollen böse Käse haben, sie werden sie kaum verkaufen, in B sei auch nichts zu rühmen, der Senn könne nichts, in C hätten sie ganz gefehlt, die Bauern hätten es zu arg gemacht mit dem Vorteiltreiben, z'guet könne man es auch machen. Sie hätten es jetzt ungern und grusam geheim, aber man wisse es doch. »Wir aber«, heißt es dann weiter, »wir haben prächtige Käse, daß schöner nichts nützte, den höchsten Preis zu nehmen sind wir gesinnet diesmal. Was gelten sie, habt ihr nichts gehört, laufen sie afe?«
So ungefähr lauten die Vorreden mit wenig Veränderungen allenthalben. Das »Laufen sie afe?« bezieht sich auf die Käshändler. Wie die Weinhändler das Weinland besuchen, wenn die Trauben reifen, so gehen die Käshändler vor dem Schlusse der Saison über Berg und Tal, besuchen die Kässpycher, besehen die Käse mit kundigen Augen. Jedes Haus hat seine eigenen Wege und seinen besondern Operationsplan. Die Hauptfrage bleibt immer die gleiche: was besser sei, ob Zögern oder Eilen im Kaufen. Basis ist eigentlich immer das Zögern, das Tun, als sei einem an der Sache gar nichts gelegen, als kaufte man ehemals eigentlich bloß um Gottes, jetzt um des Vaterlands willen, als gehe man den Verkäufern aus dem Wege, um so gleichsam nicht in Versuchung geführt zu werden. Da hat man noch alten, mehr als einem lieb ist; es ist nicht Nachfrage, nicht Geld, man zweifelt, daß man kaufen werde, ausgenommen ganz Weniges, nur damit man was hätte, es nicht heiße, man wolle aufhören. Wenn man ihnen dann von andern Häusern sagt, welche Lust zum Kaufen zeigten, so heißt es mit Achselzucken: »Ein jeder macht für sich; wenn sie es gut finden, in Gottes Namen, wir wollen es ihnen nicht wehren. Sie werden es aber auch noch erfahren, was es heißt: Da siehe du zu. Wenn jemand so lange dabeigewesen und so manchmal die Finger verbrannt hat, ist man nicht halb so hitzig mehr. Man hat es erfahren müssen, daß was gekauft wird, bezahlt werden muß, und wenn man nicht verkaufen kann, wo Geld nehmen dazu? Da haben Bauern so wenig Geduld als die Küher; ist der Verfalltag da, so wollen sie das Geld, fragen nicht, habe man es oder habe man es nicht. Und geht der Tag ohne Geld vorüber, so ziehen sie Lederschuhe an, laufen einem nach Tag und Nacht, bis sie das Geld haben, und verbrüllen einen dazu im ganzen Lande, als ob man noch vor Sonnenuntergang geltstagen müsse.«
Es geschieht aber auch, daß das Eilen gut gefunden wird. Wenn zum Beispiel das Fleisch fehlt, das heißt nach trocknen Jahren, in denen viel Vieh geschlachtet werden mußte, oder irgend eine Zoll- oder Mautveränderung Hoffnung zu größerem Absatz gibt, dann heißt es: »Jakobli, salb dSchueh! Christen, lauf! Hansli, mach dih zweg! Andresli, strych dih, so gschwind de chast! Peterli, uf u nache, so streng de mast, chauf, was de chast, dräyh grüsli, aber chauf nüsti!« Dann geschieht es auch zuweilen, daß ein einziges Haus den ganzen Schwarm auf die Beine und in Eile bringt. Das Haus hat seine besondern Ursachen, viel zu kaufen, oder will probieren, das Beste auszuwählen in aller Stille, und den Andern die Nachlese überlassen usw. Es schickt seine Vögel aus, die streichen so geheim als möglich herum, versuchen, fast wie die Füchse mit den Schwänzen, die Fährten zu verwischen, aber das ist all umsonst. Am Samstag in Thun, am Dienstag in Bern, am Freitag in Langnau kommt so ein dicker Küher zu Hans Uli und sagt: »Ja, dies Jahr geht es anders mit den Käsen, da wollen wir euch den Marsch machen; vorgestern war der Großrat vom Hochmutsknubel bei mir, der mit dem schönen Gring, wo ist wie die Zeittafel zu Luthern. Für ds Tüfels Gwalt hat er meine wollen. Er tat mir ein schönes Bott, aber eine halbe Krone blieben wir stößig.« »So, der, lauft der schon, der tut immer, als wenn er Feuer im Füdle hätte, und wenn er am Ende zwei oder drei Mulche kauft, so ists aller Handel«, spricht Hans Uli. »Was wollte er geben? Vierzehne? (vierzehn Kronen gleich dreiundzwanzig Gulden zwanzig Kreuzer)« »Er hätte mir sechzehne gegeben, aber ich wollte nicht«, antwortet der Küher. »Dies Jahr haben wir das Heft in der Hand.« »So halts, wennd channst«, antwortet Hans Uli zornig und läuft ab. Läuft aber nur zum »Bären«, schreit: »Stallknecht, spann an, auf der Stelle, hörst!« Das hört die Wirtin, sagt: »Ei aber, Herr Zwiebelnkuchen, doch nicht vor dem Mittagessen, das Stubenmeitli trägt eben die Suppe ans Ordinäri, und es sind noch mehr Herren drin, Käshändler oder Großrät, eins von beiden.« »Meinethalben sei der Teufel drin«, sagt Herr Zwiebelnkuchen, »ich muß fort. Bringt einen halben Schoppen! Stallknecht, was koste ich? Ein Immi befahl ich, es hat es doch bekommen?« Und heim sprengt Hans Uli, daß Roß und Reiter schnoben und Kies und Funken stoben, und lange ehe er beim Hause ist, schreit er: »David, Daniel, Gabriel, Michael, uf, uf, salbit, laufit! Gschwing, gschwing, hüt no! Die Bärengringe uf dm Hochmutsknubel schnauseten schon alles aus, möchten die Nidle von dr Milch. Daß doch Sellige unser Herrgott die Beine nicht verschlägt, wenn sie so herumfahren, uns Andern alles z'vrblitze u z'vrhagle!«